[Alpes Maritimae] Cemenelum | Casa Prudentia


  • Hier, in Cemenelum, unweit des Strandes, der die Grenze zwischen mittelländischem Meer und den Bergen von Alpes Maritimae kennzeichnet, befindet sich, selbstredend im besseren Viertel dessen, was Cemenelum ausmacht, die Casa Prudentia der betreffenden Stadt. Hier residiert Cnaeus Prudentius Spurinna – alleine, nur mit zwei Sklaven.

  • Trist, von der Hoffnungslosigkeit, die über meinem Kopf zu hängen schien, angewidert, saß ich an jenem Schemel, den ich einst als junger Bursch selbst geschnitzt, und betrachtete trüben Auges meinen Geburtstagskuchen. Ein großes, aus Zucker gebranntes L lag oben auf, die Zahl 55 wiedergebend, und der leichten, luftigen Art zutrotz, in welcher Gestalt der Kuchen gebacken, konnte er mir nicht Erheiterung verschaffen. Ja, ich wusste, undankbar erschien ich gegenüber meiner Sklavin Doryphora, der Kuchen Bäckerin. Sie war ein gutes Mädchen, glaubte ich zumindest, herzensgut sogar. Ich glaubte, sie mochte mich ebenfalls. Dereinst tatsächlich schaffte ich es, sie zu überreden, mit mir ins Bett zu steigen – das mochte 1 Jahr her sein. Nur schaffte ich es nicht, das notwendige Maß an Mannbarkeit mir erwachsen zu lassen. Schlaff war meine Mannespracht, und man konnte Doryphora die Enttäuschung ansehen. Sie ist eine nette Frau. Und sie buk mir auch den Kuchen – doch erwähnte ich dies schon.


    55 Jahre. Vor 55 Jahren geboren, so man den Aufzeichnungen meiner Eltern Glauben schenkt. Me Hercle. Schon 55 Jahre auf der Welt, und das höchste Amt, das ich je bekleidet, war das eines Magistraten von Cemenelum. Einst scheiterte ich an der Wahl zum Duumvir, und wagte mich kein zweites Mal an die Politik – vielmehr zog ich mich aus ebendieser zurück, um von den Früchten dessen, was der Familiensitz hergab, zu leben. Als ich meinen 40. Geburtstag beging, gerade eben hatte ich damals die Lokalpolitik quittiert, war ich mir gewiss, dass der fünfundfünfzigste wonnig und heiter sein würde, man muss sich das vorstellen.


    Doch diese Hoffnung wurde mir geraubt, 2 Monate und 5 Tage vor meinem 49. Geburtstag. An diesem Tag verstab meine Frau. Eine Lungenentzündung raffte sie hinweg, in die Arme des Pluto hinein, mich alleine zurück lassend.


    6 Jahre, 2 Monate, 5 Tage war es her, dass mir alle Freude am Leben geraubt wurden. Sempronia Albinovana, selbstredend aus dem plebejischen, nicht dem patrizischen Zweig der gens Sempronia, war mehr als nur ein Eheweib, eine Geliebte, eine Angebetete – sie war eine Göttin von einer Frau gewesen. Ich scherze nicht, wenn ich dies sage. 29 Jahre waren es, die ich mit ihr verbracht. Wären es 28 Monate gewesen, 28 Wochen, 28 Tage, 28 Stunden nur – mein Leben hätte ich als erfüllt gesehen. Doch es waren 28 wundervolle Jahre gewesen.


    Ich sollte darob froh sein. Aber ich war es nicht. Betrübt wanderte mein Blick zur Tischkante, wo das Bild meiner Frau aufgestellt. Ein Lächeln zeigten meine Mundwinkeln, als ich ihre zarten, wunderschönen Züge am Bild erblickte.


    Albi, Liebstes...


    Mein Flüstern war kaum zu vernehmen. Nicht einmal der Sklave, der neben mir zu stehen geruhte, begierig darauf, weitere Wünsche seines Herrn entgegen zu nehmen, hörte sie. Sie waren nicht für ihn. Nur für mich und meine Albinovana, welche jetzt im Elysium zweifelsohne von den Göttern mit Nektar und Ambrosia gefüttert wurde.


    Ich entließ Luft aus meiner Nase, quasi wie um Frust abzustoßen. Dann erhob ich meine Hand, und ergriff ein Stück des Kuchens, welches Doryphora mir bereit gestellt. Es wanderte in meinen Mund. Es schmeckte, doch dies Gefühl widerspiegelte sich nicht in meinem leicht verhärmten Gesicht.


    Herr? Schmeckt’s nicht?


    Es ist die Stimme der holden Doryphora, welche trotz meiner Sympathie für sie niemals an Albinovana hinzugereicht. Ein Freund, Veturius Maturus, gab mir einst den Ratschlag:


    Hey, Spurinna, altes Haus, lass dich doch nicht so gehen, Mann! Ich weiß, dass mit der guten Albinovana war nich‘ so toll, ich meine, sie ist schon ne scharfe Tuss... äh, eine gute Gattin gewesen, aber, Mensch, da muss doch was dagegen zu tun sein! Schau, wir gehen zum Sklavenmarkt, ja? Such dir ne Sklavin aus, ich kauf‘ sie dir. Mit der kannst du dich dann vergnügen, und dann kannst du das alles vergessen, nich‘ wahr?


