[Mons Aventinus] Templum Vertumni

  • Klirrend kalt war es an diesem Januartag und doch war der Himmel strahlend blau. Rom erstrahlte im schwachen Schein der Wintersonne. Ein Schwacher Wind wirbelte durch die Straßen, zerrte an der Kleidung und spielte mit altem Laub. Wie immer war Rom wie ein betriebsames Ameisennest: Auf den Marktplätzen der Stadt boten lautstark Händler ihre Ware feil, Bettler hockten an Ecke und streckten ihre mageren Hände nach den vorübergehenden Passanten aus, Kinder tollten in den ruhigeren Straßen und alte Männer saßen in den Tavernen und erzählten ihre Geschichten. Ein Trupp der Cohortes Urbanae marschierte durch die Straßen, während Jugendliche auf den Stufen des Basilica Iulia herum lungerten und sich im Würfelspiel übten.
    Der Tempel des Vertumni erhob sich auf dem Aventin über die umliegenden Wohnhäuser und Geschäfte. Es war ein alter Tempel, der Marmor war ein wenig stumpf geworden, die Vergoldungen ein wenig verblasst und der Zahn der Zeit war nicht ganz spurlos an diesem Bauwerk vorüber gegangen. Wohl auch passend, denn Vertumnalus war der Gott der Jahreszeiten, der Veränderungen, des Wandels. Nichts ist Ewig und alles unterliegt dem Kreislauf des Lebens. Eine gewisse Vergänglichkeit ging von dem Tempel aus und gleichzeitig doch eine gewisse Erhabenheit, denn viele Generationen von Priestern hatten hier gedient und Opfer zu Ehren des Gottes dar gebracht.
    Vor dem Tempel erhob sich eine metallene Statue mit dem Abbild des Gottes, Blumen waren zu seinen Füßen gelegt worden.*
    Und heute sollte Calvena ein Opfer darbringen. Es war nicht irgendein Opfer, sondern gleichzeitig eine Prüfung, die darüber entschied, ob sie bereit war, die Pflichten im Tempel der Iuno selbstständig zu übernehmen, oder ob sich ihre Lehrzeit noch verlängern würde.
    Nervös war sie und aufgeregt. Seit Monaten hatte sie auf diesen Tag hin gearbeitet und war er da. Eigentlich kaum fassbar, denn innerhalb der kürzesten Zeit hatte sich ihr Leben doch gewaltig geändert und würde sich immer noch verändern. Da war der Ort für ihre Opferprüfung doch wirklich passend. In den letzten Tagen hatte sie dieses Opfer sorgfältig vorbereitet, sich mit einem der Händler die für die Lieferung der Opfertiere getroffen und dann nach dem passenden Tier gesucht: Ein weißer Ziegenbock, dessen Hörner und Hufe sie hatte vergolden lassen. Ein schönes kräftiges Tier, größer als seine Kameraden und etwas störrisch.
    Trotz sorgfältiger Vorbereitung, war sie doch ziemlich nervös und hatte die Nacht kaum schlafen können. Die halbe Nacht über hatte sie sich den Kopf zerbrochen und war die Worte durchgegangen die sie sagen wollte. Hatte sich gefragt, ob sie auch nichts vergessen hatte und unzählige Stoßgebete an die Götter geschickt, dass sie ihr gewogen sein mögen. Irgendwann hatte sie dann doch kurzzeitig der Schlaf übermannt, aber wirklich erholsam war er nicht gewesen. Noch bevor das erste graue Sonnenlicht den Morgen ankündigte, war sie aufgestanden und hatte sich mit einem Becher heißem Tee in die Küche gesetzt und die Sklaven beobachtet, nur um sich auf andere Gedanken zu bringen. Wirklich abgelenkt hatte sie dies nicht von ihrer Nervosität. Sie hatte sich so Unwohl gefühlt, dass sie lustlos an einem Apfel herum gekaut hatte. Ein klein wenig schlecht war ihr auch gewesen. Reines Lampenfieber, hatte sie sich ständig eingeredet.
    Nun stand sie auf dem Vorplatz des Tempels, gekleidet in reines weiß. Sie hatte sich eine schwere pala um die Schultern gelegt um sich vor der winterlichen Kälte ein wenig zu schützen. Immer wieder griff sie an ihren Hals, dort ruhte ein Geschenk Valerians, ein kleiner Delphin, geschnitzt aus einem kleinen Stückchen Holz. Sie trug ihn an diesem Tag, weil er ihr Glück bringen sollte. Ansonsten hatte sie auf jeglichen Schmuck verzichtet, mit Ausnahme ihres Verlobungsringes.


  • Auf diese Opferprüfung hatte ich mich persönlich gefreut. Sie fand im Tempel des Vertumnus statt, dem Gott der Jahreszeiten. Zunächst war ich ein wenig verärgert darüber gewesen, dass man mir gleich zwei Prüfungstermine so dicht beisammen gesetzt hatte und kaum Zeit für ein schnelles Mittagessen dazwischen blieb, doch dann hatte ich gelesen, wer die beiden Prüflinge waren und in welche Tempel sie bestellt werden sollten. Beide kannte ich bereits, und auch Durmius Verus ließ kaum eine Gelegenheit aus, positiv über seine beiden Schützlinge zu sprechen. Er und ich, wir beide wussten, dass sie die letzten Schülerinnen sein würden, die er ausbilden würde. Er hatte sich seinen Ruhestand verdient.


    Durmius und ich kamen auf direktem Wege von der Prüfung Serranas hierher. Die winterliche Sonne hatte ihren höchsten Stand bereits passiert und senkte sich nun allmählich wieder dem Hotizont entgegen. Calvena stand auf dem Platz vor dem Tempel und wartete. Sie schien nervös zu sein. Durmius hob zum Gruße die Hand, als wir näher kamen.

