Rodriks Suche nach seiner Geschichte

  • Rodrik hatte jetzt doch schon etliche Tage hier in diesem Haus gesehen, doch was mit seinem Vater passiert war, nachdem dieser seine Mutter und ihn verlassen hatte, wusste er noch immer nicht. Bisher konnte er seine Neugier noch zügeln - zu neu war diese fremde Umgebung. Das Erkunden des römischen Hauses mit Sontje war hilfreich für Rodrik, indem er nun wusste, wer wo sein Zimmer hatte (ein einzelnes Zimmer für jeden hier! In seinem Dorf war er froh, wenn er beim Pinkeln allein war und seine Ruhe hatte!) und wieviel Zeit er vermutlich einplanen musste, wenn er jemanden im Haus suchen sollte. Was er gerade sogar tat, aber dazu später. Rodrik hatte auch kleinere Probleme, sich an das Bett zu gewöhnen. In der ersten Nacht war es ihm ja egal, da er ein wenig zu viel Met getrunken hatte. Aber in den darauf folgenden Nächten (in denen er nüchtern blieb, dieses merkwürdige Rauscherlebnis wollte er nicht sogleich wiederholen) hatte er Schwierigkeiten mit dem Einschlafen und wälzte sich oft hin und her. Und es war so still. Kein Schnarchen von Mama oder Opa zu hören, war eine Geräuschkulisse, an die er sich natürlich gewöhnt hatte und die ihm nun fehlte. Überhaupt war dieses Haus so groß, dass er sich ganz alleine vorkam. Alle anderen hier waren beschäftigt oder hatten irgendeine Beschäftigung, doch weil Lando mit den anderen Jungs irgendwo auf einer Reise zu einer Seherin war, konnte Rodrik noch nicht mit Witjon wegen der Goldschmiedelehre sprechen. Daher hatte Rodrik auch ein wenig die Zeit genutzt, sich mit der Stadt auseinanderzusetzen. Es gab ja soviel zu entdecken.


    Aber nun wollte er wieder etwas entdecken, etwas privates, etwas wirklich persönliches. Und dazu brauchte er Albin. Den alten Brummbär. Also machte er sich auf die Socken und suchte nach Albin, was angesichts des unverschämt großen Hauses (sein Elternhaus war ja bedeutend kleiner) schon etwas dauern konnte. "Hoi Albin." rief er aus, als er ihn endlich entdeckt hatte. "Du... äh... nuja... hättest du etwas Zeit?"

  • "Hmhmhmh...", murmelte der alte Mann, als plötzlich Rodrik hinter ihm auftauchte, und ihn um etwas Zeit bat. Hatte er Zeit? JA! Natürlich hatte er Zeit! Lando war mit geschätzten 70% der Chaoten dieses Haushalts auf eine Helfahrt nach Magna aufgebrochen, um die Seherin zu besuchen. Und wenn Albin Glück hatte, würde noch einige Zeit bis zu ihrer Rückkehr vergehen. Bis dahin hatte er den Haushalt für sich ganz allein. Hätten seine alten Gelenke ihm nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht, hätte er einen Tanz durch alle Gänge der Casa aufgeführt. Einen Tanz!


    Aber: da war ja noch Rodrik. Die Frauen beschäftigten sich größtenteils selbst, und Rodrik nutzte die Zeit um Albin dabei zu stören wie er gerade nichts tat. Er hatte es genossen. Bis jetzt.


    "Was kann ich für dich tun, junger Herr?", fragte er daher, auf den obligatorischen Besen gestützt (falls, wie in diesem Fall, doch jemand vorbeikommen sollte).

  • Brummbär. So nannte Rodrik den alten Albin heimlich. Brummbär. Rodrik fand, dieses Tier passe am besten zum bald schon greisen guten Geist. Brummbär. Höhöhö. Aber Rodrik war nicht zum Scherzen gekommen und er glaubte auch nicht, dass er mit Albin gut scherzen konnte.


    "Nuja... es ist so..." fing Rodrik wie immer etwas zögerlich an. "Weißte... meine Mama hat mich ja hierher geschickt um etwas von meiner Familie zu erfahren. Und auch von Papa, auch wenn sie das nicht gesagt hat. Eigentlich sagt sie nie etwas über Papa." Das war sogar noch untertrieben. Sie schnitt einem regelrecht das Wort ab, wenn die Sprache auf Rodriks Vater kam. Nur in seltenen Fällen erinnerte sie sich selbst an ihn, das aber meistens dann, wenn Rodrik etwas angestellt hatte und sie ihre Enttäuschung über ihn Ausdruck verleihen wollte. Du bist wie dein Vater. sagte sie dann und es war selten, nein, eigentlich nie positiv gemeint. "Und die anderen hier haben mir auch nichts von Papa erzählt. Ich glaube sogar, sie wollten gar nich." Was Rodrik gerade im Gespräch mit Lando bemerkt hatte und ihm Anlass zu mehreren Spekulationen gab. Er atmete zweimal tief durch und richtete seinen Blick wieder zu Albin. "Was... was ist denn mit Papa passiert? Also... als er hierher kam."

