Tage wie dieser

  • Obwohl es noch verhältnismäßig früh war, brannte die Sonne bereits vom Himmel und versprach einen heißen Tag. So heiß, wie es die vergangenen bereits gewesen waren, sowohl draußen als auch drinnen, jedenfalls in den Häusern rund um die Märkte. Von den Straßen drang Lärm herein, Geschrei, Geklapper, dazu unzählige Gerüche, die selbst ohne diverse fast Übelkeit erregende Variationen in ihrer bunten Mischung nicht leicht zu ertragen gewesen wären. Shayan schloss die Augen und konnte nicht umhin, sich zu wünschen, dass der Händler ihn heute verkaufen möge. Er war anderes gewohnt als das hier, sowohl im Positiven wie im Negativen. Rief er sich sein Zuhause in Erinnerung, dann dachte er an kühle Steinwände, an Diener, die seine Wünsche erfüllten, an kleine Gewässer und andere Annehmlichkeiten, die gerade im heißen Sommer für Erfrischung sorgten. Dachte er an den Krieg, war das hier eine deutliche Verbesserung dagegen. Der Händler, an den er geraten war, legte immerhin wert darauf, dass seine ‚Ware’ in einem passablen Zustand war, wenn er sie präsentierte. Shayan widerstrebte es, so zu denken, zumal es ihn selbst unmittelbar betraf, aber es machte keinen Sinn, Tatsachen zu leugnen. Und obwohl er zum ersten Mal tatsächlich verkauft wurde, waren seine Lebensumstände doch nicht mehr neu für ihn. Er hatte Zeit genug gehabt, sich daran zu gewöhnen.


    So oder so waren die Umstände jedoch fern davon angenehm zu sein. Der Händler sorgte dafür, dass es ihm und den anderen Sklaven gut genug ging, um einen entsprechenden Eindruck zu machen, aber er rührte keinen Finger, um etwas zu tun, was darüber hinaus gehen könnte. Shayan streckte sich ein wenig, dehnte seine Muskeln. Er sehnte sich nach Bewegung. Und nicht nur nach Bewegung, sondern nach Training. Das immerhin war in dem gut etwas mehr als einem Jahr seit seiner Gefangennahme etwas gewesen, woran es ihm nie gemangelt hatte bisher. Der Soldat, der ihn für sich beansprucht hatte, hatte ihn unter anderem als Übungspartner genutzt, nachdem er begriffen hatte dass er ihm so weit vertrauen konnte, und das war auch Shayan zugute gekommen. Das Leben bei diesem Römer war kein allzu schlechtes gewesen für ihn, auch wenn er in manchen Bereichen deutlich unterfordert gewesen war. In allen, die seinen Geist gefordert hätten, um genau zu sein. Im Grenzgebiet zu Parthien stationiert, hätte der Römer nicht einmal dann irgendeiner geistigen Leidenschaft frönen können, hätte er so etwas besessen. Nein, sein erster Besitzer war recht einfach gestrickt gewesen, was seine Vorlieben anging. Ein Soldat, für den es nichts Schöneres hätte geben können, als sein Leben im Dienst für seinen Kaiser und das römische Reich zu lassen. Shayan war sich nicht ganz sicher, ob es letztlich eine Ironie der Parzen gewesen war oder nicht die doch die Gnade seiner römischen Götter, die ihm diesen Wunsch gewährt hatten. Ein Leben gelebt im Dienst des Kaisers, ein Leben gelassen im Dienst des Kaisers. Nur nicht derselbe Kaiser.


    Und schließlich war es so weit. Die Gehilfen des Händlers kamen ein weiteres Mal, und dieses Mal nahmen sie ihn mit nach vorne und draußen. Shayan war erleichtert, dass es endlich so weit war. Und gleichzeitig konnte er nicht verhindern, dass sich etwas in ihm zu entfalten begann, was von Nervosität nicht weit entfernt war.


