Mens insana in corpore sano?

  • „Erinnerst du dich an dein Versprechen?“ fragte Ruben, einer der beiden Brüder, ihren Reisebegleiter, mit dem sie fast zwei nundinae zusammen verbracht hatten. „Du wolltest uns sagen, wer sich hinter deinem schmutzigen Äußeren verbirgt.“
    Die drei Gefährten hatten sich unweit der großen Synagoge eine erste Pause gegönnt, die beiden Brüder den eingeatmeten Reisestaub mit Wasser, der fremde, nicht mehr ganz junge Mann mit einem guten Schluck säuerlichen Weines aus der Kehle gespült.
    Alphäus schüttelte nur den Kopf. Überhaupt war es in erster Linie der ältere der Brüder gewesen, der zumindest gelegentlich das Gespräch mit dem Mann in dem schmuddeligen Gewand gesucht hatte; der Grund hierfür war sicherlich auch in Alphäus mangelhaften Kenntnissen der hellenischen Sprache zu suchen - und in dem Erscheinungsbild des Fremden.
    Den Großteil der Zeit war der Vagabund stumm oder vor sich hinmurmelnd marschiert, mal am Ende ihrer kleinen Gruppe, mal wie im Trance vorauseilend. Im Laufe ihrer gemeinsamen Reise hatte er sich zudem von fast all seinen Besitztümern getrennt – was schon zu Beginn nicht sehr viele gewesen waren – und den Erlös (so weit vorhanden) in Wein eingetauscht, sodass er nun buchstäblich außer besagten Lumpen und Sandalen nichts mehr am Leibe trug, was der Erwähnung wert gewesen wäre.
    Umso grotesker die Tatsache, dass er sich von einem Gegenstand nicht getrennt hatte. Von diesem unförmigen Etwas, dass sich bei näherer Untersuchung als Reitsattel entpuppt hatte, war der Italiker – und Ruben war mittlerweile davon überzeugt, dass es sich um einen solchen handelte - nicht loszubringen.


    „Ich bin Charon, auf der Schwelle zwischen dem Reich der Toten und der Welt der Lebenden“, antwortete der Fremde nun mit unerwartet klarer Stimme auf Rubens Frage.
    „Wenn du Charon bist, wie kommt es dann, dass du offenbar deiner Aufgabe überdrüssig geworden bist und als Wanderer Richtung Süden unterwegs bist?“ lautete Rubens spöttische Entgegnung.
    Der Mann machte nicht den Eindruck, als störe ihn dieser Einwand auch nur im Geringsten und fuhr – ungewohnt gesprächig – mit seiner wirren Rede fort:
    „Kennst du Tullia, Mann aus Iudaea? Tullia, die Verräterin, Mörderin an Vater, Freunden, Geschwistern? ...
    Ich bin Tullia!“

    „Nie von ihr gehört. Eine Frau?“ Ruben blickte zu seinem Bruder, doch der schüttelte wieder nur den Kopf: „ Spinner!“
    „Und der Sattel?“
    „Gehörte Fulgur, dem treuesten und edelsten Freund, den man sich vorstellen kann. Tot ist er.
    Nun schüttelten beide in brüderlicher Eintracht den Kopf. „Nun, ich wünsche dir alles Gute, Freund von Fulgur, dem Edlen. Mögen dir deine Götter gnädig sein.“

  • [Blockierte Grafik: http://img41.imageshack.us/img41/3866/celso.jpg] | Celsa


    „Der da, das ist er!“ Celsas kräftiger Zeigefinger deutete in Richtung des an einer Hauswand lehnenden Mannes, woraufhin die beiden Begleiter des glatzköpfigen, iunischen Freigelassenen, zwei ehemalige Gladiatoren namens Eginhard und Hildulf, die vor einer gefühlten Ewigkeit in Rom erworben worden waren, den schmutzigen Mann vorsichtig an den Schultern packten und zum Stehen brachten, was dieser ohne Widerspruch mit sich geschehen ließ.
    Celsa trat nahe heran. Die Informationen, die ihm ein ehemaliger Soldat hatte zukommen lassen, der schwor, seinen Schützling aus vergangenen Tagen wieder erkannt zu haben, entsprachen also tatsächlich der Wahrheit.
    Er versuchte den Blick des Mannes einzufangen. Der Blick schien vernebelt zu sein, ging wirr umher, doch der Libertus meinte durch den Schleier von Alkohol und geistiger Umnachtung etwas von den alten Befähigungen und des tiefgründigen Scharfsinnes erkennen zu können, die jenen früher einmal ausgemacht hatten.
    „Lucius!“ begann er leise. Doch der Iunier reagierte nicht auf die wiederholten Versuche Celsas, zu ihm vorzudringen. „Ich bin Tullia!“ blieben seine einzigen Worte. Celsa atmete tief durch: „Packen wir ein, was noch von ihm übrig ist!“

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