Harte Arbeit stärkt den Charakter, sagt Vati.

  • Es war der zweite Tag nach seiner Ankunft im Castellum. Sermo nutzte gerade einen Glücksmoment, in dem es zu regnen aufgehört hatte und man auch außerhalb der überdachten Gehsteige vor den Baracken trocken das Lager durchqueren konnte. Sein Ziel waren die Wallanlagen, die er nun einmal komplett abgehen wollte, um sich ein Bild von den regenbedingten Schäden zu machen. Im Schlepptau hatte er seinen Sklaven Issa, den er neuerdings Cleon nannte, und einen Centurio, den er auf dem Exerzierplatz aufgegabelt hatte. Aus Sympathie, weil der Centurio so laut gebrüllt hatte, wie Sermo sich das Gebrüll eines Löwen vorstellte. Der Anblick der entsetzten Tirones - die auffalend wenige gewesen waren, was Valas Bericht bestätigt hatte - war eine Augenweide gewesen. Sie bestiegen den aufgeschütteten Erdwall, wo Sermo zunächst einen Blick auf das Umland warf. Nikopolis lag im westlichen Teil des Nildeltas nicht weit vom Lacus Mareotis entfernt. Man sah wahlweise Wasser, Schilf und Papyrus, oder Wald. Ganz zu schweigen von den Lagercanabae, die vor den Toren des Castellums lagen.


    "Also, Centurio..." Ein hilfesuchender Blick zu Cleon. "Trebellius." "...Trebellius. Wie schlimm sind denn die Wallschäden? Liegt da viel Arbeit vor uns?"

  • "Hier am westlichen und dort drüben am nordwestlichen Abschnitt sieht's nicht so dramatisch aus. Kleinere Schäden, ein paar Pfähle sind abgerutscht, ein paar Schritt Palisade hängt schief. Nichts großes."
    Mit seiner hohen, unmelodiösen Stimme quäkte der Centurio seinen Wissensstand hervor und deutete mit seinem muskel- und fettbepackten Arm in entsprechende Richtung. Seine kleinen Augen ließen dabei nur kurz vom neuen Tribun ab, der sich offensichtlich nicht einmal seinen Namen richtig hatte merken können. Da hatte sich wohl wieder mal so ein neureiches Aufsteigersöhnchen die Militia Equestris hochgeschlafen! Verweichlichtes Bürschchen.
    "Die Palisade auf der ander'n Lagerseite hat's dafür schlimmer getroffen. Da sind bestimmt zwanzig Schritt Wall in den Graben abgerutscht. Drecksregen, hat aus dem schönen Erdwall ne schnoddelige Pampe gemacht."
    Der Centurio spuckte verächtlich aus. Und blinzelte den Tribun forschend an.

  • Sermo nickte und begann in eben jene angezeigte Richtung zu stapfen, nämlich nach Osten. Sie passierten einen Miles im Wachdienst, der eiligst strammstand, als er den Stabsoffizier und seinen Centurio herankommen sah. Sermo nickte dem Soldaten im Vorbeigehen zu, achtete jedoch nicht weiter darauf. Unter ihnen marschierten einige junge Milites durch den Schlamm, angeführt von einem laut brüllenden Optio, der sie offensichtlich drillte. Sermo hatte mittlerweile fast seinen Eindruck über das ohrenbetäubende Löwengebrüll des Centurio Trebellius revidiert. Wie konnte ein Schinder wie dieser beinharte Veteran nur eine so lächerlich hohe Krächzestimme haben? Er versuchte diesen Eindruck zu verdrängen und sich auf das Sachliche zu beschränken. "Und der südliche Abschnitt? Hat der auch stark nachgelassen?" Er hatte den Eindruck, dass an manchen Stellen des Walls eher unaufmerksame Bautrupps gearbeitet hatten, während andere Abschnitte besser instandgehalten wurden. "Sind bestimmte Centurien zur Instandhaltung eingeteilt, oder wird das je nach Bedarf erledigt? Und woher kommt das Baumaterial?"
    Sie beschritten weiterhin den Wall, überquerten die Porta Principalis Dextra, die zum Glück keine Schäden erlitten hatte und warfen einen Blick auf den vor ihnen liegenden Wallabschnitt. Sermo runzelte die Stirn. Überall war der Graben abgeflacht oder unregelmäßig mit Schlamm versetzt, wo es Erdrutsche gegeben hatte. "Welche Centurien sind zur Zeit ohne besonderen Dienst?" Das Gejaule über schnoddelige Wälle ignorierte Sermo letztlich besten Gewissens.

