• Von Athen nach Rom dauerte es über eine Woche. Eine Woche lang eingepfercht mit einem Haufen stinkender Mitreisender, die einem nette Konversation aufzwangen, deren belangloses Leben aber höchstens peripher von Interesse war. Oder anders gesagt, Sextus hatte keine Lust, sich mit den Nichtigkeiten des Lebens eines Händlers und seiner einundelfzig Plagen auseinanderzusetzen, oder zum zweiundzwölfzigsten Mal über das Wetter zu philosophieren.
    Ihn kotzte das alles an. Die Reise, die Aussicht, die Zukunft. Das juckte doch keine Sau, wie das Wetter war, oder wie es voran ging. Er fand es nur ätzend, hier um die halbe Welt zu segeln, um irgendeine Schnepfe zu heiraten und in Rom dann in die Politik einzusteigen. Was hatte sich sein alter Herr nur dabei gedacht? Er war nicht einmal der verdammte Erstgeborene, warum also sollte grade er aus dem gemachten Nest in der Provinz hinaus in die Politik geschmissen werden? Er fragte sich wirklich, wie sein Vater auf diese hirnverbrannte Idee gekommen war.
    Und dementsprechend war auch seine Laune, als er von Board ging, während sein Hab und Gut noch abgeladen wurde. Ein paar jämmerliche Sklaven hatte sein Vater ihm mitgegeben für seinen Komfort. Nicht mehr. Er reiste fast wie der einfachste Bauer durch die Gegend. Und das beste war ja noch: Sein Vater wollte die gesamte Baggage wieder zurückhaben! Die sollten ihm nicht dienen, die sollten ihn nur an einem Stück abliefern und dann wieder zurück. Als er einen Blick auf seine fleißigen Helfer warf, wie die seine Kisten von Deck schafften, sank seine Stimmung gleich noch ein wenig weiter.


    Er brauchte jetzt ein wenig Ablenkung. Sie waren erst mit der Abendflut in den Hafen eingelaufen, und Sextus hatte noch weniger Lust, nachts zu reisen, als er hatte, überhaupt herzukommen. Folglich würden sie ohnehin hier irgendwo erstmal übernachten, ehe alles bereitet war, um nach Rom weiter zu marschieren. Warum also den Aufenthalt hier nicht ein wenig angenehmer gestalten? Und er hatte schon sehr genaue Vorstellung, wie das aussehen sollte.
    Der Nachteil an einer Seereise war nämlich, dass man nicht nur Tage oder Wochen eingesperrt war. Der Nachteil war, dass es an Board keine vernünftigen Weiber gab. Und die, die es gab, durfte man nicht anfassen. Und wenn man sie anfasste, und sie es nicht wollten, war das Geschrei groß. Und wenn sie wollten, dass man sie anfasste, schafften sie es nicht, dabei so still zu sein, dass es nicht aufflog. Und wenn es aufflog, war das Geschrei groß. Also war Sextus zu außergewöhnlicher Enthaltsamkeit gezwungen gewesen, und das trotz zunehmend schlechter Laune. Und auf diesem beschissenen Kahn konnte man sich noch nicht einmal ausgiebig besaufen.
    Umstände, die geändert werden wollten. Und zwar sofort. Doch zum Glück war Ostia wie jede Hafenstadt: Die Bordelle waren nicht weit vom Hafen entfernt, um ankommende Kundschaft auch flott bedienen zu können. Es galt nur noch, das richtige zu finden.

