Den enttäuschten Protest nahm Macer mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Verwunderung auf. "Und du glaubst wirklich, die Schattentafeln kann man nur durch Beobachtung gewinnen und nicht berechnen?", fragte er leicht provokant, aber mit einem Augenzwinkern zurück. "Wenn in Rom ein neun Fuß langer Stab einen acht Fuß langen Schatten wirft, sagt dir das dann nichts über den Winkel, in dem die Sonne dann steht? Und wenn du dann außerdem weißt, dass die Sonne im Sommer um ein Fünfzehntel des Vollkreises höher steht, im Winter jedoch um ein Fünfzehntel des Vollkreises niederiger, dann rechnest du doch schon, oder nicht?" fragte er dann ganz harmlos. "Oder würdest du tatsächlich ein Jahr lang warten wollen, um alle maßgeblichen Schatten durch Beobachtung aufgezeichnet zu haben?", ergänzte er dann noch eine rhetorische Frage. "Wenn man weiß wie es geht, kann man nämlich Sonnenuhren für Orte bauen, an denen man selber nie gewesen ist und an denen man die Sonne nie beobachtet hat", führte er dann noch ein weiteres Argument an, das gegen die pure Beobachtung sprach.
[Triclinium] Besuch von den Iuniern
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Jetzt kam Atticus doch ein wenig ins Grübeln. Da sein Lehrer sich nie so genau über den Sonnenlauf geäußert hatte, war ihm nicht bekannt, ob das mit dem Fünfzehntel denn stimmte oder nicht. Was er sicher wusste, war, dass im Sommer die Tage länger schienen und im Winter es eher dunkel wurde, so dass die Länge einer Stunde tatsächlich variabel war und nicht davon abhing, ob man sich amüsierte oder nicht. Und es gab sicher keinen Grund, warum der Consular ihn hierbei anschwindeln sollte.
Also versuchte er diese neue Information einzusortieren in seine (spärlich gefüllte) Bibliothek des Wissens und überlegte, ob die Schlussfolgerung seines Gastgebers damit richtig war.
“Aber dadurch, dass ich weiß, wie hier in Rom der Sonnenstand zu einem bestimmten Tag ist, weiß ich doch nicht zwangsläufig, wie der Sonnenstand an einem anderen Ort ist. Selbst wenn ich davon ausgehe, dass die Sonne überall und immer denselben Lauf nimmt und daher die verhältnismäßige Änderung des Sonnenstandes sich überall gleich verhält, muss ich doch trotzdem eine initiale Messung machen, von der ausgehend ich rechnen kann. Oder nicht?“
Atticus fragte das mit ehrlichem Interesse. Er lernte ja durchaus sehr gerne. Aber nur weil die Sonne hier in Rom um einen bestimmten Gradsatz wanderte, hieß das doch nicht automatisch, dass man daraus schließen konnte, wie sie sich an anderen Orten änderte. “Ich meine, ich hab doch gelesen.... wie hieß er gleich? Der Grieche, der das in Alexandria gemacht hat?“ Ein hilfesuchender Blick. Er hatte den Namen vergessen. Bei seinem Lehrer hätte er jetzt einen Schlag bekommen, weil er gesprochen hatte, ohne vorher sein Argument richtig zu durchdenken. Er hoffte aber doch, dass ihm dies bei einem Abendessen im Hause eines Consulars erspart blieb. “Ähm, also ich meine, dass dort die Schattenlänge ja eine andere war.“ -
"Ja, das stimmt", bestätigte Macer. "In Alexandria ist die Schattenlänge eine andere. Und die muss man auch einmal vor Ort gemessen haben, da hast du völlig recht. Aber dann reicht es, dass dir jemand diese eine Zahl nennt. Du brauchst dort nicht im Winter oder Sommer noch einmal zu messen, denn das kannst du ausrechnen, wie lang der Schatten dann sein wird", versuchte er dann noch einmal zu erklären. Immerhin war er sich an dieser Stelle sicher, denn das war der einfache Teil der Konstruktion einer Sonnenuhr.