  • Auch Piso hatte sich auf diese Gegebenheit gefreut, wenn auch aus einem komplett anderem Grund als Corvinus. In der Villa Flavia hatte er sich schon zurecht gemacht, nichts vom kompletten Habitus eines tadellosen Priesters auslassend – weiße Bekleidung, eine wallende Toga, Schuhe mit dem Halbmond auf Hochglanz poliert. So konnte er sich sehen lassen. Der Tempel des Vertumnus, der war es, zu dem es ihn hinzog. Mit einem undefinierbaren Gesichtszug schritt er zum Tempel hin.
    Er musste kurz vor einer vorbeitrampelnden Zenturie von denen der CU halt machen, bevor er sich durch die Gassen Roms weiterdrängeln konnte. Geben die Götter, dass er sich nicht verspätete. Es war schließlich schon der frühe Nachmittag, die 7. Stunde war angebrochen, zumindest ließ der Sonnenstand darauf schließen. Schlussendlich, nach einer nicht gerade angenehmen Wanderung durch die Straßen Roms, erreichte er aber doch noch den Tempelvorplatz des Tempels des Vertumnus.
    Das erste, was er sah, war Corvinus, der, zufällig, zeitgleich mit ihm den Tempelvorhof betrat. Zusammen mit einem Greis, den Piso weder kannte noch wichtig fand. Mit einem weit ausladenden Seitenschritt nach rechts gesellte Piso sich zu ihm, tauchte somit sozusagen direkt neben ihm auf. „Ah, salve, Pontifex Aurelius! Salve, Aedituus. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen. Ich wollte aber einmal in meiner Position als Septemvir bei einer Opferprüfung dabei sein. Es kommt mir nur aufs Zusehen an, mehr nicht, denn in Zukunft kann es wohl sein, dass auch ich Opferprüfungen abnehmen werde müssen. Darauf will ich vorbereitet sein.“ Nach seiner kleinen Erklärung, wieso er hier war, wanderte sein Blick unauffällig nach vorne. Sein Augenmerk konzentrierte sich auf die junge Frau, die ihre Prüfung ablegen wollte.
    Sie war es. Es war ganz unverkennbar. Es war die vom Markt. Die Sängerin. Aoide, die Muse, wie sie sich in ihrer Arroganz und ihrem größenwahn genannt hatte.
    Schnell blickte er wieder zu Corvinus. „Ich hoffe, ich darf die discipula vor dem Opfer noch zu einem kurzen konspirativen Gespräch bitten? Es wird nur ganz kurz dauern!“, bat er. „Es geht darum, dass ich mich auch in den Prüfling vor der Prüfung hineinversetzen kann, ich empfinde dies als wichtig.“ Das war so nicht richtig, aber er hoffte, als Erklärung reichte dies aus.

  • Der Wind wurde etwas stärker und sie fröstelte ein wenig, aber das war eigentlich mehr ihrer Nervosität zuzuschreiben, als den winterlichen Temperaturen. Besser wurde es nicht, denn in diesem Augenblick entdeckte sie ihren Lehrer Durmius Verus und Aurelius Corvinus. Mit gemischten Gefühlen betrachtete sie kurz die beiden Männer. Ihren Lehrer hatte sie sehr gern, irgendwie war er wie ein Großvater, weise und geduldig. Der Anblick des Pontifex hingegen löste eine gewisse Verlegenheit aus, zwar hatten sie einander bereits kennen gelernt, aber bis auf einige höfliche Floskeln noch nicht viel mit einander geredet. Kurz strafte sie sich und ging dann erst einmal zu den Männern herüber, nur um einen Augenblick ihren Augen nicht zu trauen. Was wollte denn dieser eingebildete Schnössel Flavius Piso hier? Ihre letzte Begegnung war unter anderen Umständen gewesen und ihr rutschte grad das Herz ganz schön tief. Irgendwie hatte sie nicht das Gefühl, dass er hier war um sie zu unterstützen... Dennoch machte sie lieber gute Miene zum Spiel, setzte ein höfliches Lächeln auf und verbarg ihre Gedanken dahinter. „Salve die Herren“, grüßte sie höflich und auch ein wenig unverbindlich. Ihrem Lehrer schenkte sie ein warmes Lächeln, ebenso dem Aurelier. Sie vermied es dem Flavier einen schiefen und misstrauischen Blick zu zu werfen. Stattdessen blieb sie lieber freundlich und nickte ihm kurz zu. Was im Namen aller Götter machte er denn hier und woher wusste er von ihrer Prüfung. Seiner Aufmachung zu urteilen, war er ebenso ein Mitglied des Cultus Deorum wie sie, die Frage war nur welches Amt er bekleidete...

  • Während ich zu Durmius gewandt einige Worte über Calvena und unser erstes Treffen sprach, erschien plötzlich Piso an meiner Seite. Erschrocken sah ich ihn an, lächelte dann jedoch flüchtig. "Flavius, sei gegrüßt", suchte ich den Schreck zu überspielen. Im nächsten Moment wunderte ich mich, dass er überhaupt hier war. Die septemviri sollten demnächst Opferprüfungen übernehmen? Ich überlegte, ob ich eine Sitzung des collegium pontificium verpasst hatte oder mir diese Tatsache entfallen war, konnte mich aber weder auf das eine noch auf das andere besinnen. Da wollte ich zunächst einmal nachfragen, ehe ich etwas darauf erwiderte. "Wie du möchtest. Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen", erwiderte ich. "Dies hier ist übrigens Decimus Duccius Verus. Er ist der Ausbilder der jungen Dame gewesen, die es gleich zu prüfen gilt. Durmius, der septemvir Flavius Piso." Ich deutete zunächst auf den Priester, der neben mir einherschritt und Piso nun nett grüßte.


    Kurz darauf waren wir bei Calvena angelangt. "Salve, Germanica", grüßte ich sie. Durmius fand herzlichere Worte und ein väterliches Lächeln. "Germanica, das hier ist der septemvir Flavius Piso. Er stieß eben zu uns und würde ebenfalls gern deiner Opferung beiwohnen", stellte ich ihn auch ihr vor. Seine Frage indes irritierte mich. "Zu einem konspirativen Gespräch?" hakte ich nach und hob eine Braue. Eigentlich wollte ich schnellstmöglich beginnen, immerhin hatte ich noch nichts zu Mittag gegessen und noch andere Termine an diesem Tag. Ich sah zu Calvena, die ja direkt bei uns stand. "Sie wird nervös sein, nehme ich an. Ich frage mich, was du da noch ergründen willst. Ich kann mir vorstellen, dass sie ein konspiratives Gespräch nur noch nervöser werden lässt. Ich halte das für keine gute Idee. Vielleicht hinterher."

