[Luna] Weißes Gold

  • Die Schiffsreise von Ostia nach Luna dauerte nicht besonders lange. Nicht verglichen mit derselben Strecke zu Fuß, hieß das, dennoch waren es einige Tage. Und wohl auch sehr viel bequemer, selbst wenn Nikon mit einem kleinen Platz zwischen Unmengen an Amphoren hatte vorlieb nehmen müssen. Doch das Schaukeln des Schiffs machte ihm nichts aus wie ein paar der anderen Passagiere, die sich bei jeder größeren Welle aufs Neue erbrachen. Und nach etwa einer Woche waren sie auch im sehr viel kleineren Hafen von Luna angekommen und legten nach Anweisung des Hafenmeisters an.
    Während das Schiff noch abgeladen wurde, ging Nikon bereits von Bord. Er hatte nur einen kleinen Sack dabei, es gab ja auch nicht viel mitzunehmen. Er war hier nicht, um hier zu leben oder länger zu bleiben. Er war nur hergekommen als Geselle seines Meisters, um das zu kommen, weshalb diese ganze Stadt mitsamt ihrem Hafen überhaupt erst entstanden war, so tief im etrurischen Gebiet: Der weiße, feine Marmor von den Steinbrüchen ein kleines Stückchen weiter im Landesinneren.


    Eine Unterkunft in einem Gasthof war rasch gefunden. Er konnte in einem großen Raum schlafen, der sogar mit frischem Stroh eingestreut war. Es war trocken und einigermaßen sauber, und solange niemand allzu schlimm schnarchte, war es wohl ganz annehmbar. Und der Gastwirt wusste auch gleich den Namen eines Vorarbeiters des Steinbruches, und für ein paar Münzen versprach er auch, am nächsten Tag seinen Burschen mit dem Griechen mitzuschicken, die Straße entlang zum Steinbruch. Es war zwar unwahrscheinlich, dass es dort einen Überfall gab. Der Marmor war kostbar und daher jeder Transport gut bewacht. Diese Straße lohnte nicht für Überfälle. Zu viele Männer mit Waffen waren schlicht auf ihr unterwegs, und die Chance, von einer bewaffneten Eskorte erwischt zu werden, schlicht zu groß. Dennoch wäre es für Nikon eine große Hilfe, da er dann auch sicher zum richtigen Mann gelangen würde und mit diesem zumindest einmal sprechen konnte. Und er hatte ja durchaus einen nicht unwichtigen Auftrag.

  • Den Weg zu finden, war nicht weiter schwer. Es gab nur eine Straße, und die führte immer dem Fluss Macra entlang. Der Führer, der Nikon begleitete, war also nicht unbedingt nötig. Dennoch war er dankbar um den Jungen, der vor ihm herschritt und ein kleines Lied mehrstimmig (falsch, laut und voller Begeisterung) sang, so war er nicht ganz allein.


    Das Ziel seiner Reise konnte er schon von Ferne sehen und wenn der Wind ihnen entgegenwehte, auch hören. Mit beständigem Klopfen und Hämmern wurde hier gearbeitet, um die eine Ware aus dem Fels zu gewinnen, die Luca und seinen kleinen Hafen wichtig machte: Feinen, weißen Marmor, der in großen Blöcken auf Schiffe verladen nach Rom geschickt wurde, um daraus die feinen, weißen Statuen und Säulen zu fertigen, die die Stadt einzigartig machten.
    Sie liefen über einen Weg, der mit feinem, weißen Schotter übersäht war. Unzweifelhaft zermahlene Bruchstücke der weißen Riesen, die sich hier in den Felsen schmiegten. Nikon hatte noch nie solch gewaltige Mengen weißen Marmor gesehen. Hoch wie Türme ragte der Steinbruch über ihm auf, als er dem Weg einfach weiter folgte. Vorbei ging es an dutzenden von Arbeitern, die hämmerten, maßen, schleppten. Und entgegen der landläufigen Meinung waren nur die wenigsten davon Sklaven. Im Grunde nur die, die die Blöcke vom Bruch zum Wasser schleppten und dabei immer wieder eindringlich darauf hingewiesen wurden, dass nichts brechen durfte. Diejenigen, die den Stein tatsächlich brachen, das waren ausgebildete Steinmetze, die den Fels genau untersuchten, jede Linie, jede Verwerfung, genau maßen und mit schwarzer Kohle auf dem makellosen Stein Linien zeichneten, um zu wissen, welcher Schlag zu welchem Bruch führen wurde. Meister ihres Faches, die das teure Gut sorgsam behandelten.
    Nikon sah zu ihnen hinüber, versuchte zu verstehen, was sie da berieten, wie sie sahen, wo der Stein brechen würde, fand es aber nicht heraus. Als er wieder zur Straße schaute, lag dort ein etwa faustgroßes Bruchstück des Steines, nach dem er sich bückte und es sich genau anschaute. Der Marmor war so fein, ganz leicht körnig. Fast wie der feinste Sand, den man sich vorstellen konnte, der plötzlich fest geworden war und zusammenhielt als diese weiße Masse. Der Stein gefiel ihm, und er steckte ihn in seinen Beutel ein, auch wenn er sonst wohl keinen Nutzen hatte. Aber so schwer war er ja nicht.