    Sim-Off:

    Reserviert


  • Eine einzige, salzige, sich etwas unangenehm anfühlende Schweißperle tröpfelte von Pisos Haaren, klatschte auf seinen Nacken und rann entlang der Haut hinunter. Der Flavier grunzte ganz unästhetisch und schlug mit seiner linken Hand nach seinem Nacken, um den Schweißtropfen zu vernichten wie eine Fliege. Gut, dass Schweißtropfen nicht die lästige Angewohnheit hatten, davonzufliegen, wenn man sie mit der Hand erreichen wollte. Klatsch. Zufrieden zog der Patrizier seine Hand zurück und begutachtete die etwas nass gewordene Innenfläche.
    Heiß war es. Es gab keine Thermometer also musste man wohl die Metapher eines Backofens benutzen. Immerhin war es ein trockener, heißer Tag, kein schwüler. Als ob ein ferner Wind aus der Wüste des Orients gekommen wäre, und alles, was Feuchtheit war, überlagert hätte. Bis auf Pisos Schweiß, der immer ärger wurde.
    Die Götter allein wussten, was ihn auf den Sklavenmarkt führten. Vermutlich jedoch könnte es sein, weil Piso einen Sklaven wollte. Er war mit Cassivellaunus hier, seinem alten Handlanger, der ihm immer mehr auf den Wecker ging. Er hätte vielleicht einen Sklaven damals aus Ravenna mitnehmen sollen. Vielleicht Sophonisba, die in ihren Jugendjahren sein Kindermädchen gewesen war – mittlerweile war sie Ende 40. Wie es ihr wohl ging? Es gelang Piso nicht, länger über die Sklavin, die er in Ravenna in der Retrospektive doch etwas ungerecht behandelt hatte, nachzudenken, denn in diesem Moment geschah vorne etwas beim Sklavenhändler.
    Der Sklavenhändler freilich war nicht Tranquillus, der zwar der bedeutendste, aber bei weitem nicht einzige Menschenhändler in Rom war. Piso war zur Konkurrenz gegangen, vielleicht hatte er dort mehr Glück als bei Tranquillus.
    Was also geschah, war, dass eine Tür sich öffnete. Ein Jüngling, zweifellos aus einem südlichen oder östlichen oder was auch immer Land stolperte heraus. Sicherlich kein hässlicher Bursche, dachte sich Piso, und fand seinen Gedanken bestätigt in dem mannigfaltigen leisen Seufzern, die das Weibsvolk um ihn herum ausstieß. Mei, ist der ein Schöner! Aus der Warte eines Mannes betrachtet war es halt, ja, ein Sklave. Irgendein Ostling.
    Er blieb, weil ihm die Sache nun doch zum interessieren anfing. Erwartungsvoll blickte er hinauf zum Sklavenhändler, der sicherlich gleich anfangen würde zum Sprechen, der den Sklaven präsentieen würde. Woher der wohl kam? Piso tippte innerlich auf Parthien, bevor er die Nase rümpfte und strafend auf Cassivellaunus blickte.
    “Verzeihung, Herr.“ “Nicht in meiner Gegenwart deine verdammten Gase ablassen! Ist ja widerlich!“ “Verzeihung...“ Vielleicht war dieser Südländer so beschaffen, dass er Cassivellaunus nach dessen Kauf getrost auf den Kompost werfen könnte. Oder in den Tiber werfen. Oder halt einfach freilassen, war ja auch schon egal.

  • Shayan konnte sich nicht so recht entscheiden, ob es nun drinnen unangenehmer war oder draußen. Heiß war es überall, die Luft war ebenfalls nicht die beste, nur hier waren die Plätze im Schatten begrenzt. Dafür erwischte man, wenn man Glück hatte, den ein oder anderen Lufthauch. Er blinzelte die feinen Schweißtröpfchen fort, die sich auf seiner Stirn bildeten, kaum dass er in die Sonne gekommen war, und in seine Augen zu rinnen drohten, während er sich zugleich ein wenig umsah. Wie der Lärm, der auch drinnen bereits wahrzunehmen gewesen war, schon angedeutet hatte, war auf dem Markt viel los, und es standen auch einige Menschen bei diesem Händler, dessen Namen zu merken Shayan sich nicht die Mühe gemacht hatte. Er hatte sich nicht einmal vorgestellt, nicht ihm zumindest, und es spielte ohnehin kaum eine Rolle, wie der Mann hieß, der ihn nur weiter verkaufte an jemand anderen.