  • „Oh, sehr gut! Ich danke.“ Als Piso, der Corvinus gar nicht gesagt hatte, in welcher Position er zuküftige Operprüfungen zu übernehmen gedachte, diese Worte erwiderte, lächelte er freundlich, und behielt dieses Lächeln bei, als er den Durmier kennen lernte. „Es freut mich sehr, Durmius.“ Bona Dea, war das ein Greis. Dass man solchen alten Leuten noch erlaubte, einem Beruf nachzugehen? Nun, Erfahrung hatte der Alte sicherlich. So schloss Piso seine Begrüßung mit einem Nicken ab und blickte wieder nach vorne, wo Aoide bereits auf sie wartete. Piso blickte in ihre Augen und sah die Erkenntnis. Ja, sie hatte nicht vergessen, wer er war. Er bemerkte wohl, dass die Germanica seinem Blick auswich, und schenkte ihr ein leicht gekünsteltes Lächeln, als Corvinus sie ihm und umgekehrt vorstellte. Jetzt würde sie wohl wissen, wer er war, was er erreicht hatte, dass er sich nicht auf seinen Lorbeeren ausgeruht hatte. „Ich hoffe, das macht dir nichts aus.“, setzte Piso hinzu und grinste leicht süffisant.
    Dieses Grinsen verging ihm aber, als Corvinus ihm sagte, er wäre gegen so ein Gespräch. Mist! Er hätte eher erscheinen sollen, dann hätte er sich gegenüber einem Pontifex nun nicht zu rechtfertigen brauchen. Er verzog ganz leicht die Lippen, bevor er wieder dünn lächelte, und blickte kurz zu Aoide hinüber. Ein stählerner Blick, aus der ziemlicher Zorn sprach, traf sie, bevor er wieder breiter lächelte und zu Corvinus schaute. „Nun gut. Wie du denkst. Wir wollen ja Vertumnus nicht um sein Opfer bringen.“ Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, dem Opfer zuerst zuzusehen. Sein Blick glitt wieder kurz zu ihr, sie musternd. Der Holzdelphin fiel ihm auf, sein Blick verharrte kurz auf ihm, bevor er zurücktrat und sie, wohl ein bisschen falsch, anlächelte. „Dann wünsche ich dir viel Erfolg... Germanica.“ Er überbetonte das Nomen Gentile wohlweislich, und verschränkte hinter dem Rücken seine Arme.

  • Trotz der scheinbaren Freundlichkeit des Flaviers blieb sie skeptisch, etwas an seiner Art und Haltung deutete darauf hin, dass er nicht nur aus purer Neugierde hier war um an ihrer Prüfung teil zu nehmen. „Es ist mir eine Ehre Dich kennen zu lernen“, nickte sie höflich, als der Pontifex ihr den Flavier vorstellte. Dass sie einander bereits kannten, behielt sie für sich, ebenso wie er es tat. Sie konnte die Begegnung mit ihm auch nicht wirklich verdrängen, er hatte sich reichlich zum Affen gemacht. Kurz überlegte sie, abzulehnen, dass er auch bei ihrer Prüfung zugegen war, aber ihr fiel nicht wirklich ein passender Grund ein. Von daher nickte sie dann zustimmend, wobei ihr Lächeln unverbindlich blieb. „Nur zu, es wäre mir eine Freude!“ Das war zwar eine glatte Lüge. Zumindest blieb es ihr erspart allein mit dem Flavier zu reden. Aurelius Corvinus fand die Idee von einem konspirativem Gespräch überhaupt nicht gut. Kurz lächelte sie dem Pontifex zu und warf Piso einen kurzen durchdringenden Blick zu. Fast könnte man meinen, dass hier die übliche Abneigung Germanica-Flavia zu Tage trat, doch sie war sich nicht wirklich sicher, was Piso sich von seinem Auftritt erwartete. Wollte er angeben, dass er nun Septemvir war oder wollte er sich einfach nur verunsichern. Oder wollte er ihr eines Auswischen... doch es brachte ihr nichts, wenn sie sich jetzt darüber den Kopf zerbrach. Lieber widmete sie sich der ihr bevorstehenden Aufgabe. Als ihr Piso viel Erfolg wünschte, nickte sie erneut. „Danke, sehr freundlich“, erwiderte sie. Wenn er hoffte sie aus der Ruhe zu bringen, so musste er wohl enttäuscht sein. Sie ging nicht auf seine Sticheleien ein. „Es ist soweit alles vorbereitet“, sagte sie nun mehr in Richtung ihres Lehrers und ihres Prüfers und ignorierte den Flavier jetzt erst einmal und verbannte ihn aus ihren Gedanken. Sie war auch ohne seine gehässigen Blicke nervöser, wie ihr Lieb war.


    Nun war es soweit. Alles war vorbereitet und im Grunde würde es nichts bringen das bevorstehende Opfer weiter auf zu schieben. Kurz schloss sie die Augen um sich selbst zu beruhigen, dann betrat sie den Tempel. Trotz sorgfältiger Vorbereitung war sie ganz schön nervös, sie versuchte aber dies sich aber nicht anmerken zu lassen. Im Tempel legte sie erst einmal ihre pala ab und streifte die Sandalen von den Füßen. Meine Güte war das kalt, der Stein unter ihren war ja schon fast eisig. Nachdem Opfer würde sie ganz schön durch gefroren sein. Sie schob die Gedanken an die winterliche Kälte beiseite und ging mit entschlossenen Schritten zu dem Wasserbecken. Sorgfältig wusch sie sich Hände und Arme. Dabei murmelte sie leise: „Möge dieses Wasser alle Unreinheiten von meinem Körper waschen. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. So ist es!“ Im Grunde waren es keine besonderen Worte, aber eine gewisse Ruhe kam nun über sie. Sie konzentrierte sich nun voll und ganz auf die bevorstehende Aufgabe. Nicht weit entfernt warteten die Musikanten und die jungen ministri auf sie. Mit einem leichten Kopfnicken wies sie die fidicines und tibicines Lauten und Flöten zum erklingen zu bringen. Die Melodien übertönten den Lärm der Stadt und sperrten alle störenden Nebengeräusche aus. Sie selbst blendete die beobachtenden Blick aus, die auf ihr ruhten und jeden ihrer Handgriffe genau analysierten. Ihre Nervosität schwand langsam, dennoch ganz wollte sich diese nicht ganz vertreiben lassen.
    Gemessenen Schrittes ging sie nun den Gang zum Kultbild und dem davor aufgebauten foculus. Die Hände hatte sie dabei nach oben gerichtet.


