Von einem, der sich aufmachte, die Welt zu entdecken

  • "Feuer!" schreit Feldherr Lucius, und kurze Zeit später, prasseln abertausende von gewaltigen Felsbrocken auf die Verteidigungsanlagen des Feindes nieder. Dem hält die Mauer nicht stand, sie bricht vor den Augen ihrer sichtlich geschockten Verteidiger ineinander zusammen. Nun hält Lucius nichts mehr! "Vae victis", schreit er und stürzt sich zwischen die durchbrochenen Linien. Er macht alles und jeden nieder der sich ihm entgegen stellt. Demoralisiert ergeben sich die Feinde. Vorneweg Timon, genannt der Schreckliche, gefolgt von seinem treuen Freund Nicocles, den alle nur Nico nennen. Triumphierend zieht nun der Imperator höchstpersönlich in die besiegte Stadt ein und lässt sich von den Besiegten huldigen. Auf ihn wartet noch eine besondere Überraschung, nämlich ein Kuss von der schönen Prinzessin Mirjam. Doch ehe es so weit kommt, wird die Szene jäh vom gut gemeinten Ruf einer Mutter gestört. "Timon, Mirjam, Essen ist fertig!"
    "Och!", rufe ich enttäuscht. Wieder nichts! "Tut mir leid, Diarmuid. Vielleicht nächstes Mal.", entgegnet Mirjam mit einem Achselzucken. Die beiden lassen sich nicht ein zweites Mal rufen. "Wir kommen, Ima!", rufen die Geschwister und verschwinden in einem der Nachbarshäuser. "Das nächste Mal machen wir euch patt! Darauf könnt ihr Gift nehmen!", ruft Timon mit erhobener Faust, bevor er im Haus verschwindet.


    Zurück bleiben nur Lucius, mein bester Freund und Nico. Nico ist ein Sklavenjunge. Seine Mutter arbeitet beim Korbmacher, schräg gegenüber von uns. Manchmal, wenn es nicht viel zu tun gibt, darf er raus und mit uns spielen. Jetzt steht er ganz schön belämmert da und weiß nicht, was er machen soll. Nur gegen Nico kämpfen ist auf die Dauer auch langweilig und wenn keine Prinzessin mehr da ist, dann noch mehr. "Du kannst ja Nico einen Kuss geben, wenn du so scharf drauf bist.", sagt Lucius und grinst doof. "Du spinnst ja! Ich geb dem doch keinen Kuss!", und zeige abfällig auf Nico. Ich mag es nicht, wenn Lucius so blöde Sachen sagt.
    "Weißt du was, lass uns Wettschießen spielen. Mal sehen, wie gut meine neue Steinschleuder ist!"
    Ich bin richtig gut im Steinschleuderschießen. Lucius hat da meistens das Nachsehen und Nico - der hat überhaupt keine Steinschleuder!
    "Na gut. Wenn´s sein muss!", sagt Lucius. Etwas Besseres fällt ihm im Moment auch nicht ein.
    Auf einer kleinen Mauer bauen wir einige Ziele auf. Einen tönernen Krug, der sowieso schon einen Sprung hat. Eine kleine Vase, die Lucius seiner Mutter stibitzt hat und einem Stück Brennholz, das auf der Straße gelegen hat.
    "Lucius, du fängst an und dann ich und dann Nico. Ach so Nico, hier, du kannst meine alte Schleuder haben."
    Nico redet nicht viel. Eigentlich redet er gar nicht. Er zeigt seine Freude nur durch ein Lächeln.
    Lucius schießt. Der erste Schuss geht voll daneben. Er ärgert sich natürlich und probiert es gleich nochmal. Diesmal streift sein Stein den Holzblock, der dadurch ins schwanken gerät, aber nicht umfällt. "Tja, halb daneben ist auch daneben!", höhne ich und grinse frech. "Halt die Klappe, du Blödmann!", brummt Lucius beleidigt und feuert seinen dritten und letzten Schuss ab. Diesmal trifft er die Vase seiner Mutter. "Ha! Siehst du!", ruft er und freut sich wie ein Schneekönig. "Pah, das kann doch jeder!" , und winke verächtlich ab.
    Jetzt komme ich. Ich ziele und schieße. Ganz kapp verfehle ich den Krug, was Lucius natürlich dazu veranlasst, hämisch zu lachen. Aber mein zweiter Schuss sitzt. Er trifft voll den Krug, der in winzig kleine Teile zerspringt. "So Nico, jetzt bist du dran!" , ruft Lucius. Keiner von uns glaubt daran, dass Nico auch nur irgendetwas trifft, zumal ja nur noch der Holzklotz da steht. Aber er überrascht uns beide, als er mit seinem ersten Schuss bereits das Holz trifft und dieses mit einem dumpfen Schlag zu Boden fällt. Damit hatte nun wirklich keiner gerechnet! Lucius und ich, wir sind erst mal sprachlos. Dann erscheint Nicos Mutter plötzlich auf der Straße und ruft nach ihm. Jetzt sind nur noch wir beide da. Lucius mag nicht nach Hause gehen. Zu Hause sind nur sein älterer Bruder, der ihn immer ärgert, seine Mutter, die fast nur mit ihm schimpft und sein Vater, der meistens betrunken ist, wenn er zu Hause ist. Seine kleine Schwester ist vor einem Jahr an Fieber gestorben. Seitdem bleibt Lucius viel lieber auf der Straße und geht erst am Abend nach Hause, wenn es dunkel wird. Aber heute nicht. Schließlich wirr auch er von seiner Mutter nach Hause gerufen. Zum Glück hat sie noch nicht bemerkt, dass ihre Vase kaputt ist.
    Jetzt bin ich alleine. Aber LUst zum Nachhausegehen habe ich noch nicht, auch wenn Mama immer sagt, ich soll mich nicht alleine auf der Straße herumtreiben.