    Zunächst hieß es für ihn warten. Der Händler war gerade dabei, noch andere Sklaven zu verkaufen. Immerhin gehörte er zwar zu denen, die Verstand genug besaßen, ihre Ware nicht allzu schlecht aussehen zu lassen, weswegen er sie in den Räumen im Haus ließ. Aber es ging nichts über Laufkundschaft, über die, die stehen blieben, weil sie etwas Interessantes entdeckten. Und das konnte nur passieren, wenn die Sklaven einige Zeit vor ihrer Versteigerung bereits draußen zu sehen waren. Die zwei, die vor ihm dran waren, waren jedoch verhältnismäßig rasch verkauft, rascher zumindest als Shayan vermutet hätte. Bisher hatte er sich einen ruhigen, undeutbaren Gesichtsausdruck bewahrt, und es gelang ihm auch, diesen zu behalten. Dennoch fühlte er sich unwohl. Er konnte nicht umhin, sich wie ein Stück Vieh zu fühlen, das präsentiert wurde, und genau genommen war er ja nichts anderes, oder vielleicht eher: die Situation war die gleiche. Und es fiel ihm nicht leicht, seine Ruhe zu bewahren. Obwohl er schon seit einiger Zeit nun Sklave war, das hier war neu für ihn. Diese Abfälligkeit des Händlers, gegen ihn gerichtet. Das Starren, Deuten, Gestikulieren der Menschen. Seit dem Ende des Krieges in Parthien zählte er offiziell als Sklave, aber die Beziehung zu dem Römer, der ihn besessen hatte, war dennoch geprägt gewesen von einem gewissen Grundrespekt. Sie waren beide Soldaten gewesen, hatten beide in diesem Krieg gekämpft. Die Machtverhältnisse waren klar aufgeteilt gewesen, und dennoch hatten beide anerkannt, was der andere war, oder in seinem Fall: gewesen war. Hier jedoch… Shayan ertappte sich, nicht zum ersten Mal, dabei, sich zu wünschen, der Römer wäre nicht gestorben. Aber er bemühte, sich diesen Gedanken zu verdrängen. Ahura Mazda hatte einen Grund gehabt, ihn in die Sklaverei zu schicken. Shayan musste nicht wissen, welchen, um davon überzeugt zu sein, dass es so war.


    „Römerinnen und Römer!“ begann der Händler unterdessen, den Parther nun anzupreisen. „Ein weiteres Prachtstück haben wir! Wie alle Sklaven, die ich verkaufe, handverlesen und mit genauem Auge ausgesucht! Ein parthischer Soldat, gefangen im Krieg, und damit inzwischen fast schon Rarität“, schwafelte er, zu Recht, wie er meinte, war der Krieg selbst doch schon seit gut zwei Jahren vorbei. „Von Haus aus bereits gut ausgebildet, hat er die letzten Monate bei einem römischen Herrn verbracht, der ihm die Feinheiten nahe brachte, die ein guter Sklave zu wissen hat, der ihn Treue und Gehorsam lehrte! Hervorragend geeignet als Leibwächter!“




  • Sim-Off:

    Sorry, vergessen.


    Ein Prachtstück also? Soso. Der Sklave sah gar nicht so aus. Vielleicht, weil er geschlaucht war durch die lange Reise. Er sah verschwitzt auch. Doch tat Piso das nicht auch? Parthien, gefangen im Krieg. Krieg? War das nicht schon ewig lange her? Er musste vorher jemand anderem gehört haben, der den Sklaven dann im Würfelspiel oder bei einem Bankrott verloren hatte. Ah ja, und das stimmte auch, der Sklave war tatsächlich schon vorher bei römsichen Herren gewesen. Soso. Ein Leibwächter also. Brauchte Piso einen Leibwächter? Vielleicht.
    Er drehte sich unwillkürlich nach rechts, wo ein Hund vorbeilief. Piso pfiff ihm zu, eher aus der schieren Gewohnheit – in Ravenna hatte er das immer gemacht – statt wegen echtem Interesse, die Aufmerksamkeit des Köters auf sich zu ziehen. Der Hund wandte ihm seinen Kopf und seine hechelnde Zunge zu, lief aber unbeirrt und unbeirrbar weiter. Wie das Schicksal... der Flavier seufzte und drehte seinen Kopf wieder zu der Tribüne hin.
    Er spürte, es lag etwas in der Luft, eine Bietatmosphäre. Diese konnte aber nicht zustande kommen, wenn der Sklavenhändler nicht die Auktion mit einem Startangebot eröffnete.
    Soldat war der Kerl also gewesen im Partherkrieg... Piso konnte wenig anfangen mit Soldaten. Für ihn waren das hirnlose Muskelpakete, die gegenseitig auf sich einhauten. Na gut, sie beschützten das Vaterland, gut und gerne. Aber er war halt der Meinung, die fähigsten Elemente zog das Heer nicht an. Gut, Aristides, sein Patron Macer und andere mochten Ausnahmen darstellen. Aber die Leute, die wirklich Hirn im Kopf hatten, die gingen in die Verwaltung. Bemühten sich um eine Senatskarriere. Gut. Nur Senatoren wurden Legaten, aber wann war das letzte Mal ein richtiger Soldat Consul gewesen? Es war schon lange her gewesen. Und wann war das letzte Mal ein Priester, wie Piso, Consul gewesen? Richtig, als Tiberius Durus, Pontifex vom Beruf, am Ruder war. Das löste Zuversicht in Piso aus. Er selber hatte keine Ahnung, ob er jemals zu den Pontifices kooptiert werden würde – er würde es durchaus aushalten bei den Septemviri, die Epulonen waren eine ganz tolle Rasselbande – aber mal sehen.
    Seine Gedanken wandten sich wieder dem Parther zu. Sollte er was rufen? Ja, gut, dann machte er das eben.
    “Händler! Wenn der Parther so gut Latein kann, dann soll er es beweisen! Er soll was sagen!“ Herrje, er hätte das Cassivellaunus sagen lassen sollen – aber der Typ war doch kaum in der Lage, 3 Wörter zu einem Satz zusammenzuknüpfen. Vielleicht würde so einer wie Shayan wirklich adäquater sein als Sklave wie der Britannier, der Piso irgendwie immer am Hals hing.

