Der Pontifex pro Magistro

  • Balbus führte den Tiberier zum kaiserlichen Officium. Er grüsste die Praetorianer kurz und klopfte an die Tür, bevor er eintrat. Dem Tiberier bedeutete er mit einem Wink ihm hineinzufolgen, denn der Kaiser konnte ihn schwerer ignorieren, wenn er anwesend war. Zumindest hoffte Balbus das.


    "Mein Kaiser, der Pontifex pro Magistro, Senator Tiberius Durus ist hier um mit dir über das Collegium Pontificium zu sprechen."
    Zumindest unterstellte er das jetzt einfach mal.

  • Valerianus war gedanklich gerade mit anderen Dingen beschäftigt und blickte den Procurator und Senator mit unklarem Blick eine Weile an.


    "Natürlich. Das Collegium Pontificium."


    Fragend blickte er zum Pontifex, um in Erfahrung zu bringen, worum es ging.

  • Wie fast immer, wenn Durus auf den Kaiser traf, wirkte dieser geistig abwesend - sei es, weil ihn das Thema Religion einfach nicht interessierte, sei es, weil er zu krank war, um längere Zeit aufmerksam zu sein oder von Schmerzen gequält wurde. Für einen kurzen Augenblick hatte derTiberier tatsächlich Mitleid mit seinem Kaiser, doch dann verhärteten sich seine Gesichtszüge: Es war unverantwortlich, in einem solchen Zustand keinen Nachfolger zu adoptieren oder zumindest den eigenen Sohn zum Mitkaiser zu erheben! Im Grunde konnte in einem solchen Zustand des Staatsoberhaupts jederzeit das Chaos ausbrechen!


    "Pontifex Maximus, ich bin hier, um mit Dir über meine Kompetenzen als Pontifex pro Magistro zu sprechen. Du hast ja bereits mitgeteilt, dass ich Dich im Collegium Pontificium vertreten soll. Die Frage ist: Soll ich in allen religiösen Belangen in Deinem Namen entscheiden? Oder in welchen Fällen möchtest Du Dir ein eigenes Urteil vorbehalten? Und wie oft und in welcher Form soll ich Dich informieren?"


    Es war eine ganze Menge an Fragen, die Durus hier vorbrachte, doch im Grunde war alles von größter Wichtigkeit!

  • Ein leiser erleichterter Seufzer entfuhr Valerianus, dass es sich offenbar nicht um dringende Angelgenheiten, sondern nur formale Fragen handelte. Die waren zwar ermüdend, aber immer noch besser als ungeplante Notfälle.


    "Der Alltag ist es, bei dem du mich entlasten sollst. Ich kann nicht jeden Mann kennen, um dessen Aufnahme in ein Collegium gerungen wird und bei dem man mich um eine Entscheidung bittet. Und häufiger sind die Dinge profaner, als dass ich einen Auguren dazu befragen müsste. Du kannst dich in solchen Dingen auskennen. Mal werde ich nur deinen Rat brauchen, mal kannst du gleich in meinem Namen entscheiden."


    Selbständig handelnde Beamte und Offiziere hatten dafür gesorgt, dass er im Illyricum eine Provinz und eine Legion vom Krankenbett aus führen konnte. Das musste einfach auch in Rom möglich sein.

  • Offensichtlich strengten den Kaiser diese Fragen wieder einmal sehr an und seine Antwort war so gut wie nichtssagend: Mal braucht er den Rat, manchmal konnte Durus selbst entscheiden?


    "Dann leite ich jene Fragen weiter, die meiner Meinung nach von besonderer Wichtigkeit sind, während ich klare Fälle eigenständig regele."


    fasste er das ganze ein wenig gewagt zusammen. Das würde ihm weitestgehend freie Hand gewähren, denn obwohl er beispielsweise alle Fragen zur Besetzung von Collegia für außerordentlich wichtig hielt, war er sich sicher, dass er diese Angelegenheiten selbst besser entscheiden konnte als der Kaiser...aber vermutlich interessierte diesen das sowieso nicht!

  • Fast brachte Valerianus so etwas wie ein erfreutes Lächeln zustande, bevor sein Nicken in einen Hustenanfall überging. Die waren in letzter Zeit zwar deutlich seltener geworden, aber von einer grundlegenden Besserung mochte weder er noch seine Ärzte sprechen. Immerhin beruhigte er sich auch diesmal recht schnell wieder. Der Pontifex schien schnell verstanden zu haben, wie sich Valerianus seine Rolle wünschte.


