Der Aedil in den Thermen des Agrippa

  • Es war ein strahlender Frühlingsmorgen, an dem ich die Thermen aufsuchte. Mich begleitete Livius Pyrrus, der sich mit einer Wachstafel und einer Umhängetasche, die weitere Tafeln beinhaltete, bewaffnet hatte. Gemeinsam erklommen wir die Stufen zu den Thermen, die selbst so früh am Vormittag gut besucht waren. „Ich möchte, dass du den balneator benachrichtigst, dass ich hier bin“, trug ich Pyrrus auf. „Mach ich. Wartest du hier oder im apoditerium?“ fragte er mich und deutete mit dem Daumen über die Schulter hin zum Inneren des Gebäudes. „Im apoditerium. Er soll mich dort aufsuchen“, erwiderte ich meinem scriba personalis, der daraufhin nickte und vor mir zwischen zwei mächtigen Säulen in den Eingangsbereich der Thermen huschte.


    Ich selbst betrat die Thermae Agrippinae nur kurz nach ihm, wandte mich nach links und suchte die Umkleideräume auf. Allerdings würde ich mich heute nicht entkleiden, um Entspannung in den Thermen zu suchen, sondern mich nur der Schuhe und des Straßenstaubs an den Füßen entledigen und hernach eine Inspektion durchführen. Im Umkleideraum unterhielten sich zwei Römer gesetzteren Alters. Sie blickten kurz auf, als ich eintrat, und ich grüßte sie mit einem Nicken. Die beiden kleideten sich soeben wieder an. Ich setzte mich, streifte die Schuhe von den Füßen und wandte mich dem kleinen, flachen Becken zu, dessen Wasser schon nicht mehr glasklar war. Kurz verzog ich die Miene, dann tauchte ich die Füße hinein und wusch so den Staub von ihnen. In jenem Moment öffnete sich die Tür zum Innenbereich der Thermen hin, und Pyrrus kam hinein, im Schlepptau vermutlich den balneator. Ich stieg aus dem Wasserbecken. „Wenn ich dich mit dem amtierenden aedilis curulis bekannt machen dürfte? Senator Marcus Aurelius Corvinus. Und das hier ist der balneator Spurius Menatius Cavarinus“, stellte uns Pyrrus einander vor, wobei er einmal auf mich, einmal auf Cavarinus wies. „Salve, Ädil Aurelius!“ sagte Cavarinus, ein kleiner, untersetzter Mann mit gepflegtem, braunen Vollbart, und streckte mir seine Hand entgegen. „Du möchtest die Örtlichkeiten sicher besichtigen, nicht wahr?“ „Salve, Menatius. Das stimmt, ich würde gern eine Inspektion durchführen.“ „Möchtest du die toga nicht auch ablegen? Sie wird sonst sicher nass werden, zumindest am Saum“, schlug Menatius Cavarinus vor und deutete auf den Saum der Senatorentoga, unter dem meine nackten Füße hervorlugten. Ich schmunzelte. „Vermutlich hast du recht“, pflichtete ich dem Bademeister bei und ließ mir von dem erstaunlich hilfsbereiten Pyrrus aus der toga helfen. Er war es auch, der sie und die Sandalen in einer der Nischen ablegte und bei einem Sklaven mittels geringen Entgelts dafür sorgte, dass ich einerseits Badesandalen bekam, andererseits jemand ein Auge auf meine Kleidung hatte. „Wenn du mir dann bitte folgen würdest?“


    Sim-Off:

    reserviert

  • Die Runde begannen wir in der Reihenfolge, in der man die Einrichtungen der Thermen üblicherweise auch aufsuchte. Im tepidarium, das neben den zahlreichen Becken, in denen man sich reinigen konnte, auch einige Liegen zu Massagezwecken vorwies, hielten sich nicht viele Leute auf. Ich ließ einen gründlichen Blick schweifen. „Und, gibt es besondere Vorkommnisse? Wann fand die letzte Inspektion statt?“ fragte ich den Menatier, während wir an den Massageliegen vorbei gingen. „Oh, das müsste im iunius gewesen sein. Ich kann auch gern in die Aufzeichnungen schauen, wenn du das genaue Datum wissen möchtest, Herr.“ Ich betrachtete die ausreichende Sauberkeit der Reinigungsbecken und schüttelte dabei den Kopf. „Das wird nicht nötig sein. Und die andere Frage?“ „Ja, also…“ begann Menatius ausweichend, was dafür sorgte, dass ich ihn nun direkt fragend ansah. Der kleine Dicke knetete seine Hände und seufzte. „Tja also, vor kurzem hatten wir tatsächlich Probleme mit der Heizung. Die Temperatur war viel zu gering, es haben sich viele beschwert. Wir haben das natürlich kontrolliert und dein Fehler gesucht, und dabei haben wir festgestellt, dass eine Wand des praefurnium – die zur Innenseite weisende – undicht geworden ist. Schimmel, Herr.“ Menatius zuckte bedauernd mit den Schultern. „Es blieb uns natürlich nichts anderes übrig, als neu mauern zu lassen. Das hat ein wenig unser Budget gesprengt“, gestand er.