  • Shayan hätte am liebsten die Augen geschlossen, als der Händler anfing zu schwadronieren, aber er beherrschte sich. Stattdessen lauschte er mit halbem Ohr weiter, was der Mann zu erzählen hatte, und blieb so regungslos, wie er von Beginn an gewesen war. Der Händler nannte noch immer kein Startgebot, was Shayan nun allerdings weniger verwunderte, hatte er doch den Verkauf einiger Sklaven vor ihm schon mitbekommen. Die meisten verkaufte der Händler offenbar, indem er mit Interessierten einen Preis aushandelte, ohne eine lautstarke Versteigerung einzuleiten. Dem Parther war das relativ gleich, was nun bei ihm geschah. Er hoffte einfach nur, dass es bald vorbei sein würde. So sehr er sich bemühte, sein Schicksal zu akzeptieren, das ihm von Ahura Mazda auferlegt worden war, es anzunehmen, so schwer fiel ihm das in Momenten wie diesen.


    Der Parther fokussierte seinen Blick erst wieder auf die Menge, als plötzlich eine Frage laut wurde, und er musste nicht lange suchen, um den Mann ins Auge zu fassen, der sie gestellt hatte. Ein Römer der oberen Gesellschaftsschicht, wie es schien, auch wenn er unter der Hitze genauso litt wie jeder andere hier. Groß, aber nicht von der Sorte, die zu kämpfen verstand, so seine unwillkürliche Einschätzung. Er wirkte nicht kräftig genug dafür. Gut, Shayan gehörte auch nicht in die Kategorie Muskelprotz, aber bei den berittenen Bogenschützen im parthischen Heer hatten die auch nichts zu suchen. Was dort zählte, war neben einer gewissen Kraft vielmehr Wendigkeit und Körperspannung. Und auch das konnte er bei dem Mann, nun, nicht so ganz entdecken. Ein Soldat, auch ein ehemaliger, hätte eine andere Haltung gehabt, wäre anders dort gestanden. Nein, der Römer kam ihm eher vor wie die Sorte Mann, zu der auch sein Vater gehörte – Politiker. Shayans Gedanken haftete dabei nichts Negatives an, höchstens eine vage Vorsicht, aber die legte er grundsätzlich an den Tag, nicht nur bei Politikern oder Römern.


    Die Einschätzung des Mannes, der die Frage gestellt hatte, dauerte indes nur einen Augenblick, bevor Shayan antwortete – noch bevor der Händler ihn dazu auffordern konnte. „Was möchtest du hören?“ Die Frage, in Latein formuliert, war nicht in herausforderndem Tonfall gestellt. „Ich kann dir auf Latein nichts rezitieren, falls du das erwartest. Bei meinem Volk hat deine Sprache eine eher untergeordnete Rolle gespielt.“ Anders als Griechisch, beispielsweise, weswegen Shayan Latein auch erst dann gelernt hatte, als er in römische Gefangenschaft geraten war. Bevor er allerdings noch mehr sagen konnte, drängte sich nun der Händler dazwischen und warf Shayan einen bösen Blick zu, bevor er sich an den Römer wandte. „Du siehst, um sein Latein ist es bestens bestellt. 500 Sesterzen als Startgebot, meine Damen und Herren, was sagt ihr dazu? Das ist ein wahres Schnäppchen!“

