[Tablinum] Offene Worte

  • Auf dem Boden hockend sah Cimon zu Ursus auf und empfand die Situation zunehmend als angenehm. Die Überraschung des Herren aber ließ ihn ein wenig aufhorchen. Ruhig hörte er den Worten zu, denen er zu folgen sich vornahm. Kurz nickte er auf die Nachfrage. Wobei er sich leicht auf die Lippen biss. Den Namen zu verbessern, stand ihm in keinster weise zu. Aber vieleicht würde es angemessen sein, wenn er den Namen wiederholen und entsprechend betonen würde.


    "Ja...ich werde mit Phaeneas sprechen, Herr. Ich werde jede Entscheidung akzeptiern... Ich ..ich glaube das tue ich."


    Langsam sah er immer deutlicher, was er fühlte und doch schien es nicht einfacher werden zu wollen. Cimon merkte, wie froh er war, einen Herren zu haben...jemanden der Entscheidungen traf, der weise war und auf den man sich verlassen konnte. In seinem bisherigen Leben zuvor hatte er nur Besitzer. Nun hatte er einen wirklichen Herren. Dankbar neigte er den Kopf und sah auf den Brief.
    Ruhig stand er auf, wobei er Ursus mit den Augen zeigte, wie dankbar er war.


    "Verzeih, Herr. Ich wollte dich nicht zu sehr stören. Wenn du keinen Wunsch mehr hast, Ursus, ... so würde ich gerne weiter an dem Brief schreiben."


    Er ging nicht, sondern blieb abwartend stehen. Es war nicht seine Entscheidung, ob er würde gehen dürfen. Doch es störte ihn auch nicht. Es machte das Leben einfacher. Und so konnte er sich den, für seine Aufgaben, wichtigen Entscheidungen widmen.

  • Ursus lächelte zustimmend. "Ich bin sicher, Du bekommst die Angelegenheit in den Griff." Zumindest machte der Sklave auf ihn schon einen viel ruhigeren und gefaßteren Eindruck. "Du hast nicht gestört, Cimon. Du weißt, daß ich Deine Offenheit schätze. Und ich brauche nichts mehr, geh also Deinen Brief schreiben." War er zu weich? Zu nachgiebig? Erlaubte er seinen Sklaven zu viel? Die Episode mit Caelyn hatte Ursus dazu veranlaßt, darüber nachzudenken, was er vielleicht falsch machte. Doch er war immer noch der Meinung, daß Vertrauen von Vertrauen kam. Und er wollte ruhig schlafen können und auch seine Familie in Sicherheit wissen. Wenn seine Sklaven ihn nicht fürchteten, mußte er seine Sklaven auch nicht fürchten. Dieser Überzeugung war er jedenfalls noch immer.

  • Er war sich sicher? Bedeutete das nicht auch, das Ursus ihm vertraute? Ein weiteres Zeichen, das den Nubier mit Stolz und Ergebenheit erfüllte. Ruhig nickte er auf diese Worte hin, wobei er die folgenden Worte mit einem Lächeln erwiederte.


    "Ja, das weiß ich, Ursus. Ich danke dir Herr."


    Rasch aber ohne Hektik verließ er das tablinum und ging umgehend zu seinem Lager. Dort schrieb er jene Zeilen, die ihm zuvor so schwer gefallen waren. Es dauerte einige Zeit, bis er erneut den Raum betrat. Mit einem Lächeln und offensichtlicher Freude hielt er die Schriftrolle in Händen, die mit Wachs und dem eigenen Siegel verschlossen war. Seine Augen suchten seinen Herren, in der Hoffnung, das dieser noch da sein würde.

  • Mittlerweile hatte auch Ursus seinen Brief beendet, wollte ihn aber auch noch seiner Frau zum Lesen geben. Sicher würde sie noch etwas ergänzen wollen. Oder zumindest lesen und unterschreiben wollte sie ihn ganz bestimmt. Er legte also die Schriftrolle beiseite und griff nach einer anderen Schriftrolle. Nur selten hatte er Gelegenheit, rein zur Entspannung zu lesen. Und das wollte er zum Abschluß des Tages nun tun. Dazu griff er nach dem Becher und trank einen tiefen Schluck. Doch kaum hatte er den ersten Satz gelesen, tat Cimon ein, mit dem Ursus heute eigentlich nicht mehr gerechnet hatte. Der Sklave hielt eine Schriftrolle in der Hand. "Ist der Brief doch noch fertig geworden?", fragte Ursus lächelnd.

