Krebbatokamara Ànthimos kai Penelope
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Krebbatokamara Ànthimos kai Penelope
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Im Zimmer angekommen musste Penelope erstmal verschnaufen. Sie war zwar immer sehr sportlich gewesen, aber mit dem Bauch und vor allem im Moment waren vor allem Treppen ihr einfach eine Last. So war sie froh, als sie oben waren und sie stützte sich erst einmal im Kreuz ab und bog den Rücken leicht nach hinten, um ihn zu entlasten und ächzte erst einmal erleichternd.
Inhapy unterdessen besah sich alles mit der Genauigkeit einer Geschäftsfrau, nickte kurz stumm beim Bett und beäugte dann etwas kritisch das offene Fenster für die Luftzirkulation.
“Gut, sehr schön soweit. Das Fenster ist zwar offen, aber wegen der Hitze lassen wir das so. Wir wollen dein Kind ja nicht gleich backen, und ein kleiner Zauber sollte alle Geister draußen halten.“
Die Hebamme machte sich auch gleich ans Werk, den Raum abzuriegeln für alle Einflüsse. In monotonem Singsang schritt sie alle Wände ab und ließ sich dabei von ihrer Tochter Hatnofer immer wieder kleine Steine aus Onyx geben, die sie in allen Ecken des Raumes platzierte, ebenso unter dem offenen Fenster. Als sie damit fertig war, lächelte die Ägypterin zufrieden zu Kiya und Penelope hinüber und rieb sich leicht die Hände.
“Gut, prima. Bevor wir die Göttinnen einladen, wollen wir erstmal den Rest vorbereiten. Sag, Penelope, wo hast du Laken und dergleichen? Und wir brauchen eine Kupferschüssel für das Wasser, am besten zwei. Und magst du noch etwas?“
Die junge Griechin hatte alles ein wenig nervös beobachtet. Irgendwie fühlte sie sich etwas fehl am Platz, fast schon überflüssig. Irgendwie gab es nichts zu tun, außer zu warten. Und das war nicht unbedingt entspannend, darauf zu warten, dass ihr Bauch sich dazu entschied, sich wieder zu verkrampfen und die Wehen voranzutreiben.
“Da, in der Truhe. Und wir haben noch welche in der Truhe im Zimmer nebenan, wo mal das Kinderzimmer sein soll. Ich weiß nicht… vielleicht noch ein paar Kissen?“
Ein wenig unsicher schaute Penelope von Inhapy zu Kiya und wieder zurück. Sie hatte doch keine aHnung, was sie noch brauchen würde, immerhin war das ihr erstes Kind! Aber ein bisschen bequeme Kissen konnten nicht falsch sein.
Kiya folgte den beiden Frauen erst einmal und schaute dabei verstohlen nach links und rechts um einen ersten Eindruck vom Haus zu bekommen. Viel bekam sie jedoch nicht zu sehen, denn schon wenig später, waren sie im Schlafzimmer der Herrin angekommen und Anweisungen prasselten auf die Sklavin. Immer wieder nickte sie nur kurz und eilte dann kurz aus dem Raum um das Leinen aus dem benachbarten Zimmer zu holen. Ein kurzer Blick sagte ihr dann wie das Kinderzimmer eingerichtet war und auch wo die wichtigsten Dinge waren, die ein Säugling benötigte. Mit den armen voller Laken kehrte sie zurück und bekam noch das Ende der Geisterbeschwörung mit. Ihr Blick viel auf die kleinen Steine aus Onyx mit welchen ein Schutzkreis um die Wöchnerin gelegt wurde. Ein wenig hatte sie diese alten Traditionen in Rom vermisst, denn dort waren die alten Geister fast vergessen worden.
Mit einem sanften Lächeln trat sie dann an ihre Herrin heran und legte ihr ein feuchtes kühles Tuch auf die Stirn, damit jene sich beruhigte und sich nun auf die wichtigen Dinge konzentrierte.
„Das heiße Wasser dürfte gleich fertig sein! Wünscht ihr etwas zu trinken, Herrin? Saft oder Wasser oder etwas anderes?“ fragte sie besorgt und tätschelte Penelope beruhigend den Handrücken.