  • Piso ordnete Hitze in den Bereich „mangelnde Ästhetik“ unter. Wie wohl war eine sommerliche Brise, wie angenehm ein lauwarmes Nächtchen, wie schön ein bacherlwarmer Tag. Doch das hier, das war Wüste. Der Flavier hatte Winde aus dem Süden in Verdacht, aus der großen afrikanischen Wüste. Wenn er erst einmal Senator war, dann, ja dann! Eine riesige Glaskuppel würde er beantragen, rund um Rom, um gegen das Wetter gewappnet zu sein! Natürlich eine, die selbst kritischste Schöngeister befriedigen würde. In die Realität holte Piso die Wahrhabung der Tatsache, dass Glas sündhaft teuer war, und unerschwinglich für alle außer der Oberschicht, zurück. Eine Glaskuppel um Rom... hmmm... vielleicht doch nicht eine so tolle Idee, wenn er daran dachte. Und dabei kannte Piso den Treibhaus-Effekt noch gar nicht. Aber irgendwann. Irgendwann, nahm er sich vor, wobei er den leicht dämlichen Gedanken am Abend sicher schon vergessen haben würde.
    Nach vorne also blickte er nun. Er versuchte, das Gesicht des Parthers näher auszumachen. War es nobel oder wüst, schön oder hässlich? Er konnte es von hier aus nicht sehen. Aber Piso mochte die parthische Kultur. Sie war so schön feinsinnig. Cassim, jener Sklave des Gracchus, hatte dies eindrucksvoll in seinen elegischen Lobreden ob Pisos Sangeskunst bewiesen. Laus Pisonis! So etwas schätzte der Flavier sehr, schließlich war es immer höchst pläsierlich, die eigene Genialität – und Piso war sich sicher, das in Massen zu haben, auch wenn diese Selbstsicherheit in Folge einer seiner plötzlichen und schlagartigen Sinnesschwankungen manchmal so schlagartig verpuffte, wie sie kam.
    Es galt jetzt also, den Parther zu ersteigern. Der Kerl schien übrigens Latein zu können, wie Piso feststellen durfte. Und nicht einmal schlecht. Shayan, dachte er sich. Das Lateinische enthielt zwar kein „sch“, weswegen die meisten Römer diesen Laut nicht aussprechen konnten (hatte doch griechisch auch keinen solchen Laut), aber Piso sah sich imstande – es war ein Laut in den keltischen Sprachen, und von jenen verstand Piso etwas, hatte er sich doch recht lange in Ländern herumgetrieben, wo diese Sprachen noch im Trend waren und noch nicht von der lateinsichen Sprache verdrängt worden waren. Neben sich hörte er ein Gebot, als er noch seine linguistischen Überlegungen anstellte und sich dabei ziemlich gut vorkam. 500? Das konnte er überbieten. “613! Für meinen Herrn Flavius Piso!“, schrie Cassivellaunus, nachdem ihm Piso die passende Zahl eingeflüstert hatte. Er mochte ungerade Zahlen, sie hatten etwas erbauliches an sich, wie ein Abend an der Lyra. “700!“ So, dachte sich Piso.
    “999!“ “1000!“ Ah, jetzt buk der Mitsteigerer also nur noch ganz kleine Brötchen, dachte sich Piso amüsiert, dabei durchaus in seinem Appetit angeregt durch die Vorstellung an warme, leckere Semmeln – freilich nicht so schmackhaft und bekömmlich wie seine Fische, frisch aus dem Lacus Volturnii, am Markt erhältlich für nur 1.45 Sesterzen, aber immerhin!
    “1531!“, holte er vermittelst seines Sprachrohres Cassivellaunus zum Rundumschlag aus. Der andere Steigerer japste nach Luft und schien zu überlegen. Würde nun der Hammer fallen? Doch nein! “1600!“ Hartnäckiger Kerl, dachte sich Piso. Und scheinbar hat er auch mehr Geld, als er scheint. “1697“, machte Cassivellaunus mit solemner Stimme. Piso betrachtete den anderen Mann mit interessierter Miene. Was tat er da? Warf er noch einmal ein Gebot ein? Nein, nein! Er winkte ab! Er winkte ab! Keine Mitbieter mehr? Toll, genial! Piso hatte einen Sklaven ersteigert! Er wusste es schon, noch bevor der Sklavenhändler anfing, zum ersten, zum zweiten und zum dritten zu schreien. Nur der Gedanken daran, dass er zur bevorstehenden Wahl eine gute Figur machen musste, hielt ihn davon ab, einfach alles zu vergessen und nur noch wild herumzutänzeln am Platz wie ein verstörtes Pony. So zeigte sich der flavische Wahn nur in seinen Augen, mit denen er Shayan fixierte, als dieser verscherbelt wurde.
    “1697 zum ersten, 1697 zum zweiten, 1697 zum dritten...“ Man sah dem Sklavenhändler an, dass es ihn nervte, diese lange Zahl auszusprechen. “Verkauft an den flavischen Herren.“ Hurra, hurra, hurra. Jetzt musste er den Kerlen, die nun mit Shayan runterkommen würden, einfach nur das Geld geben und sagen, dass sie Shayan bei ihm zu Hause abliefern sollten – selber nach Hause schleppen führte manchmal zu unangenehmen Situationen, und nachdem er viel Betrübnis durchgemacht hatte, als er damals Semiramis direkt abgeschleppt hatte, hatte er sich vorgenommen, sich nie wieder darauf einzulassen. Immer gleich nach Hause liefern! Am Markt wollte er seine Ruhe haben!