  • Sie brauchten eine halbe Ewigkeit, um bis zur Porta Principalis Dextra zu gelangen, denn das Legionslager von Nikopolis beherbergte immerhin zwei Legionen und fasste noch etliche Auxiliare. Insgesamt bot das Castellum wohl an die 20.000 Soldaten Platz, weshalb die Grundfläche und damit der Wallumfang um ein Beträchtliches größer als normalerweise waren.
    "Im Süden gab's keine nennenswerten Schäden an der Palisade, aber der Graben ist kein Graben mehr," berichtete Posca dann weiter. "Und eingeteilt wurde bisher nichts, nö." Der Centurio machte eine halb entschuldigende, halb wegwerfende Handbewegung. So genau war das nicht zu bestimmen. "Wenn gerade Arbeit ansteht, werden ein paar Centurien ausgewählt und fertig," erklärte er dann.


    Bei der nächste Frage kratzte Posca sich erstmal grübelnd am Kopf, die Lippe als eindeutiges Zeichen angestrengten Nachdenkens weit vorgeschoben. "Puh...das muss irgendwo vermerkt sein. Da wende dich mal lieber an die Stelle in der Principia. Einen Praefectus Castrorum haben wir ja gerade nicht, aber irgendwer wird da schon eine Ahnung haben. Ich schätze, Holz kriegen wir aus der Umgebung, gibt hier ja genug Bäume. Und sonst...frag mich was leichteres, Tribun." Posca zeigte ein verschmitztes Grinsen, wobei er eine fette Zahnlücke entblößte.


    "Quasi alle, die keinen Wachdienst schieben," beantwortete er schließlich die letzte Frage seines Vorgesetzten. "Kannst dir jede aussuchen, wie du möchtest. Die Männer haben nichts zu tun außer Wache schieben und Patrouillen marschieren in Alexandria und der Umgebung. Die werden sich tierisch freuen über ein bisschen Drecksarbeit!" Posca lachte ein fieses, grunzendes Lachen und wischte sich eine Freudenträne aus dem Augenwinkel. Er sehnte sich bereits nach den Tagen, an denen er die Männer in die Gräben vor dem Wall scheuchen konnte, wo sie schlichtweg Matsch schaufeln würden. Neben Schadenfreude war Vorfreude doch noch die schönste Freude...

  • Sermos Blick wechselte immer wieder zwischen Centurio und Wallanlage hin und her. So richtig befriedigend waren die Antworten des Veteranen nicht. Dennoch gewann Sermo einen groben Überblick über die Aufgabe, die ihm bevorstand. Offenbar hatte mit diversen wechselnden Praefecti auch die Praxis gewechselt, das Lager instandzuhalten. Es konnte Sermo auch egal sein, denn jetzt hieß es erst einmal: Befehle erteilen.


    "Verstehe." Sermo wandte sich von seiner künftigen Baustelle ab und trat den Rücktritt zu seinem Domus an. "Dann danke ich dir für deine bereitwillige Auskunft, Centurio Trebellius." Mit einem minimalen Kopfnicken unterstrich er seine Worte und entließ den Centurio dann mit einer mehr oder weniger bestimmten Geste. "Abite!"