    „Oh Vertumnus, Gott der wechselnden Jahreszeiten. Herr der Wandels. Oh Vertumnalus, der du den Tiber umgeleitet hast. Gepriesen seist Du. Oh großer Gott der Verwandlung, erhöre Deine Dienerin. Sei mir gnädig. Hier stehe ich um Dir ein Opfer dar zu bringen!“


    Sie ließ sich von einem halbwüchsigem Knaben das Weihrauch reichen. Lavendel- und Rosenblüten waren darunter gemischt. Bedächtig streute sie die kleinen Körner in die glühende Kohle. Zischend verbrannte das wertvolle Harz. Weißer Rauch hüllte sie ein und stieg auf. Ein süß-stechender Geruch stieg ihr in die Nase, unterstrichen von Lavendel und Rose. Es roch nach Frühling und Leben. Während der weiße Rauch sich zur Decke kringelte, schien er ihre Nervosität mit zu nehmen. Wieder bekam sie das Gefühl der Gewissheit, dass sie hier sein sollte. Dies war was sie wollte, den Göttern dienen und für das Wohl Roms zu opfern. Die Götter zu besänftigen, war der größte Dienst den man wohl an Rom erweisen konnte.


    „Oh mächtiger Vertumnus. Nimm diesen kostbaren Weihrauch an. Er gebührt Dir, Herr der Verwandlung!“


    Ihre Stimme war fest, ein Echo schien ihre Wort kurz zurück zu werfen. Calvena ließ sich nun eine silberne Schale mit frischem Obst reichen. Das Licht der glühenden Kohlen und Öllampen brach sich darin. Kurz hob sie diese an um sie dem Gott zu zeigen.


    „Oh großartiger Vertumnus, dieses Obst soll dir gehören. Damit der beständige Kreislauf der Jahreszeiten uns Fruchtbarkeit und Wohlstand bringt. Damit die Felder immer grün sein mögen. Damit günstige Winde die Schiffe unserer Händler sicher über das Meer tragen und damit das Imperium erblüht und wächst!“


    Mit bedacht stellte sie das Obst auf den Altartisch. Als nächstes reichte ihr der Junge einen Strauß mit blassen Winterblumen. Deren zarter Duft mischte sich mit dem Weihrauch.


    „Oh mächtiger Gott Vertumnus, bringe uns Veränderung und Wandel. Sie prägen diese wunderbare Stadt und dieses großartige Reich! Denn Stillstand wäre der Untergang dieses wunderbaren Imperiums!“


    Beinahe zärtlich legte sie die Blumen nun auch auf den Altar vor die silberne Schale, so dass die Blüten das Obst einrahmten. Nun wurde ihr eine Amphore mit bestem Wein gereicht. Von Unsicherheit war nun nichts mehr zu spüren. Es war als hätte sie schon hundert Male den Göttern geopfert. Schwer wog das Gefäß in ihren Armen.


    „Oh Vertumnus, der du den Tiber umgeleitet hast und diese wunderbare Stadt vor Schaden bewahrt hast. Diese Wein soll Dir gehören. Mögest Du auch in Zukunft den Tiber in seine Schranken weisen!“


    Sie schüttete den Wein in die dafür vorgesehene Mulde im Boden. Als auch der letzte Tropfen dem Gott geopfert wurde, reichte sie die Amphore zurück an ihren Helfer. Wieder hob sie nun die Hände.


    „Oh großer Vertumnus, Herr der Verwandlung, Gott der Jahreszeiten und Herrscher über den Wandel. Diese Gaben sollen Dir gehören, damit Dein Segen den Wohlstand Roms sichert und damit der Wandel uns Frieden sichert.“


    „Oh Vertumnus, ich bitte Dich, nimm dieses Opfer von Deiner bescheidenen Dienerin an!“


    Mit diesen Worten beendete sie das Voropfer und drehte sich nach rechts. Damit hatte sie den ersten Teil des Opfers überstanden. Nun kam der Teil, bei dem sie sich wohl überwinden musste. Ein wenig tat ihr der Ziegenbock Leid, welcher gleich sein Blut und Fleisch geben würde um den Gott zu besänftigen. Nun konnte sie auch wieder den Klang der Flöten und Lauten wahr nehmen. Sie hatte alles ausgeblendet während des Voropfers. Sie war ganz in ihrer Aufgabe aufgegangen.
    Nun schritt sie hinaus auf den Tempelvorplatz, ihr folgten einer kleinen Prozession gleich, die Ministri, die Musikanten und auch die anderen Helfer. Eine Schaulustige hatten sich vor dem Tempel versammelt und wollten dem blutigen Opfer beiwohnen. Calvena unterdrückte die wieder aufsteigende Aufregung. Die vielen Augen die auf ihr ruhten machte sie ganz nervös. Doch sogleich konzentrierte sie sich wieder auf ihre Aufgabe. Ein victimarius stand neben dem Opfertier bereit. Dieses war leicht mit Kräutern betäubt und verhielt sich vollkommen still. Es sollte ja nichts schief gehen und ein panisches Tier konnte unberechenbar sein. Mit glasigen Augen starrte es völlig abwesend in die Ferne. Die schwarzen Augen waren wie Spiegel. Die Hufe und die Hörner waren vergoldet worden und Wollbänder schmückten den Kopf. Ein Ministri besprenkelte alle Anwesenden und auch das Opfertier mit Wasser. Sicheren Schrittest trat sie an den Altar. Unmerklich nickte sie einem der Opferhelfer zu, welcher dann mit lauter Stimme sagte: „favete linguis!“ Nun war es wieder an ihr, die Stimme zu erheben.