"Und was du vielleicht meinst, ist dass die Griechen auf eine ähnliche Weise sogar den Umfang der Erde bestimmt haben", half er seinem jungen Gast dann noch auf die Sprünge, auch um darüber hinweg zu reden, dass ihm selber gerade nicht bewusst war, von welchem Griechen er redete.
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Wieder überlegte Atticus kurz, aber mit der Erklärung konnte er sich anfreunden. “Vielleicht sollte man aber trotzdem einmal experimentell dann nachprüfen, ob die Berechnung auch stimmt. Manchmal sind die Dinge ja trotzdem anders, als man sie errechnet hat.“
Ihm fiel zwar gerade kein Beispiel ein, aber er wusste, dass nicht alles, was man berechnete, deshalb stimmen musste.
Ob der Grieche, den er meinte, der war, der irgendwas mit dem Umfang der Erde berechnet hatte, wusste Atticus auch nicht. Eigentlich hatte er ja ein sehr gutes Gedächtnis, aber in diesem Punkt ließ es ihn in diesem Moment zumindest komplett im Stich. Daher begnügte er sich mit einem “Ich glaube schon....“ und versteckte sich anschließend ein wenig hinter seinem Weinkelch, da er wirklich nichts sinnvolles anzufügen hatte. Und wenn man keine Ahnung hatte, ... -
Während ihr Sohn sich mit dem Consular unterhielt, hörte Axilla einfach zu. Auf gar keinen Fall wollte sie einfach so dazwischen reden. Das war die Gelegenheit, dass ihr Sohn sich in einem guten Licht präsentierte und Werbung für sich und seine Talente machte. Und anscheinend machte er sich dabei auch gar nicht mal so schlecht, wenn sie Tonlage und Mimik richtig zu deuten wusste. Allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, als er den Namen Erastosthenes vergaß.
Ein unterschwelliges – und vor allen Dingen peinlich berührtes - Schweigen drohte, zu entstehen. Also nutzte Axilla den Moment, um jegliche Peinlichkeit abzuwenden und das Gespräch noch ein wenig in die gewünschte Richtung zu lenken.
“Ich hatte überlegt, meinen Sohn für ein Jahr oder zwei nach Alexandria zu schicken, um am Museion dort zu lernen und sein Wissen zu vertiefen. Meine Familie hat sehr gute Kontakte nach wie vor nach Ägypten, und in Hinblick auf eine Ritterkarriere kann dies ja nur von Vorteil sein, nicht wahr?“ -
"Ich glaube, diese Experimente haben schon viele gemacht und die Berechnungsweise für richtig befunden", mutmaßte Macer, obwohl er es auch nicht genau wusste. Und gegen Rechenfehler halfen solche Ergebnisse freilich auch nicht. Aber bevor er weiter darauf eingehen konnte, griff Iunia Axilla den Faden auf und machte aus dem Kontrollbesuch in Alexandria gleich eine mehrjährige Bildungsreise. "Nun, ich glaube, Studienreise sind inzwischen in allen gehobenen Kreisen sehr in Mode", antwortete er erst einmal nur vage. "Ich habe auch schon im Senat bei vielen Kandidaten für die unteren Ämter des Cursus Honorum Verweise auf frühere Aufenthalte in Achaia oder anderen klassischen Bildungsregionen gehört. Aber falsch ist es sicher auch für einen Ritter nicht, zumal es sich in einer späteren Verwaltungskarriere sicher nicht als hinderlich erweisen wird, fließend Griechisch zu beherrschen." Eine Kunst, die Macer nicht in Vollendung vergönnt war und bei der er sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlug, wenn es denn notwendig war, auf Griechisch zu kommunizieren.