  • Zu spät sah Cimon das sein Herr lesen wollte. Ergeben neigte er den Kopf und blieb stehen. Sein Gesicht zeigte Nervösität und er sah verlegen auf, als Ursus fragte, ob der Brief doch fertig geworden war.
    Während er antwortete griff er nach dem Krug um Ursus nach zu schenken.


    "Ja, Herr... es war doch ... einfacher als ich dachte...ich war ehrlich und ... verzeih, Ursus, ich wollte dich nicht stören."


    Nachdem er verdünnten Wein nachgegeben hatte, wollte er sich am liebsten wieder auf den Boden hocken, ließ es aber im letzten Moment doch. Es war in seinen Augen unangebracht von ober zu seinem Herren zu schauen. Obwohl er niemals herabschaute. Es war noch immer der Nachhall von Atonis Regel, das der Nubier niemals größer sein durfte als der Grieche. Doch Ursus war so ganz anders. Ein Herr vor dem mann sich nicht fürchten brauchte, solange man die Regeln einhielt. Und diese Regeln erschienen dem Nubier bislang sehr einfach und gerecht.
    Lächelnd sah Cimon zu der Schrift, die Ursus lesen wollte. Er überlegte, was Phaeneas übte und erkannte, das sein Herr doch meist für sich las.


    "Dominus Ursus? Soll ich es dir vorlesen? Ich habe ....gehört, das das sehr entspannend sein soll."


    Er erwähnte lieber nicht, das er wusste, wie angenehm es war. Denn ihm hatte es sehr gefallen, Phaeneas zu lauschen. Der Vorleser musste nur auf die Betonung achten und flüssig lesen. Das würde er schaffen....zumindest hoffte er dies. Je nachdem, wie anspruchsvoll die Schrift war.

  • Ursus nahm wohlwollend zur Kenntnis, daß Cimon seinen Becher sogleich nachfüllte. "Vorlesen? Hm, auf solch eine Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Ich fürchte nur, dabei einzuschlafen. Aber versuchen wir es. Ich hatte gerade erst angefangen, also fang einfach am Anfang an." Ursus lehnte sich bequem zurück, legte sich auf die Cline und entspannte sich zusehens. "Nimm Dir auch etwas zu trinken, Cimon, vorlesen trocknet den Mund aus. Und mach es Dir beqeum."

  • Zufrieden über die eigene Idee nickte Cimon dem Herren zu. Er würde einschlafen? Der Nubier lächelte warm ob dieses Bildes.Verwirrung ergriff ihn kurz aber er nahm sich dennoch einen Becher, den er aber mit verdünnten Saft füllte.


    "Solltest du schlafen, wäre es doch ein gutes Zeichen für mich, Herr. Ich danke dir, Ursus."


    Der Nubier nahm die Schrift entgegen und setzte sich bequem auf den Boden, nachdem er sich zwei Kissen entsprechend legte. Es war eine automatische Handlung. Früher musste er immer auf dem Boden seines Herren hocken. Und nun empfand er es als äußerst zufriedenstellend und ausreichend für sich. Die Beine waren angezogen und gekreuzt, darauf legte er die Rolle, den Becher stellte er neben sich.


    Sein Lächeln zeigte, das diese Haltung für ihn mit nichten vergleichbar war mit der Demütigung seines früheren Lebens. Er fühlte sich wohl. Ungewohnterweise zeigte sein Gesicht dies sogar.
    Seinen eigenen Brief legte er unauffällig neben seinen Herren, um diesem die Wahl zu lassen, wie er damit umgehen wollte. Dabei neigte er ergeben den Kopf. Die ersten Worte las er noch ohne besondere Betonung, doch fragte r sich, was dahinter steckte...


    "Minos, oder über das Gesetz..."


