Das Officium war bezogen, die persönlichen vier Wände ebenfalls und so neigte sich ein aufregender erster Tag in der germanischen Legion dem Ende zu. Arbeit gab es bis jetzt noch nicht und die Sklaven hatten alles fest im Griff. Sollen sie in Ruhe arbeiten, hatte sich Avianus gesagt und entschied sich, das große Lager mit so vielen Menschen darin zu erkunden, denn noch kannte er nicht jeden Winkel davon. Und es war bedenklich, wenn ein Tribun sein Lager nicht vollständig kannte. Der junge Aurelier hatte sich fest vorgenommen, die Fußstapfen seines Vetters Ursus und davor seines Onkels Corvinus nicht zu verschandeln. Das hätten sie doch nicht verdient.
Während Avianus in entspanntem, ruhigen Gang durch den nördlichen Teil der Via Preatoria lief und dabei den Komplex aus vielen verschiedenen Gebäuden mit verschiedenem Sinn und Zweck bewunderte, dachte er über sein Leben nach. Er sah zu sich hinab, prächtig gehüllt in einer Rüstung und dachte darüber nach, wie sein Vater den jungen Avianus jetzt wohl erlebt hätte. Sein Vater, der nun tot war. Und Avianus spekulierte, wenn er schon an seinen Vater dachte, darüber, ob er hier an der Legion noch die Kunst, ein Schwert effektiv zu führen, erlernen sollte. Denn obwohl er Stabsoffizier war, wäre er wohl genauso leichte Beute für einen geübten Kämpfer. Das musste er sich eingestehen. Und vielleicht würde es nie schaden, wenn man sich wehren konnte und Avianus würde dies müssen, wenn er die Mörder seines Vaters nach seiner Rückkehr suchen wollte. Sein Leben spielte sich imaginär vor ihm ab und es waren düstere Erinnerungen, die größtenteils vorkamen. Doch auch Schöne Erinnerungen, die sein verstorbener Vater Avianus mitgegeben hatte, um noch an den dunkelsten Erinnerungen ein Fünkchen Licht zu haben. Regulus hatte öfter Angst, bei Avianus versagt zu haben und so manches Gespräch zwischen Mutter und ihm hatte er selbst, zwar frech und heimlich, als kleiner Junge mitgelauscht und war sich immer sicher, dass sein Vater sich umsonst so verrückt machte. Aber diese Eigenschaft hatte Avianus geerbt.
Inmitten des geschäftigen Lageralltags und regem Verkehr auf der Via, blieb Avianus stehen und warf prüfende Blicke auf sein Umfeld. Ein mit Maultier bespannter Karren zog unbehelligt an ihm vorbei und Avianus begutachtete mit Argus-Augen die Ladung des Transports. Schien in Ordnung zu sein. Der Aurelier machte kehrt, als er die Porta Decumana zu erreichen drohte und hielt sich südwärts, um wieder in Richtung der Porta Principalis Sinistra abzubiegen und sich an den Kampffertigkeiten der Legionäre zu ergötzen. Mit Schwert und Schild zu kämpfen und dann noch zu siegen musste eine Kunst sein. Eine, die Avianus nur zu gern erlernen würde...