    Schließlich kamen sie zu einem Haus, kaum mehr als ein Holzverschlag, aber Nikons Führer beteuerte, dass er dort finden würde, was er brauchte. Ein wenig zögerte Nikon noch, dann trat er ins halbdunkel der Hütte, das im Vergleich zu dem sonnenbeschienenen Weiß der Felsen ringsum wie der Weg ins Dunkel der Unterwelt erschien.

  • “Wie bitte stellt dein Meister sich das vor? Dass wir hier einfach seinen Auftrag vorziehen und ihm passende Blöcke aus dem Stein schneiden, jetzt sofort?“
    Der Verwalter stand an dem einzigen Fenster des Verschlages und sah nach draußen in die blendend weiße Wirklichkeit des Steinbruchs. Dass er wirklich so aufgeregt war, wie er sich gab, glaubte Nikon ihm nicht, auch wenn der alte Mann, dessen Alter unter der sonnengegerbten Haut nur schwer einzuschätzen war, sich alle Mühe gab. Aber wie immer war es wohl nur eine Frage des Preises, der hiermit in die Höhe getrieben werden sollte.
    “Wir benötigen nur drei Blöcke, und nicht einmal so große. Hier, ich habe die Maße hier aufgeschrieben. Es ist nicht viel. Und das Collegium Pontificium wäre dir sehr verbunden!“ schmeichelte Nikon ein wenig und versuchte, zu beschwichtigen.
    “Ach, tzes. Collegium Pontificium, wenn ich das höre. Dein Meister ist sicher nicht das Collegium!“
    “Nein, aber er arbeitet hierbei für das Collegium. Es geht um den Tempel des Mars.“
    “Ach, Tempel des Mars, Schnickschnack! Ich habe hier“ und dabei wandte er sich seinem Tisch zu und hob diverse Wachstafeln, die er eine nach der anderen Nikon hinhielt “Dutzende von Anfragen. Hier, eine Block für eine Statue für Pisae, hier eine Anfrage aus Lugdunum. Die Menschen in Capua wollen wohl ein neues Theatrum mit weißen Säulen bauen. Hier ein Geschäftsmann aus Patavium, da ein Tempel in Narona, wo auch immer das liegt. Was also macht deinen Meister so viel wichtiger als die ganze Bevölkerung von Capua?“
    Nikon nahm gelassen eine Tafel nach der anderen hin, und überflog kurz die darauf gekritzelten Worte. Wirklich viele Bestellungen, wie es schien, und dabei lag noch ein ganzer Stapel mehr auf dem Tisch. Der makellos weiße Stein war sehr begehrt. Und so holte er das eine Argument aus seinem Beutel, das die anderen hoffentlich ausstach. Mit einem ausdrucklosen Geischtsausdruck holte Nikon einen kleinen Lederbeutel aus seiner Tasche und legte ihn oben auf den Stapel aus Wachstafeln, so dass sein Gegenüber das Klickern von Münzen hören konnte. “Mein Meister zahlt im Voraus. Und wir brauchen ja wirklich nicht viel.“
    Als sein Gegenüber nach dem Beutel Griff und diesen öffnete, die Zahl der Silbermünzen sah und grob überflog, gestattete der junge Grieche sich ein Grinsen. Offenbar war dieses Argument wirklich sehr gut.


    Und drei Tage später wurden drei Blöcke weißen Marmors auf ein Schiff verladen, das direkt nach Ostia segeln sollte.

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