  • Die Gesichtszüge des alten Mannes entgleisten leicht, als Rodrik auf seinen Vater zu sprechen kam. Er hätte den Jungen am liebsten sofort mit 'Frag Lando...' weitergeschickt, als ihm einfiel, dass Lando garnicht anwesend war.
    Innerlich fluchte er über seine Unachtsamkeit, sammelte sich, und holte letztendlich tief Luft: "Aaaalso... setz dich, Junge."


    Er deutete auf nichts anderes als den Boden neben ihn, da in der Casa nicht einfach überall Sitzmöglichkeiten rumstanden, lehnte sich selbst gegen die nächste Wand, und sah den Jungen nachdenklich an. Natürlich konnte er ihm keine Geschichte auftischen, immerhin hatte er ein Anrecht auf die Wahrheit. Doch einem so hoffnungsvollen Jungen zu erzählen, dass der eigene Vater nicht zu den Glanzlichtern einer eh vom Scheitern geprägten Sippe zählte, das war noch ein Stück härter.


    "Hagen... seine Geschichte fand statt, als ich noch nicht wieder zurück war. Er....", Albin stockte, ließ sich letztendlich doch sinken, und blickte den Jungen traurig an, "Dein Vater war ein hoffnungsvoller Junge, als ich ihn noch kannte. Alt wurde er in den Landen unserer Väter ja nicht, er war keine zehn Sommer alt, als die Chauken uns angriffen. Nun, wie dem auch sei... er war ein aufgeweckter Junge, aber ständig darauf bedacht, sich gegen seine Brüder durchzusetzen. Als Kind in der Mitte hat man es nicht leicht, nein, nein, hat man nicht. Nun... er wollte sich halt immer wieder beweisen. Das hat zu einigen interessanten Leistungen geführt, aber auch zu sehr viel Ärger. Nun, nach der Zerschlagung unseres Stammes heiratete er halt deine Mutter... und als euer Heim wiederrum angegriffen wurde, kam er hierher, deine Mutter und dich totglaubend. Nun, als er hier sah, was die anderen vollbracht hatten, wollte er sich auch beweisen, er war Hagen, er konnte das!"


    Albin machte einige milde Gesten, um seine Worte zu unterstreichen, schließlich war dies starker Tobak, der zu erzählen war...


    "Nun, nicht alle, die hierher kamen, schafften die Umstellung... nicht wenige scheiterten an den Herausforderungen, die dieses Leben hier ihnen stellte. Und Hagen, er wollte es meistern... und besser machen. Er nahm sich eine Römerin zur Frau, weil er euch ja tot glaubte. Kurz darauf verunglückte er, ich glaube wer er Sarolf beweisen wollte, was er konnte."


    Gab es hier etwas zu trinken? Nein, natürlich nicht. Die Casa war weder durchgängig mit Sitzmöbeln vollgestellt, wie sie keine überdimensionale Maxibar war. Also musste er seine Geschichte zuende erzählen, und konnte sich nicht einmal in einen Becher mit Wasser retten...


    "Aber das weißt du ja schon... naja,... bis auf das mit der Römerin. Clara nannte sie sich. Hat hier einiges gutes vollbracht. War von den anderen geschätzt, wenn auch nicht gänzlich unkompliziert. Allerdings verstand sie es nicht, auf die Sitte der Familie ihres Mannes rücksicht zu nehmen. Trieb mit einem Soldaten Unzucht... im Haus der Familie ihres toten Mannes. Schändlicher kann man mit dem eigenen Erbe wohl nicht umgehen. Naja, bevor man sie verstoßen konnte, floh sie, wohl gen Süden... das ist der Grund, warum man nicht gerne über deinen Vater spricht... die Frau, die er mitbrachte, um zu zeigen, wie sehr er mit dem neuen Leben im römischen Reich klarkam, er hätte es nicht tun sollen. Aber so ist das Leben... es tut mir leid."


    Aufmerksam, aber mit traurigem Blick musterte Albin den Jungen, der nicht unbedingt die beste Nachricht seines Lebens vernommen hatte...