    „Oh mächtiger Vertumnus, Dir ist dieses Tier geweiht! Sieh auf Deine Dienerin herab, denn dieses Opfer soll nur Dir gehören. Schenke uns Deine Gunst, damit Dein Segen uns Wohlstand bringt!“


    Ihr wurde eine Schale mit Wasser gereicht, damit sie sich die Hände nun noch einmal reinigen konnte. Ein weiterer Ministri reichte dann auch noch das malluium latum. In der kurzen Stille, in der sie sich die Hände trocknete und ihr das mola salsa gerreicht wurde, war der Klang der Flöten deutlich zu vernehmen. Doch hier draußen vor dem Tempel war es nicht ganz so einfach den Lärm Roms auszusperren. Ablenken ließ sie sich aber dadurch nicht. Mit dem Gemisch aus Salzlacke und Dinkelschrott strich sie über den Bock und weihte ihn mit schon fast geübten Handgriffen dem Gott. Nun wurde ihr das Opfermesser gereicht. In der Zwischenzeit nahm ein Ministri dem Tier den Schmuck ab. Das Messer fest in der Hand strich sie mit der Klinge ruhig über den Körper des Bockes, angefangen von dem Kopf bis zu dem kleinen Schwanz. Schließlich überreichte Calvena dem Victimarius das Messer.
    „Agone?“ fragte sie dieser und sie antwortete selbstsicher. „Age!“ Mit diesen wenigen Worten entschied sie einfach über das Leben des Opfertieres, denn nur einen Herzschlag später, blitze das Messer im Licht der Wintersonne auf, ehe das Blut rot sprudelte und sich über den Altar verteilte. Ein Helfer stand mit einer Schale bereit um den Lebenssaft aufzufangen. Ein wenig Flau wurde ihr schon im Magen. Entschlossen kämpfte sie dagegen an. Dieser Teil war ihr etwas unangenehm, aber schnell war das Blut versiegt.
    Noch einmal blitze das Messer auf, als mit sicherer Hand das Tier ausgeweidet wurde und die Organe in der vorgesehenen patera beiseite gelegt wurden. Ein Priester stand ihr zur Seite und betrachtete nun eingehend die Eingeweide. Sie konnte nun nur noch abwarten und sehen ob der Gott ihr Opfer an nahm.

  • Piso zeigte sich verständnisvoll, was ich mit einem zufriedenen Nicken zur Kenntnis nahm. Was zwischen den beiden war, wusste ich nicht. Und ich wusste auch nicht, dass etwas zwischen ihnen war. So nickte ich dem Prüfling aufmunternd zu. Durmius wünschte ebenfalls viel Erfolg.


    Calvena trat an die Wasserschale und unterzog sich selbst der rituellen Reinigung. Wir anderen taten es ihr gleich. Ein paar Schritte weiter zeigte sich, dass sie auch für ihre Helfer Sorge getragen hatte. Die Musik setzte ein, als sie den Weg zum Altar anführte. Vor dem Kultbild blieb sie stehen und begann mit dem Gebet, noch ehe sie den Weihrauch streute, auf dass Vertumnus auf sie aufmerksam werden konnte. Doch die essentiellen Worte kamen erst danach. Das Voropfer beinhaltete Obst, Blumen und Wein. Bei der Drehung nach rechts lächelte Durmius selig.


    Draußen vor dem Tempel fand dann das Blutopfer statt. Hier gab es nichts zu bemängeln. Dann, als die vitalia untersucht wurden, hob ich marginal eine Braue. Warum tat sie es nicht selbst? Ich schwieg und wartete den weiteren Verlauf des Opfers ab. Der Priester, den Calvena beauftragt hatte, konnte keinen Makel feststellen.

  • Während des Voropfers und des Gebetes hatte sich ihre Nervosität gänzlich gelegt. Jeder Handgriff hatte Sicherheit und Zuversicht ausgestrahlt. Etwas unsicher wurde sie jedoch während sich schweigen über den Platz legte und die vitalia untersucht wurden. Auf den ersten Blick hatte der Bock jung und gesund und kräftig gewirkt, doch das Äußere konnte über das Innere hinweg täuschen.
    “Litatio!“ erklang es. Erleichtert stieß sie die Luft aus, welche sie unwillkürlich angehalten hatte. Sie konnte durchaus Stolz auf dieses Opfer sein, auch wenn ihr wohl noch die Übung fehlte. Die nächsten Handgriffe waren jetzt nur noch reine Formsache, die vitalia wurden in einer großen glänzenden Pfanne angebraten, ehe Calvena sie dann dem Gott übergab. Hierfür stand bereits eine große Feuerschale auf dem Altar bereit. Das Feuer zischte fauchend auf, als der Saft der Innereien in die heiße Glut tropfte. Der markante Geruch verbrannten Fleisches stieg zum Himmel auf, als es verbrannte und sich in fast schwarzen Rauch auflöste. Kurz sah sie dem Rauch nach und dankte dem Gott lautlos dafür, dass er ihr Opfer angenommen hatte. Es war ein großer Tag für sie. Der Klang der Flöten und Lauten verklang und die Beteiligten würden nun ihren Teil des Fleisches bekommen. Verdient hatten sie es sich. Sie waren ihr eine große Hilfe gewesen. Mit ihrem Anteil und für de Anteil ihres Lehrers, des Pontifexes und aus reiner Höflichkeit auch für den Flavia, trat sie an die drei Herren heran.

  • Piso beobachtete. Er verzog keine Miene, ließ sich nicht anmerken, ob er erzürnt oder erfreut war. Sein Gesichtausdruck glich dem eines unbeteiligten Beobachters, dem dieses Opfer vielleicht kurios vorkäme, aber sich sonst nichts dabei denken würde. Er betrachtete das Voropfer. Er lauschte dem Gebet, und der dudelnden Musik, die das Opfer begleitete. Er beobachtete das Hauptopfer. Der Flavier zuckte nicht zusammen, als das Tier getötet wurde und das Blut sich überall hin vergoss. Er blinzelte nur, als die Litatio ausgerufen wurde, und verzog die Lippen leicht nach links. Sie hatte es also geschafft. Die kleine, nichtsnützige Gauklerin hatte es also geschafft, dass ihr Opfer von Vertumnus angenommen worden war. Sein Blick wanderte vom Opferaltar hin zum Tempel, und wieder zurück, fast so, als ob er den Tempel examinieren wollte.
    Und dann war alles vorbei. Piso, der sich die ganze Zeit hindurch an Corvinus und Verus gehalten hatte, blickte mit undefinierbarem Blick zu Calvena, als diese auf sie zukam – mit Fleisch wohlweislich für 4 Leute, also wohl auch ihm. Es roch gar nicht einmal schlecht. Er neigte seinen Kopf demonstrativ eicht nach oben, als ob er den Vogleflug betrachten wollte, als ob er kein Septemvir, sondern Augur wäre.

