[Scriptorium · Optio Germanicus]

  • Fünf Schritte breit und drei Schritte tief. Eine Basilica war die Schreibstube zwar nicht gerade, dennoch fühlte sich Antias etwas verloren darin. Kein aufgestapeltes Kochgeschirr, keine behängten Trockenstangen, keine Kameraden die ihm auf den Füßen standen. Stattdessen ein Pult, eine Truhe, zwei Stühle, ein Kohlenbecken und ein mit Leinen bespanntes Wandbord. Einfachstes funktionales Mobiliar. Mitten darin der beeindruckte Optio. Die Hastile unter die Schulter geklemmt. Mit der Hand versonnen über das dunkle Rosshaar seines Helmbusches streichend.
    Antias Gedanken trieben diffus im Raum umher. Die breite Statur seines Vaters tauchte vor ihm auf, die ausgemergelte Gestalt seiner Mutter, Sedulus, Avarus, die Gesichter der dritten Centurie, Ferox, Hispo, Fimbria und all die anderen, Apolonia hatte ihren meergrünen Blick auf ihn gerichtet, Avianus sah ihn prüfend an, jeder verlangte sein Recht, allesamt waren sie der Grund dafür, dass er tat, was er tat, sogar dieses Arschloch von Cluvier. Verantwortung. Gleich viel, wie ungewohnt sie noch an ihm herum schlackerte, ab morgen würde sie sitzen müssen wie angegossen. Und er war noch nicht einmal seinem Contubernium mit den Neuigkeiten unter die Augen getreten. So viel zu Reife und Verantwortung.


    Seufzend gab er sich einen Ruck, lächelte sich selbst aufmunternd zu. Hatte er sich etwa irgendwas vorzuwerfen? Nein, verdammt. Avianus hatte eine ganz passable Meinung von ihm, das wusste er, aber der Centurio hätte ihn trotzdem niemals zur Beförderung vorgeschlagen, wenn er nicht der Meinung gewesen wäre, dass es für die Centurie gut war, den Germanicus als Optio zu haben. War es nicht so? Doch, beim Mars, genau so war es! Antias hatte nicht vor, ein frustrierter übellauniger Schreihals wie Mento zu werden, aber die Götter waren seine Zeugen, wenn Hispo diesmal wieder ein derartiges Theater machen sollte wie bei der letzten Beförderung, würde er ihm die Hastile in den Anus rammen bis zum Cassis.

  • Der Weckruf war kaum verklungen. Draußen wich die Nacht langsam nach Westen zurück, drinnen saß Antias im matten Schein einer Lucerna über sein Pult gebeugt und arbeitete sich gähnend von Tabula zu Tabula. Der Bericht über die Inspektionen der letzten zwei Tage war fertig und konnte weitergegeben werden. Die angehängte Auflistung der vorgeschlagenen Strafmaßnahmen ebenso, nur musste die vor der endgültigen Verhängung erst vom Centurio gegengezeichnet werden. Das war dann erstmal das. Antias gönnte sich einen großen Schluck Posca und überflog die Akten noch einmal.



    CENTURIA III · COHORS XII
    Cohortes Urbanae · Roma


    OPTIO CENTURIAE


    Kontrolle von Ausrüstung und Unterkünften
    ANTE DIEM XVII KAL MAI DCCCLXV A.U.C.
    ANTE DIEM XVI KAL MAI DCCCLXV A.U.C.


    Tabula I


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    I/I Ausrüstung:
    Leichte Mängel: IX.
    Gravierende Mängel: II. Ahndung: Siehe Tabula II
    Alle Mängel wurden behoben.


    I/II Bewaffnung:
    Leichte Mängel: III.
    Gravierende Mängel: keine
    Alle Mängel wurden behoben.


    I/III. Unterkünfte:
    Leichte Mängel: VI.
    Gravierende Mängel: I. Ahndung: Siehe Tabula II
    Alle Mängel wurden behoben.


    I/IV. Allgemeine Disziplin:
    Leichte Mängel: III. Ahndung: Siehe Tabula II
    Gravierende Mängel: keine




    Truppenstand: LXXII
    Ausfälle Verletzung/Krankheit: V
    Ausfälle Urlaub: keine
    Abgestellte Vexilationen: keine
    Todesfälle: keine




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    Optio Centuriae Titus Germanicus Antias
    ANTE DIEM XV KAL MAI DCCCLXV A.U.C.




    In Ordnung. Als nächstes der Anhang.



    CENTURIA III · COHORS XII
    Cohortes Urbanae · Roma


    OPTIO CENTURIAE


    Kontrolle von Ausrüstung und Unterkünften
    ANTE DIEM XVII KAL MAI DCCCLXV A.U.C.
    ANTE DIEM XVI KAL MAI DCCCLXV A.U.C.