    Das klang nicht nach leichter Kost. Kurz räusperte er sich. Dann las er im geiste die ersten Zeilen. Ein Dialog also... so überlegte er sich zwei stereotypen mit ihrer art zu sprechen und wollte von nun an den Gelehrten und dessen jungen Freund, der lernte, mit verschiedenen Stimmen darstellen. Dabei machte er auch leichte Gesten mit der freien linken Hand, um das Gelesene zu unterstützen. Die Namen las er dabei nur zu Beginn mit, um das Verständniss für den Text zu erleichtern. Danach versuchte er es allein durch die Stimme zu zeigen. Dabei versuchte der Nubier in einen guten Leserythmus zu kommen. Er war nicht besonders geübt, doch er strengte sich für seinen Herren durchaus an.



    SOKRATES: Was ist uns doch das Gesetz?


    FREUND: Nach was für einem Gesetz fragst du denn?


    SOKRATES: Wie? Unterscheidet sich denn irgend wodurch ein Gesetz vom andern eben in sofern es Gesetz ist? Denn erwäge nur recht was ich dich eigentlich frage. Ich frage dich nämlich als wenn ich dich fragte was Gold ist, und wenn du mich so weiter fragtest was doch für Gold ich meinte, so glaube ich du fragtest nicht recht. Denn es unterscheidet sich weder Gold vom Golde noch Stein vom Steine sofern dieser Stein ist und sofern jenes Gold ist, und eben so ist auch ein Gesetz vom andern um gar nichts unterschieden, sondern sie sind alle dasselbe. Denn ein Gesetz ist jedes von ihnen auf gleiche Weise, nicht das eine mehr, das andere weniger. Und eben hiernach frage ich nach diesem Ganzen was das Gesetz ist. Hast du es nun bei der Hand, so sage es.


    FREUND: Was also wäre das Gesetz wohl anderes, als eben das festgesetzte?


    SOKRATES: Dünkt dich denn auch die Rede das Geredete zu sein?
    Oder das Gesicht das Gesehene?
    Oder das Gehör das Gehörte?
    Oder ist die Rede etwas anderes und das Geredete auch?
    Und das Gesicht etwas anderes und das Gesehene auch?
    Und das Gehör etwas anderes und das Gehörte auch?
    Und das Gesetz also auch etwas anderes und das festgesetzte auch. So?
    Oder wie dünkt dich?


    (FREUND): Als etwas anderes erscheint es mir nun.


    (SOKRATES): Das Gesetz ist also nicht das festgesetzte?


    (FREUND): Nein, dünkt mich.


    (SOKRATES): Was ist nun wohl das Gesetz?
    Laß es uns so untersuchen:
    Wenn Jemand uns über das eben gesagte weiter fragte:
    Da ihr doch sagt, daß durch das Gesicht das Gesehene gesehen wird,
    was ist denn nun das Gesicht, womit gesehen wird?
    So würden wir ihm antworten, es ist diejenige Wahrnehmung welche durch die Augen die Farben offenbart.
    Und wenn er wiederum fragte, was ist denn das Gehör, wodurch Gehörtes gehört wird:
    so würden wir ihm antworten,
    es ist die Wahrnehmung, welche durch das Ohr uns die Töne offenbart.
    Eben so demnach wenn er uns fragte, da doch durch das Gesetz das festgesetzte festgesetzt wird,
    was ist denn nun das Gesetz, sofern dadurch festgesetzt wird?
    Ist es eine Wahrnehmung oder Mitteilung?
    So wie das Gelernte gelernt wird durch eine sich mitteilende Erkenntnis?
    Oder ist es eine Entdeckung, wie das Entdeckte entdeckt wird, was gesund ist zum Beispiel und ungesund durch die Heilkunde, und was die Götter beabsichtigen, nach Aussage der Wahrsager, durch die Wahrsagekunst?
    Denn Kunst ist uns ja wohl eine Erfindung der Dinge. Nicht wahr?


    (FREUND): Allerdings.


    Das letzte Wort betonte er besonders. Sodass die Pause, die folgte, da er trinken musste, wie eine Absicht klingen musste. Wie eine Aufforderung über das gesprochene nachzudenken. Er selbst dachte nach. Dabei nahm Cimon sich vor später irgendwann, wenn die Gelegenheit sich ergeben würde, mit Phaeneas darüber zu sprechen. Seinen Herren wollte er nicht in dessen Gedanken stören.

