• Unmittelbar nach seiner Ankunft in Roma hatte sich Lucius auf Wohnungssuche begeben. Es war nicht einfach eine geeignete und noch dazu billige Heimstätte zu finden, allerdings konnte er zuletzt doch noch eine recht günstige Casa für einen Teil seines ersparten Geldes und einen Teil der Familienersparnisse ersteigern. Nach dem Rundumgang hatte er sich sein eigenes Cubiculum zurechtgemacht und seine Sachen verstaut. Endlich in Rom. Lediglich die Arbeitssuche wartete noch auf ihn, ehe er bereit für die Ankunft seiner Familie sein würde.

  • Der Tag der Ankunft seiner Familie aus Griechenland war also gekommen. Zum einen war er froh, dass er endlich familiäre Unterstützung in Rom erhalten würde, zum anderen, dass er es rechtzeitig geschafft hatte, alle Vorbereitungen zu treffen. Der Eprianer wusste, dass er seiner Frau und nicht zuletzt seinem Sohn Unrecht getan hatte, indem er falsch reagiert und diesen nahezu verscheucht hatte. Gaius war nun in Ägypten, fernab von Rom und seinem Vater. Über 20 Jahre hatte Seleucus seinen Sohn nicht zu Augen bekommen, als er in Germanien bei der Ala stationiert war. Aber dennoch lag es in der derzeitigen Situation nicht fern, dass er sich auch viele weitere Monate oder sogar Jahre nicht seiner Anwesenheit erfreuen können würde. Ein schmerzliches Gefühl für einen Vater, der seinen Sohn vermeintlich im Stich gelassen oder sogar hintergangen hatte. Es war Lucius klar, dass er den ersten Schritt zur Versöhnung machen musste.


    Nachdem die Familie gespeist und Dionysos für Speis und Trank geopfert hatte, begann der Abend im Beisammensein auszuklingen. Lucius selbst hatte sich mittlerweile mit zwei anderen, älteren Männern in den kleinen Hortus der Casa zurückgezogen, um die Frauen einerseits mit ihrem oft ungeschulten Gerede alleine zu lassen und andererseits etwaige Dinge mit engen Vertrauten zu besprechen. Da Seleucus' Vater bereits früh zu Hades gegangen war, handelte es sich bei den beiden Männern um seine Onkel, Nereus und Orestes. Orestes war der Vater von Eprius Alexander, der vor etlichen Jahren als erster das Bürgerrecht für die Familie der Eprianer gewann.


    Nereus und Orestes


    "Dein Vater wäre stolz auf dich, Seleukos. Du hast dir und deiner Familie alle Ehre gemacht, wie du es dir vor Jahren geschworen hast, als du nach Germanien gezogen bist."
    "Ich danke dir für die lobenden Worte, Nereus. Doch nicht nur ich soll heute geehrt werden. Alexandros, mein Cousin, dein Sohn Orestes, hatte bereits vor mir diesen schweren aber durchaus ehrenhaften Schritt gewagt. Und er war erfolgreich."
    "Alexandros...ja, er war ein guter Sohn. Doch er musste zuletzt mit dem Leben bezahlen. Ich hoffe, dass es dir, Seleukos, nicht so ergehen wird wie meinem einzigen Sohn", erwiderte Orestes betrübt.
    "Möge das Reich des Hades Alexandros nach allen Riten wohlbehalten aufgenommen haben."


    Es folgte ein Moment des Stillschweigens und Gedenkens. Auch Seleucus ging der Tod seines Cousins nahe, auch wenn er schon Jahre zurücklag. Er fühlte mit Orestes mit, der ihm in jungen Jahren stets ein guter Freund und Helfer war. Lucius hoffte, dass er nun wieder, da die Familie endlich wieder versammelt war, eine gute Beziehung zu ihm aufbauen können würde.


    "Was wirst du nun tun, Seleukos?", eröffnete Nereus daraufhin erneut das Gespräch.
    "Ich konnte bereits eine Arbeitsstelle finden und arbeite derzeit für die Provinz in Ostia. Ich werde versuchen Kontakte hier in Rom und in den Umlanden zu knüpfen, um so vielleicht noch trotz meines Alters einen kleinen Aufstieg zu erfahren."
    "Wir selbst sind zu alt, Sohn, um Rom zu dienen. Zu viele Jahre haben wir das bereits getan. Dennoch werden wir versuchen dir und unserer Familie einen guten Ruf zu hinterlassen.", entgegnete Orestes. Auch wenn seine Generation eine Generation war, die die römische Herrschaft über die griechischen Landen zumindest duldete, kam der Stolz und die Erinnerung an vergangene Tage nicht selten in ihm und Nereus hoch. Auch Seleucus beklagte oft die Misstände dieser Herrschaft, doch letztendlich musste man dies seiner Meinung nach akzeptieren, um ein gutes Leben führen zu können.
    "Natürlich, Orestes. Ich bin mir sicher, dass ihr das tun werdet."


    Es folgte ein kleiner, schweigsamer Gang durch den Hortus und zurück zum Inneren der Casa, ehe sich Seleucus von seinen Verwandten verabschiedete. Er hatte noch zu tun und würde deshalb schon früher sein Cubiculum aufsuchen, während der Rest der Familie noch zusammensaß, um die Ankunft zu feiern.

