Es ging gegen Mittag, als der vornehme Reisewagen der Fundania Agrippina in dem Hof der Villa rustica hielt.
Sogleich eilte der Ianitor herbei, um den erwarteten Gast zu begrüßen. Zuerst stieg ein hochgewachsener, schlanker Mann mittleren Alters aus, dessen eleganten Bewegungen eine gewisse Gebildetheit ausstrahlte.
Er wandte sich an den Ianitor. "Kündige deinem Herrn Lucius Acilius Fuscus die Ankunft des Caius Iulianus Selenus an. Ich werde bereits erwartet", wies er den Sklaven knapp an.
Dieser eilte sofort ins Haus und wenige Momente später erschien ein älterer Mann von fülliger Statur im Hof, dessen teure Tunika seinen Wohlstand verriet.
"Ah, der wehrte Selenus! Willkommen in meinem bescheidenen Haus", begrüßte er den edlen Gast, während er ihr mit einem höflichen Lächeln zunickte, das seine Augen nicht erreichte.
"Sei gegrüßt, wehrter Acilius", grüßte Selenus den Hausherrn mit einer Neigung seines Kopfes zurück. "Ich bin Caius Iulianus Selenus, Sekretär und Advokat der edlen Fundania Agrippina." Er sprach absichtlich seinen vollständigen Namen aus, um Acilius zu verdeutlichen, dass er ein freier Mann war.
Acilius trat beiseite. "Bitte tretet ein. Das Tablinum ist gedeckt für deinen Besuch."
Sie durchquerten ein opulent ausgestattetes Atrium und Triclinium, bevor sie zu einem ähnlich luxuriös eingerichteten Tablinum kamen. Während Selenus sich auf einem Stuhl aus rötlichem Nussholz Platz nahm, ließ der Hausherr sich ihm gegenüber auf einem gepolsterten Sessel nieder.
Auf seinen Wink hin schenkten Sklaven Misener Wein ein und schoben den Herrschaften allerlei Süßigkeiten zu.
"Aufgrund der Dinglichkeit deines Briefes nehme ich an, dass es dir heute nicht um geschäftliche Angelegenheiten der Fundania geht", begann Acilius.
Fundania Agrippina war in Misenum weit und breit bekannt für ihre Geschäftstüchtigkeit. Für eine Frau, die nie geheiratet hat, hatte sie es zu beträchtlichem Wohlstand gebracht. Bekannt geworden war sie durch ihre geheimen Kräutermixturen, die Wunder wirkten bei allerlei Gebrechen. Diese vertrieb sie sogar Übersee bis nach Ägypten!
Jedoch handelte sie inzwischen auch mit herkömmlichen Gütern wie Wein, Olivenöl und Getreide.
Und Selenus war bekannt dafür, bei jedem Handelsabschluss zu Rate gezogen zu werden.
"Richtig und falsch, wehrter Acilius", antwortete der Angesprochene mit einem feinen Lächeln. "Ich bin mir sicher, dass du heute nicht leer ausgehen wirst."
"So?" Acilius lehnte sich in plötzlichem Interesse nach vorn und glich damit einem gierigen Asgeier. Einem sehr übergewichtigen Asgeier, der nur darauf wartete, noch mehr Reichtümer anzuhäufen. "Wie meins du das?"
Selenus' Lächeln vertiefte sich. "Ich hörte vor Kurzem, dass zwei deiner Schiffe bei der Überfahrt von Piraeus nach Brundisium gesunken sei. Sie hatten attische Liquamen geladen und deine Verluste waren beträchtlich. Deshalb bist du nun nicht in der Lage, einen Handelskredit zu tilgen, den Plautius Hypsaeus dir für dein Papyrushandel gab."
Acilius' Gesicht war nun weiß wie ein Laken. "Du bist gut informiert, wehrter Selenus", meinte er dann und darin klang unwillkürlich Respekt mit. "Und was willst du damit anfangen? Willst du etwa für mich die Tilgung übernehmen?"
