cubiculum MAO | Ein Brief und seine Folgen

  • "Ein Brief für Dich, Dominus Orestes.", rief das Soffchen aufgeregt, als ob es etwas besonderes war, dass Orestes einen Brief bekäme, als sie diese Schriftrolle, die viel in Orestes Leben verändern würde zu ihm brachte. Sie musste ein gutes Gespür haben, was Orestes ihr bisher nicht zugetraut hätte, den zu diesem Zeitpunkt konnte ja niemand wissen, was für ein Brief es war, den Orestes nun in die Hand gedrückt bekam.


    "Ist ja gut. Wird schon nichts aufregendes sein.", sagte er und meinte dies auch so. Also setzte er sich und öffnete den Brief. Als er die Absenderadresse las, rief er Soffchen hinterher: "Bring mir etwas Wein - ungemischt!", denn es musste wohl doch etwas aufregendes sein. Zumindest etwas, was ihn aufregen würde. Seit Jahren hatte er nichts mehr von ihr gehört. Das schlechte Gewissen war gewachsen und auf einem aushaltbaren, aber doch recht hohen Niveau stehen geblieben. Der Kontakt war eingeschlafen, oder besser eingefroren. Und nun dies. Aus heiterem - nun ja winterlich trüben - Himmel - ein Brief. Ein Brief seiner Mutter.


    Er wollte das Siegel schon aufbrechen, aber er besann sich und wollte warten bis das Soffchen ihm Wein brachte, damit er sicherheitshalber ein paar Schlucke trinken konnte, bevor er diesen Brief las. Also legte er die Schriftrolle auf dem kleinen Tisch neben dem Sessel, in den er sich hatte fallen lassen. Die Sklavin kam und brachte den Wein - warm und gewürzt. Das hatte er zwar nicht verlangt, aber es war eine gute Idee. "Du kannst jetzt gehen, Sofia", sagte er und schenkte sich selbst den Wein ein. Er trank. Nun wurde es also wieder einmal Zeit sich der Wahrheit des eigenen Lebens zu stellen und nicht immer nur in Arbeit und Politik zu versinken, um sich vor dem eigenen Leben zu drücken, dachte er und nahm dabei die Rolle in die Hand, drehte sie ein paar Mal hin und her und zerbrach das Siegel.


    Ad Manius Aurelius Orestes
    Casa Aurelia
    Roma


    Salve Manius,


    es wird Dich verwundern, dass ich Dir diesen Brief schreibe. Unser Kontakt miteinander ist in den vergangenen Jahren zunehmend eingeschlafen. Dies bedauere ich zutiefst, denn auch Dein letzter Besuch ist nun einige Jahre her. So vieles ist geschehen, das ich hätte verhindern können. Fehler und Vorwürfe die zwischen uns stehen, mein Sohn. Vieles Bedauere ich, aber ich hätte wohl immer wieder dieselben Entscheidungen getroffen. Manche Dinge hätte ich wohl anders gemacht- Und auch wenn Du es mir nicht glauben willst: Ich bin stolz auf Dich. Trotz aller Widrigkeiten ist ein guter Mensch aus Dir geworden!
    Doch genug von den Fehlern der Vergangenheit. Es wird Zeit, dass die Familie wieder näher zusammen rückt; Dass wir zusammen stehen, wie es sich gehört.
    Aus diesem Grunde schicke ich Dir Deine beiden Schwestern nach Rom. Leider werde ich sie nicht begleiten können, denn für solche Reisen bin ich inzwischen zu alt.
    Schweren Herzens lasse ich sie ziehen, meine kleinen Lämmchen. Aber es wird Zeit, dass sie lernen, dass das Leben nicht nur aus Sorglosigkeit besteht. Sie sind gute Mädchen und Du wirst sicher in vielen Dingen überrascht von ihnen sein. Lass Dir aber nicht von ihnen auf der Nase herum tanzen, denn sie neigen doch hin und wieder zu Übermut.
    In einigen Tagen werde ich sie auf die Reise schicken. Pass gut auf sie auf und heiße sie herzlich Willkommen in Rom, wie es sich gehört. Grüße auch Marcus Aurelius Corvinus von mir, da sie ja in seinem Haus leben werden. Du brauchst dir keine Sorgen machen, sie sind wohlerzogen und werden uns keine Schande machen.


    Liebste Grüße,
    Deine Mutter Lucretia Lucilla



    Er las den Brief. Einmal. Zweimal. Dreimal. Das Durcheinander der Gefühle war stark, zu stark, um einen klaren Gedanken zu fassen. Er legte den Brief beiseite und trank den Wein aus. Dabei schaute er auf den kleinen wärmenden Kohleofen und wartete bis sich das Gewusel aus Freude, Wehmut, Stolz, Trauer, Hoffnung, Ohnmacht, Glück und Angst sich beruhigte.