  • Es war in der Tat ungewohnt, solch einen Text vorgelesen zu bekommen. Zum einen war es interessant, es als Dialog mit unterschiedlicher Betonung vorgelesen zu bekommen, es gab dem Ganzen Leben und nahm ihm die Trockenheit der Theorie. Aber andererseits konnte man bei einzelnen Textstellen, die etwas schwerer nachzuvollziehen waren, nicht innehalten und die Stelle einfach noch einmal lesen. Es war gut, daß Ursus den Text gut kannte, so konnte er es genießen. Doch für sich erkannte er nun, daß er solche Texte lieber erst für sich las, als sie gleich vorgelesen zu bekommen.


    Cimon war noch ungeübt, das war zu bemerken. Doch er gab sich viel Mühe. Das eine oder andere Holpern war unvermeidlich und zwar auch störend, aber nur durch Übung konnte es ausgemerzt werden. Die Stimme des Nubiers war angenehm. Das Lesen war nicht monoton, sondern lebendig und durch Gesten unterstützt. Ja, es machte Spaß, ihm zuzuhören. Und fast noch mehr Spaß, seine Miene zu beobachten, wenn er das Gelesene verstand und sich seine Gedanken dazu machte. Es trat eine Pause ein, Cimon trank. Und sie war gut eingeleitet worden, regte zum Nachdenken an und langweilte nicht. Ursus lächelte zufrieden, wartete geduldig darauf, daß Cimon weiterlas.

  • Die Lesung schien Ursus zu gefallen und er lächelte sogar bei der Pause. Dies bestärkte Cimon in seinen Bemühungen. Auch wenn er seine eigenen Stocker erkannt hatte, wollte er diese doch minimieren. Unsicher sah er kurz auf, befeuchtete seine Lippen und fuhr fort mit der Schrift. Dabei bemühte er sich wie zuvor um einen möglichst lebhaften Vortrag.




    (S): Was also hievon wollen wir annehmen daß das Gesetz vornehmlich sei?


    (F): Diese Beschlüsse und Verordnungen dünkt mich. Denn was anderes könnte Jemand wohl sagen daß das Gesetz sei?
    So daß es scheint dieses Ganze, wonach du fragst, das Gesetz, ist der Beschluß eines Gemeinwesens.


    (S): Für eine im Gemeinwesen geltende Meinung, wie es scheint, erklärst du das Gesetz?


    (F): Das tue ich.


    (S): Und vielleicht erklärst du es vortrefflich. Besser aber werden wir es wohl so einsehn. Nennst du Einige weise?


    (F): Das tue ich.


    (S): Und die Weisen sind doch durch Weisheit weise?


    (F): Ja.


    (S): Und wie, die Gerechten durch Gerechtigkeit gerecht?


    (F): Allerdings.


    (S): Auch die Gesetzlichen durch Gesetz gesetzlich?


    (F): Ja.


    (S): Die Ungesetzlichen aber durch Ungesetzlichkeit ungesetzlich?


    (F): Ja.


    (S): Und die Gesetzlichen sind gerecht?


    (F): Ja.


    (S): Und die Ungesetzlichen ungerecht?


    (F): Ungerecht.


    (S): Und etwas ganz vortreffliches ist die Gerechtigkeit und das Gesetz?


    (F): So ist es.


    (S): Ganz schändlich aber die Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit?


    (F): Ja.


    (S): So daß jene den Staat und alles übrige erhalten, diese aber alles verderben und umstürzen?


    (F): Ja.


    (S): Als von etwas Schönem muß man also vom Gesetz denken, und als ein Gut es suchen?


    (F): Wie anders!


    (S): Und nicht wahr ein Beschluß des Staates behaupteten wir sei das Gesetz?


    (F): Das behaupteten wir.


    (S): Wie nun, sind nicht einige Beschlüsse gute, andere schlechte?


    (F): Das sind sie.


    (S): Aber doch ein Gesetz gab es nicht, das schlecht wäre?


    (F): Nein freilich.


    (S): Nicht richtig ist es also so ganz allgemein zu antworten, das Gesetz sei der Beschluß des Staates?