  • Die Instandsetzung des Walls war eine Drecksarbeit sondergleichen. Die Milites schufteten im Schlamm, rutschten über die aufgeweichten Böschungen der Gräben und versanken teilweise Knietief im Dreck. Sermo betrachtete die Plackerei mit zunehmendem Ärger. Es machte so wenig Sinn, die Arbeiten während der Regenzeit fortzusetzen. Deshalb ließ er das Schlammschaufeln in den Gräben nach zwei Tagen abbrechen. Er hatte genug von dem jämmerlichen Anblick, den die schlammverschmierten Soldaten ihm beschert hatten. Statt dessen teilte er sämtliche Centurien dazu ein, das Holz zurechtzuschlagen und an den entsprechenden zu reparierenden Stellen in der Palisade bereitzulegen.


    Das war Anfang Februar gewesen. Im Laufe der Wochen sammelten sie so viel Holz, dass Sermo und die Centuriones entschieden, auch die gerade Palisaden genauer unter die Lupe zu nehmen und hie und da Abschnitte komplett zu erneuern. Das hörten die Milites natürlich überhaupt nicht gern, aber was hatten sie schon für eine Wahl? Im Laufe des Februars wurde also Holz zurechtgeschlagen und so zugespitzt, dass sie die Palisade hervorragend ergänzten. Ende Februar begann der tägliche Regen dann langsam zu schwächeln. Es regnete nicht mehr täglich und auch nicht mehr ganz so heftig. Die Milites frohlockten, auch wenn die trockenen Tage direkt zur Arbeit am Wall genutzt wurden. Sermo ergriff die Chance beim Schopf und schickte sofort sämtliche Centurien seiner Kohorte in die Gräben, um Erde aus dem verflachten Graben zu schaufeln und karrenweise an anderer Stelle wieder aufzuschütten, dort wo der Wall in Mitleidenschaft gezogen worden war.


    Die Arbeiten zogen sich über einige Wochen hin, während derer aufrüttelnde Nachrichten aus Rom eintrafen. Das langweilige Lagerleben und die routinierte Drecksarbeit am Wall wurden dementsprechend in den Gesprächen verdrängt, in denen es um die Lage des Reiches ging. Die Milites waren aufgeregt, mancher gar nervös, denn mit einem Mal gab es zwei Kaiser, einen in Rom und einen in Syria. Und die Legionsführung ließ nicht gerade freigebig durchblicken, auf welche Seite sie sich stellen wollte. Erst langsam wurde klar, dass man etwas ausheckte, als nämlich immer häufiger Boten im Lager ein und aus gingen. Und dann machte sich dieser kaiserliche Gesandte auch noch auf den Weg durch die Provinz, den Dioiketes im Schlepptau. Es wurde gemunkelt, man wolle neue Rekruten ausheben. Besonders bei Sermos Kohorte nahm man dieses Gerücht mit Handkuss entgegen, denn man war immer noch unterbesetzt und ein bisschen Frischfleisch, dem man die ätzende Arbeit zuschieben konnte, war immer gern gesehen.


    Ende März endlich waren die Arbeiten am Wall abgeschlossen. Was dann kam, war eine Überraschung für die gerade erst erleichterten Milites: Sie sollten die Palisade noch einmal verstärken! Waren diese Typen im Stab denn völlig übergeschnappt? Sie hatten doch gerade erst den Wall und den Graben erneuert, was musste denn jetzt noch getan werden?
    "Ich will Wehrtürme in einem Abstand von je fünfunddreißig passus", beantwortete der Tribunus Angusticlavius die Frage beim morgendlichen Appell, die sich jeder stellte. Die Milites waren verblüfft. "Männer, das Castellum verdient zusätzliche Wehrkraft. Ich will Plattformen für Geschütze in regelmäßigen Abständen!"


    "Tribunus", meldete sich vorsichtig ein Miles in der ersten Reihe zu Wort. "Müssen wir etwa mit einem Angriff rechnen?" Er drückte die Sorge aller Männer aus.


    "Das wird sich zeigen. Noch haben wir nichts zu befürchten. Reine Vorsichtsmaßnahmen." Damit war der Appell beendet und die Arbeit begann. Es würden weitere anstrengende Wochen werden.

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