    Tabula II
    Disziplinarmaßnahmen


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    Ahndung: Gravierende Mängel Ausrüstung:
    Miles Appius Vinicius Vindex: XV Dies Latrinendienst
    Miles Titus Oppius Barea: XV Dies Latrinendienst


    Ahndung: Leichte Mängel Bewaffnung:
    Tiro Sextus Maevius Macro: V Dies Latrinendienst
    Tiro Mamercus Calavius Pola: V Dies Latrinendienst
    Miles Appius Rabuleius Caprarius: X Dies Latrinendienst


    Ahndung: Gravierende Mängel Unterkünfte:
    Contubernium IX: Urlaubssperre für die Kalenden.


    Ahndung: Leichte Mängel Disziplin:
    Miles Memmius Pupius Papias: XV Dies Prima Vigilia
    Miles Potitus Arruntius Aquila: XV Dies Secunda Vigilia
    Miles Appius Sulpicius Umbrenus: XV Dies Secunda Vigilia




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    Optio Centuriae Titus Germanicus Antias
    ANTE DIEM XV KAL MAI DCCCLXV A.U.C




    Gut, das konnte man so rausgeben. Einige Auffälligkeiten bedurften zwar noch der Aufklärung, vor allem diese Eselei mit den Wachteln, aber an der Strafzumessung änderte das letztlich nichts. Dann also weiter zum Morgenrapport mit Truppenzahlen, Diensteinteilung und Tageslosung. Soweit auch fast fertig, es fehlten nur noch die Dienstpläne der letzten drei Contubernia und ein passendes Losungswort. Versonnen kaute Antias auf seinem Stylus herum. Immer wieder schielte er dabei kopfschüttelnd auf den geflochtenen Korb zu seinen Füßen. Gedämpftes Fiepen klang durch das Weidengeflecht. Ab und an flogen Spelzen und kleine Federn durch die groben Maschen. Manchmal hätte er wirklich zu gern gewusst, was in den Köpfen der Männer so vor sich ging. Wachteln! Er konnte es kaum fassen. Welcher von diesen verschrobenen Veteranen vom Neunten war wohl auf den hirnverbrannten Gedanken gekommen, Wachteln in der Unterkunft zu halten? Götter, das war ja noch bescheuerter als zwischen den Pritschen Garum zu kochen. Grinsend rieb er sich die Augen und notierte: Tageslosung: Coturnix. Sehr schön, und nun zu den restlichen Dienstplänen. Als er gerade damit durch war, klopfte es an der Tür. „Ja!“


    In die Schreibstube trat ein sichtlich verschlafener Veteran, der angesichts der frühen Stunde noch betagter wirkte als er ohnehin schon war. Tubero, der Stubenälteste des neunten Contuberniums. In deren Baracke hatte Antias gestern das piepsende Getier vorgefunden. Hinter der letzten Pritsche, unter einer alten Wolldecke. Dilettanten.
    „Optio Germanicus Antias! Miles Triarius Tubero meldet sich wie befohlen zur Stelle!“
    „Ah ja, salve Miles Triarius ..“ Stöhnend stand Antias auf, streckte sich erst einmal ausgiebig und wies dann wie beiläufig auf den fiependen Weidenkorb. „Kannst du mir das erklären?“ Sich umständlich räuspernd glotzte Tubero erst den Korb an, dann den Optio, dann wieder den Korb. Antias begann ungeduldig mit den Fingern auf das Pult zu trommeln. „Nun?“
    „Das .. hrrmchmm .. Wachteln, Optio.“
    „Dass das Wachteln sind, seh ich selber, Miles! Was machen die in eurer Baracke?“
    „Hrrmchmm .. Nutztiere, Optio. Dienen der Zucht. Legen auch Eier. Vertilgen Ungeziefer.“
    „In eurer Baracke? Seid ihr noch bei Trost?“
    „Brauchen kaum Platz, Optio. Da dachten wir ... hrrmchmm“
    „Dass die Viecher euch einen hübschen Nebenverdienst einbringen, schon klar. Deine Idee?“
    Räuspern. Ansonsten ratloses Schweigen.
    „Na gut, spielt auch keine Rolle. Für dein Contubernium ist an den Kalenden Ausgang eingetragen. Das könnt ihr vergessen. Schaff das Geflügel in die Horrea, vielleicht können die was damit anfangen. Abite! Schnaufend schnappte sich der alte Haudegen den Weidenkorb, salutierte zerknirscht und wandte sich zur Tür. „Ach, und Miles Triarius..“, setzte Antias sicherheitshalber nach, „.. sollte ich morgen früh auch nur eine Wachteldaune in eurer Unterkunft finden, wird’s richtig unangenehm, verstanden?“
    „Verstanden, Optio Germanicus!“


