Ein gemeinsamer Tag auf dem Markt - oder : Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

  • Sie waren schon wieder unterwegs auf dem Markt. Sibel sah schaute sich um, nach möglichen Geschenken oder um wenigstens ein paar Anregungen für ein mögliches Geschenk zu erhalten. Avianus hatte sich schon ein paar Gedanken gemacht. Allerdings kannte er die Braut kaum. Das einzige was er über sie wusste, war ihre Vorliebe für Bücher. Aber ob das ein passendes Geschenk für beide war? Avianus hätte es sich auch einfach machen können und dem Paar eine kleine Truhe mit Münzen schenken können. Doch wenn er das hatte machen wollen, dann hätte er es wohl kaum erwähnt, dass er noch ein Geschenk benötigte. Nein, er suchte etwas persönliches, etwas, das die beiden an Rom erinnerte, da sie offenbar demnächst in den hohen Norden umzogen.


    Sie schlenderten weiter, während Sibel die Marktstände, die vor ihr auftauchten, überflog. Da drüben war wieder der Gewürzstand. Manche Gewürze waren zwar sehr edel und auch teuer, dich als Hochzeitsgeschenk taugten sie wohl kaum. Und dort war auch wieder der Händler mit den schönen Ohrringen, die sie schon vor ihrem Besuch bei dem Buchhändler bewundert hatte. Sie lagen immer noch in der Auslage. Ihre Schritte verlangsamten sich. Schließlich bleib sie vor dem Stand stehen. Sie sahen noch immer wunderschön aus. Aber deswegen war sie nicht stehengeblieben. Vielleicht wäre ja ein schönes Geschmeide ein passendes Geschenk. Allerdings nur für die Braut? Doch dann erblickte sie einen kleinen filigran gearbeiteten goldenen Anhänger in Form einer kleinen weiblichen Gestalt – wahrscheinlich eine Göttin. So gut konnte man das nicht erkennen.
    „Was hältst du von einem schönen Hausaltar für die lares familiares?“ In der Caupona war ihr das einfache Lararium aufgefallen, das man einfach auf eine der Wände gemalt hatte und jetzt sah sie dieses kleine Figürchen als Anhänger. Für das Brautpaar wäre natürlich ein aufwendig hergestelltes Lararium aus Holz oder sogar aus Marmor gerade gut genug. Außerdem konnten so die Schutzgeister ihrer Familie in der Fremde gleich über sie wachen.

  • Avianus grübelte noch weiter und Sibel betrachtete unterdessen, was in den Auslagen und auf den Tischen der Händler zu finden war. Schmuck, Gewürze, Essen ... nichts, was recht passen wollte oder ihn auch nur auf eine akzeptable Idee bringen wollte.
    Dann unterbrach Sibel plötzlich seine Überlegungen. Einen kurzen Moment dachte er über ihre Worte nach und schließlich breitete sich ein Grinsen auf seinen Lippen aus.
    "Ein Lararium! Natürlich, das ist perfekt!" Er gab ihr einen flüchtigen, verstohlenen Kuss als kleines Dankeschön, über den sich hoffentlich niemand empörte, falls ihn doch jemand gesehen hatte. "Ich werde einen Altarbauer beauftragen, und sobald feststeht, wo sich die beiden häuslich einrichten, lass ich es dorthin transportieren."
    Genau das war es doch, was er seinem Vetter und dessen Frau sagen wollte: Dass ihr Haushalt stets unter dem Schutz von Göttern und Schutzgeistern stand, dass sie unter diesem Schutz eine Familie gründen konnten. Es wäre ein eindeutiges Zeichen an Seneca, dass er ihm und Seiana für die Zukunft nur das Beste wünschte. Dass er nicht selbst darauf gekommen war ... jedenfalls war er einmal mehr glücklich, Sibel dabei zu haben.
    "Und du? Ich meine … hast du etwas anzuziehen?" Klar hatte sie etwas. Und wenn es nach ihm ginge, könnte sie tragen, was sie wollte, für ihn wäre sie immer hübsch. Aber bei der Hochzeit würden auch Senatoren, Ritter und andere hohe Tiere anwesend sein, die noch dazu etwas anders dachten. "Der Praefectus Urbi und ein paar andere Persönlichkeiten werden vermutlich auch zur Hochzeit kommen. Wenn du also noch etwas benötigst, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt." Und er? Er selbst wäre mit seiner weißen Toga gut versorgt. Selbst wenn es ihm vor dem umständlichen Kleidungsstück graute.

