Mit finsterer Miene betrachtete sie ihr Antlitz in der polierten Silberplatte, welche ihr als Spiegel diente. Die wilden Locken waren zu einer eleganten Hochsteckfrisur gebändigt worden, ihre natürliche Schönheit nur dezent durch Make-Up betont: Kohle um die Augen, ein Hauch von blau auf den Lidern und das rot ihrer Lippen mit purpur unterstrichen. Eine Kette aus Gold wand sich zart um ihren Hals, güldene Armreifen zierten ihr rechtes Handgelenk und kleine feine Ohrringe, ebenfalls aus Gold, baumelten an ihren Ohren.
Lysandra, die Sklaven die sie im Grunde schon ihr ganzes Leben lang begleitete, hatte sich regelrecht übertroffen. Selten war die Aurelia schöner gewesen. Flora machte regelrecht einen ätherischen, unwirklichen Eindruck. Die fleischgewordene Venus, hatte Lupus gesagt. Oder war es Avianus gewesen. Einer der Beiden war kurz in ihr Zimmer gekommen um nach ihr zu sehen. Sie hatte das Kompliment mit einem hübschen Lächeln und einem leichten Kopfnicken quittiert. Doch ausgerechnet heute hätte sie wohl alles dafür gegeben, ein hässliches Entlein zu sein. Ober aber einfach nur die Tochter eines unbedeutenden Plebejers. Nur nicht sie selbst sein.
Natürlich hatte sie gewusst, dass es sich nicht vermeiden ließ, dass es eine unumstößliche Tatsache war, dass sie würde heiraten müssen. Aus diesem und keinem anderen Grund hatte ihre Mutter ihre Töchter schließlich nach Rom geschickt. Um eine gute Partie für sie zu machen, um den Einfluss der Familie zu vergrößern. Sie hatte diese Tatsache aber stets verdrängt und nach Möglichkeit keinen Gedanken daran verschwendet. Aber wie ein Damoklesschwert hatte es über ihrem Haupt geschwebt. Immer da, mahnend und niemals vergessen. Bis der feine Faden gerissen war um ihr innersten aufzuspießen und zu erschüttern. Während ihr Kopf bis weilen in den Wolken gesteckt hatte, war ihr Cousin nicht untätig gewesen, hatte die Aufgabe ihres verstorbene Bruders übernommen und einen passenden Ehemann für sie gefunden. Septima, hatte es ihr eröffnet, in einem Gespräch unter vier Augen. Hatte ihr beinahe strahlend eröffnet, dass sie deren Onkel heiraten sollte. Es hatte sie einige Beherrschung gekostet, so etwas wie Freude zu heucheln und nicht einfach sich sofort in ihrem Zimmer zu verstecken. Manius Tiberius Durus mochte zu den mächtigsten und reichsten Männern Roms gehören, doch er hätte ihr Großvater sein können! Ihr war immer bewusst gewesen, dass man sie verheiraten würde, so schnell wie möglich, denn sie würde ja schließlich nicht ewig jung bleiben, aber sie hatte doch zumindest gehofft, das es jemand sein würde, der nur etwas Älter sein würde wie sie. Es gab ja schließlich genügend junge Männer aus einflussreichen Familien, welche dringend, um ihre Karriere zu fördern, eine Ehefrau brauchten. Aber sie wurde direkt an einen gestandenen Mann verschachert.
Ihre Mutter tat sicher Luftsprünge. Diese hatte bereits angedeutet, dass ihr der Tiberier als Schwiegersohn gefallen würde. Hatte doch dessen erste Frau, ebenfalls eine Aurelia, die Ehre beider Familien beschmutzt. Es musste eine Wiedergutmachung her und diese war nun sie.