  • Die Fleischportion bei diesem Opfer war noch kleiner als die, die Durmius und ich nach dem vorangegangenen Opfer erhalten hatten, doch das war verständlich. So ein kleines Tier barg schließlich nur eine endliche Menge Fleisch, und ich hatte das Gefühl, dass hier mehr Beteiligte anwesend waren als zuvor bei Serrana. Wir mussten auch hier eine Weile warten, und vertrieben uns die Zeit mit der Plauderei über das Siebenmännerkollegium, dem ich schließlich auch einmal angehört hatte, und sprachen über das Wetter.


    Als Calvena dann vor uns stand, nickte ich ihr zu. "Meinen Glückwunsch, Germanica. Das war ein angemessenes Opfer." Durmius strahlte über sein faltiges Gesicht. "Ein wenig gewundert hat es mich allerdings, warum du die vitalia nicht selbst untersucht und die litatio verkündet hast."

  • Es war gelungen, so viel war sicher und sie war erleichtert darüber. Auch wenn sie das Opfer verpatzt hätte, wäre sie dennoch Stolz auf sich gewesen. Es war ihr erstes eigenes Opfer, eine Gabe an die Götter und es hatte sie nur noch mehr in dem Glauben verstärkt, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Zuversichtlich blickte sie nun in die Zukunft. Nicht nur das sie bald heiraten würde, nein auch anders hatte sich ihr Leben stark verändert.
    Durmius Verus strahlte sie voller Stolz und auch Zuneigung an. Er hatte zwei weitere Schülerinnen ausgebildet. Nun würde er sich wohl zur Ruhe setzen. Schade eigentlich, er war ein guter Lehrer, weise und freundlich. Sie hatte gern seinen Worten gelauscht.
    Leicht neigte sie das Haupt respektvoll vor den Männern. „Danke! Es war mir eine ehre für Vertumnus ein Opfer dar zu bringen!“ sagte sie. Auch wenn es nicht gerade einfach war und sie vor dem Opfer ein wenig kopflos und sicher gewesen war. Aber das gehörte wohl dazu. Nun strahlte sie Selbstsicherheit aus. Den Flavia ignorierte sie halb, denn sie wusste immer noch nicht, was er denn hier zu suchen hatte. Vielleicht konnte sie ihm ja noch entkommen, ehe er auf den Gedanken kam, mit ihr sprechen zu wollen.


    „Ich wollte sicher gehen, dass das Opfer auch angenommen wurde und es keinen zweifel über das Urteil gibt. Aus diesem Grund hab ich einen anderen Priester gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen“, erklärte sie. Sie hatte sich ja mit Serrana abgesprochen und lange überlegt, ob dass der richtige Schritt war.

  • Wie mir schien, hatten die beiden Damen sich abgesprochen, denn auch Serranas Antwort hatte in etwa diesen Wortlaut gehabt. "Nun denn, damit gebe ich mich zufrieden - solange du dir auch zutraust, beim nächsten Opfer selbst den Willen der Götter zu lesen", erwiderte ich, und damit hatte sich die Sache für mich gegessen. "Ich werde deine Ernennung zur aeditua veranlassen. Gibt es einen Tempel, der deine Aufmerksamkeit dermaßen erregt hat, dass du gern in ihm dienen würdest? Ich kann dir nur versprechen, den Wunsch weiterzugeben, ob ihm entsprochen wird, kann ich allerdings nicht entscheiden." Flavius Piso indes schien recht still zu sein. Ob er überlegte, nicht doch lieber ein Tempelvorsteher geworden zu sein denn einer der Siebenmänner? Durmius hingegen lächelte selig. Für ihn waren diese beiden Schülerinnen die letzten Auszubildenden vor dem wohlverdienten Ruhestand.

  • Das nächste Opfer würde sie anders gestallten und dann selbst die Eingeweideschau vornehmen, wie es auch zu ihren Aufgaben gehörte.
    „Beim nächsten Opfer werde ich die vitalia selbst überprüfen!“ versicherte sie ihm und neigte wieder einmal leicht den Kopf. Sie nahm den leisen tadeln an, aber ansonsten hatte sie ja keinen Fehler gemacht. Dies erfüllte sie mit Stolz und Freude. Nur zu gern würde sie jetzt wissen, wie es Serrana ergangen war. Ihre Freundin war leider nicht bei ihrem Opfer dabei gewesen. Später würde sie diese aufsuchen und dann mit ihr feiern.
    „Ich würde gern Iuno dienen!“ antworte sie ihm dann mit sicherer Stimme auf seine Frage. Sie brauchte nicht einmal Überlegen, schon lange war dies ihr Wunsch und für sie der richtige Weg. Und selbst wenn sie in einem anderen Tempel arbeiten sollte, dann würde sie den Göttern so gut sie konnte dienen. Sie nickte, als der Aurelia meinte, er könne ihr nicht versprechen, dass sie ihren Wunsch erfüllt bekam, aber er würde ihren Wunsch weiter geben.

  • Piso sagte nichts, kein Wort. Zuerst einmal war der Aurelier als Pontifex und zudem als Senator höher gestellt als er, und hatte somit mehr Ahnung. Nein, er würde dies nicht unterbrechen, was hier vorging. Zum anderen sparte er sich die Luft für ein Gespräch mit der Germanica nachher – dem würde sie sich nicht entziehen können. Er hätte schon viel früher sie zu einem Gespräch herangezogen, wenn er denn gewusst hätte, dass dieses unsägliche Weibszimmer sich im Cultus Deorum einmischen würde. Nun aber war das Opfer angenommen von Vertumnus, was wohl bedeutete, dass die Götter – einmal generell – keine Abneigung gegenüber der Germanica hatten.
    Er blickte auf die ehemalige Muse und lächelte leicht in sich rein. Tempelverwalterin war sie nun also. Der Schritt von der absoluten zur weitreichenden Bedeutungslosigkeit im Cultus Deorum war also getätigt. Nein, da war er schon viel lieber Epulone, auch wenn das Collegium etwas schnarchnasiger war als gedacht. Vielleicht hätte er Augur werden sollen. Aber in dem, was die Septemviri machten, war er einfach erfahrener und qualifizierter... er nahm sich vor, den werten Herren in den nächsten Tagen einmal Feuer unterm Hintern zu machen, dass sie einmal etwas taten. Denn Götterspeisungen zweimal im Jahr waren ja nicht das, worauf die Septemviri beschränkt waren.
    Corvinus fragte die junge Frau, warum sie nicht selber die Eingeweide untersucht hatte, und erst jetzt sagte Piso etwas. „Nun ja. Ich persönlich hätte es schon sehr gerne gesehen, dass du selber die Eingeweidenschau durchnimmst.“ Er lächelte gönnerisch, als er dies hinzufügte. „Aber wenn der Pontifex Aurelius der Meinung ist, dies reicht aus... tja, meinen Glückwunsch.“ Pontifex müsste man sein. Für Piso war das aber noch Zukunftsmusik. Noch.
    Dass sie Iuno dienen wollte, war wenig überraschend – wenige Frauen wollten einem männlichen Gott dienen. Seitdem der Cultus Deorum den Frauen geöffnet wurde, überschwemmten diese die Einrichtungen. Es war schon eine gute Entscheidung gewesen, das zu veranlassen. Nur leider kamen dadurch auch solche Subjekte durch.
    Seine Körperhaltung drückte keinerlei Intention aus, sich von diesem Ort wegzubewegen. Sicherlich würde Corvinus bald gehen, und dann könnte er mit Aoide reden – unter 4 Augen. Es gab einiges zu besprechen, das wusste er jetzt schon.

