Am anderen Ende der Welt

  • Von Alexandria war die Reise zunächst nach Osten gegangen, an der Küste Judaeas und Syrias entlang. Caesarea, Tyrus und Aradus hatten sie angesteuert, und jedes Mal waren reichlich Waren verladen worden und das Schff hatte zwei tage in den Häfen gelegen. Es ging langsam voran auf dem wintergrauen Meer, aber es ging voran. Das Wetter war rau, und die meiste Zeit blieben Penelope und Panthea unter Deck in dem großen Bauch des Schiffes, der als Passagierkabine herhielt. Sie teilten sich den Platz mit noch sechs anderen, meistens Männern. Aber Penelope hatte einen großen ägyptischen Sklaven dabei, der über ihr Leben und das der Tochter wachte, und nicht zuletzt achtete auch der Kapitän peinlich genau darauf, dass seiner 'lebendigen Fracht' an Bord seines Schiffes nichts passierte, auch nicht von anderen Passagieren. Immerhin wollte er nicht im nächsten Hafen ans Kreuz geschlagen werden, und vollständig bezahlt wurde er auch erst nach der Reise.


    Während das Meer sich weiter aufwühlte und Poseidon unter den Wellen schwamm und diese teils zu großen Türmen aufpeitschte, fuhren sie an Asia entlang in Richtung Griechenland. Sie liefen Pathara und Rhodos an. Da sie auch hier wieder mehrere Tage Aufenthalt hatten, nahm sich Penelope ihre Tochter und verließ das Schiff, um die Stätte des Kolosses zu besuchen. Ehrfürchtig hatte sie vor dem gewaltigen Fuß des Kolosses gestanden, der noch immer auf seinem Sockel in den Himmel ragte, während der Torso in viele Stücke zerbrochen auf dem felsigen Grund rundherum lag. In kindlichem Eifer streifte Panthea umher und streichelte über die großen Bronzesücke, die den Herrscher von Rhodos in den Ruin getrieben hatten. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, wie das Weltwunder ausgesehen hatte, als es in seiner vollen Pracht vor vier Jahrhunderten erstrahlt war. Fast den ganzen Tag blieben sie auf der Stätte des vergänglichen Ruhmes und bestaunten die liegengelassenen Stücke, ehe sie zum Schiff zurückkehrten.


    In Griechenland schließlich blieben die beiden auf dem Schiff. Auch, wenn dies die alte Heimat einst gewesen sein mochte, die Griechen hier waren anders als die in Alexandria und sahen eine verheiratete Frau nicht gerne ohne Begleitung ihres Mannes auf der Straße, so dass Penelope gar nicht erst versuchte, Kontakte zu knüpfen.
    Schließlich wurde das Mare Ionicum überquert und an Sicilia vorbei ging es nach Ostia. Auf diesem kurzen Stück war der Winter am schlimmsten, es war kalt und regnete dauernd, und Wind peitschte gegen das Schiff, brachte es zum schlingern, dass den Passagieren ganz anders zumute wurde. Aber schließlich nach über 5 Wochen Fahrt gelangten sie im Hafen von Ostia an.

  • Es war früher Morgen, als das Schiff einlief. Die Sonne hatte kaum den Rand des Horizontes überschritten, aber ohnehin lag sie hinter einen dichten, hellgrauen Wolkendecke, die ihr Strahlen in diffuses Licht verteilte. Im Hafen herrschte dennoch bereits reges Treiben, und ihr Schiff musste warten, bevor es einlaufen konnte. Als sie schließlich an ihren Steg gelotst wurden, kamen auch die Passagiere an Deck.


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    “Mama! Mama! Schau mal, da! Ist das nun das Rhomäerland?“ Panthea konnte kaum über die Reling schauen, nur, wenn sie sich ganz auf die Zehenspitzen stellte und am Holz des Schiffes dabei festhielt. Für ihre drei Jahre redete sie schon sehr viel und sehr flüssig, und neugierig wie das Kind nunmal war, wollte es auch alles wissen und hatte hundert fragen.