    (F): Nein wie mich dünkt.


    (S): Denn es würde nicht stimmen daß ein schlechter Beschluß ein Gesetz wäre.


    (F): Nicht füglich.


    (S): Indessen eine Meinung scheint mir selbst allerdings das Gesetz auch zu sein. Wenn nun nicht die schlechte Meinung, ist dann nicht schon offenbar, daß es die gute sein muß, wenn doch das Gesetz eine Meinung ist?


    (F): Ja.


    (S): Welches ist aber die gute Meinung? Nicht die wahre?


    (F): Ja.


    (S): Und die wahre Meinung ist doch eine Entdeckung dessen was ist?


    (F): Das ist sie.


    (S): Das Gesetz also will sein die Entdeckung dessen was ist.


    (F): Wie so aber, Sokrates, wenn das Gesetz die Entdeckung dessen ist was ist, behalten wir nicht immer dieselben Gesetze über dieselben Gegenstände, wenn sie uns das was ist ausgefunden haben?


    (S): Nichts desto weniger will doch das Gesetz die Entdeckung dessen sein was ist. Wenn aber die Menschen nicht immer dieselben Gesetze beibehalten, wie uns scheint, können sie wohl das was das Gesetz will nicht immer ausfinden, nämlich das wahre.


    Denn komm laß uns sehen, wenn es uns vielleicht hieraus deutlicher werden kann, ob wir immer dieselben Gesetze gebrauchen oder zu anderer Zeit andere, und ob Alle dieselben oder je andere auch andere.


    (F): Aber dieses, o Sokrates, ist doch nicht schwer einzusehen, daß nicht nur die nämlichen nicht immer dieselben Gesetze haben, sondern auch Andere immer andere.


    Denn gleich unter uns ist kein Gesetz Menschen zu opfern, sondern dies ist unfromm, die Karchedonier hingegen opfern, wie dies bei ihnen fromm ist und gesetzlich, und zwar Einige sogar ihre Söhne dem Kronos, wie vielleicht auch du gehört hast. Und nicht nur, daß unhellenische Menschen andere Gesetze haben als wir,
    sondern auch die in Lykaia und die Nachkommen des Athamas,
    was für Opfer opfern die obgleich sie Hellenen sind?
    So wie auch von uns selbst du vielleicht gehört haben und wissen wirst,
    was für Gesetze wir ehedem hatten wegen der Verstorbenen, wie wir ihnen Opfer nachschlachteten vor Heraustragung des Leichnams und Knochenleserinnen herbeiholten.
    Ja die noch älteren als jene begruben ihre Toten im Hause, wir hingegen tun nichts hiervon. Und tausenderlei könnte Einer dergleichen sagen, denn gar weit und breit her ist das zu erweisen, daß weder wir mit uns selbst übereinstimmend immer dasselbe festsetzen, noch auch die Menschen überhaupt unter einander.


    Die Stimme wurde zunehmend rauher und sein Geist schwerer. Cimon verstand nicht mehr, was er sprach und seine Augen brannten. Er rieb sich die Schläfe und die Augen. Dann nahm er einige Schluck des Saftes. Sein Blick suchte den von Ursus.

  • Der Text wurde nicht leichter. Doch kam nun die Stelle, die Ursus so besonders mochte, weil Sokrates seinen Gesprächspartner mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit lenkte. Bewundernswert! Dieser Teil war auch vorgelesen besonders gut, fand er. Allerdings waren die Müdigkeitserscheinungen bei Cimon nun nicht mehr zu übersehen. Ob er überhaupt noch mitkam? Ursus musterte seinen Sklaven prüfend. "Für heute genügt es, denke ich. Es ist spät und wir sind beide müde. Gefällt Dir eigentlich, was Du da liest? Oder trifft es eher nicht Dein Interesse?"

  • Die Musterung ließ Cimon verharren und er wartete bewegungslos ab. Erleichtert nickte der Nubier und lächelte offen seinen Herren an. Über die Frage musste er einige Augenblicke nachdenken.


    "Ich danke dir, Herr.... ich werde mich aber gleich noch um...die Kisten kümmern, Ursus. Ja...ja, es gefällt mir sehr gut. Auch wenn ich es nicht ganz verstehe... also nicht in seiner Tiefe. Darf...darf ich diese Schrift später wohl...wenn du sie nicht mehr benötigst, lesen?"