  • Lucius hatte sich als erster in sein Cubiculum zurückgezogen, um noch etwaige Arbeiten zu erledigen. Eine davon war der Brief an seinen Sohn, auch wenn er nicht wusste, wo genau er sich in Ägypten aufhielt. Er musste ihm einfach schreiben, um sich besser und wieder einigermaßen angemessen ihm gegenüber zu fühlen. Die Begrüßung 'Geliebter Sohn' fiel ihm nicht schwer, auch wenn Seleucus nicht wusste wie Gaius die Worte aufnehmen würde. Auf jeden Fall musste sich der Vater zuvor entschuldigen, denn er war es, der seinen Sohn nach seiner Rückkehr unliebsam und distanziert aufgenommen hatte und einen Streit mit dessen Mutter, seiner geliebten Frau, begonnen hatte. Er hatte Gaius keine andere Möglichkeit gegeben, als die Familie hinter sich zu lassen und seinen eigenen Weg zu gehen. Auch wenn der Eprianer nicht erwartete, dass sein Sohn umgehend zu ihm zurückkehren würde, nach Rom, wollte er versuchen den Streit zu schlichten und die Differenzen beizulegen.


    Lucius setzte gerade die letzten Worte seines Briefes auf, als es an der Tür klopfte.


    "Herein!", hallte es von innen nach außen, woraufhin Thalia, seine Frau eintrat. Lucius starrte zunächst einige Sekunden zum Eingang, ehe er Worte finden konnte. Immerhin hatten sie sich seit dem Vorfall in Argos noch immer nicht richtig ausgesprochen.


    Thalia


    "Ich glaube wir müssen reden, Thalia. Es...tut mir Leid. Ich habe falsch reagiert, obwohl es nicht deine Schuld war."
    "Bei mir brauchst du dich nicht zu entschuldigen, Seleukos. Entschuldige dich bei deinem Sohn, denn du auf wiederwärtige Weise verstoßen hast. Zu Unrecht."


    Auch wenn Lucius die Formulierung als sehr hart empfand, musste er seiner Frau Recht geben.


    "Ich...weiß. Ich habe bereits einen Brief an ihn aufgesetzt. Hat er dir gesagt, wo er sich genau aufhält?"
    "Ja...das hat er."


    Es folgte ein Moment des Schweigens, in dem Thalia den Brief an Gaius entgegennahm und überflog.


    "Er hat mir gesagt, dass er in einer Legion Roms dienen möchte."
    "Mein Sohn? In der Legion?"


    Wie schandhaft war nur sein Verhalten gewesen. Er hatte seinen Sohn verstoßen, der nun Rom und seiner Familie auf ehrenhafte Art und Weise diente. Seleucus musste es wieder gut machen.


    "Ich...werde den Brief morgen abschicken. Ich hoffe er verzeiht mir."
    "Das hoffe ich auch, Seleukos."


    Thalia gab ihrem Ehemann einen Kuss auf die Backe, ehe sie sich ins Bett fallen ließ. Wenige Minuten später folgte ihr der Mann.

  • Ein Sklave kam an die Eingangstür der casa Epria.
    In der einen Hand hielt er ein ledernes Futteral, wie man es benutzte, um wichtige Briefe vor Regen und Schmutz zu schützen.
    Mit der freien Hand klopfte er an.

  • Lucius selbst ging an die Porta, als der Sklave des Quarto klopfte. Noch waren die Eprianer nicht unbedingt im Stande sich zahlreiche Diener zu leisten. Seleucus öffnete die Tür und musterte den Sklaven, der rein von der äußeren Gestalt her auf jeden Fall aus den ferneren Provinzen kam.


    "Salve. Was ist dein Begehr?"

  • Nakhti verbeugte sich tief.


    “'err, mein 'err mich schickt! Lucius Aelius Quarto mein 'err ist. Er mir das 'ier gegeben 'at, damit ich es Lucius Eprius Seleucus gebe, 'err.“


    Er hielt das Futteral hoch.

  • Und das tat er dann mit einer erneuten Verbeugung auch.


    In dem Futteral würde Seleucus diesen Brief finden, gerichtet an den Präfekten der Vigiles:


    An den
    Praefectus Vigilum
    Numerius Scaevius Camerinus [NSC]
    Castra Vigilum
    Roma


    Salve Numerius Scaevius Camerinus!


    Dieses Schreiben überbringt Dir Lucius Eprius Seleucus, mein Klient.
    Er wird Dir sagen, dass er zurzeit als praepositus stationariorum tätig ist und zuvor bei der ala II Numidia gedient hat.
    Auch wird er Dir von seinem Wunsch erzählen, sein jetziges Amt aufzugeben um in den Dienst bei den Vigiles einzutreten.
    Lucius Eprius Seleucus hat Rom bereits treue Dienste geleistet und ich hege keinen Zweifel daran, dass er dies auch unter Deinem Kommando tun würde.
    Ich wäre Dir zu sehr verbunden, wenn Du sein Ansinnen wohlwollend prüfst und mein Dank wäre Dir gewiss, wenn Du ihn in angemessener Stellung bei den Vigiles aufnehmen könntest.


    Möge der Segen der Götter Dich auf all Deinen Wegen begleiten.


    gez. Lucius Aelius Quarto



    ROMA - ANTE DIEM IV NON NOV DCCCLIX A.U.C.
    (2.11.2009/106 n.Chr.)

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