  • Der Römer schien zufrieden zu sein mit dem, was er hörte, in jedem Fall fragte er nichts weiter nach. Und dann ging die Versteigerung los. Shayan presste die Kiefer aufeinander und richtete seinen Blick wieder irgendwo über die Köpfe der Menge hinweg, ohne jemanden – oder etwas – anzusehen. Die Prozedur, die sich nun in Gang setzte, war erniedrigend. Sie zu ertragen war immer noch am einfachsten, wenn er sie schlicht ignorierte. Oder sich wenigstens den Anschein gab, denn dass er die Versteigerung mithörte, das Schachern um seine Person, konnte er schlecht verhindern. Und, ganz entgegen seiner Erwartung, es fielen Worte, die Shayans Aufmerksamkeit erregten. Genauer gesagt waren es Beträge, die zwischendurch gerufen wurden, irgendwelche krummen wohl – welche es genau waren, konnte Shayan nicht sagen, weil sein Latein dafür dann doch nicht gut genug war, noch dazu bei dem Lärm, der hier herrschte. Er sah doch wieder in die Menge, suchte sie ab nach dem, der steigerte, und entdeckte kurze Zeit später den Römer, der ihm zuvor auch schon die Frage gestellt hatte. Er war es zwar nicht, der mitbot, aber er schien seinem Begleiter Anweisungen zu geben. Was hatte der Mann gerufen beim ersten Mal? Er hatte einen Namen genannt, da war Shayan sich ziemlich sicher, aber er hatte ihn nicht ganz verstanden, hatte nicht genug Acht gegeben in jenem Moment. Er sah den Mann an, dem der Händler in diesem Augenblick den Zuschlag zu geben begann. Was hatte er zuvor noch gedacht? Politiker. Das war seine Einschätzung gewesen. Vielleicht auch einer von der Sorte, der einfach nur in den Tag hinein lebte und sich auf dem Vermögen seiner Familie ausruhte. In jedem Fall bedeutete es für Shayan eine Abwechslung, einem Mann wie ihm zu gehören, und keinem Soldaten – auch wenn der Parther in diesem Fall ein wenig Sicherheit der Abwechslung vorgezogen hätte. Mit Soldaten erlebte man eher selten Überraschungen, und für einen Sklaven, der von der Laune seines Herrn abhing, konnte das einen wesentlichen Unterschied machen.


    Allerdings war das nichts, was Shayan beeinflussen konnte. Die Versteigerung war beendet, der Römer hatte den Zuschlag bekommen, und alles weitere geschah so schnell, dass er für den Moment kaum Gelegenheit hatte, sich noch großartig weiter Gedanken zu machen. Er wurde hinunter geschleppt von den Gehilfen des Händlers, zu dem Römer gebracht, der nur die Anweisung gab, ihn zu ihm nach Hause bringen zu lassen – und wieder fort gebracht, zuerst in die Räume des Händlers zurück, und dann, schließlich, zu seinem neuen Zuhause, wenn man es denn so nennen konnte.

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