    In seinen Augen sowie in seinen Worten zeigte sich seine Begeisterung für das geschriebene Wort und allem was dahinter stand. Seine Hände strichen beim reden unwillkürlich über die Schriftrolle und er fühlte wie ein angenehmes Gefühl ihn ergriff. Sein Blick ging zur Schrift und dann wieder zu Ursus. Dabei schien er über einiges nachzudenken und lächelte schließlich zufrieden.


    "Darf ich weiterhin vorlesen, wenn es dir oder Domina Septima gefallen sollte? Vieleicht mal etwas leichteres zum Essen?"


    Dabei dachte er an Phaeneas und daran, das er auch mit ihm vieleicht würde üben können...ohne den Bithynier wäre er niemals auf die Idee gekommen Ursus etwas vorzulesen. Nun war er dankbar und erfreut.

  • "Ja, Cimon, das darfst Du. Du darfst jede Schrift aus unserer Sammlung lesen, sofern Septima oder ich sie gerade nicht benötigen. Diese Schrift ist nicht leicht, das ist wahr. Es ist auch nichts, das man nebenbei vor dem Einschlafen liest. Sondern man liest es, eigentlich immer wieder, um den eigenen Gedanken zu erlauben, immer neue Wege zu finden und zu gehen." Cimons Liebe zu gelehrten Schriften bereitete Ursus große Freude. Der Nubier hatte Spaß daran, zu lernen, etwas, das er mit seinem Herrn gemein hatte.


    "Ich würde Dir gerne häufiger zuhören, Cimon. Doch ob Septima Gefallen daran hat, müssen wir sie erst fragen." Da es ansonsten nicht viel zu erleben gab, hatte sie vielleicht Freude daran. Aber Ursus konnte es wirklich nicht vorhersehen, wie sie reagieren würde. Vielleicht hing es auch von ihrer augenblicklichen Laune ab. "Du hast eine sehr angenehme Stimme und es gefällt mir gut, wie Du den verschiedenen Charakteren durch Deine Stimme Leben einhauchst. Vielleicht wird das noch besser, wenn Du eine Schrift vorliest, die Du schon kennst? Damit Du die Eigenschaften der handelnden Personen einschätzen kannst?"

  • Aufmerksam hörte Cimon seinem Herren zu. Erleichtert atmete er durch und zeigte in seiner Mimik offen die Freude die er spürte.


    "Ich danke dir, Ursus. Gerne werde ich versuchen diese und mehr Schriften in Gänze zu verstehen."


    Positiev überrascht sah der Nubier seinen Herren direkt an. Doch seine Verlegenheit, ob dieses Kompliments war durchaus zu sehen gewesen. Nachdenklich nickte er schließlich.


    "Ich werde gerne heufiger lesen, Herr. Ich...ich danke dir.... Vieleicht hilft es...ich kann es gerne versuchen, Dominus Ursus. Denn...denn ich versuche immer das zu verstehen, was hinter den Worten liegt, Herr."


    Ergeben neigte er den Kopf, bewegte sich aber ansonsten nicht weiter. Er erwartete die Entlassung für den Abend oder ein voranschreiten dieser Unterhaltung. Niemals würde er es wagen dies zu entscheiden.

  • "Manche Schriften erfordern Jahre des Studiums und des Nachdenkens. Manchmal merkt man beim wiederholten Lesen, daß man es beim ersten Mal gar nicht richtig begreifen konnte, weil einem die Erfahrung im Leben fehlte. Später ist es dann plötzlich ganz klar. Und dann gibt es Schriften, die einfach eine so schöne Sprache besitzen, daß man sie immer wieder lesen möchte, allein um den Klang der Sprache zu genießen. Auch wenn die Geschichte oder der Sinn eigentlich simpel und unspektakulär ist." Ursus merkte, daß er schon wieder abschweifte. In letzter Zeit neigte er dazu, vor allem, wenn er mit Cimon sprach.