„Soll ich nach deinem Mann sehen, Herrin? Oder ihn gleich aus dem haus schicken, damit er nicht irgendwelche Unsinn anstellt? Ich bin sicher er würde eine Taverne finden in der er Zuflucht findet!“ schlug sie sanft vor.
“Ja… ähm, nein… warte…“
Penelope hielt sich dankbar den kühlen Lappen an die Stirn. In der Zeit, in der Kiya herumgehuscht und alles besorgt hatte, hatte sie eine weitere Wehe gehabt, was sie doch mehr als erwartet erschöpfte und schlauchte. Daher brauchte es ein wenig, ehe sie sich gesammelt hatte und wie gewohnt klar und ruhig ihre Anweisungen geben konnte.
“Ja, geh in die Küche und beruhig ihn, wenn du kannst. Wenn du ihn losschicken kannst, wäre das gut, aber wahrscheinlich wird er nicht wollen. Er hat furchtbare Angst andauernd, mir könnte etwas passieren. Das war seit dem ersten Moment so, ich glaube nicht, dass das jetzt besser sein wird, aber versuch dein Glück. Wenn er beschäftigt wäre, wäre das nicht schlecht.“
Penelope konnte sich nicht vorstellen, dass irgendwas ihren Mann heute aus dem Haus bekommen würde. Wahrscheinlich würde er, wenn es losging, vor der Tür auf und ablaufen wie einer der eingesperrten Löwen am Paneion. Und das, obwohl er ganz sicher nicht hier reinkommen würde. Aber versuchen konnte Kiya es.
Irgendwie war Penelope wohler bei dem Gedanken, ihr Mann würde nicht alles unbedingt mitkriegen. Er behandelte sie jetzt schon wie ein rohes Ei, so sehr, dass Penelope mehr als einmal wütend geworden war. Was wäre da erst, wenn er mitbekam, wie sie bei einer Geburt keuchte und schrie? Dann würde sie bestimmt noch mehr umhätschelt werden, und das wollte sie auf keinen Fall. Nein, da wäre es schon besser, er würde spazieren gehen. Selbst, wenn er dann etwas trinken würde, was Penelope auch absolut nicht leiden mochte. Aber besser ihn einmal betrunken erleben als dauernd wieder so furchtsam.
Inhapy mischte sich auch noch einmal kurz ein, ehe Kiya noch gleich losging.
“Sag dann aber mit dem Wasser bescheid, dass sie es warm halten sollen. Wenn wir es brauchen, schick ich dann Hatnofer hinunter, aber noch ist bis dahin Zeit.“
Penelopes Muttermund hatte sich noch nicht ansatzweise geöffnet, bis zur Austreibungsphase würde es noch eine ganze Weile dauern. Vorher brauchte man das Wasser noch nicht, aber dann sollte es heiß sein. Allerdings nicht kochend, immerhin wollte man ja niemanden verbrühen. Die meisten, die bei ihrer ersten Geburt halfen, machten das aber falsch, weshalb Inhapy ihre Tochter immer gerne etwas früher losschickte als notwendig.
Zärtlich und beruhigend, hielt Kiya erst einmal nur die Hand ihrer Herrin, während diese mit einer Wehe kämpfte und nach Atem rang. Geduldig wartete sie auf die Anweisung von Penelope und der Hebamme. Immer wieder nickte sie kurz, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte und die Aufgaben gewissenhaft ausführen würde.
„Keine Sorge, Herrin! Ich bin sicher, dass ich euren Man aus dem Haus bekomme, oder aber ich werde Palmenlikör besorgen und ihn abfüllen, so dass er dich nicht stören kann!“ meinte sie ernsthaft, aber mit einem kleinen Lachen in der Stimme um sie zu beruhigen. Aufregung konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen.
„Auch werde ich uns dann etwas zu trinken herauf bringen, schließlich werden wir uns alle noch gedulden müssen!“ sagte sie beflissentlich, ehe sie das Zimmer verließ und in die Küche eilte.
“So meinte ich das eige…“ Aber da war Kiya schon geschäftig nach draußen gehuscht.
Penelope mochte es ganz und gar nicht, wenn Ánthimos sich betrank. Und Palmlikör war so ziemlich das übelste Zeug, was man bekommen konnte. Da wurde man von einem Fingerhut voll betrunken. Penelope mochte betrunkene Männer ganz und gar nicht. Aber Kiya war schon hinaus, und im Endeffekt war es so vielleicht auch besser.