    Maturus war ein guter Mann, auch wenn seine Art zu sprechen seinem Cognomen eigentlich nicht zu entsprechen schien. Ich willigte ein, unsicher, ob dies die richtige Entscheidung gewesen. Zögerlich am Markt ward Doryphora ausgewählt, und sie war das Geld wert, welches Maturus für mich ausgegeben.


    Und trotzdem, eine Linderung meines Schmerzens hatte sie nicht herbeigeführt. Ich hielt es nicht mehr hier aus. Jeder Tag hier war eine Qual für mich. Ich musste weg. Musste.


    Doch, es schmeckt sehr gut, Doryphora.


    Ein Blick in ihre Augen. Ich rang mir ein Lächeln ab, bevor ich mich wieder dem Kuchen zuwandte. Noch ein Stück, und noch eines. Er war wirklich gut. Doch es gab Wichtigeres zu erledigen, als eines Kuchens zu frönen.


    Doryphora?


    Ja, Herr?


    Ich vertraue dir, weißt du das?


    Doryphora errötete.


    Das ehrt mich. Danke.


    Ich hüstelte.


    Und deshalb überlasse ich dir die Verwaltung meines Hauses in meiner Abwesenheit.


    Jetzt aber zeichnete sich Erstaunen auf ihren weichen, ebenmäßigen Gesichtszügen ab.


    Herr, du willst gehen?


    Ich nickte.


    Wohin denn?


    Nach Rom.


    Rom? Zu...


    Zu Tiberius Balbus, dem Prätorianerpräfekten, den ich meinen Neffen nenne.


    Aber wieso?


    Ich starrte sie an. Verwundert, sowie ich mit leicht steigernder Stimmlautstärke nun sprach.


    Wieso? Das siehst du. Ich vergammele hier. Ja, vergammeln, ein unziemlicher, doch richtiger Ausdruck. Ich versauere.


    Solche Wörter konnte ich sprechen, ich war zweifelsohne mit der Zeit gegangen! Doryphora blickte mich groß an. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Die ganze Zeit hatte ich nichts getan, keine Ambitionen gezeigt, keinen Ehrgeiz, aus Cemenelum herauszukommen. Einmal war ich in Rom gewesen, mit Albi. Alle hatten damals auf uns geschaut, und sich gefreut, welch liebes, verliebtes Pärchen wir waren - obwohl damals schon 15 Jahre lang verheiratet.


    Du siehst mich hier, als 55-Jährigen, der nichts erreicht hat in seinem Leben, nichts! Nicht einmal Duumvir bin ich geworden!


    Ich stand auf und ächzte, als ein Schmerz durchs Bein mir schoss. Die Nachwirkungen des Jagdunfalles, den vor 3 Jahren ich gehabt. Seither war der Stock mein ständiger Begleiter.


    Ich werde das ändern. Jetzt. Sieh mich an, was siehst du?


    Einen Mann im Herbst seines Lebens...


    Leicht erbost waren nun meine Worte an dieser Stelle.


    Nein! Ich bin nicht alt, noch nicht! Ich habe noch Zeit, das alles aufzuholen, was in der Blüte meiner Jugend ich versäumt! Ich werde es dir zeigen! Ich werde es allen zeigen! Ich bin noch lange nicht abgeschrieben! Ich werde nicht ins Elysium eingehen als Mann, der nichts erreicht hat. Wie soll ich mich vor Albinovana hinstellen? Nein, ich werde beweisen, was ich kann!


    Doryphora hatte solche Töne von mir noch nie gehört, und starrte noch immer. Ich begann zu grinsen, wie seit über 6 Jahren nicht mehr.


    Bald wirst du schon von meinem Ruhm hören! Bald wirst du die Leute von der Vorzüglichkeit und dem unvergleichbaren Erfolg des Cnaeus Prudentius Spurinna singen hören! Doch jetzt entschuldigt mich, ich muss Vorbereitungen treffen, meiner baldigen Abreise bezüglich.


    Und ich begab mich in mein Zimmer, den Kuchen stehen lassend. Später sollte ich ihn aber noch verzehren, ich verschwendete kein Essen. Ohne Stock ging das Gehen über kurze Distanzen noch, über längere jedoch war es unerträglich; in jenen Momenten war es unumgänglich, ebenjenen zur Hand zu haben. Doryphora und der andere Sklave – Caradog, ein Britannier – blieben und schauten sich blöd an.


    Was war das?, fand Doryphora ihre Sprache wieder. Caradog schüttelte seine Mähne, die er Haar nannte.


    Ich weiß nicht, wie man es auf Latein nennt. Aber bei uns in Britannien nennt man es...


    Er nannte ihr den Ausdruck.


    Mit-Leif-Krei-Sis?


    Caradog nickte nur stumm.


    Und wenige Tage später legte ich mit Sack und Pack aus Cemenelum ab, auf einem Schiff gen Ostia. Nur begleitet von meinem treuen Hund, Tappo. Nicht jedoch ging ich, bevor ich nicht noch einen Brief nach Rom losgesandt...

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