  • Bisher hatte sich der Flavia gnädigerweise heraus gehalten. Sie hatte gehofft, dass dieser das Interesse an ihr verloren hatte und nun bald den Heimweg antrat. Doch leider hatte sie sich wohl zu früh gefreut, denn kaum kam die Frage, warum sie denn die Eingeweideschau nicht selbst gemacht hatte da mischte er sich großspurig ein. Sie strafte sich noch ein wenig und erwiderte den Blick des Mannes Stolz und auch ein wenig heraus fordernd. Obwohl sie ihm die Pest an den Hals wünschte, würde sie freundlich bleiben. Ihr Lächeln konnte er jedenfalls nicht von ihren Zügen wischen. „Ich danke Dir für die Glückwünsche!“ sagte sie höflich und ging nicht weiter auf seinen spitzen Kommentar ein. Er ärgerte sich darüber, dass sie im Cultus Deorum war. Er wollte es verbergen, aber ihr fiel sein merkwürdiges Glitzern in seinen Augen auf. Wenn es ihr gelang, dann würde sie dem Gespräch mit ihm ausweichen. Erst einmal widmete sie sich aber wieder ihrem Lehrer und dem Pontifex.

  • Ich nickte zufrieden. "Nun, dann bleibt mir nichts weiter, als deinen Wunsch weiterzuleiten. Du wirst in Kürze deine offizielle Ernennung schriftlich erhalten. Bis dahin musst du dich leider nocht gedulden, auch wenn es schwerfällt", sagte ich und zwinkerte der Germanica zu. "Dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag. Flavius, du bleibst noch?" Zu Piso gewandt sandte ich einen fragenden Blick, und als dieser bejahte - was er zweifellos tun würde - nickte ich auch ihm zu, überlies es Durmius noch, sich zu verabschieden, und verließ das Tempelgelände gemeinsam mit ihm in Richtung des Quirinal.

  • Piso hörte zu, wie der Aurelier der jungen Frau versicherte, er würde sich ihrer Präferenz annehmen, und sich dran machte zu gehen. Ob er bleiben wollte? Und ob! „Ja, doch, Pontifex, es gefällt mir hier sehr gut... warum also nicht noch in der Ästhetik dieses Plätzchens schwelgen? Also, vale, und man sieht sich gewiss wieder.“ Freundlich blickte er dem Aurelier und dem Durmier hinterher, bevor er sich in einer geradezu unglaublich schnellen Bewegung zu der Germanica hindrehte und sie anstierte. Keine Freundlichkeit mehr lag jetzt in seinen Augen. „Also. Ich schlage vor, wir sollten in eine ruhige Ecke gehen, um uns zu unterhalten.“ Er erhob seinen linken Arm und deutete auf eine äußere Säule des Tempels, wo sich niemand aufhielt, und wo Piso und Calvena in Ruhe ein Gespräch führen könnten. „Oder aber willst du, dass hier bei dem Gespräch, das ich mit dir zu führen gedenke, deine ganzen kleinen dreckigen, sorgsam vergrabenen, Geheimnisse ans Tageslicht kommen... Aoide?“ Nein, er hatte ihren alten Künstlernamen nicht vergessen. Schmerzhaft hatte er sich in sein Gedächtnis gebrannt. Demütigung und Schmerz verband er damit.
    Sein Arm war noch immer in die Richtung der Säule gerichtet. Er lockerte die Hand ein wenig, öffnete sie und deutete auf seinem Gesicht ein Lächeln, kein Richtiges natürlich, an, als er ihr zunickte. Es sah nun viel weniger als ein Zwang, als vielmehr wie eine freundliche Einladung aus. Tja, der Schein, der Schein – etwas, auf das ein Jungpolitiker und hochgestellter Priester immer bedacht sein musste.