Da sie es absolut nicht mochte, und Anthi noch nicht einmal mehr einen vernünftigen Kuss bekam, wenn er getrunken hatte, war das vielleicht wirklich mal eine Gelegenheit für ihn, sich zu betrinken. Sonst machte er es ja aus Rücksicht auf sie nicht. Ja, vielleicht war es ganz gut, wenn er so abgelenkt wäre und mal etwas mehr Freiheit hatte, ohne Rücksicht nehmen zu müssen.
“So, dann wollen wir mal die Gottheiten herbeirufen, auf dass sie ihre wachsamen Augen auf uns haben mögen“, meinte Inhapy schließlich. Nun, da der Raum von bösen Geistern befreit war, die dem Kind und der Mutter schaden könnten, konnte man die göttlichen Helfer einladen. Penelope hatte darauf bestanden, dass Inhapy nicht nur die ägyptischen Gottheiten herrufen würde. Immerhin war sie Griechin und das Kind würde Grieche sein, da mussten auch griechische Geburtsgöttinnen anwesend sein.
Dennoch fing Inhapy erst mit den Gottheiten an, zu denen die Ägypterin selbst betete. In hohem, ägyptischen Singsang begann sie das traditionelle Lied, das sie bei jeder Geburt als Einstimmung sang. Sie rief Bes an, den zwergenhaften Gott der Nacht. Er sollte die Wache halten über das Zimmer und seinen Schutz der Mutter und dem Kind zugute kommen lassen.
Danach rief sie Thoeris herbei. Die nilpferdförmige Göttin galt als Schutzherrin aller Schwangeren, und besonders wohlwollend und hilfreich bei der Geburt selbst.
Im Anschluss rief sie Bastet an. Da Penelope selbst eine Katze besaß, hoffte Inhapy, dass die Katzengöttin besonders gewogen sein würde. Und wenn nicht, dass sie gnädig sein würde, denn Katzen waren auch die Wächter der Unterwelt.
Schließlich rief Inhapy mit herzzerreißend flehendem Gesang die Göttin Isis selbst herbei. Die göttliche Mutter, die auch bei Griechen und Römern verehrt wurde, sollte ihre Heilzauber über den Raum legen und dem Kind ihren göttlichen Segen zuteil werden lassen.
Schließlich endete Inhapy ihren Gesang, nachdem sie je eine Himmelsrichtung einer Gottheit geweiht hatte. Im Norden Bes als Heimat der Nacht, im Osten Bastet, die die Fruchtbarkeit brachte, im Süden Thoeris mit dem geschwollenen Nilpferdbauch, und den Westen schließlich Isis, der Herrin über die Lebenden und die Toten.
Als sie geendet hatte war Penelope tief gerührt. Sie war zuversichtlich, die Gottheiten würden sie gehört haben und hatten ihre wachsamen Augen auf dem Raum. Auch wenn während der Anrufung eine weitere Wehe sie stöhnend in die Knie hatte gehen lassen, so fühlte sie doch die Macht des Göttlichen im Moment (oder bildete es sich zumindest stark genug ein, um daran zu glauben).
Doch nun galt es, auch die griechische Trias zu laden. Da Inhapy nicht zu den Göttinnen betete, stimmte hier Penelope selbst den Gesang an. Sie hatte gehofft, durch die jahrelange Übung eine kräftigere Stimme zu haben, doch kam ihr ihr Gesang etwas schwach und kraftlos vor. Dennoch hoffte sie auf das Wohlwollen der Göttinnen, als sie ihnen zu Ehren den Weihrauch entzündete, dessen schwerer Geruch sich im Raum schnell verbreitete.
Sie sang für Bendis, die in der griechischen Heimat als Artemis verehrt wurde. Die göttliche Jägerin, die Herrin der Frauen vereinte in sich die drei Aspekte des Frauseins. Sie war die Jungfrau, sie sorgte für die Fruchtbarkeit bei Mensch und Tier, und sie war die Jägerin, die das Leben beendete. Für eine Gebärende war sie die wichtigste Gottheit, daher wurde sie als erstes angerufen.
Danach wurde Hera herbeigefleht. Die Schutzherrin der Ehe war natürlich auch mit am daraus folgenden Nachwuchs beteiligt. Die höchste der Göttinnen wurde angefleht, Penelope zu helfen, ihrem Ehemann ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, und sie sollte die Ehefrau vor Schaden bewahren.
