'Non mortem timemus, sed cogitationem mortis.'
Oft schon hatte ich darüber nachgedacht, was Seneca uns damit hatte sagen wollen. Fürchteten wir uns wirklich nur vor der Vorstellung Tod zu sein? Fürchteten wir uns, weil wir dann diese Welt verlassen würden und unseren Geliebten Menschen nie wieder so nah sein konnten, wie wir es nur als lebende, atmende Wesen sein konnten? Oder fürchteten wir uns nicht doch vor dem Akt des Sterbens? Vor dem Schmerz, den ein gewaltsamer Tod brachte? Vor der Hilflosigkeit, die eine langsam dahinschleichende Krankheit in uns hervorrief? Was war es, dass wir wirklich fürchteten? Und wie kam Seneca darauf eine solche Behauptung in den Raum zu werfen? Vor vierzig Jahren hätte ich ihn noch fragen können.. Aber andererseits, war ich damals noch zu jung um über den Tod nachzudenken..
Aber jetzt, so kurz davor das Leben zu verlieren, ging mir eben jener Satz durch den Kopf. Nicht den Tod sondern die Vorstellung des Todes? Ich war mir nicht sicher, was ich wirklich fürchtete, ich wusste nur, dass ich mich in diesem Moment fürchtete. Aber hatte ich Angst vor dem Tod? Eigentlich nicht. Mein Leben war lang und erfüllt mit Freude und Leid, ich hatte vieles gesehen und vieles erlebt. Vielleicht hatte ich sogar ein erfüllteres Leben als viele meiner Mitmenschen. Hatte ich also überhaupt einen Grund den Tod zu fürchten? Nein, definitiv nicht. In diesem Moment fürchtete ich ihn nicht, sondern sehnte ihn mir eigentlich sogar herbei.
Aber dennoch, die Furcht blieb. Fucht vor dem, was mit meinem Tod kam. War es richtig, was ich tat? War es mein Schicksal oder war es wider dessen, was der Webstuhl für mich bereithielt? Wäre es nicht mein Schicksal, wäre ich aber nicht in der Lage es zu tun, oder doch? War das Schicksal wirklich unabwendbar, oder konnte man es überwinden und sich aus der Hand der Götter befreien um sein Schicksal dem eigenen Willen zu unterwerfen? Ich wusste, ich wollte es tun und ich wusste, ich würde es tun. Aber was würde passieren? Würde es nach sich ziehen, was ich erhoffte, oder würden die Götter mir einen üblen Streich spielen und meine Familie dafür ins Verderben stürzen? Ich hoffte so sehr, dass es kommen würde, wie ich es mir wünschte, doch viel Einfluss hatte ich darauf ja nicht mehr. Ich hatte alles so vorbereitet, wie es sein musste und konnte nur hoffen. Und bald würde ich selbst das nicht mehr in der Form tun können, in der ich es nun noch tat.
Doch abwenden konnte ich es nun nicht mehr. Es würde geschehen, so oder so, ob es gut enden würde, würde ich in dieser Welt nicht mehr erleben. Es würde geschehen, es musste geschehen. Fürchtete ich mich? Ja, das tat ich. Aber nicht vor dem Tod, sondern vor den Konsequenzen, die ich nicht beeinflussen konnte.
Doch es musste sein.
Ich würde es tun.
Ich musste es tun.
Ich hatte den Abend im Tempel der Tyche verbracht. Zuerst in Gesellschaft anderer Menschen, die hier waren Tyche zu verehren und zum Schluss allein, als alle anderen bereits den Heimweg angetreten hatten. Nun war es draussen dunkel, denn die Nacht war eingebrochen über Alexandria. Es war eine jener Nächte, in denen man die Sterne besonders klar sehen konnte und in denen der Geruch des Meeres noch intensiver durch die Strassen strich. Ich trat hinaus aus dem Tempel und blickte ein letztes Mal hinein. Ich stockte kurz, bevor ich mich dann vom Tempel entfernte um den Weg nach Hause zu beschreiten. Ich hatte es nicht sonderlich eilig und bewegte mich daher nicht sonderlich schnell.