"Wer weiß, vielleicht leitest du dann eines Tages in staatlichem Auftrag einige Landzuweisungen in neuen Koloniestädten in einer der Provinzen und findest noch heraus, wozu ein Landvermesser auch Kreisbögen berechnen muss", wandte sich Macer dann wieder an den jungen Mann und spann einen der Gesprächsfäden von vorher weiter.
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Er sollte nach Alexandria? Für mehrere Jahre? Atticus musste sich einen Moment beherrschen, dass ihm nicht die Kinnlade nach unten fiel. Eigentlich sah man ihm Überraschung ja nicht so unbedingt an, aber diese Neuigkeit war doch eine sehr große Herausforderung für seine Ruhe.
Der Consular griff natürlich diesen faden auch gleich auf und stellte Atticus dann auch wieder eine frage, die er im ersten Moment mit einem “Hm?“ nur kommentieren konnte. Wieder wanderte sein Blick zu seiner Mutter, dann wieder zurück zum Purgitius, der ja noch auf eine Antwort wartete, dann immer wieder zu seiner Mutter, die ihn auch auffordernd ansah. Jetzt wusste er, wie sich die Kaninchen im Stall zum Hof fühlten, wenn die Köchin vorbeiging.
“Ähm, in meiner Familia... also in der von meiner Mutter, da sind mehr militärische Ämter Tradition. Auch wenn mein Vater lange Jahre in der Kanzlei tätig war, da... ähm... glaube ich doch, dass ich vielleicht eher im Militärdienst sein werde. Aber... vielleicht geht es mir ja irgendwann wie... Vetruvius? Der war doch auch Tribun, nicht?“ Bei letztere war sich Atticus nicht sicher. Er wusste nur, dass besagter Vetruvius sehr viel über Architektur geschrieben hatte, unter anderem auch über den Bau von Kriegsmaschinen. -
Bevor ihr Sohn wieder das Thema so weiterleitete, dass sich kein günstiger Anschluss ergab, nahm auch Axilla sofort wieder den Gesprächsfaden auf, um ihn weiter zu spinnen. “In der Tat wäre ich mehr als glücklich, wenn ich meinen Sohn in ein paar Jahren im Rang eines Tribuns sehen würde. Natürlich benötigen wir, ehe es soweit ist, für dieses Anliegen noch den ein oder anderen Fürsprecher, und selbstverständlich einen Patron...“
Axilla mühte sich, es beiläufig klingen zu lassen und nicht auffordernd zu ihrem Gastgeber zu sehen. Aber dennoch bemerkte wohl selbst ein Blinder, was die Intention dieses Kommentares war. Und Axilla glaubte zumindest, dass Purgitius Macer einigermaßen gut sehen konnte. -
Im Gegensatz zu Macers schlechtem Gedächtnis waren seine Augen in der Tat sehr gut, auch wenn sein Sehvermögen hier wohl eher im übertragenen Sinne gefordert war. Dementsprechend war es auch erst einmal nur ein inneres Lächeln, mit dem er anzeigte, dass er nun wusste, woher der Wind weht. Trotzdem ging er erst einmal auf die Nachfrage des Jungen ein. "Ja, Vitruvius Pollio war Tribun, bevor er seine Bücher über Architektur geschrieben hat", bestätigte er.
Dann wandte er sich aber doch wieder an Iunia Axilla. "Das sollte doch nicht allzu schwierig sein, ein paar Fürsprecher für ihn zu finden", meinte er zunächst. "Und auch einen Patron wird dein Sohn sicher mit Leichtigkeit für sich gewinnen können", ergänzte er mit einem Lächeln und wandte sich dann wieder an den jungen Mann. "Falls du schon eine Liste mit Kandidaten führst, darfst du mich gerne ergänzen. Ich hatte zwar schon länger kein Kommando mehr, aber wenn du dann später soweit bist, dein erstes Tribunat zu absolvieren, bin ich dir gerne bei der Suche nach einer passenden Einheit behilflich und setze mich dafür ein, dass du dann auch dorthin kommst", bot er seine Dienste an. Irgendeinen Nutzen musste er aus den vielen Kontakten aus seiner Zeit als Kommandeur der Academia Militaris ja auch heute noch ziehen können, auch wenn er nichts versprechen konnte.
