Quartos Zuflucht – Das Haus der Witwe Tibulla

  • Das Anwesen der Witwe Tibulla lag in einer ruhigen Seitenstraße Mantuas. Es bestand aus einem großen Wohn- und einem angeschlossenen Lagerhaus, sowie einem großen Innenhof, auf den man durch ein großes, und zumeist verschlossenes Tor gelangte.


    Sextilia Tibulla war eine kleine, magere, alte Dame, die wohl noch mehr Winter gesehen hatte als Quarto. Sie stammte ursprünglich aus Asculum und war vor vielen Jahren nach Mantua gekommen um einen wohlhabenden Tuchhändler zu ehelichen. Damals, so erzählte sie Quarto, regierte noch der Imperator Caesar Vespasianus Augustus und sie vergaß nicht zu erwähnen, dass sie der Meinung war, keiner seiner Nachfolger hätte ihm auch nur annähernd das Wasser reichen können. Das ärgerte Quarto.
    Der Tuchhändler war seit mehr als zwanzig Jahren tot, hatte keine Kinder oder andere Verwandte hinterlassen und so hatte die Witwe über lange Zeit von seinem vererbten Vermögen zehren können. Aber obwohl sie sparsam und mit kleinem, nein, für die Größe des Hauses sogar sehr kleinem Hausstand lebte, hatte sie es geschafft, fast alles auszugeben.
    Diese Notlage kam Quarto gerade recht. Denn so stimmte sie nach einigem hin und her schließlich zu, ihn und sein Gefolge in ihrem Haus aufzunehmen. Den Ausschlag gab ein Aureus, den Quarto hoch hielt und der gülden funkelnd das Gesicht der alten Dame zum leuchten brachte. Da nahm sie auch den ungewohnten Trubel hin, den so viele Leute in ihrem Haus verursachten.


    Quarto war froh, eine Zuflucht gefunden zu haben, auch wenn sie ihm nicht den Komfort bot, den er von zuhause gewohnt war.
    Nach seiner Flucht aus Rom war er erschöpft, fühlte sich krank und müde, war bedrückt und wortkarg.
    Nein, 'froh' war dann vielleicht doch der falsche Ausdruck. Er nahm es hin, jetzt hier zu sein.

  • Corvus war argwöhnisch. War diese Alte geschwätzig?
    Er nahm sich vor, sie im Auge zu behalten und ihr einen Sklaven heimlich hinterher zu schicken, wenn sie das Haus verließ.
    Es wäre nicht gut, wenn sich herumspräche, dass hier der Consular Aelius Quarto wohnte.
    Denn Salinator würde ihn sicher allzu gerne in die Finger bekommen, daran zweifelte Corvus nicht.

  • Und Paetus?
    Ach, er hatte seinem Vater zwar auch zugeredet, hier in Mantua zu bleiben. Aber er selbst, er wäre nur zu gerne mit der Ersten gegangen, in den Krieg gegen den Tyrannen Salinator.
    Doch er tat es nicht. Er blieb bei seinem kranken Vater.
    Er ahnte, dass Corvus ihn wohl ausgelacht hätte. Denn, stimmte es nicht, hatte er bislang nicht viel mehr Erfahrung mit einem stumpfen Übungsschwert als mit einem echten, einem scharfen, mit dem man einen Mann durchbohren konnte? War er, so jung, so grün, in einem Krieg wie diesem nicht vollkommen unnütz?
    Er blieb und sagte sich immer wieder, dass es besser so war. Dennoch fühlte er sich beschämt.
    Immerhin musste er sich nicht mehr als Sklave ausgeben. Zumindest nicht, so lange er im Haus blieb.