    "Dein Brief wird morgen mit nach Rom gehen, ich sorge dafür. Bist Du sonst zufrieden hier, Cimon? Hast Du alles, was Du brauchst? Ist Dein Zimmer so in Ordnung? Was ist mit den Katzen, haben die sich schon eingelebt?"

  • Auch wenn Ursus abschweifte, so hörte Cimon ihm geduldig und wissberigir zu. Zum einen stand es ihm nicht zu, darüber zu urteilen, was sein Herr sagte oder dachte. Obgleich es andere Sklaven gab, die dies nicht so sahen und mit ihren Herrschaften in sträflicher, verwerflicher Weise redeten oder von ihnen dachten. Was in seinen Augen nicht nur dumm sondern auch sündhaft war. Zum anderen gefiel es Cimon, was er hörte. Sein Herr sprach ihm wie aus der Seele.


    "Ja, Ursus... das klingt sehr..wahr... ich will mich bemühen mein Verständniss für jegliche Art von Schreiben zu verbessern. Übung wird mir sicher helfen... Nur die Erfahrung... die werde ich wohl ab und zu erfragen müssen, Herr."


    Für Cimon war dieses Gespräch eine besondere Situation, die er so niemals erwartet hätte. Der Brief? Erfreut nickte er und seine Augen strahlten förmlich. Dann musste er doch einige Momente nachdenken. Erst seit Ursus lernte der Nubier über sich selbst und seine Wünsche nachzudenken. Aber immer wieder verdrengte er diese aus alter Gewohnheit.


    "Ich danke dir, Herr...das ist zu gütig, Ursus...
    J..ja, ich denke ja...ich bin sehr zufrieden, Herr. Ich habe mehr, als ich jemals erträumen konnte. Mein Zimmer ist ... es ist ...mein Zimmer, Ursus... und allein dafür bin ich dir über aller Maße dankbar.
    Die beiden Kater haben sich ganz gut eingelebt...aber...sie laufen viel weniger umher als ich befürchtet hatte...vor allem der eine will immer nur in meiner Nähe sein. Ich.... habe Geschirre gebastelt... und sie an diese gewöhnt...vieleicht könnte ich die mal ausprobieren, Herr?"

  • Für Ursus war es eine Freude, Cimon so wißbegierig und lerneifrig zu sehen. Der Sklave würde in einigen Jahren zu den gebildetsten Männern in Rom gehören, ganz ohne Zweifel. "Frage, Cimon. Fragen zu stellen mehrt das Wissen und das Verständnis. Ich möchte Dich nur bitten, Deine Fragen dann zu stellen, wenn wir unter uns sind." Eigentlich war es unnötig, dies zu sagen. Noch nie hatte Cimon seine Fragen zum falschen Zeitpunkt gestellt.


    Die Katzen waren wieder ein Thema, bei dem Cimon sichtlich aufblühte. Ursus konnte das zwar wieder nicht so recht nachvollziehen, aber Septima war ja auch nicht anders. Diese Tierchen hatten etwas an sich, daß seine Frau dahinschmelzen ließ, wie Butter in der Mittagssonne. "Nun, hier spricht auch nichts dagegen, daß die Tiere mehr Freiheit bekommen als in Rom, wo wir auf die anderen Familienmitglieder Rücksicht nehmen müssen. Ich habe nichts dagegen, wenn die Katzen im Garten herumtollen oder durch die Ställe streifen, um Mäuse zu jagen. Deine Geschirre kannst Du natürlich ausprobieren. Warum soll das Tier nicht bei Dir sein, wenn Du etwas arbeitest? Nur hier bei mir wäre es mir nicht recht."

  • Die Bitte seines Herren beantwortete der Nubier umgehend mit einem Nicken. Für ihn stand das außer Frage. Cimon würde niemals anders handeln. Doch er nahm Ursus die Bitte nicht übel. Er dachte nicht einmal darüber nach. Aber er lächelte leicht.


    "Natürlich, Herr. Ich werde immer darauf achten nur unter uns meine Fragen zu stellen, Dominus Ursus."


    Mit voller Absicht nannte er ihn nicht Ursus, denn er wollte den Ernst und die Ehrlichkeit in seinen Worten betonen. Cimon glaubte das eine zu vertrauliche Anrede nun mehr als nur unpassend gewesen wäre.
    Seine Gedanken gingen umgehend zu den Katzen und sofort sah man seinen Augen die Freude an, die er dabei empfand. Erneut nickte er, diesesmal etwas begeisteter.


