Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis Vala den Aufenthaltsort des Mannes ausfindig machen konnte, den Balbus ihm empfohlen hatte. Der Dunst von Alkohol, fehlender Hygiene und Räucherwerk schlug dem jungen Germanen entgegen, als er die Taberna betrat, und das Zwielicht zwang ihn, einige Sekunden inne zu halten bis sich seine Augen an die dunkleren Verhältnisse gewöhnt hatten. Als er den ersten Schock überstanden hatte, ging er zielstrebig zur Theke, und winkte den Wirt zu sich heran.
Als der Mann endlich begriffen hatte, wen ihm der Germane da beschrieb, deutete auf eine größere Tür, die in den hinteren Teil des Gebäudes führte: dort, wo alle sich aufhielten die nicht vorhatten, die Taberna in weniger als einer Stunde wieder zu verlassen.
Vala kämpfte sich durch die Menge, drückte sich an diesem und jenem vorbei, und als er schließlich in dem noch dunkleren Teil des Schankraums stand, brauchte er einige Momente, bis er fand, den zu suchen er gekommen war.
"Du bist Linus von Patrae.", stellte Vala fest, als er den mittelgroßen Mann, der reglos in seinen leeren Weinkrug starrte, und ließ sich uneingeladen auf der anderen Seite des schmalen Tisches auf einem Stuhl nieder.
Linus von Patrae
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Sein Gegenüber hob den Blick langsam, und zuerst kam es Vala so vor, als würde der Mann direkt durch ihn hindurchsehen. Die Stimme, die aus der Kehle kroch war rauchig, aber der bissige Sarkasmus war selbst durch die Wolke an weinschwangerem Alkoholgeruch nicht zu ersticken: "Nein, ich bin der Shah in Shah, und habe gedacht, ich statte meinem liebsten Feind mal einen Besuch ab. Natürlich bin ich das. Es stellt sich allerdings die Frage, junger Mann, wer du bist."
Die Augen des Mannes waren müde, obwohl Vala wusste, dass der Mann viel schlief. Und er wirkte alt, sehr alt. Obwohl er die fünfzig Winter noch nicht erlebt haben dürfte.
"Ich bin Titus Duccius Vala.", sprach Vala, winkte eine Kellnerin heran und bestellte zwei Krüge Wein, die er teilte, "Prudentius Balbus meinte, du wärst einen Besuch wert."
Der Grieche überlegte eine Weile, von Valas Antwort anscheinend ins Grübeln gebracht. Schließlich zog er in Unglauben eine Augenbraue hoch, und blickte den jungen Mann schläfrig-kritisch an: "Ein Duccius, hier in Rom? Ich dachte immer, euch wäre das Klima hier zu warm. Und sowieso... es ist lange her, seit man von euch hörte. Die Acta schreibt ab und zu über die Aufsteigergens aus dem eisigen Norden, doch wirklich zu sehen bekommt man euch wohl eher selten. Wo ich gerade dabei bin... deine Größe passt, aber wo sind die blonden Haare, die uns immer wieder versprochen werden?"
Das kehlige Lachen, dass sich aus der Brust des Mannes herauswürgte strafte den Ernst seiner Stimme Lügen, und trotzdem fühlte Vala sich seltsam angegriffen, ob der schon fast herablassenden Art des Trinkers.
"Ich muss mich dir gegenüber nicht rechtferti..", begann er, wurde von dem Mann aber barsch unterbrochen, "OH DOCH! Das musst du. Du bist hier, weil du etwas vom alten Linos willst, und da du den jungen Balbus erwähnst, wird es etwas sein, wobei er dir selbst nicht weiterhelfen kann. Soll ich dir die Römer erklären, junger Barbar?"