  • Nach einer sinnvollen Beschäftigung suchend, sehe ich mich noch mal um, bevor ich dann schließlich die Straße hinunter schlendere, vorbei am Haus des Korbmachers, dort wo vorher Nico hinein gegangen ist. Ich komme an Timon und Mirjams Haus vorbei und bleibe kurz stehen. Nein, niemand ruft nach mir, ich soll doch mal rein kommen. Ich gehe weiter. Dann bin ich am Ende unserer Straße angekommen. Mama sagt immer, bis hier hin und nicht weiter! Jedenfalls soll ich nicht ohne einen Erwachsenen weiter gehen. Ich war natürlich schon mal woanders. Zusammen mit Mama. Wenn sie nicht arbeiten muss, dann geht sie manchmal mit mir spazieren. Dann zeigt sie mir, in was für einer tollen Stadt ich lebe und was es für schöne Häuser hier gibt. Ich wäre ja schon mal gerne in eines dieser Häuser gegangen, aber Mama sagt, da kann man nicht einfach so rein spazieren, wie man will. Da wohnen fremde Leute, manchmal sogar richtig reiche Leute. Das weiß ich natürlich, dass ich da nicht einfach so rein gehen kann. Aber tun würde ich es schon gerne einmal. Oft geht Mama zu einem bestimmten Haus. Dann bleibt sie meistens mit mir davor stehen und sagt kein Wort. Wenn ich sie frage, wer da wohnt, sagt sie immer, niemand den du kennst! Das sagt sie immer so. dass ich ihr das gar nicht glauben will und wenn ich dann noch mal nachfrage, dann antwortet sie nicht. Sie guckt dann manchmal traurig. Aber warum sie traurig ist, verrät sie mir nicht.
    Ich weiß, wie man zu dem Haus kommt. Ich habe mir ganz genau den Weg gemerkt. Es ist gar nicht so arg weit weg. Vielleicht könnte ich ja einfach mal dahin laufen, nur ganz schnell und wenn Mama mich dann ruft, bin ich längst wieder zurück.
    Ich zögere noch einen Moment und überlege mir, was ich machen soll. Eigentlich hat sie es mir ja verboten, unsere Straße zu verlassen. Aber sie wird es bestimmt nicht merken, wenn ich weg bin. Außerdem bin ich ja ganz schnell wieder zurück.
    Endlich habe ich mich dazu durchgerungen, los zu laufen. Bevor ich wie ein Blitz losflitze, schaue ich mich noch einmal um, ob mich nicht jemand beobachtet. Aber da ist keiner. Die sind alle beim Essen.


    Ich weiß genau, wo es lang geht, wann ich wo abbiegen muss. Einige markante Häuser habe ich mir gemerkt und erkenne sie jetzt auch gleich wieder. Darin bin ich wirklich gut. Ich verirre mich nicht so leicht! Schade, dass mein Freund nicht dabei ist. Lucius würde das bestimmt auch ganz spannend finden.
    Da ist es endlich, das große Haus, vor dem Mama immer stehen bleibt. Ich würde ja zu gerne rein gehen, aber dir Tür ist verschlossen. An das Haus grenzt eine hohe Mauer. Zu hoch für mich, um drüber zu klettern. Ich muss mir was anderes einfallen lassen!

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