    Penelope lächelte zu ihrer Tochter hinunter und nahm sie leicht auf den Arm. Ganz kurz ächzte sie beim hochheben. Die Zeit, in der man das Kind ganz einfach überall hintragen konnte, waren langsam vorbei. Noch war die kleine leicht genug, aber sie wuchs beständig, so dass man ihr dabei fast zuschauen konnte. Penelope stützte die kleine leicht an ihrer Hüfte ab, wo diese instinktiv die Beine leicht an die Mutter presste, um so besseren Halt zu haben.
    “Ja, das ist Italia. Der Hafen da ist Ostia. Und heute Abend sind wir dann in de Stadt Roma.“
    “Und da kommen die Rhomäer her?“
    “Naja, nicht alle, aber ja. Das ist die Polis der Rhomäer.“
    “Ist das weit weg von Alexandria?“
    Penelope lächelte ihre Kleine an. Man könnte fast meinen, die lange Reise wäre nicht gewesen, wenn man dem Kind so zuhörte. Aber Dinge wie Größe, Alter und Entfernung waren noch Abstrakte im kindlichen Denken, ohne wirkliche Bedeutung. Dinge wie 'morgen' waren noch gleichbedeutend mit 'später', Monate oder Jahre hatten keinen großen Unterschied. Es war entzückend, soviel unwissende Unschuld im Arm zu haben.
    “Ja, das ist weit weg von Alexandria. In Rom wohnt der Basileus. Vielleicht können wir ihn sogar einmal sehen.“
    Jetzt machte das Mädchen große Augen und schaute ganz fasziniert auf Ostia, ganz vergessend, dass das ja nicht Roma war und ein Vielleicht keine definitive Angabe war. “Au ja. Und Apollo und Pan und Zeus.“
    “Naja, die vielleicht nicht, die weilen nicht unter Sterblichen.“
    “Und Herakles?“
    “Den wohl auch nicht.“ Jetzt musste Penelope langsam lachen, was Panthea eher instinktiv erwiderte.


    Das Schiff legte an und sie konnten von Bord gehen. Nach der langen Zeit auf See waren die ersten Schritte bei allen wackelig und unsicher, aber außer Panthea hatte Penelope nur Harmonia zu tragen, der Rest wurde von den Matrosen und Hafenarbeitern nach und nach vom Schiff gebracht. Schließlich bekam der Kapitän noch den zweiten Teil seiner Bezahlung in Form eines Wechsels, den er bei seiner Rückkehr nach Alexandria in bare Münze umtauschen konnte – oder eben hier mit einem anderen Kapitän, der nach Alexandria fuhr.
    Der Sklave eilte, für seine Herrinnen einen passenden Untersatz für das Gepäck und die Reise nach Rom ausfindig zu machen. Aber so eilig hatte Penelope es gar nicht. Zielsicher ging sie zu einer Gruppe Tagelöhner. “Chaire! Ich suche...“ begann sie automatisch auf Koine, ehe sie sich entsann, dass diese Barbaren wohl kein Griechisch egal welchen Dialektes sprechen würden. Sie räusperte sich einmal und begann von vorn in der Sprache der Rhomäer. “Ich suche einen Boten, der nach Rom vorausreitet zur Villa Aurelios und eine Botschaft überbringt.“
    Zuerst sahen die Männer sich kurz an, woraufhin sich vier meldeten. Penelope suchte sich den aus, der ihrer Meinung nach am wenigsten verschlagen aussah, und schickte die anderen mit einer Handbewegung wieder weg.
    “Ich möchte, dass du sie informierst, dass Penelope Bantotakis aus Alexandria in Ostia angekommen ist und am Abend in Rom sein wird.“
    Penelope holte den im Gürtel ihres Chitons gut versteckten, flachen Beutel mit Münzen hervor und holte ein paar davon heraus. Gute Silbermünzen, zwei Tetradrachmen. Sie beobachtete genau die Gier in den Augen des Mannes, während sie die Münzen auf ihrer Hand hielt. Sie hielt sie ihm entgegen, schloss aber die Hand, als er danach greifen wollte.
    “Wenn du die Nachricht überbracht hast, wirst du uns entweder hier oder auf dem direkten Weg nach Roma antreffen. Dann erhältst du noch einmal die gleiche Menge, wenn du Antwort bringst. Kannst du dir die Nachricht merken?“
    Gier stand in den Augen des Mannes, und er nickte. “Ja, Penelope Bantokis ist am Hafen von Ostia und wird am Abend ankommen.“
    “BantoTAkis, nicht Bantokis. Penelope Bantotakis.“ Streng sah die junge Griechin ihr gegenüber an und hielt noch immer die Hand verschlossen.
    “Ja, Herrin. Bantotakis, verzeiht.“
    Noch einen Moment zögerte Penelope, dann öffnete sie die Hand und gierig nahm der Mann die Münzen an sich. Es dauerte keine drei Sekunden, bis er meinte, sich muckieren zu müssen.
    “He, das sind keine Denari!“, maulte er.
    Streng blickte Penelope diesen in ihren Augen Ungebildeten an. “Es ist Silber. Beiß drauf und schmeck es, wenn du es nicht siehst. Ist es wichtig, in welche Form es geprägt wurde?“ Nichtmal Drachmen kannten diese Barbaren scheinbar.
    Der Mann zögerte einen Moment, dann nickte er und trollte sich. Penelope konnte erkennen, dass er im Gehen tatsächlich die Münze einmal zum Mund führte und hineinbiss. Sie verkniff sich ein Kopfschütteln und wandte sich wieder dem wartenden Sklaven und der Tochter zu.
    “Was macht der Mann, Mama?“
    “Der sagt Bescheid, dass wir kommen, Schatz. Aber erstmal gehen wir in eine Therme, baden uns und ziehen uns um.“
    Der Gesichtsausdruck von Panthea schwankte zwischen einem 'Au ja!' und einem 'Ih, baden!'. “Wir wollen doch gut riechen und hübsch aussehen, wenn wir die Aurelier besuchen, nicht?“
    Etwas widerwillig nickte die Kleine dann, ganz überzeugt war sie noch nicht. Penelope gab ihrem Sklaven noch ein paar Münzen in die Hand und die Anweisung, alles auf einen angemieteten Wagen mit Kutscher verfrachten zu lassen, ehe sie sich den Weg zur Frauentherme weisen ließ.