Vala spürte Wut in ihm aufkochen, aber nicht die kalte Wut ob eines wirklichen Gegners, sondern die Wut eines Kindes, das zurechtgewiesen wurde. Was der Grund dafür war, dass er sich jede Reaktion verkniff, aus Angst trotzig zu wirken, anstelle wirklich ernstzunehmend: "Und wenn es so wäre? Man sagt, du hättest Qualitäten? Was man allerdings nicht sagt, und das spricht dafür, wie weit du gefallen bist, vom Berater eines Senators zum heruntergekommenen Trinker, der für kleinliche Ratschläge Geld nimmt, und seine Frau Haare schneiden lässt, damit nicht alles Geld im Hause versoffen wird? Ich bin mir sicher, dass hatte sie nicht immer nötig."
Natürlich hatte Vala es darauf abgesehen, den Mann zu treffen, irgendwo einen Funken zu schlagen und darauf zu hoffen, dass der Mann seinen Kampfeswillen zeigte. Was er allerdings bekam, war eine Retourkutsche, die ebenso weh tat, wie sie von einem Könner der verbalen Kriegsführung herrührte: "Netter Versuch, junger Barbar. Aber ist das wirklich alles? Du versuchst mich mit dem wenigen an Informationen zu treffen, was du während deiner Suche über mich zusammenkratzen konntest? Ist das wirklich alles? Sag mir, wie lange hast du gesucht? Dass kann nicht zu lange gewesen sein, denn sonst würde dir besseres einfallen als das. Ich sage dir etwas: und wenn ich hier in meinem Suff verkomme, ich habe es immernoch nicht nötig einem eifrigen Burschen, der noch keine zehn Jahre Haare am Sack hat, die Händchen zu halten, während er selbst sich in einem Löwenkäfig versuchen will? Geh nach Hause zu deiner Mutter, Junge, und lass mich in Ruhe. Was treibt dich schon an? Der Wille, es besser zu machen? Der Wille, der erste deiner Familie zu sein, der es wirklich schafft? Wer seid ihr schon? Wenn selbst die Acta euch großreden muss, könnt ihr nicht viel weiter als eure barbarischen Väter gekommen sein. Was seid ihr gewesen? Duumvirn? Magistrati? Vielleicht sogar Centuriones? Ich lach mich schlapp... wenn du es mit den Großen in Rom aufnehmen willst, Junge, dann musst du mehr sein als der bloße Willen, deinem eigenen Ego gerecht zu werden. Du musst durch Dreck kriechen, Staub fressen und Hilfe von denen annehmen, die du hasst, und die dich hassen, einfach nur, weil es andere gibt, die dich noch mehr hassen. Das hier ist nicht die Legion, hier erhält man sich nicht mit hohlen Phrasen von Ehre und Treue und Pflicht am Leben.. und du bist noch weit davon entfernt, das zu begreifen. Also störe nicht meine Kreise, Junge, denn in diesen Kreisen gehst du irgendwann genauso unter, wie ich es tat. Geh nach Hause."
Das saß. Tief. Vala musste stark an sich halten, um dem Mann seinen Weinkrug nicht sofort auf den Schädel zu knallen, doch er spürte, wie sein Gesicht heiß vor Wut und Scham wurde. Er stand auf, starrte den alten Mann, der dreisterweise noch siegessicher lächelte wütend an, und zwang sich unter Anstrengung eine einigermaßen feste Antwort hervor: "Und du redest immernoch, als wärst du einer derjenigen, die es geschafft hätten. Ich sage dir etwas, alter Mann, und höre mir genau zu: wo die anderen dich fallenließen, biete ich dir eine Hand, eine Möglichkeit, das wieder zu bekommen, was du einmal hattest. Und wenn du diese Hand ausschlägst, nur weil sie nicht zerfurcht wie die deine ist, noch weil sie nicht den Duft der Stadt Rom kennt, und auch, weil kein jahrhundertealtes Blut Roms in ihr fließt, dann bist DU der Narr von uns beiden, dessen sei dir gewiss."
Er raffte sich auf, und stürmte aus der Taberna, verzweifelt versuchend so gefasst wie möglich zu wirken. Das, was er nichtmehr mitbekam, war wie das Lächeln des Mannes erstarb.