  • Noch einmal neigte sie leicht das Haupt. Erleichterung und vor allem Freude zeigte sich auf ihren Zügen. Es würde ihr nicht schwer fallen nun noch einige weitere Tage zu warten. Es gab weit aus schlimmeres. Ein kurzer Seitenblick auf den Flavia machte ihr bewusst, dass dieses schlimmeres schneller über sie kam, als sie wollte. Nur ganz kurz verdüsterte sich ihre Miene, doch als sie sich von ihrem Lehrer verabschiedete, welcher ihr versicherte, dass er sehr Stolz auf sie war, lächelte sie wieder von ganzem Herzen. „Valete und vielen Dank!“ sagte sie zum Abschied zum Aurelia und auch zu Durmius. Am liebsten wäre sie ihnen gefolgt, doch sie wollte sich auch Piso stellen. Sie sah ihnen nach, bis diese außer Hörweite waren. Fast sofort brach dann auch das Unwetter über sie herein und vertrieb ihre gute Laune wie der Wind ein welkes Blatt. Unbewusst ballte sie ihre Hände zu Fäusten, Stolz reckte sie ihr Kinn und hielt seinem finsteren Blick stand. „Was willst du von mir?“ fragte sie ihn rund heraus. Sie hatte ihm nichts getan. Im Gegenteil, sie hatte ihm sogar sein Ego gestreichelt, als er am Boden war. Sie war freundlich zu ihm gewesen und hatte versucht seine Schmach zu mildern. Aber anscheinend war ihre Freundlichkeit verschwendet gewesen. Als er zu den Säulen deutete, wirbelte sie wortlos auf dem Absatz herum und ging mit verschlossener Miene vor. Ihre ganze Haltung drückte Trotz und auch Stolz aus. Er hatte keine Ahnung, wusste nichts von dem sorgsam verschlossenem Schmerz in ihrer Seele. Den Kummer, denn sie vergessen wollte. Plötzlich war sie den Tränen nahe und das auch nur, weil er sie an die Vergangenheit erinnerte. An eine Zeit wo sie unbeschwert gewesen war. Wo sie keine Verpflichtungen gekannt hatte. Mit Mühe hatte sie sich ein neues Leben aufgebaut, den Schmerz überwunden und nun tauchte ER auf, riss alte Wunden in ihr auf und brachte neuen Kummer. Sie wollte weg von hier, aber sie würde ihm nicht die Genugtuung geben, dass sie vor ihm davon lief. Sie würde sich ihm stellen.
    Bei den Säulen angekommen drehte sie sich zu ihm herum und taxierte ihn einmal von oben bis unten. Ihr Blick drückte sowohl Verachtung und Ekel, aber auch Faszination aus, so als betrachtete sie ein besonders hässliches Insekt. Es war der selbe Blick mit dem sie Laevina zunächst gegenüber getreten war.
    „Ich weiß warum Du hier bist. Du willst, dass ich versage! Du willst mich demütigen, weil Dein Stolz gelitten hat! Aber nicht ich habe Dich in Deinem Stolz gekränkt, dass warst Du selbst!“ schleuderte sie ihm entgegen. Angriff war die beste Verteidigung. „Du bist hier, weil Du die Wahrheit nicht sehen willst. Weil Du Dich selbst belügst. Und Du glaubst, indem Du mich demütigst, kannst Du alles ungeschehen machen!“ Eine Mischung aus Hohn und Bitterkeit schwang in ihrer mühsam beherrschten Stimme mit. Sie würde ihm nicht den gefallen tun, laut zu werden. „Du bist erbärmlich. Weil Du vergessen hast, dass ich nicht über Dich gelacht habe. Weil ich Dich in Schutz genommen habe. Aber das war wohl ein Fehler von mir. Ich sah etwas Gutes, wo nichts anderes als Missgunst und Neid ist!“ stieß sie hervor. Sie war wütend und frustriert und traurig, obwohl sie diesen Tag hatte feiern wollen.

  • Die Germanica fragte ihn, was er wollte, er lächelte nur als Antwort. Sie würde schnell genug erfahren, worum es ihm ging. In ihrem Blick erblickte er die eine Mischung von Gefühlen, hauptsächlich Negativen. Er hatte bei diesem gehässigen Subjekt damit gerechnet, ehrlich gesagt. Wortlos folgte er ihr zur Säule, wo sie dann begann, ihn mit Worten zu überschütten. Hasserfüllte Worte, die Abscheu ausdrückten, in Diktion und in Aussprache. Was für Sachen sie ihm da unterstellte, war nur noch kurios, und Piso ließ seine flavische rechte Augenbraue hochwandern. Nicht nur die Germanica schaute ihn nun merkwürdig an, nein, Piso schaute merkwürdig zurück.
    Doch er ließ sie ausreden. Was sie ihm unterstellte, war lächerlich. Nun, es mochte ein Funken Wahrheit darinnen liegen, vor allem, was anging, dass er sie am Liebsten hätte versagen sehen. Ja, das hätte ihn um einige Sorgen ärmer gemacht. Aber damit konnte er auch leben.
    Am Ende schwieg er eine Weile. Dann begann er zu lachen, und schüttelte den Kopf.
    „Armes Mädchen. Du hast keine Ahnung, keine Ahnung. Du weißt so viel nicht. Wenn ich dich fertig machen hätte wollen, wärst du niemals bei dieser Prüfung dran gekommen. Ich wäre einfach zu meinem Vetter Gracchus, oder Aurelius Corvinus, oder Tiberius Durus, gegangen, und hätte ausgeplaudert, was ich über dich weiß. Deine Karriere wäre schneller dahin gewesen, bevor du bis drei hättest zählen können.“ Frauen und Logik, pah. „Beweist dir vielleicht das, dass du mit deinen Worten dich einfach nur lächerlich machst? Vielleicht denkst du auch darüber nach, was für ein Unheil ich über die Germanica hätte bringen können, wenn ich das, was ich weiß, meinem Vetter Furianus anvertraut hätte. Das habe ich alles nicht gemacht.“ Warum, das sagte er ihr nicht. Sie musste nicht alles wissen. „Und ich bin hierher gekommen, nicht um dich zu demütigen, nicht um anzugeben, und auch nicht, um mich so rüde beschimpfen zu lassen. Nun ja, ich denke, ich kann dir das verzeihen. Nichts anderes kann das Resultat der Erziehung von irgendwelchen Spielleuten sein.“ Er grinste, bevor er fortfuhr.
    „Ich bin gekommen, um dir eine Frage zu stellen. Was suchst du hier? Warum wird eine vom fahrenden Volk zur Priesterin? Was suchst du zu erreichen, Gauklerin?“ Er fixierte sie mit seinen Augen. „Vertumnus hat dein Opfer angenommen, aus welchem Grund auch immer, aber du verstehst hoffentlich, dass ich die ganze Geschichte mehr als nur als nicht ganz koscher empfinde?“ Er verschränkte die Arme. „Und, ach ja, um dein Gedächtnis aufzufrischen – du bist mich angegangen wie eine Furie, nachdem ich mich entschuldigt habe. In Schutz nehmen nenne ich das nicht. Und es tut mir noch immer Leid, dass ich der Verursacher dieses Missgeschicks war – schon seltsam, das du noch immer nicht drüber hinweg bist, Aoide.“ Er schüttelte den Kopf amüsiert. „Ach ja, du liest die Acta Diurna? Meine Sangeskunst wurde dort weitaus positiver dargestellt, als du sie empfunden hast.“ Er grinste. „Doch lassen wir uns davon nicht von meiner ursprünglichen Frage abbringen. Was zum Henker hat so eine wie du, eine Spielfrau, aus dem niedrigsten Abschaum der Gesellschaft, im hehren und heiligen Cultus Deorum zu suchen?“

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