  • Nach nur wenigen Schritten fand Sextus eine einladend wirkende Gasse. Einige der Lupae standen hier herum, in ihren langen, meist grellbunten Togen, geschminkt wie die Vögel. Dicke, rote Lippen, blauer Lidschatten bis hoch zur Stirn, so verrieten sie eindeutig ihren Stand. Da brauchte es gar nicht erst die herben Sprüche und anzüglichen Einladungen.
    “Hierher, Süßer. Komm, ich bin sauber. Komm mit mir mit.““Nein, vergiss die alte Schachtel, komm zu mir. Schau, wie fest meine Brüste sind. Komm her. Komm.“ “Nein, Hübscher, komm zu mir. Ich seh doch, wie stark du bist. Willst du mir das nicht zeigen?“ “Ach, was weißt du schon von Stärke? Mich hat mal ein Stier ... Und, bist du stärker als ein Stier? Hm?“
    Sextus lachte, als er an den Mädels vorbeischritt. Ja, das hier war schon eher nach seinem Geschmack als dieses enge, stinkende Schiff mit den feinen Dämchen, die so eifersüchtig bewacht wurden. Er besah sich in Ruhe die Ware, die hier vor den verschiedenen Lupanaren feilgeboten wurde, zog die eine oder andere prüfend an sich heran, ließ sie seine Bereitschaft fühlen. Aber keine gefiel ihm so recht. Nicht, dass das unbedingt eine Voraussetzung war. Man musste das Mädel ja nicht zwangsläufig anschauen. Aber wenn man schonmal die Auswahl hatte...dann doch bitte eine ohne Mundgeruch, die nicht nach fünfzig anderen Kerlen am heutigen Tag stank.
    Er ging weiter, bemerkte mit noch viel herzlicherem Lachen, wie die Blicke der Mädels immer zuerst zu seinen Schuhen gingen, ehe sie sich so richtig ins Zeug warfen. Offenbar gab es hier nicht so viel Besuch vom Patriziat. Umso besser für ihn. Er besah sich grad eine fesche, junge Blonde, als er ein zögerliches Stimmchen hinter sich ausmachte.
    “Nehmt mich, dominus! Bitte, ich bin besser als die da.“
    Beinahe hätte er das Stimmchen überhört, aber er drehte sich um und sah eine Frau, die ihre beste Zeit schon hinter sich hatte. Götter, die war älter als er! Was wollte er mit so einer alten Schachtel? “Und was will ich mit so einer alten Schachtel?“
    Die Frau schaute verunsichert hoch. Gott, nichtmal so wirklich hübsch war das Weib. Naja, häßlich auch nicht grade, aber die war geschminkt, als hätte ihr niemand gezeigt, wie eine Lupa das zu machen hatte. Viel zu wenig, von allem. Nichtmal vernünftig Bleiweiß im Gesicht. Und die Kleidung erst! Die sah eher aus wie eine Ehefrau auf der Suche nach ihrem Mann, damit der nicht das ganze Geld hier ließ und genug zum Essen blieb.
    “Ich hab Erfahrung, dominus. Und ich bin wirklich sauber. Und...“
    Venus, die hatte ja echt keine Ahnung, was sie zu tun hatte. Die stand einfach nur da, während sich in Sextus' Rücken die Blonde an ihm räkelte und nur durch einen sehr festen Griff um ihr Handgelenk davon abgehalten wurde, weiter nach seiner Börse zu suchen, um sie ihm abzunehmen.
    “Und wieviel soll mich der saubere Spaß kosten?“ Sextus musste beinahe laut loslachen, als er sah, wie das Weib so hoffnungsvoll zu ihm hochschaute und offenbar die Chancen hochrechnete.
    “Zwei Sesterzen, dominus, und...“
    “Zwei Sesterzen? Weib, du bist nichtmal zwei Quadrans wert! Wenn du mich ausrauben willst, mach es vernünftig, Lupa!“ Zwei Sesterzen, die Huren hatten Vorstellungen... Er wandte sich da lieber der jungen Blonden zu, deren Hand mittlerweile in seinen Schritt gewandert war.
    “Ich meinte zwei Asse. Dominus? Bitte, ich...“ Jammerte das Weib jetzt etwa auch noch? Er nahm seine Zunge aus dem Hals der Blonden und sah sich dieses jämmerliche Weib nochmal an. Götter, die war echt noch nicht lange in ihrem Beruf. Keine Hure bettelte ihre Freier an. Außer das waren diese speziellen Weiber, die darauf dressiert waren, zu wimmern und zu jammern. Die meisten Huren wandten sich einfach an den nächsten und gut. Vielleicht noch ein paar Beschimpfungen an den 'Nequissimus, der eh nicht Manns genug war', aber das war's auch.
    Sextus sah sie sich nochmal an und schürzte die Lippen. “Und wo?“ fragte er nach und schubbste die Blonde etwas unwirsch beiseite, als das Weib sich erdreistete, seinen Hals mit ihrer Zunge zu berühren. “Wenn du was ablecken willst, nimm nicht meinen Hals!“ fauchte er sie an und sah dann wieder zu der Frau.
    Die überlegte einen Moment. Einen zu lange für Sextus, der die Nase voll von ihr hatte und weiter ging. Wenn die nur hier an der Häuserwand ein paar Asse verdienen wollte, sollte sie sich nicht an ihn halten. Bisschen Luxus musste schließlich sein.
    “Bei mir daheim? Ich... es ist nicht weit, und es ist sauber. Nicht ein Bordell wie hier.“
    Entnervt drehte sich Sextus um, ging auf die Frau zu. Diese wich vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken an der Wand stand. Er drängte sich gegen sie, fasst sie hart an die Brust und kam ihr ganz nahe. Nun, sie roch sauber, das stimmte. Und hatte heute entweder noch keinen Kunden gehabt oder aber sich danach gut gewaschen. “Wenn wir nicht da sind, bevor ich die Lust an dir verliere, verprügel ich dich und lass dich liegen. Verstanden?“
    Er sah die Angst in den Augen der Frau, dann das ergebene Nicken. “Es ist nicht weit. Nur ein paar Straßen. Nicht weit, wirklich.“
    Vermutlich würde irgendein verblödeter Tölpel versuchen, ihn dort aufzuschlitzen. Aber das war auch sicher lustig, war eine Weile her, dass Sextus jemanden getötet hatte. Und sollte es schieflaufen, würde er schon die flavische Schnepfe nicht mehr heiraten müssen.
    “Gut, geh vor.“ Er ließ die Frau los und wies in eine Richtung.
    “Es... geht da lang“, ging sie natürlich in die andere Richtung los. Sextus hatte jetzt schon nicht übel Lust, sie zu prügeln und liegen zu lassen. Die Blonde wiederum hinter ihm benahm sich wie eine richtige Hure. “Ach, du Schlappschwanz! Steck dein Dingelchen doch in die da, wirst schon sehen, was du davon hast! Ich kann bessere haben! Und größere! Mistkerl!“
    Sextus hörte nicht einmal hin und folgte dem Weib nur, eine Hand aber am Messer an seiner Seite. Er kannte dieses Verhalten von den Freudenmädchen aus Achaia, da waren die hier auch nicht anders.
    “Mein Name ist übrigens Beroe.“
    “Weib, das ist mir scheißegal.“