  • Er sich nicht erinnern wie viel Zeit vergangen war. Auf jeden Fall waren einige Sklaven gekommen und hatten die Kerzen und Öllampen entzündet, in diesen kalten Wintertagen ein Zeichen, dass es bald kühl werden würde. Deshalb würden die Sklaven nach einiger Zeit zurückkommen und den Ofen wieder auf eine ordentliche Temperatur bringen.


    Manius Aurelius Orestes saß immer noch in seinem Korbsessel und sinnierte. Als es nun - durch den Kerzenschein - wieder etwas heller geworden war, nahm er den Brief, den ihm ganz überraschend seine Mutter geschrieben hatte, wieder in die Hand und las ihn ein weiteres Mal und kommentierte ihn innerlich: "es wird Dich verwundern" - tatsächlich, Mutter, verwundern ist nett ausgedrückt, für das innere Chaos, das dieser Brief auslöst, Unser Kontakt miteinander ist … eingeschlafen. Dies bedauere ich zutiefst." - kann ich Dir das Glauben? Du bedauerst es? Siehst Du etwa ein...dass? "So vieles ist geschehen, das ich hätte verhindern können. Fehler und Vorwürfe die zwischen uns stehen," - und warum hast Du es nicht verhindert? Warum bist Du aufs Land gegangen und hast Deinen Sohn, der noch nicht einmal die Bulla abgelegt hat, mit seinem Vater, Deinem Mann allein gelassen? Und so haderte er mit seiner Mutter, bis diese Stimmung ihn verließ, als er las, dass sie schrieb "Ich bin stolz auf Dich.", und er verstand, dass sie es ernst meinte, was sie dadurch unterstrich, dass sie Narcissa und Flora nach Roma schickte.


    Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Flora, Narcissa - sie müssten ungefähr das gleiche Alter wie Arvinia haben. Das könnte ja lustig werden. Vielleicht würde es das sogar wirklich. "Bene.", sagte er, "dann werden wir wohl mal die Zimmer vorbereiten müssen. Aber zuerst sollte wohl Marcus davon erfahren...


    Dann ging er aus dem Zimmer, um Marcus zu suchen. Eine Antwort würde er morgen verfassen.

  • Der Morgen kam. Er wollte, nein musste diesen Brief schreiben. Es war nicht einfach, aber die Pflicht es zu tun half ihm dabei sich selbst einen Schubs zu geben.

    M' AUR Orestes matri suae Lucr Lucillae s.p.d.


    Du wirst Dir denken, dass es mir nicht leicht gefallen ist, Deinen Brief zu lesen, noch weniger ihn zu beantworten, doch vielmehr gerade deshalb danke ich Dir. Mir wäre es auch in den nächsten Zeiten kaum gelungen, mich zu überwinden und die Mauer des Schweigens, die sich zwischen uns langsam immer höher auftürmte zu durchbrechen. Deswegen ist es gut (ich schriebe gerne ...deswegen freue ich mich... aber dafür ist das alles noch zu neu), dass Du diesen Brief geschrieben hast.


    Flora und Narcissa sind hier herzlichst willkommen. Wir bereiten alles vor, so dass Du sie losschicken kannst. Beinahe möchte ich sagen ist es schade, dass sie nicht schon bei uns sind. Sie - und auch Du - Ihr habt damit einen wichtigen Tag für mich verpasst, weil wir meine Sponsalia mit einer Tiberia verkündet haben - die ungefähr im Alter der Zwillinge ist, ich wünsche mir, dass das gut klappt.


    Über die Pläne, die Deine Töchter, meine geliebten Schwestern haben, werden die beiden mich sicherlich schnell unterrichten... In der Hoffnung die beiden hier bald begrüßen zu dürfen, verbleibe ich, Dir versprechend, dass wir nun den Kontakt halten können.
    Vale bene.


    Es war ein merkwürdiger Brief, mit wenig Emotionen nur hier und da schauten sie heraus und zeigten sich kurz, nur aber um gleich darauf wieder zu verschwinden. In den letzten Jahren war Orest froh gewesen kein großer Familienmensch zu sein. Er wusste, dass sich dies nun ändern würde.


    Nachdem er den Brief noch einmal gelesen hatte, siegelte er ihn und gab ihm einem Sklaven, der ihn persönlich und umgehend überbringen sollte.

  • Die Zeit verging und Orestes wurde immer mehr bewusst, dass dieser Brief sein Leben stärker verändern würde als vieles, was zuvor passiert war. Die Blümchen... tatsächlich würden sie bald ankommen.


    Es war also Zeit vergangen, als Soffchen - hatte sie eigentlich nichts anderes zu tun? - wieder hereinplatzte und ihm eine weitere Nachricht überbrachte. Besser gesagt ein kleines Billet mit einem Anhang von ein "paar Dingen", die den Blümchen vorausgeschickt wurden. "Bene, bringt alles in die Zimmer, die für sie vorbereitet sind. Und besorg ein paar Blümchen - äh Blumen. Die Zimmer werden ab morgen, spätestens übermorgen bewohnt werden."

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