Mit einem Knall pfefferte Melina die Schriftrolle auf den Tisch. Hätte sie jemand gefragt, hätte sie nicht sagen können, was im Namen der Götter sie da eigentlich gelesen hatte. Ihre Gedanken waren ganz woanders – sie waren nicht bei der Schriftrolle, sie waren noch nicht mal in ihrem Cubiculum oder auf dem octavischen Gut, sondern einige Meilen entfernt in den Städten Rom und Ostia. Natürlich hatte sie von dem Bürgerkrieg gehört, denn es war quasi unmöglich, hier zu wohnen und nichts davon mitzubekommen. Zunächst hatte es geheißen, sie müsse sich keine Gedanken machen, der Usurpator habe nicht den Hauch einer Chance und seine Truppen würde vermutlich nicht einmal Italia, geschweige denn Rom selbst erreichen. Das war aber dann schon alles an guten Nachrichten gewesen, danach war es erst langsam, dann in immer halsbrecherischerem Tempo bergab gegangen. Cornelius Palma und seine Getreuen waren nicht nur in Italia einmarschiert – oh nein. Sie waren bis nach Rom gelangt und hatten die Stadt schließlich eingenommen. Die Hauptstadt des Imperiums war somit den Rebellen in die Hände gefallen!
Melina stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag und bestimmt auch nicht zum letzten Mal. Sie wusste nichts Genaues über diesen Krieg. Vater sagte ihr ja nichts und auch die anderen, die eventuell etwas wissen könnten, hielten sich in ihrer Gegenwart bedeckt. Vielleicht wussten sie selbst nicht viel, aber vermutlich meinten sie, dass dieses Thema nicht für Frauenohren bestimmt war. Dabei litten Frauen genauso oder sogar mehr unter den Folgen eines Krieges! Wie konnte man behaupten, dass sie das Ganze nichts anging?!? Wütend schnappte sich Melina eine Schale mit Weintrauben und knallte sie mit aller Kraft gegen die Wand. Die grünen und roten Trauben vereinigten sich zu einem unappetitlichen Mus und rutschten der Erdanziehungskraft folgend nach unten, während die Schale den außerplanmäßigen Flug noch recht gut überstanden hatte und lediglich in zwei Hälften gebrochen war. Das passte Melina überhaupt nicht. Sie wollte etwas kaputt machen, verflixt noch mal! Deshalb ging sie hin, hob die beiden Tonhälften auf, betrachtete sie kurz sinnierend und zerschmetterte sie dann mit voller Wucht auf dem Boden.
In diesem Moment ging die Tür auf und ihre Sklavin Nitetis betrat den Raum. Mit großen Augen studierte sie das Malheur, das sich ihr in Form von massakrierten Weintrauben und einer in ihre Einzelteile zerlegten Schale bot. Ehe Melina sie anschreien konnte, dass sie sich gefälligst verziehen sollte, trat die Ägypterin freiwillig den Rückzug an. Melina schnaubte kurz. Sollten die Lemuren sie doch alle holen! Die Octavia trat zu ihrem Fenster, lehnte sich an die Wand und schaute hinaus. Es wurde bereits dunkel und die Sklaven huschten über den Hof, um alles für die Nacht vorzubereiten. Alles wirkte so schrecklich … normal. So als wäre in Rom nicht gerade etwas Furchtbares passiert. Was würde jetzt aus ihnen werden?