  • Es war nicht weiter schwierig, sich zu der nächsten Therme, in der Frauen Zutritt hatten, durchzufragen. Und so war Penelope mit ihrer kleinen Tochter in die römische Anlage gegangen, die zwar nicht so gewaltig, aber schön ausgestattet war. Am Eingang ließ sie ein paar kleine Münzen klimpern, und schon waren sie herinnen.
    Schnell war die Kleidung auch soweit abgelegt und sicher verstaut, und nur mit einem Tuch, das von einer Sklavin gereicht wurde, bewaffenet, wurden die Becken aufgesucht. Penelope hatte nicht vor, alle Becken zu besuchen, ihr ging es vornehmlich darum, sich und die Tochter zu säubern und den Geruch der Schiffsreise loszuwerden. Wochenlang mit anderen Menschen auf engem Raum bei feuchtkalter Seeluft eingesperrt zu sein war nichts, was sie den Nasen ihrer Gastgeber zumuten wollte. Und so suchte sie ein warmes, aber nicht heißes Becken und stieg hinein. Auch wenn Panthea sich ein wenig zierte, hineinzusteigen, schließlich hörte sie doch auf die Mutter. Und kaum war sie im Wasser und konnte etwas planschen, war auch schon die eigentliche Abneigung gegen das Baden vergessen.