Als letztes wurde schließlich noch Persephone herbeigerufen. Wie ihre Mutter Demeter war die Frühjahrsgöttin eine Fruchtbarkeitsgöttin, darüber hinaus die Herrin im Totenreich. Hier in Alexandria vermischte sich ihr Kult mit dem der Isis, dennoch rief Penelope sie einzeln an, sie möge ihr gnädig ihren Segen gewähren und ihre Seele bewahren.
Nun hieß es warten, während die Wehen in immer kürzeren Abständen kamen. Anfangs lief Penelope noch im Raum herum, viel zu unruhig, um still zu liegen, aber schließlich musste sie sich doch aufs Bett begeben, wo sie erst einmal sitzen blieb, während ihr Inhapy mit kräftigen Armen den Rücken rieb. Vor allem die Massage im Kreuz schaffte kurzfristig ein wenig Erleichterung von dem ziehenden Gefühl in der Leistengegend, aber auch das war nur von kurzer Dauer.
Anfangs ertrug Penelope das alles noch mit beinahe stoischer Ruhe, aber nach den ersten 3 Stunden war sämtliche Selbstbeherrschung aufgebraucht und sie stöhnte befreiend mit jedem krampfhaften Zusammenziehen ihres Bauches. Inhapy blieb die ganze Zeit bei ihr, redete mit ihr, half ihr beim Atmen und sang für sie die Geburtslieder, während Hatnofer immer wieder das Zimmer auch verließ, um etwas zu holen, Getränke oder eine Kleinigkeit zu Essen, auch wenn Penelope nichts essen wollte.
Nach einer weiteren Stunde war der Muttermund schließlich soweit geöffnet, dass es eigentlich losgehen könnte. Die Wehen waren nun auch so kurz hintereinander, dass sie eigentlich als ständiger Schmerz blieben und Penelope peinigten. Instinktiv hatte die werdende Mutter die Beine schon aufgestellt und die Knie angewinkelt, aber noch war es nicht so weit. Weder war die Fruchtblase geplatzt, noch war das Kind tief genug, als dass sie pressen könnte. Inhapy fühlte immer wieder nach und drückte ihr auch von oben sachte auf den geschwollenen Bauch, aber das Kind saß weiterhin oben und schien es mitnichten eilig zu haben, herabzusinken. Aber wenigstens gedreht zu haben schien es sich schon, was eine gute Nachricht war.
Nach insgesamt 8 Stunden war die Müdigkeit, die Penelope fühlte, überwältigend. Sie war nur noch erschöpft. Mittlerweile war die Fruchtblase geplatzt und das Kind hatte sich herabgesenkt, aber zum Pressen fehlte ihr die Kraft. Sosehr sie sich auch anstrengte, das Kind kam nicht. Es war fast, als säße es fest.
Nun kam das heiße Wasser auch zum Einsatz, das Inhapy sich bringen ließ. In einen Tonkrug gefüllt goss sie es Penelope sanft über den Unterleib und fing es unten mit der Kupferschüssel wieder auf. Was jeder Veterinärmediziner bei Tiergeburten selbst in 2000 Jahren noch anwenden würde, half auch beim Menschen und war der Grund für das heiße Wasser: Die Hitze entspannte schlicht und ergreifend die Muskeln und entkrampften somit den Unterleib, was es der Mutter leichter machte. Wie jedes Entspannungsbad war es schlicht und ergreifend eine Hilfsmaßnahme, und säuberte nebenbei noch alles.
Das verbrauchte Wasser wurde von der neunjährigen Hatnofer nach draußen getragen und weggeschüttet.
Nach zehn Stunden wollte Penelope nur noch, dass es vorbei wäre. Ihr Körper war nur noch ein Meer aus Schmerz und sie versuchte schon gar nicht mehr, ihre Lautstärke irgendwie zu drosseln. Auch wenn mittlerweile die Sonne untergegangen war und das Zimmer nur von Kerzen erhellt wurde. Heute Nacht würden wohl nicht viele Nachbarn oder Hausbewohner Schlaf bekommen.