  • Ich rief mir den Bauplan der agrippinischen Therme ins Gedächtnis, der zu Hause auf meinem Schreibtisch lag. Vor meinem Besuch hier hatte ich ihn studiert. Das praefurnium lag im Außenbereich der Thermen, gut vor neugierigen Blicken geschützt, denn die Badegäste sollten sich entspannen können und nicht den Sklaven beim Feuern zusehen müssen. „Ich nehme an, der Mangel ist damit behoben?“ hakte ich nach. „Oh ja, Herr. Ist wieder alles bestens. Allerdings ist uns dabei aufgefallen, dass die tubuli an der Nordwand im sudatorium vielleicht bald erneuert werden sollten. Nur zieht das wieder einiges an Kosten nach sich, weil wir die Marmorverkleidungen abnehmen müssten, um die Arbeiten durchzuführen….“ Menatius Cavarinus seufzte und zuckte mit den Schultern. Ich runzelte die Stirn. „Worin besteht das Problem? Der fiscus kommt für notwendige Sanierungen auf“, erwiderte ich. „Ja, schon. Nur steht uns monatlich ein bestimmtes Kontingent zur Verfügung, und wir müssen darauf achten, dass wir die Staatskasse nicht zu sehr strapazieren, wie du ganz sicherlich weißt. Durch den Neubau des praefurnium sind wir schon in den roten Zahlen…“ Der balneator schüttelte den Kopf und ich schwieg einen Moment nachdenklich. Die Thermen waren im Jahre 719 nach Stadtgründung erbaut worden. „Wann wurden die tubuli zuletzt saniert?“ fragte ich den Badeaufseher, der daraufhin ein eher unglückliches Gesicht machte. „Das kann ich dir beim besten Willen nicht aus dem Kopf sagen, Herr. Aber es war definitiv nicht zu meiner Zeit, und ich bin nun schon vierzehn Jahre hier.“ Dem balneator schwoll vor Stolz ein wenig die Brust, als er selig Lächelte. Pyrrus ritzte derweil etwas in das Wachs seiner Tafel. „Dann schlage ich vor, dass wir im Anschluss an die Runde in deine Unterlagen sehen. Vierzehn Jahre sind eine lange Zeit, und wenn wir davon ausgehen, dass die Teile des hypocaustum noch viel länger nicht überholt wurden, ist vielleicht eine weiter reichende Sanierung vonnöten als nur der Austausch einiger weniger Heizrohre.“

  • Vom tepidarium gelangten wir ins caldarium, einen weiten Raum mit zahlreichen Nischen entlang der Wände, die mäßig warme Becken beinhalteten, welche zum Verweilen und zum Gespräch einluden. Wasserspeier in Tierkopfgestalt sorgten für regelmäßige Frischwasserzufuhr, und in diesem Saal war schon deutlich mehr los als im eben besuchten Raum. Senatoren saßen in einem Becken und nickten mir grüßend zu, ein Klient grüßte mich im Vorübergehen, als ich auf ein Becken zusteuerte, dessen Pferdekopfspeier weniger Wasser ins Becken plätschern ließ als seine unmittelbaren Nachbarn. Spurius Menatius Cavarinus ließ sich eben über die Vorzüge der eigens für die Agrippinischen Thermen angelegten aqua virgo aus, als ich auf den Pferdekopf deutete und ihn unterbrach. „Weshalb kommt dort weniger Wasser als an den übrigen Becken?“ Menatius stockte in seinem Erzählfluss und machte ein recht unintelligent wirkendes Gesicht. „Äh. Wieso? Ja weil… das ist das Becken, das am weitesten entfernt ist von der Hauptwasserzufuhr, Herr?“ erwiderte er. „Dann scheint der Druck nicht stark genug“, überlegte ich laut. „Naja, das ist öfters so. An manchen Tagen kommt noch weniger. Deswegen ist das Becken auch nicht so gut frequentiert wie die anderen“, erklärte Menatius und zuckte mit den Schultern. „Hm. Es erscheint mir aber nicht normal. Sollte der Druck nicht konstant sein? Ich habe leider nicht so viel Ahnung von der Arbeit der aquarii. Pyrrus, mach einen Vermerk, die sollen sich das mal ansehen.“ “Jawohl“ murrte der scriba und schrieb etwas auf. Die anderen Wasserzuführungen sahen für mein ungeschultes Auge in Ordnung aus, weswegen ich hier nichts weiter zu bekritteln hatte. Mit der generellen Sauberkeit schien man es auch sehr genau zu nehmen, denn bereits beim Eintreten in den Warmbaderaum waren mir zwei Sklaven aufgefallen, die sich um am Boden stehende Pfützen kümmerten.

