Der Raum war dunkel. Keine Kerzen waren hier, keine Kohlebecken, keine Lichtquelle. Die Fenster, durch welche Licht des Tages hätte eintreten können, waren abgehängt worden. Nur fahl leuchteten die Sonnenstrahlen durch den dunklen Stoff und boten gerade soviel Licht, dass man noch alles sehen konnte. Wenn man dunkle Mächte beschwor, einem zu helfen, musste der Raum dunkel sein.
Räucherwerk war bereits angezündet worden und erfüllte den Raum mit seinem scharfen Geruch, schwach glomm der Weihrauch vor sich hin und zog wabernd vom Hausaltar. Direkt davor auf dem blanken Steinfußboden lag eine einfache Bleitafel und daneben ein scharfes Messer.
Axilla trug ein einfaches, schwarzes Kleid. Die Haare waren offen und fielen ihr bis über die Schulterblätter in wilden Strähnen. Sie trug keinen Schmuck, keine Schminke, nicht einmal Schuhe. Barfuß ging sie über die kalten Fliesen bis direkt vor den Ara, um sich dort hinzuknien.
Im Hintergrund standen Leander und Levi, die Axilla aus Ägypten mitgebracht hatte. Sie sollten Zeugen sein, und außerdem würde Levi noch heute nach Alexandria reisen, damit das Ritual auch vollendet werden und sein Ziel erreichen konnte. Auch die beiden waren einfach gekleidet.
“Ihr zwei seid meine Zeugen, ja?“ fragte sie noch einmal mit todernster Stimme ihre Sklaven, die nur betreten nickten. Diese Situation war nichts, was einer von ihnen auf die leichte Schulter nahm. Es war eine ernste Angelegenheit mit ernsten Folgen, und einmal ausgesprochen konnte es nicht so leicht zurückgenommen werden.
Normalerweise wäre Axilla nicht so rachsüchtig. Eifersucht, Habgier, Rachsucht, Neid, das waren alles Eigenschaften, die ihr weitestgehend fehlten. Sie war nie besonders nachtragend, und wenn, dann normalerweise nicht lange. Meistens holte sie das schlechte Gewissen doch recht rasch ein.
Aber das hier war anders. Das hier war persönlich. So persönlich, wie es für Axilla nur sein konnte. Und ihr Herz schrie nach Rache, verlangte Blut. Und es reichte ihr nicht, ihn einfach als Strafe töten zu lassen, wie Urgulania getötet worden war. Nein, Axilla wollte ihn leiden sehen.
Sie hatte es nicht mit ihren Verwandten abgesprochen. Sie wusste, die würden sie wahrscheinlich beschwichtigen, und sie würde von ihrem Plan ablassen, ihnen zuliebe. Aber sie wollte das nun machen, sie wollte, dass es getan wurde, sie wollte, dass es geschah.
Sie nahm das Messer in die Hand, die Klinge nach unten, wie ein Mörder sie wohl halten würde. Vor ihr lag die Platte aus dünnem Blei, schwarz glänzend in der Dunkelheit des Raumes. Ganz vorsichtig fuhr sie mit dem Messer über die glatte Oberfläche. Die spitze ritzte ganz leicht in das weichere Metall und ließ es so zu, dass Axilla damit zeichnen konnte. Es war kein Kunstwerk, nur ein einfaches Strichmännchen. Ein runder Kopf mit ein paar Strichen als Haar, ein Strich als Körper, Arme, Beine.
“Ich rufe die Lemuren, die ruhelosen Seelen. Ich rufe die Laren, die Hüter des Hauses. Ich rufe die Manen, die Geister der Toten.“ intonierte sie zu Ehren ihrer Ahnen, die ihr helfen sollten.
“Ich rufe die Parzen, die das Schicksal weben. Ich rufe die Furien, die die Missetäter bestrafen. Ich rufe Nemesis, die blutige Rache. Dis Pater, Herr der Unterwelt, zu dir rufe ich in der Dunkelheit!
Götter, Geister, Mächte, seid meine Zeugen.“
Das Stichmännchen war fertig gemalt und Axilla hob ihre Hand mit dem Messer bis hoch über den Kopf, so dass es wirklich aussah, als wolle sie jemanden mit voller Wucht gleich erstechen.
“Ich verfluche Appius Terentius Cyprianus!“ Und das Messer ging nieder, trag zielgenau das Strickmännchen dort, wo bei dem, den es symbolisierte, wohl das Herz saß “Defigo!“