  • So vergingen die Tage und zumeist saß Quarto in einem stillen Eckzimmer, dessen einziges Fenster zur Straße hinaus ging, wo das Leben scheinbar seinen gewohnten Lauf nahm.
    Aus Tagen wurden Wochen und während Italia zum Schauplatz eines kurzen, aber heftigen Bürgerkriegs wurde, wie es ihn seit seiner Jugend nicht mehr gegeben hatte, saß er dort oft stundenlang am Fenster und blickte hinaus.
    Aber seine Gedanken waren nicht im Hier und Jetzt, sondern schweiften in der Vergangenheit, blieben an seinen Erinnerungen hängen, drehten sich um seine Zeit auf dem Palatin, als Iulianus noch Kaiser war, hafteten an den Zeremonien auf dem Capitol, zu Beginn seiner drei Konsulate, eilten zurück in seine Kindheit, zum Garten seiner Eltern, in dem er mit seinem jüngeren Bruder Valerianus gespielt hatte, und verfingen sich im Gespinst der Trauer um seinen Tod. Die Grenzen zwischen dem Heute und dem Gestern wurden blasser, die Bilder nahmen Überhand und Namen, Daten und Orte traten in den Hintergrund.

  • Nakhti gehörte nicht zu den klügsten und aufmerksamsten Männern unter dem Himmel. Aber doch bemerkte er, dass sein Herr wortkarg geworden war, weniger aß und den Wein überhaupt nicht mehr anrührte, was nun wirklich ganz ungewöhnlich war. Noch mehr beunruhigte Nakhti, dass Quarto ihn manchmal mit einem so seltsam fragenden Blick ansah, als ob er ihn überhaupt nicht erkennen würde.
    Sich sorgend und unschlüssig stand er nun vor der verschlossenen Tür des Eckzimmers, nicht wissend, ob er hinein gehen sollte, um ihn zu fragen, ob er einen Imbiss wolle. Er befürchtete, einmal mehr mit einer geistesabwesenden, wenn überhaupt, dann unwilligen Geste unverrichteter Dinge hinaus geschickt zu werden.

  • Paetus war der Zustand seines Vaters ebenfalls nicht entgangen und auch er sorgte sich.
    Mochten sich die Sorgen eines Sohnes von denen eines treuen Sklaven unterscheiden, so waren sie sich doch in gewisser Weise auch ähnlich, hing doch nicht zuletzt für beide das persönliche Schicksal daran, wenngleich in sehr verschiedener Art.
    So war es dann wohl kein Zufall, dass sie hier, vor der Tür zu Quartos Zimmer, zusammen trafen.


    “Nakhti!“, sprach Paetus den Leibsklaven seines Vaters an: “Was ist?“

  • “Junger 'err.“, antwortete Nakhti, wobei er sich tief verbeugte: “Junger 'err, der alte 'err, Aelius Quarto... er nicht isst, nicht trinkt und er nicht spricht... er nicht einmal Nak'ti sagt, zu Nak'ti.“

  • “Tot!“


    Es tönte ihm mit rauer Stimme entgegen.
    “Tot, er ist tot...“


    Quarto saß in seinem Stuhl am Fenster, die Augen weit aufgerissen und doch in eine andere Welt blickend.


    “Ermordet...“, zischte er.


    Er sah zu Paetus.


    “Was...?“
    Sein Geist kehrte in die Gegenwart zurück.
    “Mein Sohn, Gaius, du bist hier.“

  • Nakhti war mit in das Zimmer gekommen. Nervös beobachtete er die Szenerie, während er sich mit der Rechten den kahlen Hinterkopf rieb.

  • Paetus versetzte dem dummen Sklaven einen Schlag mit der flachen Hand, nachdem der ihm so in Aufruhr versetzt hatte.
    *patsch*
    Dann trat er an seinen Vater heran.


    “Ja, ich bin es, Gaius.“, sagte er und ergriff die schmal gewordene und erschreckend kalte Hand des alten Mannes.
    “Du bist in Sicherheit, Vater. Es ist gut. Alles ist gut.“


    Wo war denn nur der Kampfgeist seines alten Herrn geblieben?

  • Zitat

    Original von Gaius Aelius Paetus
    [...]
    *patsch*
    [...]


    Nakhti zuckte unter dem Schlag zusammen. Mit unterwürfigem Gesichtsausdruck duckte er sich und versuchte sich klein zu machen, was angesichts seiner Körpergröße umso erbärmlicher aussah.

  • “Gut?", krähte Quarto, der seinen Kampfgeist scheinbar für einen Moment wiedergefunden hatte. Nakhti beachtete er gar nicht.
    “Gut? Nichts ist gut! Tot, ermordet, er ist tot und sein Sohn auch, mein Neffe, ebenfalls tot!“
    Selbst nach über einem Jahr quälte ihn noch das Entsetzen über Valerianus' und Maioranus' Ermordung.