    Die Tür fiel in’s Schloss, Antias fiel seufzend in den Sessel zurück. Nein, eigentlich wollte er lieber doch nicht wissen, was in den Köpfen der Milites vorging, höchstwahrscheinlich würde es ihn nur sehr verwundern. Außerdem hatte er gar nicht die Muße, sich in die mitunter wohl äußerst verknoteten Hirnwindungen der Soldaten hineinzudenken. Sein Schädel war schon voll genug mit den mentalen Herausforderungen des Tagesablaufs. Ausbildungseinheiten bei den Tirones, Überwachung der Übungseinheiten der Milites, Kontrollgänge zu den Wachmannschaften, das Führen der Patrouillen, nicht zu vergessen die eigenen Kampf- und Waffenübungen. Vor allem aber Schreibkram, Schreibkram, Schreibkram. Krankenlisten, Einsatzberichte, Materialanforderungen, Leistungsbeurteilungen und so weiter und so fort. Es nahm kein Ende. Nun gut, immerhin blieb ihm kaum mehr Zeit zum Grübeln, das war auch gut so. Sein Blick hob sich zum Fenster. Schräge Sonnenstrahlen malten dicke graue Balken in die Schreibstube. Zeit für den Morgenappell. Schon halb im Stehen las er sich noch einmal durch den heutigen Morgenrapport, den er gleich dem Centurio überreichen würde.



    CENTURIA III · COHORS XII
    Cohortes Urbanae · Roma


    OPTIO CENTURIAE


    MORGENRAPPORT
    ANTE DIEM XV KAL MAI DCCCLXV A.U.C


    Appell durch:
    Optio Titus Germanicus Antias


    Salutatio und Abnahme durch:
    Centurio Aulus Iunius Avianus


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    Tageslosung: Coturnix


    Truppenstand Mannschaftsränge:
    Angetretene Truppe: LXXII
    Ausfälle Krankheit: V
    Ausfälle Urlaub: keine
    Abgestellte Vexilationen: keine
    Todesfälle: keine


    Tagesbefehl_Wacheinteilung:
    Contubernium I
    hora prima – hora quinta: Wache Porta Flaminia.
    hora septima – hora duodecima: Waffenübungen


    Contubernium II
    hora prima – hora quinta: Exerzieren
    hora septima – hora duodecima: Wache Porta Flaminia


    Contubernium III
    hora prima – hora quinta: Wache Porta Pinciana
    hora septima – hora duodecima: Waffenübungen


    Contubernium IV
    hora prima – hora quinta: Exerzieren
    hora septima – hora duodecima: Wache Porta Pinciana


    Contubernium V
    hora prima – hora quinta: Wache Porta Salaria
    hora septima – hora duodecima: Waffenübungen


    Contubernium VI
    hora prima – hora quinta: Exerzieren
    hora septima – hora duodecima: Wache Porta Salaria


    Contubernium VII
    hora prima – hora quinta: Patrouille
    hora septima – hora duodecima: Nahkampfübungen


    Contubernium VIII
    hora prima – hora quinta: Nahkampfübungen
    hora septima – hora duodecima: Patrouille


    Contubernium IX
    hora prima – hora quinta: Wache Porta P. Dextra et Porta P. Sinistra
    hora septima – hora duodecima: Stubendienst


    Contubernium X
    hora prima – hora quinta: Wache Porta Praetoria et Porta Decumana
    hora septima – hora duodecima: Exerzieren




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    Optio Centuriae Titus Germanicus Antias
    ANTE DIEM XV KAL MAI DCCCLXV A.U.C




    Bene. Damit war die Schreiberei für die nächsten Stunden erledigt. Bis zum Abend würde das kleine Scriptorium seinen Insassen nicht mehr wiedersehen. Alles in allem ganz aufgeräumt griff Antias nach Helm und Mantel, schnappte sich Tabula und Hastile und trat schließlich aufatmend in den neuen Tag hinaus. Ein lauer Frühlingsmorgen, ein Morgen wie jeder andere.

  • Der Besuch der Thermen hätte bestimmt mehr Wirkung für Frugi gezeigt, wenn da nicht der Befehl des Optios gewesen wäre. Der Octavier war dort und auch später während der Cena, nur damit beschäftigt herum zu raten was ihn wohl in der Schreibstube erwarten würde.
    Nun stand er vor dem Scriptorium, holte tief Luft und klopfte zaghaft an.

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