  • Rodrik setzte sich, ein braver Junge wie er war, sogleich auf den Boden, darauf achtend, dass er sich auf einen bereits gekehrten und somit sauberen Platz setzte. Nicht, weil er Angst oder so vor dem Schmutz hatte, sondern weil er von Mama immer böse gescholten wurde, wenn er das zuhause getan hatte. Und das prägte. Auf ewig. Also hockte Rodrik im Schneidersitz und sah mit grossen, erwartungsvollen Augen hinauf zum grossen Brummbär namens Albin. Und er lauschte dem grossen Brummbär, aber die Dinge, die er von ihm hörte, gefielen Rodrik nicht wirklich. In zwei aufeinanderfolgenden Sätzen wurde das Bild, das er sich von seinem Vater gemacht hatte und jegliche Hoffnung, die ohnehin kaum mehr bestanden hatte, zerstört, ersteres enorm, letzteres unwiderruflich. "Papa... Papa ist tot? Was ist mit ihm passiert?" fragte er eher tonlos, kurz nachdem der erwartungsvolle Blick in seinen Augen verschwand und Trauer in seinem Herzen Einzug hielt. Denn anders als Albin dachte, wusste Rodrik noch nichts vom Tod seines Vaters, denn er hatte ja - wie er schon gesagt hatte - nichts von den anderen erfahren und Mama hatte ihm ja nichts gesagt und wer wusste schon, ob die anderen in seinem Dorf von Papas Tod erfahren hatten. Hätte Albin dann nicht weiter gesprochen, dann wäre Rodrik vielleicht gar nicht auf den Umstand der zweiten Heirat seines Vaters gestoßen... oder hätte es erst viel später realisiert. "Papa hat wieder geheiratet? Eine Römerin?" Ungläubig stierte Rodrik Albin an. "Unzucht?" Bei Thor und Loki, das wurde ja immer schlimmer!

  • Albin sah, wie sehr es dem Jungen nahe ging, aber was sollte er schon groß ausschmücken, wo es nichts auszuschmücken gab?


    "Ja, hat er. Weil er dich und deine Mutter tot glaubte. Das wäre sogar in der Tradition unserer Väter recht gewesen.", dozierte Albin kaltschnäuzig weiter, aber nicht ohne Mitgefühl, "Was ihm passiert ist? Ich weiß es nicht genau... ich war zu der Zeit noch in Magna. Ich glaube, er ist vom Pferd gefallen, als er sein Ziel zu hoch gesteckt hatte, und sich dabei nicht halten konnte. Er brach sich alle Knochen, letztendlich."


    Er klopfte dem Jungen auf die Schulter, und sah ihn aufrichtig mitfühlend an: "Sein Stein steht draußen bei den anderen, die in Valhall und Hels Reich fortdauern. Wollen wir uns ihn ansehen?"

  • Vom Pferd gefallen. Alle Knochen gebrochen. Das reimte sich sogar und wenn die Situation nicht so tragisch gewesen wäre, dann hätte Rodrik sich auch sicher darüber amüsiert. Kindskopf, wie er in solchen Momenten einmal war. Doch stattdessen blickte er einen kleinen Schmutzklumpen an, der still und friedlich vor Rodrik herumliegte, ein Fremdkörper, der nicht hierher gehörte und bald aus diesem Haus verbannt wurde. Zusammen mit all dem anderen Schmutz, der sich in den letzten Tagen angesammelt hatte. Rodrik nickte und blickte hoch zum alten Brummbär, als dieser ihn auf seine Schulter klopfte. Ein fester Griff übrigens. Er räusperte sich, damit seine Stimme fest klang und nicht zittrig. "Ja. Ich möchte es sehen." Er stand auf.

  • Und Albin, ächzend und schnaufend, mit ihm. Jetzt ging es zu den Gräbern, raus aus der Stadt, in den Wald... eine gute halbe Stunde zu Fuß, wenn man nicht Albin war. Eine dreiviertel, wenn man es war.


    "Ich bin nicht unbedingt der perfekteste Reiter", log Albin. Er war der mieseste Reiter, der jemals auf dem Rücken eines Pferdes gesessen hatte, und den Nornen allein war es zu verdanken, dass er sich nicht den Hals bei den wenigen Versuchen, irgendwie oben zu bleiben, gebrochen hatte.


    "Wenn es dir recht ist, junger Herr, würde ich mir daher einen Mantel holen. So warm ist es doch noch nicht...", murrte der alte Mann, tat schon worum er gebeten hatte, und kam etwas dicker eingepackt wieder zurück, "Ich gehe davon aus, dass du es nicht eilig hast, oder? Dann gehen wir nämlich zu Fuß. Würde in etwa genauso lange dauern, als wenn wir den Karren bereiteten."


    Sprach's, und führte den jungen Mann auf den Weg zu den Gräbern...

  • Rodrik war etwas verwirrt, als der alte Brummbär auf einmal etwas von Reiten sprach. Denn was das Reiten mit dem Grab zu tun hatte, erschloss sich dem jungen Mattiaker nicht sofort. Erst nach zwei Momenten des Nachdenkens (und des Verwirtt-Drein-Schauens) fiel bei ihm der Sesterz. Während Albin dann seinen Mantel holte, so machte es ihm Rodrik auch nach (und auf die Schuhe vergass er auch nicht) und holte seinen Mantel.


    Eilig? Hatte Rodrik es eilig? Ja, weil er das Grab seines Vaters sehen wollte. Nein, weil er das Grab seines Vaters nicht sehen wollte. Klang wiedersprüchlich, war auch so. Er hatte nun die Geschichte seines Vaters erfahren, doch eigentlich gehofft, seinen Vater lebend zu sehen. Still ging er mit dem alten Brummbär mit.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!