Es trieb ihr beinahe die Tränen in die Augen, sie und ihr zukünftiger Gemahl würden rein gar nichts gemeinsam haben. Wenn er sich überhaupt für sie interessierte. Vermutlich würde sie nur als Alibi herhalten müssen. Damit es nicht Gerede gab, dass der Tiberier solange Junggeselle blieb. Flora würde nichts weiter sein wie ein hübsches Schmuckstück. Etwas das man vorzeigen konnte, aber dem man wohl nicht genug Verstand zutraute. Schließlich war er der mächtige Senator und sie nichts weiter wie ein Püppchen.
Aber Widersprechen oder gar sich gegen ihr Schicksal kam ihr nicht in den Sinn. Ihre Mutter hatte ganze Arbeit bei ihrer Erziehung geleistet. Flora würde sich dem Willen der Familie beugen, ob sie damit glücklich wurde oder nicht, spielte keine Rolle. Sie war schließlich eine Aurelia, wie ihre Mutter ihr ständig eingeimpft hatte. Sie hatte ihre Rolle zu spielen, den Erwartungen gerecht zu werden.
Einfluss würde sie wohl auf ihren so viel älteren zukünftigen Ehemann nicht haben. Er hatte mehr Lebenserfahrung und sie war hingegen wie ein Küken. Sie würde wohl nie eine Ehe führen wie Septima oder so verliebt wie Prisca sein sondern eben nur das hübsche Anhängsel eines mächtigen Mannes. Ihr stand höchstens noch die Ehre zu, ihm Kinder zu schenken.
Wieder einmal spürte sie leise Eifersucht in sich aufsteigen. Sie beneidete ihre Cousine darum, dass diese sich tatsächlich verliebt hatte und niemand ihrem Glück im Wege stehen wollte. Eifersucht war ein hässliches Gefühl und doch konnte sie es in diesem Fall nicht unterdrücken. Es war so furchtbar ungerecht.
„Die Sänfte ist soweit, domina!“ Lysandra kam wieder zurück ins Zimmer und riss sie aus der düsteren Betrachtung ihres Spiegelbildes. „Du musst Lächeln!“ ermahnte die Sklavin sie. Ein letztes Mal überprüfte diese die Frisur Floras, steckte sogar noch eine zarte Blüten zwischen die Locken und strich, nachdem sich die Aurelia mechanisch erhoben hatte, die Falten des weißen Kleides zu Recht. Weiße Seide, schlicht und doch elegant, der Mode entsprechend, aber dennoch auch züchtig und zurückhaltend. Der Saum war fein bestickt. Das Sinnbild römischer Tugenden hatte es Lysandra es genannt.
Flor selbst fühlte sich nur seltsam leer. Hatte es dumpf und ohne Protest zu äußern über sich ergehen lassen, dass die Sklavin sie in eine vorbildliche Matrone verwandelte. Lysandra war aufgeregter wie sie selbst. Hatte Freudentränen gelacht, als sie erfuhr, dass ihre Herrin endlich unter die Haube kam. Das aus dem winzigen Mädchen, welches sie einst gestillt hatte, nun eine Frau geworden war. Nur ihre Mutter wäre wohl glücklicher gewesen. Lucretia Lucilla würde erst wohl zur Hochzeit ihrer Tochter nach Roma reisen. Bis dahin übernahm stellvertretend die Sklavin Lysandra die Rolle der überglücklichen aufgeregten Mutter. Diese bemerkte nicht einmal, was in ihr vorging. Stattdessen flatterte sie wie aufgeregtes Huhn um sie herum und überschütete sie mit gut gemeinten Ratschlägen. Dingen die sie sagen sollte, Dinge die sie nicht sagen sollte, wie sie sich zu verhalten hatte und und und. Dies alles wusste sie bereits, gehörte sie doch zu den wohlerzogenen Töchtern der Gens Aurelia.
Ein letzter Blick in den Spiegel, ehe sie sich dann auf den Weg machte um ihren zukünftigen Ehemann kennen zu lernen. Schließlich war sie allein aus diesem Grund wieder für kurze Zeit in Rom. Titus hatte sie ja zu diesem Besuch überredet.