Langsam ging ich über die offenbar menschenleere Agora, als ich hinter mir Schritte vernahm, wie sie für Caligae typisch waren. Ich blickte mich um und sah mehrere Männer, die offenbar gerade aus dem Schatten des Tychaions getreten waren und mir nun, in einiger Entfernung folgten. Ich blickte wieder nach vorne und ging im gleichem Tempo weiter und hörte weiterhin die Schritte, die mir folgten.
Dann jedoch hörte ich, wie sie schneller wurden und sich näherten. Ich blickte mich erneut um und erkannte nun, dass es sich bei den Männern tatsächlich um römische Männer handelte, deren Füsse in Caligae steckten und um deren Häften je ein Cingulum militare geschnallt war.
Da es sich um Römer handelte lief ich auch weiterhin im gleichen Tempo weiter, denn es war in diesen doch ein wenig unruhigen Zeiten ja durchaus möglich, dass römische Soldaten eine einsame römische Dame eskortieren wollten.
Doch diese Gedanken schwanden, als sie mich erreichten, denn die schwere Hand eines der Männer legte sich auf meine Schulter und zwang mich stehenzubleiben. Ich versuchte mich zu befreien, war der körperlichen Stärke jedoch unterlegen. Ich schlug um mich und versuchte jenen, der mich festhielt zu treten, doch der einzige Erfolg, der mir vergönnt war, war es ihm den Soldatengürtel abzureissen, der klirrend zu Boden fiel.
Dieser kurze Moment des Triumphs wurde jedoch sofort unterbrochen, als ich spürte wie die kalte Klinge eines Pugios in meinem Rücken bohrte. Ich schrie auf und stöhnte bei dem Schmerz. Ohne es groß zu beabsichtigen formte mein Mund die Worte:
Warum?
Ich sollte sogar eine Antwort erhalten, denn einer der Angreifer sagte laut und deutlich Weil unser Praefect es so will. Du hättest dich nicht mit ihm anlegen sollen.
Viel spürte ich nicht mehr, denn der Stoß mit dem Pugio war offensichtlich von einem geübten Kämpfer ausgeführt worden, jedoch merkte ich noch, wie einer der Männer meine Kleider zerriss, während das Leben aus meinem Rücken herauslief. Es war nun vorbei und ich hatte tatsächlich keine Angst vor dem Tod gehabt, doch dies würde niemand erfahren.
Genauso wenig würde jemand erfahren, was hier in dieser Nacht tatsächlich passiert war. Zumindest nicht allzubald.
Was man finden würde, war eine ermordete Römerin, noch dazu eine Würdenträgerin der Stadt, die mitten auf der Agora in ihrem eigenen Blut lag. Ihre Arme waren weit ausgestreckt, so dass die Position stark an jene erinnerte, in der ein Gekreuzigter sein Ende fand. Ihre zerfetzten Kleider gaben den Blick auf ihren Körper frei und in ihren Bauch waren die Worte 'HURE ALEXANDRIAS' eingeritzt. Das Fehlen größerer Blutmengen an ihrem Bauch deutete darauf hin, dass zumindest dies erst nach ihrem Tod getan wurde.
Neben ihr auf dem Boden würde man einen römischen Militärgürtel finden und von der Blutlache fort führten die blutigen Abdrücke römischer Militärstiefel, die jedoch nach wenigen Schritten bereits verblassten.
Die Wahrheit hinter all dem, nämlich, dass es sich bei jenen Römischen Angreifern nicht um Soldaten der hiesigen Legion handelte, die im Auftrag ihres Praefecten jemanden beseitigten, sondern lediglich um, vom Opfer selbst, angeheuerte Auftragsmörder in entsprechender Verkleidung, dass würden erst genauere Ermittlungen ans Tageslicht bringen.
Cyprianus: es war nett mit dir zu spielen. Ich hoffe dieser kleine Abschiedsgruß gefällt dir wenigstens ein Bisschen.