Stadtgespräche

  • Immerhin machte wenigstens der Optio einen aufgeschlossenen Eindruck. Anscheinend hatte er Antias nicht im Verdacht, die Finger des Syrers abgeschnitten zu haben, und wenn doch, ließ er sich zumindest nichts davon anmerken. In strammer Haltung marschierten die Tirones auf den Iunius zu und salutierten. Antias entging nicht, dass Hispo dabei demonstrativ zwei Schritte zurück blieb. Sollte er doch, solange er seine zynischen Kommentare für sich behielt. „Optio, offenbar ist der Gesuchte zum alten Serapistempel geflohen. Mindestens ein Zeuge hat beobachtet, wie er den Tempel betreten hat.“
    „Ein Kind.“ ergänzte Hispo gedehnt. Antias ignorierte den zweifelnden Tonfall. „Richtig, ein Kind. Ein Gassenbengel mit wachem Geist und scharfen Augen. Die Beschreibung, die er vom Flüchtigen abgegeben hat, deckt sich vollkommen mit der von dir ausgegebenen, Optio. Ein junger Mann, schlank, bärtig, gepflegt, mittlere Größe, hellbraune Hautfarbe, östliche Kopfbedeckung, rot.“ Verstohlen forschte Antias im Gesicht des Optios nach Anzeichen von Hohn oder Gereiztheit, fand keine und fuhr fort. „Zudem hat mir der Junge bestätigt, dass es sich bei dem entwendeten Gegenstand um eine Tabula handelt.“ Hispo wollte wohl irgend etwas sagen, beließ es dann aber bei einem auffälligen Räuspern. „Darüber hinaus hat mir der Kleine von seltsamen Gerüchten berichtet, die hier anscheinend schon länger die Runde machen. Normalerweise hätte ich nichts darauf gegeben, aber in diesem Fall betreffen die Gerüchte unseren Tribunus beziehungsweise seine Familie. Außerdem sind diese Gerüchte auch Tiro Peducaeus zu Ohren gekommen.“
    Mit zusammengekniffenen Augen fixierte Antias seinen Kameraden. „Stimmt doch, oder nicht?“ Hispo gab endlich nach. „Ja, das stimmt, Optio. Die geschwätzigen Weiber haben’s ja laut genug rum posaunt. Richtig schlau bin ich daraus aber nicht geworden.“ „Ich auch nicht.“ musste Antias zugeben. „Jedenfalls scheint es nicht nur mit Tribun Iulius Dives selbst zu tun zu haben, sondern vor allem mit seiner Adoptivtochter.“

  • Avianus ließ seinen Tiro ausreden, zog derweil skeptisch eine Augenbraue in die Höhe, bekam aber, je länger er zuhörte, das Gefühl, dass bei der Menge an Informationen etwas Brauchbares dabei war, etwa eine genaueste Beschreibung des Verdächtigen und sogar wohin er geflohen war – wenn der Aussage dieses Straßenjungen zu trauen war jedenfalls. Und wollte er die Suche nicht abbrechen, blieb ihm praktisch keine andere Wahl, als den Hinweisen nachzugehen, die Antias ihm zukommen ließ. Mit der Befragung irgendwelcher Passanten kamen sie nicht weiter.
    Dennoch fragte er sich, wann der Tiro das alles erfahren hatte. Gerade eben jedenfalls nicht, die kleine Truppe war zuvor lediglich hinter ihm hergetrottet.
    "Vorerst kümmern wir uns um diesen Flüchtigen und die Tabula. Die Gerüchte laufen uns nicht weg." Und nicht nur das, die waren auch noch überall, und verdammt gefährlich für Torquata. Er würde sie lieber selbst nach der Wahrheit fragen, bevor er sich an den Haaren herbeigezogene Geschichten von irgendwelchen Waschweibern anhörte.
    "Dann verlieren wir besser keine Zeit, von den Leuten hier ist uns nämlich niemand eine große Hilfe", sagte er langsam nickend, und sah die Straße hinab, welche nach Trans Tiberim führte. Sie waren zumindest schon einmal auf dem richtigen Weg.
    "Sag' mir aber, Tiro, hast du diesen Jungen jetzt gerade eben befragt?", stellte er dem Germanicus eine Frage, deren Antwort er bereits kannte, vorerst weder ärgerlich noch vorwurfsvoll, und ging bereits weiter.

  • Das ruhige Interesse des Optios ließ Antias für einen Moment vergessen, dass er sich bei seinem Rapport letztlich vorkam wie ein geschwätziges altes Fischweib. Gerüchte hatten so etwas widerlich traniges an sich. Man munkelt, man erzählt sich, es geht die Rede ... hätte das Geschwätz nicht Tribunus Dives tangiert, er wäre nie auf den Gedanken gekommen, sich mit derlei ungereimtem Mist näher zu beschäftigen. Allem Anschein nach war Avianus da ähnlicher Auffassung. Mit respektvoller Genugtuung registrierte Antias, dass der Optio die vorgebrachten Mutmaßungen zwar anhörte, es aber vorzog, sich mit den handfesteren Aussagen zu befassen, auch wenn diese nur von einem Kind stammten. Fast hätte sich enthusiastischer Eifer in ihm Bahn gebrochen. Die plötzliche Erkenntnis allerdings, dass sie sich erneut nach Trans Tiberim begeben würden, fuhr ihm wie eine geballte Faust in den Magen. Wieder in ihrer Nähe sein, ohne sie sehen zu dürfen! Die Frage des Optios, wann er den Jungen denn befragt habe, drang wie durch dichtes Moos in sein Bewusstsein. Was? Welcher Junge? Wieso gerade eben? Nach einem Moment völliger Hirntaubheit wurde ihm klar, worauf der Iunier hinaus wollte. Sein Fehler bestand also nicht darin, den Optio mit seinem Bericht zu behelligen, sondern dies nicht schon früher getan zu haben. Leise seufzend ging er Avianus nach. Wieder etwas gelernt. Wieder ein Steinchen im verschlungenen Mosaik, das sich langsam in ihm zusammenfügte. „Nein, Optio. Das war, nachdem ich die Leichen aufgeladen hatte. Allerdings bin ich zunächst davon ausgegangen, dass diese Aussagen zur Aufklärung des Mordes kaum würden beitragen können.“

  • Antias bestätigte Avianus' Vermutung. Aber gut, der Kerl steckte noch in der Grundausbildung und dessen kleiner Fehler würde vermutlich keine großen Folgen haben. Er würde sich mit einer Zurechtweisung begnügen.
    "Ich entscheide, was von Bedeutung ist und was nicht. Du machst einfach Meldung." Er nickte dem Tiro kurz zu, als Zeichen, dass die kurze Unterredung beendet war, sofern der Germanicus nichts mehr zu sagen hatte, und jener hatte hoffentlich verstanden. Heute würde er ihm den kleinen Fehler durchgehen lassen, der Mann war lediglich Tiro und hatte ihm am Ende doch noch von den Aussagen des Jungen erzählt. Aber öfter wollte er so etwas nicht sehen.
    Weiter ging es also über den Tiber zum alten Tempel des Serapis.

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