Exedra | Pater filiusque

  • Bisweilen pflegte der alte Tiberius, seinen Spross zum gemeinsamen Gespräch in die Exedra zu laden. Gerade jetzt, wo es wichtig wurde, die politische Karriere des jungen Mannes zu planen, war dies Durus' besonderes Anliegen. So auch heute...

  • Irgendwie hatte Ahala das ungute Gefühl, dass das vor ihm liegende Gespräch mit seinem Senior zu eher unerquicklichen Resultaten führen würde. Aber damit war früher oder später ja zu rechnen gewesen, und so trottete der junge Tiberius an diesem Tag schicksalsergeben zur Exedra. Immerhin hatte er sich in Rom bislang recht erfolgreich und ohne ein Übermaß an persönlichem Einsatz durchschlunzen können, und vielleicht ließ sich zumindest ein bisschen davon auch noch über die nächsten Monate hinüber retten.


    "Salve, Vater. Du wolltest mich sprechen?" begrüßte er seinen alten Herrn artig, nachdem er bei diesem angekommen war.

  • Durus lehnte sich entspannt zurück, als sein Sohn eintrat. Er wirkte etwas müde - hatte er sich so sehr seinen Studien hingegeben?


    "Richtig, Aulus. Ich wollte wieder einmal über deine Karriere sprechen."


    Er beugte sich erwartungsvoll nach vorn.


    "Wie sieht es aus?"

  • Seine Karriere? Was für ein überaus unspannendes Thema....Ahala seufzte innerlich auf, doch da er sich innerlich bereits darauf eingestellt hatte, verzog er keine Miene und behielt sein aufmerksames und gebührend interessiertes Braver-Sohn-Gesicht bei.
    "Oh ja, natürlich." nickte er ausgesprochen erfreut, ausnahmsweise mal etwas Positives berichten zu können und sich nicht wie üblich etwas aus der Nase ziehen zu müssen. "Weißt du, das Wort Karriere schmeichelt meinen bescheidenen Bemühungen natürlich sehr, aber ich denke, ich bin auf dem richtigen Weg. Ich habe mich an der Schola angemeldet, und sobald ich den Grundkurs bestanden habe, werde ich, deinem Rat folgend, natürlich mit Rechtswissenschaften und Rhetorik weitermachen." Ahala hätte spontan gar nicht sagen können, welcher dieser beiden Bereiche ihn weniger interessierte, aber vielleicht konnte man eventuelle Errungenschaften in der Redekunst ja vielleicht noch gewinnbringend in aufregenderen Unternehmungen zum Einsatz bringen!
    Eine Studie, die der junge Tiberius zur Zeit tatsächlich mit einer gewissen Akribie und Leidenschaft verfolgte und durch beständige persönliche Feldforschung zu untermauern suchte, war die Frage, wie sich seine drei Lieblingsbeschäftigungen Würfeln, Trinken und Lupae am optimalsten zeitlich kombinieren ließen. Die naheliegende Reihenfolge 1)trinken b) würfeln und c) Lupae hatte sich bei näherer Betrachtung als nicht wirklich praktikabel herausgestellt. Wenn er im Vorfeld zu viel trank, konnte er meist nicht mehr mit der gebührenden Aufmerksamkeit auf seine Mitspieler und eventuelle Betrüger achten, und das hatte häufig fatale Folgen. Und zuviel Alkohol und Würfelpech führten dann zwangsläufig auch zu einer relativ trostlosen Darbietung bei den Damen. Nicht, dass eine Lupa irgendeinen Anspruch auf besondere Qualität hatte, aber Ahala hatte schließlich seinen Stolz und auch einen gewissen Ruf zu verteidigen.
    In der letzten Nacht hatte er das Konzept dann erstmals umgestellt und erst nach einer in Sachen Ausdauer und Erfindungsreichtum wirklich zufriedenstellenden Perfomance mit der guten Fabula nach den Würfeln gegriffen, die sich seiner beschwingten Stimmung angepasst und ihm seine Huld gewährt hatten. Und dass ein gleich zweifaches Erfolgserlebnis diesen Kalibers dann bis in die frühen Morgenstunden gebührend begossen werden musste, verstand sich ja wohl von selbst. Kein Wunder also, dass Ahala an diesem Tag ein wenig angeschlagen aussah, wenn auch nicht aus den Gründen, die sein wohlmeinender Senior vermutete.