  • Der Durchgang zum sudatorium war verziert mit einem prächtigen Bodenmosaik in Form eines prustenden, blaugrauen Walfischs inmitten wogender See. Ein hoher Steinbogen überspannte das Kunstwerk und bildete den Eingang zum Dampfraum. Dichter Nebel zog vom Becken in der Mitte des rechteckigen Raumes auf. Einige Männer saßen auf steinernen Bänken um das heißgefüllte Wasserbecken herum und unterhielten sich leise. Ich grüßte sie mit einem Nicken und spürte, wie sich die winzigfeinen Nebeltröpfchen auf meiner Haut niederließen und in meiner tunica festsetzten. Menatius strebte sogleich der Nordwand entgegen und legte eine Hand auf den mitgenommen wirkenden Marmor. Wasser lief an der Wand hinunter, was ein Zeichen dafür war, dass die dahinterliegenden tubuli nicht mehr richtig heizten und die Wand ob dessen so kühl war, dass der Dampf sich wieder zu Wasser werden konnte. „Fühlst du das, Ädil? Ganz kalt. An manchen Tagen ist es hier normal warm, dann stimmt alles. Deswegen glaube ich, dass man die Röhren mal austauschen müsste. Nur der Marmor…“ Er bog den rechten Zeigefinger und klopfte an den grau gemaserten Stein. „Nunja, ganz so ansehnlich ist er ohnehin nicht mehr“, bemerkte ich und ließ die Fingerspitzen über die Verkleidung gleiten.


    Es war verwunderlich. Bei keinem der letzten Thermengänge hatte ich sonderlich auf die Ausstattung der Bäder geachtet. Nun fielen mir sehr viele Dinge auf, die beinahe heruntergekommen wirkten oder nicht in Ordnung waren. Die Auslagen der öffentlichen Thermen wurden üblicherweise aus Steuergeldern und durch Privatspenden bezahlt. Da Menatius allerdings darüber klagte, den monatlichen Etat der nächsten Monate bereits jetzt schon überzogen zu haben, bedeutete dies wohl im Umkehrschluss, dass einfach nicht genügend Spendengelder zusammenkamen – oder dass der Anteil der staatlichen Steuern für die Instandhaltung der Agrippinischen Thermen zu gering bemessen war. „Pyrrus. Wir werden uns die Finanzlage der Thermen genauer ansehen müssen. Und ich möchte, dass jemand einen Kostenvoranschlag für alle notwenigen Ausbesserungen erstellt. Wir müssen hierzu Rücksprache halten mit den aquarii und einigen Handwerkern. Menatius, du wirst sicherlich eine Liste der Arbeiter haben, mit denen ihr bisher zusammengearbeitet habt. Du solltest sie durchgehen und auf den neuesten Stand bringen. Und ich möchte dann eine Abschrift davon haben.“ Der Bademeister nickte und versuchte sich die Worte zu merken. „Das mach ich. Kein Problem.“

  • "In Ordnung. Und nun zeige mir das frigidarium, es ist hier drinnen eindeutig zu heiß für eine tunica." Ich deutete auf den Ausgang und Menatius schmunzelte kurz, ehe er voraus ging. Kurz darauf waren wir im Kaltbaderaum angelangt. Hier hielten sich mehr Gäste auf, denn dies war der größte Raum der Agrippinathermen. Auf marmornen Sesseln sitzend konnte man sich von einem Sklaven mit kaltem Wasser übergießen lassen, in kleinen Becken sitzen, sich Schweiß und Dreck vom Körper schaben oder massieren lassen. Der weite Raum war erfüllt von einem Summen, das von den Wänden vielfach gebrochen zurückgeworfen wurde und von den Gesprächen der Gäste herrührte. Hauptattraktion des frigidarium war ein natatio, ein Becken, das so tief und breit war, dass man darin schwimmen konnte. An seinem Rand saß ein aufmerksamer Sklave, um zu übermütigen Römern im Notfall zum Rand des Beckens helfen zu können.