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    “Mama? Sind da noch andere Kinder?“ fragte die Kleine schließlich irgendwann, während Penelope sich gerade ein wenig entspannt auf ihrer Bank zurücklehnte und einweichen ließ, ohne dabei das Kind aus den Augen zu lassen.
    “Das weiß ich nicht, Panthea. Aber das werden wir sicher sehen. Aber bestimmt findet sich jemand, mit dem du spielen kannst.“ Penelope hatte dahingehend eher weniger Bedenken. Nach den Erkundigungen, die sie über die Aurelier eingezogen hatte, war es eine sehr noble und wohlhabende Familie. Die würden zur Not sicher einen Sklaven auch entbehren können, der mit ihrer Kleinen ein wenig spielte, wenn sie an der Schola unterrichtete. Soviel Organisation traute Penelope selbst den Rhomäern zu.
    “Aber ich weiß nicht, ob die griechisch sprechen.“
    Panthea planschte noch ein wenig weiter und überlegte dabei so angestrengt, dass man ihr dabei zuschauen konnte. “Sind das Barbaren, Mama?“
    “Nicht alle, Schatz, aber viele, ja“, antwortete Penelope ihrer Tochter und meinte damit das Wort in seinem ursprünglichsten Sinne. Jemand, der kein Griechisch sprach, war ein Barbar. Die zweite Bedeutung, dass er ungebildet war, kam erst in zweiter Linie und später, denn durch den Umstand, dass er kein Griechisch konnte, folgte logischerweise, dass er den großen Philosophen nicht lauschen konnte oder über ihre Lehren diskutieren konnte. “Aber das macht nichts. Dann reden wir einfach ihre Sprache. Kannst du das, Panthea?“
    Zuhause hatten sie verschiedenste Sprachen gesprochen. Meistens Koine, aber wenn Inhapy zu Besuch war, auch schon mal ägyptisch, oder wenn sie Gäste aus der römischen Bevölkerungsschicht gehabt hatten, eben Latein. Und so konnte Panthea in ihren jungen Jahren alles verstehen, soweit ein kleines Kind das konnte. Wenngleich beim Reden auch häufig an die eine oder andere Sprache erinnert werden musste, da Panthea den Unterschied nicht immer begriff und so ein fröhliches Mischmasch sprach und vor sich hinsang beim Spielen.
    “hmmhmm“ machte sie nur und freute sich am Anblick ihrer langsam schrumpelnden Finger.
    Penelope lächelte ihre Kleine an und nahm sie dann einmal knuddelnd in den Arm. Auch wenn Panthea den Grund nicht verstand, freute sie sich natürlich und schmuste ausgiebig zurück.


    “So, aber dann wollen wir uns mal fertig baden, damit wir bald ankommen“ meinte Penelope schließlich nach einer Weile und begab sich mit ihrer Tochter in einen anderen Bereich, um sich mit duftenden Ölen einreiben zu lassen, und anschließend auch noch frisieren. Bei dem wirren Lockenkopf der Tochter lief es darauf hinaus, dass unter ein paar kullernden Tränen die Locken einfach einmal ordentlich durchgekämmt wurden. Penelope selber ließ sich die Haare nach griechischer Art hochflechten und stecken. Für die neueste, römische Mode und irgendwelche Haartürme konnte und wollte sie sich nicht erwärmen. Sie war Griechin, mit Leib und Seele.


    Schließlich zogen sich die beiden an, in frische Kleidung, die sie extra mitgebracht hatten. Zwar waren die Chitons etwas luftig für das kalte Wetter, aber auch hier war Penelope nicht gewillt, sich in die engeren und dickeren römischen Tuniken zu zwängen.


    Frisch gewaschen, duftend und frisiert schließlich verließen die Beiden die Therme. Der Wagen war inzwischen fertig beladen und der Fuhrmann wartete auch schon auf seine Auftraggeber. Penelope reichte dem älteren Mann, der mit seinem wettergegerbten Gesicht wohl jeder Nationalität angehören mochte, die Tochter hoch auf den Kutschbock des Fuhrwerkes, ehe sie folgte. Es war ein einfaches Ochsengespann, gehalten durch ein hölzernes Joch. Penelope war noch nie mit einem Wagen irgendwohin gefahren, und so beäugte sie die Konstruktion etwas skeptisch.
    “Bis wann werden wir Rom erreichen?“ fragte sie den Fuhrmann.
    “Nicht lange. Drei, vielleicht vier Stunden. Wir werden vor der Stadt noch auf den Sonnenuntergang warten müssen, damit wir hineinfahren können, fürchte ich.“
    Penelope hatte davon gehört, dass tagsüber keine Wagen in der Stadt fahren durften, aber nungut. Es war Winter, die sonne ging früh unter. Es würde schon gehen. Sie nickte, und das Fuhrwerk setzte sich auch sogleich in Bewegung.

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