  • Für den alten Tiberius, der sich natürlich nicht im Traum vorstellen konnte, dass die Jugend von heute ebenso oder noch toller feierte als er es damals getan hatte, lag der wahre Grund für Ahalas Müdigkeit so fern wie der Mond. Dass er allerdings den Grundkurs noch nicht bestanden hatte, stimmte ihn ein wenig nachdenklich... - als Grund kam ihm natürlich erneut ein falscher:


    "Aulus, du darfst dich nicht so unter den Scheffel stellen. Der Grundkurs ist absolut nicht schwer, du hättest die Prüfung wirklich nicht so lange hinausschieben müssen."


    Und wieder hängte er sofort eine Belehrung an:


    "Du musst immer wieder auch etwas wagen. Später einmal wird dich auch niemand zu Kandidatur drängen - nur, wenn du selbst das Risiko des Scheiterns auf dich nimmst, kannst du den Sieg davontragen!"

  • "Ja, du hast natürlich recht." seufzte Ahala, dessen momentane Zerknirschung nur zum Teil gespielt war. Der Kurs, von dem sein Vater sprach, war tastächlich selbst für einen Faulpelz wie ihn keine allzu große Herausforderung, und hätte er beizeiten ein bisschen mehr Selbstdisziplin (von der er zugegebenermaßen so gut wie keine besaß) an den Tag gelegt, dann würde er in den kommenden Monaten jetzt nicht doppelt und dreifach schuften müssen. Aber so war es bei Ahala immer schon gewesen: entspannt bis zum großen Knall und offenbar nur unter Druck in der Lage, seine volle Leistungsfähigkeit und Kreativität abzurufen.


    "Ich werde versuchen, mich von jetzt an daran zu halten, Vater. Ich hab wohl eine Zeit gebraucht, um mich an mein neues Leben und die Erwartungen der Menschen an mich zu gewöhnen." Ahala seufzte erneut und kratzte sich mit leicht ratloser Miene am Hinterkopf. "Einundzwanzig Jahre lang war ich nichts weiter als der Sohn eines einfachen Quästors und Neffe eines Duumvirs aus der Provinz. Und jetzt bin ich auf einmal Sohn eines Consuls und Pontifex, und die Messlatte hängt viel höher."

  • Durus hatte keine Bestätigung erwartet - die Wahrhaftigkeit seiner Worte verstand sich von selbst! Als Ahala dann begann, ein paar Gründe vorzuschützen, war es an Durus, sich am Kopf zu kratzen. So etwas konnte man vielleicht dem Sohn eines Duumvir abnehmen, aber nicht dem Sohn eines Consulars!


    "Aber du hast jetzt doch inzwischen eingewöhnt, oder nicht?"


    Wenn nicht, musste Durus ernsthaft zweifeln, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, diesen jungen Mann quasi blind zu adoptieren...

  • Ahala mochte mit einer nicht unerheblichen Portion an Dickfelligkeit und Bequemlichkeit sowie der ein oder anderen fuer einen angehenden Politiker eher suboptimalen Eigenschaft gesegnet sein, aber dafuer hatte ihn das Schicksal mit einem recht gut funktionierenden Alarmsystem, so wie der Faehigkeit, die Stimmungsnuancen seines jeweiligen Gegenuebers gut erkennen zu koennen, ausgestattet. Und so nahm er bei der letzten Bemerkung seines Seniors fast reflexartig eine deutlichs strammere Koerperhaltung ein, setzte einen aufmerksamen aber dennoch entspannten Gesichtsausdruck auf, und nickte eifrig.


    "Oh ja, natuerlich. Wenn ich den Kurs erst einmal bestanden habe, dann wird es endlich aufwaerts gehen mit mir, und ich werde mein Bestes geben dich nicht zu enttaeuschen. Ich hab uebrigens ueberlegt, mich so bald wie moeglich zur Wahl zu stellen, welches Amt haeltst du denn fuer das Geeignetste?"

  • Damit war Durus wieder ein wenig beruhigter und machte sich sofort daran, die Karriere seines Sohnes zu planen. Beim Vigintivirat gab es eigentlich wenige Möglichkeiten, die für den Sohn eines Consularen in Frage kamen: Straßenreinigung etwa schied aus!


    "Das angesehenste unter den Vigintiviraten ist das der Decemviri litibus iudicandis. Ich würde dir raten, dich darum zu bewerben - als Sohn eines Consuls wärst du dafür durchaus geeignet!"


    schlug er daher prompt vor.