Selenus und Fundania standen sich so nahe, dass es durchaus angebracht war, die Geschäfte der Domina als die seinen zu bezeichnen.
Bedächtig nippte der gelehrte Grieche an seinem Wein. "Das nicht, aber wir, die wehrte Fundania und ich, könnten Plautius Hypsaeus dazu bewegen, von weiteren Forderungen abzusehen."
Acilius' Stirn legte sich in Falten. "Wie das?"
Nun lehnte sich Selenus entspannt zurück. "Nun, bei meinem letzten Gespräch mit ihm erklärte er sich dazu bereit, dir dreiviertel deiner Schulden zu erlassen, wenn er sich zukünftig zu einem Drittel an deinem Misener Weinhandel beteiligen darf und wenn wir seiner Pferdezucht mit vergünstigten Haferpreisen entgegenkomme."
Stille breitete sich nach dieser Erklärung aus und man konnte Acilius' Kopf beinahe rauchen sehen. So scharf dachte er nach.
"Aber du tust es doch nicht ohne Grund?", fragte er dann misstrauisch. "Wo bleibt dein Profit?"
Im Geiste schüttelte Selenus den Kopf. So schlau Acilius in Sachen Geschäfte auch war, er verstand einfach nicht, dass man auch alle Seiten gewinnen lassen konnte und nicht nur sich selbst.
"Nun, der Gewinn der wehrten Fundania ist vielfältig. Einerseits hat sie so einen weiteren Abnehmer ihrer Haferbestände, andererseits sich aber auch dich als wichtigen Handelspartner erhalten. Du profitierst, indem du deine Zahlungsfähigkeit wiederherstellst und Plautius entsteht auch kein Schaden, da deine Weinernte zu den besten in ganz Italien gehören."
Acilius atmete hörbar aus. "Du bist ein kluger Mann, Caius Iulianus Selenus", gab er schließlich zu.
Selenus neigte den Kopf. "Der Lob sollte meiner Herrin gelten."
"Aber..." Nun kam Acilius zur eigentlichen Sache, aus welcher er nicht schlau wurde. "Warum hilfst du mir? Ich meine...wenn du weißt, dass ich ohne die Tilgung dieser Schulden insolvent bin, dann müsstest du doch auch wissen, dass die Fundania dann einen Konkurrenten weniger hätte."
Nun kam der pikantere Teil seines Anliegens. Selenus nippte erneut an seinem Wein und nickte im Geiste anerkennend, als er die Lese erkannte. Sie stammte vom besten Gut des Acilius Fuscus. "Nun, es gäbe da tatsächlich eine Kleinigkeit, die ein wenig...Kooperation...deinerseits erfordert."
Acilius zog die Augenbrauen skeptisch hoch. "Und die wäre? Du weißt, dass ich ein Mann in Not bin."
"Es geht um ein Grundstück, welches sich momentan in deinem Besitz befindet. Einst ein Gut, welches vor einigen wenigen Jahren von Wegelagerern niedergebrannt wurde und welches - so hörten wir - in deinen Besitz überging."
Wie dies geschah, wusste natürlich ganz Misenum: Einer der niederen Beamten war mit Acilius verwandt und hatte einen Hang zu illegalen Transaktionen. Vornehmlich jene, die ihn und die Seinen bereicherten. Und so fiel das nach dem Brand verlassene Land erst an die Gemeinde zurück, gelangte dann jedoch auf krummen Wegen in den Besitz des Acilius Fuscus.
Und dieser schämte sich anscheinend nicht einmal dafür, denn er bestätigte es ohne großen Widerwillen. "Das ist richtig. Du meinst doch das Gut, welches einst den Iulii Caepiones gehörte?"
"Genau diese Gut meine ich", bestätigte Selenus. "Fundania Agrippina hat großes Interesse daran, da es in unmittelbarer Nähe zu einem ihrer Weingüter befindet."