Inhapy mühte sich redlich, Penelope zu helfen, wusch ihr mit Kiya zusammen den verschwitzten Körper, gab ihr mit Opium versetztes Wasser zu trinken, um die Schmerzen zurückzudrängen, und fuhr mit dem heißen Wasser fort. Doch das Kind kam nicht.
Nach zwölf Stunden schließlich war Penelope alles egal. Ob das Kind kam oder nicht, ob sie überlebte oder nicht. Sie wollte nur noch, dass es endete. Egal wie. Ihr Körper hatte keine Kraft mehr, und ihr Geist hatte keine Kraft mehr, ihren Körper etwas anderes einzureden. Egal, wie sehr ihr Inhapy auch zuredete, sie wollte nicht mehr.
Bendis, erlöse mich… Bendis, schicke einen Pfeil… einen Pfeil, Bendis… Bendis…“, betete sie zur großen Göttin, deren Mond durch das Fenster herein schien.
Aber es kam kein Pfeil von der Göttlichen, und auch Inhapy kämpfte für die werdende Mutter einfach mit weiter. Hatnofer, die Tochter von Inhapy, schlief ebenfalls erschöpft auf dem kleinen Korbstuhl. Die Laute werdender Mütter kannte sie, sie störten sie nicht weiter. Wenn sie gebraucht würde, würde man sie wecken.
In der 16. Stunde schließlich entschied sich das Kind, doch zu kommen. Penelope hielt mit einer Hand die ihrer neuen Sklavin, die sie beim Pressen kräftig drückte, während Inhapy ihr mit sanftem Druck am Bauch immer wieder half und schaute, wie weit es war.
“Ja, komm Schätzchen, du schaffst das.“
Immer wieder fühlte die Hebamme mit schlanken Fingern nach, wie weit das Köpfchen nun war, und gab der Mutter bestärkend dann immer Zustandsberichte, die “Du hast es gleich“ oder “Nur noch ein wenig, ich kann es fast sehen“ Aber meistens nicht an Wortreichtum übertrafen.
Als das Köpfchen wirklich immer mehr gegen den Damm der Mutter drückte, entschied sich Inhapy dazu, zu schneiden, bevor es einen Riss geben würde. Mit einem scharfen Messer, das sie vorher über das reinigende Feuer gehalten hatte, schnitt sie so zielsicher die Mutter und vergrößerte damit den Platz, den das Kind hatte. So konnte es später besser heilen und mit einem einfachen Stich genäht werden, anders, als wenn es reißen würde. So blutete es zwar kurz etwas stärker, aber das war verschmerzbar.
“Der Kopf ist fast da, Schätzchen. Komm, noch einmal kräftig pressen. Für mich, Schätzchen. Komm, einatmen… und pressen.“
Penelope nahm noch einmal alle Kraft zusammen und presste so stark sie konnte. Das “Gut so“ von Inhapy ging in ihrem Schrei unter.
“Das Köpfchen ist da, Penelope. Komm, jetzt ist es fast vorbei. Ich versprech es. Nur noch einmal, komm, mit Kraft. Komm, Pelo.“
Penelope hatte keine Kraft mehr dazu, aber sie hatte auch keine Kraft, mit Inhapy darüber zu streiten, also versuchte sie, in ihrem Körper noch irgendwo Kraftreserven zu finden und presste.
Plötzlich war der Druck von ihrem Unterleib wie verschwunden und sie ließ sich völlig schlaff zurücksinken. Sie atmete fast japsend und wollte nur noch sterben, damit der Schmerz aus ihrem Körper wich, als ein kleines, helles, feines Geräusch die frühmorgendliche Stille durchschnitt. Es war leise, denn die kleinen Lungen konnten nicht so viel Luft fassen, als dass es wirklich ein lauter Schrei hätte sein können, und für das junge Leben waren die vergangenen Stunden nicht minder anstrengend gewesen wie für die Mutter. Und nun war es heraus aus seiner gewohnten Umgebung, heraus aus der wohligen Wärme, und alle Geräusche drangen so hart und scharf an es heran. Natürlich wimmerte und schrie es da, auch wenn die kleine Lunge, die zum ersten Mal arbeitete, nicht viel leisten konnte.
Aber für Penelope war mit dem Geräusch, so leise es auch war, plötzlich alles vergessen. Der Schmerz war zwar noch da, aber er war gleichgültig. Die Erschöpfung übermannte sie immer noch, aber es war nicht mehr wichtig. Vorsichtig reckte sie den Kopf, um zu sehen, was Inhapy da gerade noch zwischen ihren Beinen nun hielt.