  • Decemviri litibus iudicandis...Kuemmerten die sich nicht um Erbschaftsangelegenheiten? Ahala war sich in dieser Hinsicht nicht wirklich sicher und fand auch, dass sich diese Taetigkeit bestenfalls mittelspannend anhoerte, allerdings ging es ihm bei fast allen "offiziellen" Betaetigungen so, so dass es fuer ihn im Grunde fast gleichgueltig war, in welchem Bereich er letztendlich landen wuerde. Da Durus sich ihm gegenueber aber bislang durchgehend grosszuegig gezeigt und seine Leine, ob nun gewollt oder ungewollt, lang genug gelassen hatte, fand es der junge Tiberier nur passend, sich jetzt auch mal ein wenig zu revanchieren.


    "Ah, das hoert sich wirklich interesant an." sagte er ohne rot zu werden und nickte bekraeftigend. "Dann sollte ich wohl allmaehlich mal damit anfangen, mich bei den richtig wichtigen Maennern dieser Stadt bekannt zu machen, damit auch etwas daraus wird." Die entsprechenden Eckverbindungen fuer einen erfolgsversprechenden Abend in der roemischen Nachtwelt hatte Ahala sich laengst erarbeitet, aber die brachten ihn auf dem Weg in den Senat wohl kaum weiter, zumindest nicht auf direkter Route.

  • "Ja, das ist ein guter Plan! Ich veranstalte demnächst eine kleine Cena. Du kannst gern kommen, auch wenn es eigentlich um einen meiner Klienten geht - Sextus Aurelius Lupus. Er möchte noch in diesem Jahr kandidieren."


    erklärte Durus. Anderweitige Werbeveranstaltungen waren wohl eher unsinnig, auch wenn er seinen Sohn vielleicht in Zukunft häufiger mit auf Feierlichkeiten nehmen würde.

  • "Gut, dann werde ich kommen." nickte Ahala noch einmal bekräftigend und hoffte bereits inniglich, dass er zu diesem Ereignis zur Abwechslung einmal nicht zu spät kommen oder es gar völlig vergessen würde. Es wäre wahrlich nicht das erste Mal, aber in Anwesenheit seines Vaters und dessen Freunde und politischen Verbündeten doppelt peinlich.


    "Wo du gerade deinen Klienten ansprichst: dieser Aurelius Lupus ist doch etwa in meinem Alter, meinst du, ich sollte mich nicht auch um einen Patron bemühen? Spätestens bei der nächsten Wahl könnte das doch wichtig sein."

  • Durus dachte einen Moment nach, als Ahala einen durchaus wichtigen Punkt ansprach, über den er selbst auch schon hin und wieder nachgedacht hatte. Eigentlich erklärte es sich von selbst, wer dafür am besten geeignet war: natürlich sein eigener! Familiäre Traditionen waren immerhin nie schädlich!


    "Du könntest an meinen Patron schreiben, Vinicius Hungaricus. Er ist zur Zeit Legat in Germania, aber ich bin sicher, dass er auch von dort größten Einfluss auf den Senat ausübt: Er hat schon vor sehr langer Zeit das Consulat bekleidet und ich würde mich nicht wundern, wenn er es eines Tages noch einmal tun würde!"


    antwortete er daher.

  • Heissa, ein ehemaliger Consul und amtierender Legat als Patron eines sizilianischen Tunichtguts...Aber warum eigentlich nicht, immerhin hatte der es mittlerweile ja, ohne sich aufdrängen zu müssen, auch zum Sohn eines Consuls gebracht und war bislang noch nicht wieder aus dessen Haus geflogen. Wer wusste schon, was mit ein bisschen Tatendrang seinerseits nicht noch alles möglich war!


    "Wenn du meinst, dass Vinicius Hungaricus sich meiner eventuell annehmen wird, dann schreibe ich ihm selbstverständlich. Ansonsten hatte ich auch schon überlegt, eventuell Aurelius Ursus, Septimas Mann, anzusprechen. Mit dem verstehe ich mich eigentlich ganz gut, und er ist immerhin Senator und Legat der Legion in Mantua." Bei dem Gedanken an Ursus blitzte unwillkürlich die Erinnerung an das gemeinsame schon einige Zeit zurückliegende Bad mit seiner liebreizenden Cousine auf, und seine Gesichtszüge erhellten sich merklich.

  • "Ursus ist natürlich auch eine Möglichkeit..."


    meinte Durus und dachte einen Augenblick nach. Der Aurelier war vielversprechend: Jung, erfolgreich - er konnte es durchaus noch bis zum Consulat bringen! Andererseits war er zur Zeit außerhalb Roms, daher war auch sein Einfluss beschränkt...