  • Als Sextus das Haus der Frau wieder verließ, hatte er zwei Dinge wieder gelernt.
    Zum einen: Konsequenz hieß, auch Holzwege bis zum Ende zu gehen. Die Frau hatte ihn schon gelangweilt, ehe sie das Haus erreicht hatten, denn sie hatte ihm ihre halbe Lebensgeschichte erzählt, noch ehe sie zwei Straßen weit waren. Er hatte nicht zugehört und sie einfach reden lassen. Die meisten Frauen merkten nur dann einen Unterschied, wenn sie einen was fragten und der Kerl dann nicht die passende Antwort gab. Aber in seinem Fall war seine Antwort immer gleich ausgefallen: “Das ist mir egal, Weib.“
    Aber gleichgültig, wie sehr sie ihn eigentlich langweilte, er war jetzt schon mit ihr mitgegangen, da hatte er dann auch die Dienstleistung, die sie ihm angeboten hatte, in Anspruch genommen.
    Was dann zu der zweiten Weisheit führte: Man sollte nicht einkaufen gehen, wenn man Hunger hatte. Dann kaufte man nämlich Dinge, die man eigentlich gar nicht wollte, einfach, weil sie da waren, und wenn man dann alles verstaut hatte, merkte man erst, was man eigentlich getan hatte und wie unsinnig das war. So auch bei ihm hier. Er hatte ihr weh getan, einfach, um ihr weh zu tun. Absichtlich. Nicht, weil es ihm gefiel, wenn Frauen litten (wenngleich ihm dieser Umstand gerade bei bezahlter Dienstleistung herzlich egal war). Er war einfach wütend und frustriert gewesen, und der einfachste Weg, das an jemand anderem auszulassen, war die Frau gewesen.


    Hinterher lag sie also heulend auf ihrem Bett, und er sammelte seine Sachen ein und legte ihr einen Denarius auf den einzigen Stuhl im Raum. Nicht etwa aus schlechtem Gewissen, die Silbermünze war einfach die erste gewesen, die er aus seinem Beutel gefischt hatte. Und gleichsam würde das dafür sorgen, dass die Frau die Klappe hielt, immerhin war sie nun doppelt so gut entlohnt worden, wie sie ursprünglich gefordert hatte.


    Seine Toga saß nun nicht mehr ganz so elegant, und auch sein Haar war etwas wirrer. Aber es war Nacht, und er war ja auch in einer recht eindeutigen Gegend, da dachte sich niemand etwas dabei. Am wenigsten Sextus selbst.
    Er war noch immer frustriert und bei weitem nicht befriedigt. Ihm gefiel die Aussicht auf Rom absolut nicht. Er wollte wieder in sein gemachtes Nest zurück, wo er einfach nur in den Tag hineinleben und das Geld seines Vaters verprassen konnte. Ja, sicher, manchmal war es langweilig. Es gab keine wirklichen Perspektiven, nichts, was seinen Ehrgeiz wirklich ansprach. Aber musste man ihn deshalb gleich nach Rom schicken? Und verheiraten? Besonders letzteres störte ihn ungemein. Rücksicht nehmen auf ein Weib, das am Ende häßlich wie die Nacht war und außer dem Namen nichts zu bieten hatte. Und wahrscheinlich noch von dieser neuromantischen Welle vollkommen verblendet war, und erwartete, dass er ihr herzzerreißende Liebesschwüre leisten würde. Am besten noch mit Blumen in der Hand ein Gedicht trällernd. Allein bei dieser Vorstellung wurde ihm übel.
    Unwillig kickte er einen Stein weg und setzte seinen Weg fort. Er wusste, in welches Gasthaus seine Dienerschaft einkehren wollte, und es zu finden war nicht besonders schwer. Und wenngleich er vermutlich nur dank einer nicht näher definierten Menge Wein schlafen würde, so würden sie am nächsten Tag früh nach Rom aufbrechen. Und er sollte wenigstens ausgeruht und freudig aussehen, um gleich den richtigen Eindruck bei seinen Verwandten zu hinterlassen.

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