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Moment! Was passierte hier gerade? Und wann hatte irgendjemand vor, ihn darüber aufzuklären, dass es gerade passierte? Atticus war nicht ganz sicher, ob gerade das passiert war, was er dachte, dass es passiert war. Erst eröffnete seine Mutter hier, dass er die nächsten Jahre in Alexandria weit entfernt von Rom verbringen sollte, und dann redete sie kurz von einem Fürsprecher und – schwupps – hatte er einen Patron? Oder war das doch nur ein Hilfsangebot? Aber warum sollte der Consular ihm einfach so helfen? Atticus bemühte sich zwar immer, nett und höflich zu sein, aber so nett und höflich war er ja nun auch nicht, als dass ihm im Gegenzug einfach so ein Anhänger der Nobilitas zu einem Ritterring verhelfen wollte.
Er war sich noch immer nicht ganz sicher, und diese erste Schrecksekunde merkte man ihm wohl auch durchaus an, als er dann seinem Gastgeber antwortete. “Es wäre mir eine sehr große Ehre, wenn du mein Patron werden würdest“, riet er einfach mal ins Blaue, dass das nun ein tatsächliches Angebot gewesen war, sein Patron zu sein. Aber wenn man keine Ahnung hatte, musste man ja wenigstens so überzeugend auftreten, als hätte man welche. “Ich werde mich auch immer bemühen, dass ich mich deiner Hilfe dann als wert erweisen kann.“ Atticus hatte keine Ahnung, ob es bei der Annahme eines Patronats noch etwas zu versprechen oder zu sagen gab. Für einen winzigen Augenblick warf er einen fast hilfesuchenden Blick seiner Mutter zu, ehe er sich daran erinnerte, dass er ja nun ein Mann war. Wenn auch erst seit diesem Jahr. Und als Mann musste er da alleine durch. Da konnte man nicht nach seiner Mama rufen.
Also gab er – ganz Mann – einfach zu, dass er keine Ahnung hatte. “Ich weiß nicht... muss man da noch etwas sagen? Du bist mein erster Patron. Ich will alles richtig machen und nichts vergessen.“ -
Macer hatte nicht unbedingt damit gerechnet, dass hier so schnell Nägel mit Köpfen gemacht wurden, aber wenn der junge Pompeius hier gleich so freudig zusagte, wollte er sich sicher nicht wehren. Wenn er zögerte und wartete, würden seine Gäste womöglich eines Tages noch herausbekommen, dass Macer noch andere Klienten hatte, die auch auf den Ritterring warteten und dass ein Consular als Patron keineswegs eine Garantie für schnellen Erfolg war. "Es ist mir eine Freude, dein Patron sein zu dürfen", antwortete er daher mit freundlichem Lächeln und festem Blick. "Und du brauchst auch keine rituelle Formel aufsagen und auch keinen Vertrag zu unterzeichnen. Ist ja schließlich ein Patronat und kein Handel oder eine Sklavenfreilassung. Und ich hoffe, dass du nicht allzu bald schon einen zweiten Patron brauchst", kommentierte er dann noch die letzte Bemerkung mit einem Augenzwinkern. "Aber wenn du dich benimmst, sollte das zumindest von meiner Seite aus kein Problem sein. Ich werfe ziemlich selten Klienten raus", versprach er dann noch.
Der nächste Gang war inzwischen längst aufgetischt worden und Macer nahm nun bewusst einen etwas größeren Happen, damit auch seine Gäste über das gute Gespräch nicht das Essen und Trinken vergaßen.
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