    "Genau so ist es. In den meisten Fällen dürfte es reichen, wenn du mich im Nachinein informierst. Sitzungen des Collegium Pontificium, an denen ich nicht teilnehme, sollten ein passender Anlass sein. Du informierst mich über die Geschehnisse dort und sonstige Ereignisse der letzten Zeit. Bei der Besetzung des Collegiums oder der Magisterposten anderer Collegien erwarte ich, vorher informiert zu werden."


    Jede Art von Meinungsverschiedenheit, die in der Vergangenheit zwischen ihnen im Collegium Pontificium aufgekommen war, schien Valerianus egal zu sein. Offenbar stand für ihn im Vordergrund, dass sich überhaupt jemand um eine Sache kümmerte.

  • Wieder einmal hustete der Kaiser - ein Husten, das nicht so klang, als hätte er sich verschluckt, sondern eher nach Krankheit...unschöner Krankheit! Dann jedoch antwortete er bestätigend - Durus durfte im Prinzip fast alle Personalentscheidungen treffen!


    "Gut, Pontifex Maximus. Das werde ich tun. Hast Du sonst noch spezielle Wünsche oder Vorgaben?"


    fragte er sicherheitshalber - zwar widerstrebte es Durus, nach Vorgaben zu fragen, da er als Senator normalerweise nicht wie ein Untergebener behandelt werden wollte, doch in diesem Fall, in dem Durus faktisch mit der Macht des Pontifex Maximus ausgestattet wurde, verlangte die Höflichkeit, dies zu tun.

  • Tatsächlich wäre es mit rein formellen Dingen und Entscheidungskompetenzen nicht getan.


    "Bei der einen oder anderen Veranstaltung außerhalb der Sitzungen des Collegium Pontificium wird es ebenfalls notwendig sein, dass du mich vertrittst. Du weist, dass die Zahl meiner öffentlichen Auftritte und Audienzen gering ist. Wenn ich mich schon nicht selber gewissen Dingen wirdmen kann, so ist es doch mein Wunsch, dass es einer meiner Vertreter tut. Mein Bruder tut es in einigen Bereichen, Salinator tut es in einigen Bereichen und du wirst es bei religiösen Anlässen tun können."

  • Vertretung bei anderen Anlässen? Ob der Kaiser auch von religiösen Feiern sprach, bei denen der Pontifex Maximus als Opfernder auftrat? Etwa beispielsweise zur Procuratio, die gerade wegen der Untätigkeit des Kaisers durchgeführt werden musste? Möglicherweise konnte das ein Consul im politischen und ein Praefectus Urbi im verwaltungstechnischen Bereich tun...doch in der Religion war es an manchen Stellen wichtig, persönlich präsent zu sein!


    "Ich werde dies gerne tun, doch muss ich Dich darauf hinweisen, dass an manchen Stellen Deine Präsenz unabdingbar sein wird. Nicht nur um der Götter Willen..."


    Es war natürlich auch für das Volk wichtig zu sehen, dass der Kaiser sich um die Pax Deorum kümmerte!

  • "Das ist mir bekannt. Diese Anlässe werde ich dann auch persönlich wahrnehmen."


    Valerianus machte nicht den Eindruck, dass er erfreut über diesen spitzen Hinweis war.


    "Das wäre dann alles?"

  • Der Tonfall des Kaisers missfiel Durus sehr. Offensichtlich hielt er ihn für einen seiner Bediensteten, seiner persönlich verpflichteten Procuratores oder Freigelassenen. Doch er war ein Senator Roms, verpflichtet vor allem der Res Publica und nur in zweiter Linie dem Imperator Caesar Augustus! Und selbst, wenn er ihm die Treue geschworen hatte - er betrachtete dies eher als ein Bündnis unter Gleichen!


    "Ja. Vale."


    erwiderte er daher beleidigt und wandte sich zum Gehen. Wenn der Kaiser keine Lust hatte, mit ihm zu reden, hatte Durus auch keine Lust! Und einen Vorteil hatte es, wenn die Dinge nicht klarer geregelt waren: Dann konnte er die wenigen Regeln so auslegen, wie sie ihm zupass kamen!

  • Die wenig harmonische Stimmung im Raum blieb natürlich auch Balbus nicht verborgen und auch, dass der Tiberier ein wenig gekränkt war, fiel ihm auf. Doch was sollte er da jetzt gross dran ändern? So verabschiedete er sich dann ebenfalls freundlichst vom Kaiser um dann auch das kaiserliche Offcium zu verlassen.

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