Die Hebamme ließ sich das nur für diesen Zweck bestimmte Messer aus Obsidian gerade feierlich von ihrer Tochter reichen und murmelte dabei unablässig Gebete. Noch hing das Kind über die Nabelschnur verbunden mit der Mutter und der Nachgeburt zusammen. Für die Ägypter allerdings war diese Verbindung eine Verbindung des Lebens. Wenn die Nabelschnur anders durchtrennt wurde oder gar riss, war das ein sehr schlechtes Zeichen für das Leben des Kindes. Nur die schwarze, für die meisten magische Klinge durfte diese Verbindung durchtrennen. Mit einem sauberen Schnitt erledigte Inhapy das, ehe sie das Kind vorsichtig in ein vorbereitetes, weiches Leinen tat und der Mutter auf den Bauch legte.
Als das Kind den Herzschlag der Mutter hörte, wurde es ruhiger und zitterte nur erschöpft ein wenig, aber ohne weiter zu weinen. Dieses Geräusch war das erste, das es gehört hatte, und vertrauter als alles Neue und Fremde jetzt.
Ganz vorsichtig berührte Penelope das kleine Leben, das da auf ihrem Bauch lag. Das Kind sah zerknautscht aus, der Kopf von der Geburt noch etwas lang gezogen, die kleinen Ärmchen am Zittern, der kleine, zahnlose Mund offen und am Suchen. In den ganz feinen, kleinen Härchen am Kopf klebten noch Reste von Fruchtwasser, Plazenta und Penelopes Blut. Ganz vorsichtig ließ sie sich von Kiya etwas stützen, damit sie ihren Finger zu der kleinen Hand bewegen konnte. Das Kind griff instinktiv danach, umschloss mit der ganzen Hand den Zeigefinger und hielt sich fest.
In diesem Moment weinte Penelope glücklich und befreit, und die Schmerzen und alles, was vorangegangen war, erschien ihr so unwichtig. Ihr Körper wurde überflutet von Glückshormonen, und da war nur ein Gedanke mehr: Das war ihr Kind. Und es lebte.
Inhapy gab der Mutter ein paar Augenblicke, eine Bindung zu ihrem Kind herzustellen. Vor allem beim ersten Kind hatten manche Mädchen, vor allem sehr junge, manchmal Probleme damit, ein Kind als eigenes Kind zu erkennen. Daher waren diese ersten Augenblicke oft sehr wichtig, und das weitere Prozedere konnte ein bisschen warten.
Allerdings nicht zu lange, weshalb Inhapy das Kind nach ein paar Minuten vom Bauch wieder nahm und es an Kiya übergab, damit die es vorsichtig waschen und in ein neues Leinentuch wickeln konnte. Nicht, dass das kleine Leben noch krank werden würde. Außerdem würde vermutlich der Vater es auch sehen wollen.
“Ein wunderschönes Töchterchen, Penelope. Weißt du schon, wie ihr sie nennen werdet?“
Bei den Ägyptern war es immerhin meistens so, dass die Frau den Namen einer Tochter aussuchte, während die Männer sich alles in allem auf die Söhne beschränkten. Auch wenn auch hier die Männer viele Rechte hatten, ähnlich den Griechen.
Penelope schüttelte nur schwach den Kopf und folgte dabei mit den Augen jeder Bewegung, die Kiya mit dem Kind machte. Sie wollte nicht, dass es jetzt von ihr entfernt war, und sorgenvoll sah sie ihm hinterher.