    “Und der Mörder? Er sitzt in Rom und nimmt uns alles!
    Wohl nichts hätte Quarto davon überzeugen können, dass nicht Salinator der Auftraggeber des Anschlags war.


    “Sicherheit? Hier? Es gibt keine Sicherheit! Jederzeit können die Schergen des Mörders die Straße hinauf kommen und uns hier finden. Ich bin alt, es ist egal. Soll er mich auch töten. Ich werde ihm mit meinem letzten Atemzug auslachen und ins Gesicht spucken. Aber du, Gaius, du musst leben...“


    Im nächsten Augenblick sank er wieder in sich zusammen. Seine Schultern fielen nach vorn.
    “Aber, ach... welche Zukunft hast du schon... in einer Welt wie dieser, mit einem Tyrannen, der sie beherrscht und uns hasst...?“

  • Im etwas verschlafenen Mantua und hinter den Mauern ihrer Zuflucht, gelangten die Neuigkeiten nur schleppend zu ihnen. Dennoch hatte Paetus einiges gehört.


    “Nicht nur die Erste hat sich gegen den Tyrannen gestellt. Es heißt, die Provinzen wenden sich von ihm ab. Bestenfalls eine Hand voll Legionen hält ihm noch die Treue. Der Rest hat sich gegen ihn gestellt, in den beiden Germanien, und auch im Osten, überall. Er hat sich zu viele Feinde gemacht. Einer der Sklaven hat gemeint, auf dem Markt erzählen die Leute, dieser Cornelius Palma würde mit einer erdrückenden Übermacht auf Rom marschieren, um den Usurpator abzusetzen. Vielleicht ist er sogar schon dort.“


    Er fasste Quarto an die Schulter.


    “Er wird fallen, Vater! Der Tyrann fällt!“

  • Und er fiel tatsächlich. Denn die Truppen der Cornelianer drangen bis nach Rom vor, erstürmten den Palatin und Salinator starb unter Umständen, die bis auf weiteres im Dunkeln blieben. [Link]
    Nicht bald darauf erreichten die Nachrichten über die Geschehnisse in der Hauptstadt auch Mantua und die Bewohner des Hauses der Witwe.


    Corvus war es, der sie Quarto überbrachte.


    “Patron, es ist passiert! Sie haben Rom! Die Anhänger des Mörders haben kapituliert und er selbst, er ist tot.“

  • “Ich weiß es nicht. Die einen sagen, seine eigene Leibwache hätte ihn niedergemacht, diese Skythen. Andere meinen, Palmas Soldaten wären es gewesen. Manche glauben, er hat sich selbst gerichtet und sich vergiftet, wie ein Weib. Und einer soll gefaselt haben, er hätte sichere Zeichen gesehen, dass der Vater Iuppiter höchstselbst auf der Erde erschienen sei und ihn erschlagen hat. Ich weiß es nicht, aber es gibt keinen Zweifel: er ist tot!“

  • “Die Götter... ja, jeden ereilt seine Strafe. Die Götter...“, brummte Quarto. Scheinbar hielt er die letzte Version nicht unbedingt für die unwahrscheinlichste.


    Doch plötzlich drehte er sich zu Corvus um und donnerte los: “Aber es ist keine Gerechtigkeit! Er hätte seine Verbrechen gestehen müssen, vor dem Volk, vor aller Welt! Er hätte gerichtet werden müssen, für alles was er getan hat! Aber so, nein, das ist nicht gerecht! Er hat sich davon gemacht, hat sich umbringen lassen, dieser feige Hund...!“

  • Inzwischen war Paetus hinzu gekommen. Man konnte sehen, wie aufgeregt er war, obwohl er sich doch sehr bemühte ruhig und vernünftig zu erscheinen.
    “Aber Vater, dass Wichtigste ist doch, dass es vorbei ist! Salinator ist weg, der Albtraum vorüber. Wir sind wieder frei und Palmas Leute sorgen in Rom für Frieden und Ordnung.“

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