(vespertinum silentium heißt in etwa "abendliche Stille", lt. Onlinewörterbuch)
Eigentlich war es ungewöhnlich, dass Esther nichts zu tun hatte, und somit ein wenig Zeit für sich hatte. Die ganzen letzten Tage war sie durchgehend abgelenkt gewesen, stets zu Diensten ihrer neuen Herrin - und abends immer zu müde, um sich Gedanken zu machen. Dafür fand sie jetzt Zeit. Ihre domina speiste gerade, was nach Esthers Erfahrung, die die letzten Tage gebracht hatten, einige Zeit in Anspruch nahm. Das war Zeit, wertvolle Zeit, die Esther für sich alleine hatte, wo ihr niemand sagte, was sie zu tun und zu lassen hatte.
So war sie heute nur kurz in die Küche geeilt, um sich ihre eigene Mahlzeit abzuholen, und hatte diese gerade so schnell gegessen, dass es keine Aufmerksamkeit erregte, sie aber zügig fertig war - ihr erster selbstständiger Streifzug durch die scheinbar gigantische villa der Tiberier konnte beginnen. Da die Gänge allerdings relativ unspektakulär waren, und sie sich nur für die unglaubliche Größe begeistern konnte, blieb sie schnell am Peristyl hängen, dem großen, von Säulengängen umgebenen Hof, in dessen Mitte sich ein wunderschöner Garten wiederfand.
Langsam schlich sie über den Stein, betrachtete sich hier und da ein Mosaik. Als Esther sich vergewissert hatte, dass sich keine andere Seele ebenfalls in diesen Bereich der Villa verirrt hatte, traute sie sich den hortus zu betreten. Der gut gepflegte Grasboden fühlte sich gut an, trotz der momentan schwierigen Witterung. Wie lange war sie schon nicht mehr über Gras gelaufen? Wo fand man schon ein Fleckchen Grün in dieser riesigen Großstadt. Umso erstaunter war Esther, dass sie in der ›eigenen‹ Villa ein solches vorfand.
Dank des Winters, machte der Garten dennoch einen eher bedrückenden Eindruck. Die Zweige hingen hinab, einige Büsche trugen keine Blätter und keine einzige Blüte in Sicht. Doch Esther hatte eine Sitzgruppe, verborgen hinter mehreren - glücklicherweise immergrünen -, dichten Büschen entdeckt. Sogleich suchte sie jene auf, und ließ sich auf einer der Steinbänke nieder, wobei sie die Kälte eher weniger störte. Schnell versank sie in Gedanken, zudem verschmolz ihr Körper mit der Dunkelheit, da die Sonne bereits lange untergegangen war, und kaum Licht aus dem noch beleuchteten Säulengang durch die Büsche drang.
Freue mich über jeden weiteren Mitbewohner
edit: kleine Fehler verbessert.