“Nein, das darf Anthi entscheiden. Ich darf das nicht…“
“Ihr Griechen habt schon komische Sitten. Warum darfst du das nicht?“
“Weil ich doch eine frau bin und kein Mann. Das Kind gehört ihm, er darf den Namen..“
“Paperlapapp, gehört ihm. Wer hat’s zur Welt gebracht? Ohne Männer kommen Kinder auch ganz prima aus, ohne Mütter nur schwerlich. Und jetzt hör auf mit dem Blödsinn. Du hast doch sicher einen Namen dafür im Kopf, hm?“
Penelope beobachtete noch immer Kiya mit dem Kind und bekam so nur halb mit, dass Inhapy sich wieder zwischen ihren Beinen auch in die Hocke begab, um ihr mit der Nachgeburt zu helfen. Nach den Schmerzen der Geburt war das schon fast unbemerkt und nur ein leichter Schmerz, als ihr Körper die Reste der Plazenta ausstieß. Inhapy fing sie sorgfältig in einer Schale auf und prüfte gewissenhaft, ob auch alles gekommen war, fühlte sicherheitshalber mit ihren schlanken Fingern noch einmal nach. Blieb etwas zurück, war das gefährlich für die Mutter. Außerdem glaubten die Ägypter fest, dass die Nachgeburt zum Leben des Kindes dazugehörte. So wurde sie sorgfältig in ein schwarzes Tuch verschnürt, damit diese neben der Türschwelle vergraben werden konnte. Würde man das versäumen, würde dem Kind noch ein schlimmes Unglück widerfahren und es würde sterben.
Penelope schließlich lächelte und sah weiterhin auf ihr Kind. Wenn sie sich einen Namen aussuchen dürfte und das zu entscheiden hätte, sie wüsste eigentlich nur einen Namen für das Kind. “Panthea…“, flüsterte sie also lächelnd und sah das Kind an.
Ja, alle Dinge waren göttlich. Die gesamte Schöpfung, jedes Ding in der Natur, war göttlich, und Penelope wusste es, wenn sie sich dieses kleine Leben ansah.
Inhapy war mit der Nachgeburt fertig, also wandte sie sich an Kiya mit dem Kind, streichelte das kleine, erschöpfte Mädchen einmal sanft über die Wange.
“Panthea also? Bei mir hättest du einen schönen, ägyptischen Namen gekriegt, kleine Griechin. Aber deine Eltern haben verrückte Bräuche.“
Sie lächelte einmal der erschöpften Mutter zu, die kurz fast tadelnd schaute, aber für einen Tadel viel zu müde war.
“Dann stell dem Vater mal seine neue Tochter vor. Ich wechsel solange hier das Stroh aus und mach sauber. Aber bring sie innerhalb einer Stunde zurück, damit sie bei der Mutter trinkt. Sonst wird sie uns kränklich.“
Bis die Milch bei der Mutter eingeschossen war, dauerte es manchmal auch ein paar Augenblicke, aber dennoch galt bei Menschen dasselbe wie bei Tieren: Die Biestmilch musste getrunken werden. Die Jungtiere, die nicht in der ersten Stunde bei der Mutter tranken, hatten kein Immunsystem und starben in den ersten paar Tagen an einem Infekt. Und bei Menschen war es nicht anders.
Als der Brief am Morgen angekommen war, war die Aufregung wieder groß gewesen. Natürlich hatten sie gestritten, das taten sie eigentlich nur noch. Anthimos hatte Penelope verbieten wollen, das auch nur in Erwägung zu ziehen. Sie war nun Mutter und sollte sich, wenn schon nicht um ihren Mann, dann doch um ihre Tochter sorgen. Und sie hatte erwidert, dass es der blanke Neid sei, der aus ihm sprach, denn sie hatte den Ruhm, den er nur begehrte, und damit konnte er nicht umgehen. Sein Stolz verbat, dass seine Frau gar berühmter sei als er!
Schließlich war der Streit eskaliert, und Penelope hatte sich wieder eingeschlossen, wie sie es häufiger tat, wenn ihr Mann ihr zu aufbrausend wurde. Überhaupt war er häufiger launisch und aufbrausend zu ihr. Angefangen hatte das alles, seit dem letzten Drittel der Schwangerschaft, als sie ihre Ruhe haben wollte, um Kraft zu sammeln. Als sie dann nach der Geburt nicht, wie er erwartet hatte, sofort wieder für ihn da war, sondern ihre Aufmerksamkeit eigentlich nur der Tochter galt, und ihr Körper von den Strapazen der Geburt noch eine lange Ruhephase brauchte, war es schließlich so schlimm zwischen ihnen beiden geworden, dass sie doch getrennte Schlafzimmer bezogen hatten und Penelope nun mit der Tochter das frühere gemeinsame Schlafzimmer bewohnte, während Anthimos ausquartiert worden war. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn meistens schob die junge Griechin sogar den Riegel vor, um ihn auch definitiv auszusperren.