"Und warum kauft sie es mir nicht einfach ab? Mit dem Erlös würde ich meine Schulden decken und wir müssten Plautius nicht ins Boot ziehen", wandt Acilius ein.
Auch das hatte Selenus erwartet. "Sicherlich", meinte er scheinbar bestätigend. "Aber wie auch wir kannst du den unermesslichen Wert des fruchtbaren Vesuv-Bodens einschätzen. Wir befürchten, dass du es nicht aufgeben wirst ohne den Druck deiner Schulden", legte der Grieche nun alles offen. Natürlich konnte man es Erpressung nennen, aber immerhin würden alle Parteien etwas Positives daran teilhaben.
In der Stille, die danach einkehrte, beobachtete Selenus Acilius Verarbeitungsprozess: Dessen Gesicht wurde erst blass vor Schreck, dann rot vor Aufregung und schließlich lila vor Zorn.
Aber Selenus saß nur seelenruhig da und wartete auf des Acilius' Denkergebnis.
"Das...das ist Erpressung!", kam es schließlich von diesem.
"Mag sein, aber das rettet dir erst einmal den Hals", kommentierte Selenus lakonisch.
"Bedenkzeit...ich brauche Bedenkzeit!", brachte Acilius schließlich hervor.
Selenus schüttelte den Kopf. "Ich fürchte, du wirst dich noch zur selben Stunde entscheiden müssen, wehrter Acilius."
Der Grieche zog ein Dokument aus den Falten seiner Toga hervor und breitete es vor Acilius aus.
Es handelte sich dabei um ein Schenkungsschreiben, mit dem die Übertragung des Eigentums auf Fundania Agrippina iuristisch abgesichert werden würde. Es war vollständig bis auf die Signatur und das Siegel des Acilius und Selenus lehnte sich vor, um dem Händler eindringlich in die Augen zu blicken.
"Glaube mir, Acilius, es wird dein Schaden nicht sein! Plautius wird in deinen Weinhandel investieren und diesem einen neuen Aufschwung bescheren! Ich verspreche dir, dass du die Gelegenheit bekommen wirst, das Gut zurückzukaufen, wenn du wirklich sehr daran hängst. Überlege doch: Das Land liegt brach und du hast im Moment keine Kapazitäten, um es zu bewirtschaften. Stattdessen musst du dennoch die Grundsteuer entrichten. Für dich ist es ein Verlustgeschäft. Deshalb: Überlasse das land uns und entlaste dich selbst."
Selenus hatte leise und beschwörend auf Acilius eingeredet und schließlich gab dieser nach. "Na schön. Ich nehme dein Angebot an. Aber ich verlange, dass das Abkommen zwischen Fundania, Plautius und mir ebenfalls vertraglich und iuristisch abgesichert wird."
Selenus ließ sich seine Freude nicht anmerken. "Fundania hat recht, du bist ein verständiger Mann!" Mit diesen Worten zog er den beinahe vollständigen Handelsvertrag zwischen Fundania, Plautius und Acilius aus der Tasche. Auch hier standen bereits Signatur und Siegel der beiden - nur Acilius fehlte noch.
Nachdem Acilius beide Papiere aufmerksam durchgelesen und korrekt signiert und gesiegelt hatte, erhoben sich beide Männer und Selenus verabschiedete sich mit einer leichten Verbeugung.
Auf dem Weg zurück zur Domus Fundania blickte Selenus hinaus in die schöne Bucht und ein Gedanke beherrsche sein Denken: Schon bald würde sich das Gut wieder in den Händen seiner rechtmäßigen Besitzer befinden!
Fundania bestätigte die positive Verhandlung mit einem anerkennenden Nicken und übertrug das Gut umgehend auf seinen rechtmäßigen Eigentümer: Servius Iulius Macro.
Nun war es Zeit für Selenus, sich nach Rom aufzumachen und den bisher mittellosen Geschwistern unter die Arme zu greifen!