    "Aber andererseits wird Ursus dich ohnehin unterstützen - immerhin sind wir verschwägert! Diesen Vorteil hätten wir bei Hungaricus nicht. Aber letztendlich ist es natürlich deine Sache."


    meinte er dann schließlich. Zwar war der Vinicier auch nicht in Rom, aber einerseits hatte er wohl deutlich mehr Einfluss als Ursus, andererseits war er noch alteingesessener, womit er wohl auch mehr Kontakte hatte.

  • Ahala kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf und nickte dann. "Die Entscheidung ist nicht wirklich leicht,am besten denke ich nochmal in Ruhe darüber nach. Deinem Patron schreiben und mich ihm offiziell vorstellen kann ich ja in jedem Fall, vielleicht macht es auch einen besseren Eindruck, wenn ich ihn nicht mit einer Bitte überfalle." Der junge Tiberius räusperte sich und machte Anstalten sich zu erheben. Noch war der Tag nicht allzu weit fortgeschritten, und wenn er sich beeilte, konnte er es sich vor der Cena noch ein Weilchen in den Thermen gemütlich machen.
    "Wenn es dir recht ist, dann werde ich mich jetzt wieder entfernen und ein wenig für meinen Kurs recherchieren, damit ich mich bei der Prüfung nicht blamiere."

  • Einige Tage nach der denkwürdigen Cena, die Ahala einen nicht unbeträchtlichen Teil seines normalerweise kaum zu erschütternden Seelenfriedens und ebenso etliche Stunden seiner ohnehin meist nur knapp bemessenen Nachtruhe geraubt hatte, raffte dieser sich schließlich dazu auf, seinen Senior endlich auf diese mehr als heikle Sache anzusprechen. Wer hätte gedacht, dass sein alter Herr offenbar noch umtriebiger war als er selbst, wenn auch auf ganz andere und sicherlich bei weitem gefährlichere Weise? Aber wer wusste es schon: vielleicht war dem guten alten Durus an besagtem Abend ja auch nur eins der gefüllten Eier schlecht bekommen und kurzfristig aufs Gemüt geschlagen, und er hatte seine Überlegungen längst wieder ad acta gelegt.


    "Salve, Vater, hättest du eventuell einen Augenblick Zeit für mich?" fragte Ahala, nachdem er am Zugang zur Exedra stehen geblieben war, vielleicht sogar in der Hoffnung, dass Durus ihn wieder fort schicken würde.

  • Der Tiberier saß in der Exedra, während Lukios neben ihm eine Buchrolle des Seneca aufgeschlagen hatte und daraus vorlas. Als Ahala eintrat, sah Durus überrascht auf und sein Sekretär verstummte. Er hatte den Eindruck, dass irgendetwas seinen Sohn betrübte...


    "Natürlich, setz dich!"


    erwiderte er daher und bedeutete ihm, auf der Bank neben ihm Platz zu nehmen.

  • Ahala hatte keine Ahnung, aus welchem Werk der Sklave seines Vaters gerade vortrug, aber die Worte klangen derart langweilig, dass sie vielleicht sogar seine so ungewohnt angespannten Nerven ein wenig einschläfern konnten. Er ließ sich etwas steifbeinig neben seinem Senior auf dem angebotenen Platz nieder und räusperte sich dann vernehmlich.


    "Nun, ähm...ich will dich wirklich nicht lange aufhalten, es ist nur...Ich denke schon seit einiger Zeit über diese Cena nach, zu der vor ein paar Tagen all diese Senatoren geladen waren. Öhm...vergib mir, wenn ich so direkt nachhake, aber hast du ernst gemeint, was du an dem Abend vorgeschlagen hast?" Eigentlich war er ja schon auf das Schlimmste gefasst, aber noch bestand ja die winzige Hoffnung, dass Durus ih mit einem Schenkelklopfen und einem Lachen über einen Scherz oder ein schlichtes Missverständnis aufklären würde...

  • Dass sein Sohn diese Sache ansprach, brach gleichermaßen überraschend und erfreulich über Durus herein. Er hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass Ahala gewillt war, sich aktiv an dieser Angelegenheit zu beteiligen - doch offensichtlich hatte er sich geirrt.


    Natürlich schickte er Lukios nicht von seiner Seite - er war ohnehin informiert.


    "Natürlich, bist du etwa gekommen, um deine Mithilfe anzubieten?"


    fragte er daher. Ihm kam gar nicht die Möglichkeit in den Sinn, dass der junge Tiberier versuchen würde, ihm seine Pläne auszureden oder auch nur anzuzweifeln.

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