Mittlerweile war nun also Panthea 2 Jahre alt – ein Wunder der Zeitschlaufen, die wohl häufiger dieser Tage aufzutreten schienen, konnten manche doch schwören, das Mädchen sei erst im Frühjahr geboren – und ein echter Sonnenschein. Das Kind schien entweder von den Streitereien nichts mitzubekommen, oder es schien ihm nichts auszumachen, denn es war doch sehr fröhlich. Und so kuschelte sich das Mädchen auch jetzt verschmust an die Mutter, während diese das Antwortschreiben an diesen fremden Römer verfasste – egal, was ihr Mann auch sagen mochte – und anschließend einem Sklaven mitgab, damit er es zur Post bringen möge.
Anthi erwachte durch einen sauren und schalen Geschmack in seinem Mund. Sein Kopf fühlte sich schwer und schummrig an. Er verzog angewiedert das Gesicht, als er merkte dass er in seinem eigenen Erbrochenem lag, allerdings dauerte es noch einige Augenblicke bis er sich wirklich erhob und sich die sähmige, schleimige Masse mit einem Lappen aus dem Gesicht wischte.
Er war nackt. Sowohl weil er keine Kleidung trug, als auch weil er alleine war. Er ging zu dem kleinen Waschtisch, spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und betrachtete dann sein Spiegelbild, als sich der wässrige Spiegel wieder beruhigt hatte. Er sah einen bärtigen Mann vor sich, der deutlich älter wirkte als Anthi es wirklich war. Der Bart war lang, mehrere Wochen alt und ungepflegt. Teilweise war er verfilzt, teilweise war er verklebt mit etwas das er nicht so genau identifizieren konnte. Angewiedert verzog er das Gesicht und das ihm fremd gewordene Gesicht im Wasser tat dasselbe.
Wie konnte es nur so weit kommen? Er hatte seine Frau und sein Kind verloren, weil er seinen Stolz nicht unter Kontrolle hatte. Auch seine Kousinen hatte er nicht so behandelt wie es ihnen gebührt hätte und hatte sie mit Nichtachtung gestraft. Nun waren sie weg! Alle waren sie weg. Von Penelope wusste er, dass sie und seine Tochter Panthea in Rom waren. Seine süße kleine Tochter. Natürlich hätte Anthi verhindern können, dass seine Frau die Tochter mit sich nahm. Schließlich gehörte sie zu seiner Familie. Allerdings hatte sich damals in all seinem Stolz und seiner Verbitterung noch ein bisschen Verstand und vor allem Liebe befunden und so war er zu dem Schluss gekommen, dass die Kleine bei ihrer Mutter am Besten aufgehoben war. Anthi hatte versagt, als Ehemann und als Vater und hatte daher keinen Anspruch mehr auf die beiden. Als ihm das klar geworden war und hatte er versucht diese Erkenntnis in Opium und Wein zu ertränken-erfolglos. Und nun sah er sich an, nur noch ein verzerrtes Abbild früherer Tage und ekelte sich vor sich selbst.
Er rief einen ihrer Sklaven und befahl diesem er solle ihm die Haare und den Bart schneiden. Allerdings entschloss er sich den Bart, wenn auch wesentlich kürzer, zu behalten. Wenn sie ihn finden würden, sollte er noch einmal fast so gut aussehen wie früher, bevor ihn Stolz und Eifersucht zerfressen hatten. Nachdem seine Haare in Ordnung waren legte er noch etwas Kosmetik auf, auch etwas was er früher nie getan hätte, und kleidete sich in eine prunkvolle Toga die er offenbar vor kurzem gekauft hatte. Er erinnerte sich nicht daran und offenbar war sie noch ungetragen.
Als er sich ankleidete, musste er an seine beiden Kousinen denken: Emilia und Berenike. Wo sie nur waren? Er wusste es nicht. War da ein Streit gewesen? Hatte er sie geschlagen? Aus dem Haus geworfen? Er konnte es nicht sagen, da sich die Realität mit schlechten, vom Opium und Alkohol geschwängerten, Träumen vermischte. Aber das war jetzt auch egal, denn in wenigen Minuten würde er sich darüber keine Gedanken mehr machen müssen. Er schickte den Sklaven fort, befahl in den nächsten Stunden nicht gestört zu werden, und ging in sein Arztzimmer.
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