Es hatte eine Weile gebraucht, bis Penelope einen Raum gefunden hatte, wo sie in Ruhe ein wenig arbeiten konnte. Panthea hatte sie nicht gänzlich ohne Sorge in die Hände der aurelischen Sklaven gegeben. Ihre Tochter mochte den Nubier sehr gern, und anscheinend war er wohl weitestgehend vertrauenswürdig, so dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Allerdings dann einen wirklich stillen Raum mit einigermaßen ansprechender Akkustik zu finden gestaltete sich schon schwieriger. Immerhin war sie Gast und wollte nicht einfach irgendwo eindringen, wo sie keinen Zutritt hatte. Die kalte Luft des Gartens wäre zwar ein interessantes Experiment gewesen. Penelope konnte noch nie mit unterschiedlichen Temperaturen den Klang von Instrumenten testen, zumindest nicht mit kalten Temperaturen. In Alexandria schwankte zwar auch die Temperatur, allerdings nur zwischen warm und sehr warm. Hier war es so kalt, dass manchmal der Atem kleine Wölkchen bildete, ein Phänomen, dass die Griechin fast schon erschreckt hatte. Aber sie wollte nicht so ungerecht sein, und wenn für ihre Tochter der Garten verboten war, würde sie ihn auch nicht betreten.
So hatte sie die anderen Räume des Oikos, des öffentlichen Teil des Hauses aufgesucht. Auch wenn diese Villa sich doch von einem typischen, griechischen Haus sehr unterschied. Kein abgetrenntes Gynaikon, kein wirkliches Andron, alles etwas verwischter und verbundener. Weniger nach Verteidigbarkeit denn vielmehr nach Ästhetik erbaut, kam es ihr vor. So war es nicht einfach, die Räume auszumachen, die als Allgemeingut galten, um unter jenen einen auszuwählen, wo sie niemanden störte und dessen Klang angenehm war.
Schließlich aber war sie in der Bibliothek gelandet. Penelope schritt zwischen den Regalen mit Büchern und Schriften hindurch. Kurz glitten ihre Augen über ihre Menge, die Sorgfalt, mit der sie gehegt wurden. Wenigstens waren diese Bewohner hier keine Barbaren, die den Wert von Büchern zu schätzen wussten. Vielleicht konnte sie ja ihren Gastgeber noch nach seltenen Exemplaren, die es in Alexandria nicht gab,f ragen, um die große Bibliotheke im Museion zu vervollständigen. Vielleicht Schriften und Zeugnisse der Stämme des Nordens, die nicht bis in den Hafen am Nil kamen. Nikolaos würde gewiss entzückt sein.
Aber später, zunächst einmal wollte sie etwas Ruhe und Muse. Sie suchte eine Sitzecke auf, die bei einem kleinen Tisch aus blankpoliertem, dunklen Holz stand. Dort legte sie einige Wachstafeln ab, ehe sie den Trageriemen von Harmonia löste und die Kithara vorsichtig abstellte. Sie befreite das teure Instrument von seinem samtenen Schutz und besah sich noch einmal den Raum. Sie zupfte eine einzelne Saite an, ließ den Klang im Raum schweben, lauschte auf die vielen kleinen Echos von den Wänden, das Murmeln, mit dem er verklang, das dumpfe Schlucken der Schriftrollen. Angenehm, ruhig. Man würde sie nicht im ganzen Haus spielen hören, und dennoch wurden die Klänge kaum verfälscht, erzeugten ein sanftes Vibrato in der Luft, ehe sie verklangen. Ja, hier konnte sie Arbeiten.
Auch, wenn man das Instrument allein schon seiner Größe wegen im Stehen spielte, ja bei Vorträgen und Symposien alles andere als unziemlich galt, setzte sich Penelope auf einen weichen Polstersessel und stützte Harmonia an ihrem Bein ab. Sie schloss einen Moment die Augen, suchte diese Melodie, die sie vergangene Nacht im Schlaf verfolgt hatte, versuchte sich an die Klangfolgen zu erinnern. Ganz langsam legten sich ihre schlanken Finger auf die Saiten, suchten den Anfang. Sie fühlte die Spannung in den Fingerspitzen, wo sie die Saiten berührte. Jeden einzelnen Finger hatte sie sich schon blutig gespielt, aber im Moment fühlte sie die elektrisierende Wirkung so deutlich, als wäre ihre Haut neu wie bei einem Neugeborenen.
Und dann spielte sie, ganz langsam, ließ die Töne fließen. Suchte die Melodie, die sie so lange hörte und nie zu fassen bekam. Nur ab und an setzte sie das Instrument ab, notierte ein paar Fragmente schnell auf dem Wachs, und spielte weiter, gedankenversunken.
Reserviert^^