    "Danke, Herr. Ich danke dir viele male... ich werde darauf acht geben, das die beiden nichts anstellen können... Ja, wie du wünschst, Ursus. Nicht bei dir."


    Er verstand und neigte ergeben den Kopf aus Dankbarkeit. Damit hatte er sogar fest gerechnet, das es Ursus nicht gut finden würde, die Tiere in der unmittelbaren Nähe zu wissen. Seine Begeisterung schien schließlich sehr gedämpft zu sein, was diese Tiere anging. Um so dankbarer war Cimon über diese Entscheidung.

  • Für einen Moment blickte Ursus seinen Sklaven ernst an. Warum nun wieder so förmlich? Manchmal war es schwer, Cimons Gedankengänge zu verfolgen. "Ich weiß, solch eine Ermahnung ist bei Dir völlig überflüssig. Nimm es mir nicht übel, Cimon."


    Es war nicht zu übersehen, daß die Katzen Cimon große Freude bereiteten. Und so eben auch die Möglichkeit, den Tieren mehr Freiheiten gewähren zu können. "Ich verlasse mich da ganz auf Dich. Vielleicht kann die kleine Marei ja auch ein wenig auf die Tiere achten?" Das würde dem Kind sicher Spaß machen und sie auch gleich ein wenig Verantwortung lehren.

  • Der ernste Blick bedeutete einen Fehler. Rasch untersuchte er sein eigenes Verhalten, konnte aber keinen Fehler finden. Dann aber begann er zu verstehen und nickte begleitet von einem Lächeln.


    "Natürlich nehme ich es dir in keinster Weise übel, Ursus. Vieleicht ist es weniger eine Ermahnung, als vielmehr ein freundlich gemeinter Hinweis."


    Dankbar und ergeben neigte er seinen Kopf. Ursus verließ sich auf ihn. Der Nubier fühlte sich in seinem Handeln bestätigt. Dabei spürte er wie gut es tat, so etwas von seinem Herren zu hören. Was seine Augen durchaus auch zeigten.


    "Ich danke dir, Herr. Ich werde dich nicht enttäuschen. Marei ist sehr gut im Umgang mit den Katzen. Sie würde es sicher gut machen. Ich werde sie aber zuerst noch dabei beobachten, solange unsere Aufgaben es zulassen, Ursus."


    Mit warmen Augen sah er nun seinen Herren an und fragte sich, ob Ursus jemals auf dauer auf irgendjemanden wütend sein konnte.... Er kam zu dem Schluss das es durchaus ungesund sein musste ihn als einen Gegner zu haben. Doch er meinte auch zu wissen, das Ursus bei allem immer gerecht bleiben würde. Sein Gesicht verlor kurz alle Regungen und der Nubier wurde sich darüber im Klaren, das sein Vergehen mit Flora seine Stellung einfach alles gefährdete. Nun wich er lieber dem Blick seines Herren aus und dachte darüber nach, wie er jetzt würde gehen können. Doch ihm fiel nicht viel ein.
    So schwieg er und versuchte seine Nervösität damit zu überspielen seinen Herren mit Getränken und Naschwerk zu versorgen.

  • Ursus nickte zustimmend. "Ja, achte darauf, daß sie es richtig lernt. Sie ist ein liebes Mädchen und auch lerneifrig. Aber sie ist auch sehr impulsiv und ich glaube, das mögen Katzen eigentlich nicht so." Nicht, daß er viel über diese Tiere wüßte. "Ich verlasse mich da ganz auf euch beide. Meinst Du, die Kleine ist hier ausgelastet genug? Mach ihr ruhig klar, daß sie auch nach draußen darf, wenn sie ihre Arbeit erledigt hat. Natürlich soll sie die Männer nicht von der Arbeit abhalten, aber es gibt hier viele Orte, an denen ein Kind spielen kann." Für einen Moment schien es Ursus, als würde Cimon etwas beunruhigen, aber da hatte er sich hoffentlich verguckt. Oder war mit dem Mädchen etwas nicht in Ordnung?

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