    "Gibt es hier Probleme?" fragte ich Menatius, während ich den Blick durch den Raum schweifen ließ. "Nein, Ädil", sagte der balneator stolz. "Hier ist vor zwei Jahren das Hauptwasserrohr ausgetauscht worden, seitdem haben wir keine Beschwerden." Ich nickte zufrieden. "Na, das klingt doch gut. Dann würde ich jetzt gern noch die palaestra sehen." "Natürlich, Herr."


    Auch zum Außenbereich der Thermen ging der Bademeister voraus. Auf dem Weg durch den Kaltbaderaum hatte ich einen Blick auf die Wasserzufuhr, die hier ebenfalls in Form von Tierköpfen erfolgte. Tatsächlich schien alles äußerst intakt zu sein, und die Angestellten und thermeneigenen Sklaven sorgten dafür, dass der Raum ordentlich aussah. Durch einen Torbogen gelangten wir hinaus auf den Sandplatz, auf dem in Griechenland oft Ring- und Fauskämpfe ausgeführt wurden. Hier in Rom jedoch konnte man weitaus häufiger Ballspiele mitverfolgen denn körperliche Ertüchtigung. Dennoch ging gerade ein junger Mann zu Boden, als wir auf den Sportplatz traten. Sein Ringpartner streckte ihm lachend die Hand entgegen und half ihm wieder auf. An der entferntesten Seite harkte ein einsamer Sklave den Sand und hinterließ dabei ordentliche Striche im Boden. "Die palaestra", sagte Menatius und stemmte die Hände in die Hüften. "Nicht so gut besucht wie ich es gern sähe, aber alles in tadellosem Zustand. Findest du nicht auch, Ädil?" Ich betrachtete die muskulösen Körper der beiden Ringer, gestattete einem Schmunzeln, sich auf meine Lippen zu stehlen und nickte. "Zumindest sieht alles danach aus." Schräg hinter mir machte Pyrrus einen geräuschvollen Strich auf der Wachstafel, ließ sie dann sinken und sah mich an.

  • "Nun gut, ich denke, ich habe genug gesehen", leitete ich also den Abschied ein. "Menatius, du denkst bitte an die Liste, ich möchte so schnell als möglich eine Abschrift davon haben. Wir werden in Kontakt bleiben, und ich will sehen, was ich bezüglich der Sanierungsarbeiten tun kann. Pyrrus, wir beide gehen gleich im Anschluss zu Purgitius Macer. Sieh zu, dass du deine Notizen soweit ordnest, dass wir damit etwas anfangen können.“ Pyrrus nickte, wirkte zugleich aber auch etwas beleidigt. “Ist schon erledigt, dominus“, erwiderte er und schob ein freudloses Grinsen nach. Ich nickte ihm zu. „Soll ich euch noch hinaus begleiten, Herr?“ fragte Menatius Cavarinus und blinzelte mich fragend an. „Nein danke, ich finde hinaus. Kümmere dich bitte gleich um die Unterlagen“, gab ich zurück, und Menatius nickte eifrig. „Wird gemacht. Mögen die Götter ihre Hände schützend über dich und deine Familie halten, Ädil Aurelius!“ „Und über deine.“


    Damit waren es genug der Höflichkeiten. Ich nickte dem Badeaufseher noch einmal zu und ließ ihn dann stehen, um durch das Kaltbadebecken hindurch den Umkleiden zuzustreben. Im apoditerium angelangt, entledigte ich mich der Badeschuhe und ließ mir von einem Angestellten zurück in die toga helfen. Zunächst hatte ich überlegt, den Schreiber den Stoff tragen zu lassen und in der tunica die Bäder zu verlassen, doch angesichts meiner Position und des Vorhabens, Purgitius Macer aufzusuchen, war das einfach nicht angemessen. So hielt ich geduldig still, hob den Arm, drehte mich und wartete, bis jede einzelne Falte akkurat saß. Erst dann richtete ich das Wort an Pyrrus, der meinem Helfer zwei Sesterzen in die Hand drückte, und verließ gemeinsam mit ihm die Agrippinischen Thermen, um die Wassermänner zu besuchen.

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