  • Die Familie war doch das Wichtigste. Gerade dann, wenn man weit von zu Hause entfernt war. Wer, wenn nicht Sibel, hätte darüber klagen können, wie schwer es war, nirgends wirklich dazuzugehören. Erst seit sie Avianus kennengelernt hatte, empfand sie anders. Er war ein Stück der Familie geworden, die sie vor so langer Zeit in den Fluten des Mare Nostrum verloren hatte.
    Auch Avianus gefiel ihr Vorschlag, ein Lararium für das Hochzeitspaar zu kaufen. Er belohnte sie dafür sofort mit einem Küsschen, das wahrscheinlich niemand in dem Gewusel, welches auf dem Markt herrschte, aufgefallen war. Höchstens vielleicht dem Goldschmied, vor dessen Marktstand sie noch immer standen. Zumindest hatte er die Frage des männlichen Begleiters der jungen Frau mit angehört und sah nun seine Chance gekommen, heute vielleicht doch noch ein gutes Geschäft zu machen. Schließlich hatte er ja auch hervorragende Waren, die frau anziehen konnte.
    „Junger Herr, ich hätte hier noch etwas, was die Schönheit deiner Gattin noch um ein Vielfaches in den Vordergrund stellt.“ Mit diesen Worten hielt er den beiden ein fein gearbeitetes Geschmeide entgegen, welches durchaus seine Reize hatte.


    „Etwas zum Anziehen?“ Sibel hatte auf Avianus Frage hin gerade noch au sich herabgeschaut, als wolle sie ihm damit sagen, dass sie natürlich etwas zum Anziehen hatte. Doch begriff sie, was er gemeint hatte, auch wenn sie bei der Erwähnung des Prefectus Urbi plötzlich etwas eingeschüchtert wirkte. Ob sie wohl unter all diesen feinen Leuten auffallen würdel? Nun, mit der richtigen Kleidung und den entsprechenden Accessoires wahrscheinlich nicht. Sozusagen genau im richtigen Moment platzte der Goldschmied mit seinen Schmeicheleien in ihr Gespräch und hielt ihr eben jene Halskette entgegen, die im Prinzip eine passende Ergänzung zu den Ohrringen gewesen wäre. Sie hätte gelogen, wenn sie behauptet hätte, der Schmuck sei nicht wunderschön gewesen und ein kleine Teil, tief in ihr hätte den Schmuck auch gewollt. Die Vernunft aber machte diesem Teil einen gehörigen Strich durch die Rechnung. „Ach nein, wenn es schon eine neue Tunika sein soll, dann nicht auch noch der Schmuck. Der ist zwar sehr schön aber…“ und damit wandte sie sich wieder an Avianus. „… der ist wahrscheinlich auch viel zu teuer.“ Viel zu teuer war genu das Stichwort, worauf der Goldschmied die ganze Zeit gewartet hatte. Zumindest hätte man das meinen können. Denn auch dafür hatte er die perfekte Antwort parat. „Oh, sag das nicht!“, entgegnete der Goldschmied. „Für euch mache ich heute einen Spezialpreis!“


    ~Derweil ein paar Stände weiter~


    Auch am Gewürzstand des Minos herrschte heute ebenso ein reges Treiben. Vor gut drei Wochen hatten er und seine Männer von Massilia kommend, in Ostia angelandet. Von dort aus waren sie über die Landstraße weiter nach Rom gereist, um auf dem Markt ihre feinen Gewürze und Kräuter feilzubieten. Nachdem sich sein Vater Tychon vor einigen Monaten zur Ruhe gesetzt hatte, übernahmen nun seine Söhne Stück für Stück das Geschäft, welches er und sein Bruder vor fast dreißig Jahren aufgebaut hatten. Minos hatte sich vorgenommen, ein würdiger Nachfolger zu werden. Bisher waren seine Geschäfte gut gelaufen und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er längst schon wieder sie Segel seines Schiffes gesetzt und wäre nach Hause gesegelt. Allerdings war dieses Vorhaben durchkreuzt worden. Schuld daran war eine Begegnung auf dem Markt gewesen. Gut zwei oder fast drei Wochen war das schon her. Doch eigentlich plagten ihn inzwischen die Zweifel, ob er nicht doch nur dem Hirngespinst seines Vaters nachjagte.


    „Minos! Schau nur!“, rief plötzlich sein Gehilfe, der eigentlich damit beschäftigt gewesen war, die Waren wieder aufzufüllen. Der Mann, der nur wenige Jahre jünger war, als sein Vater, hatte für einen Moment seinen Blick über dem Markt schweifen lassen. Dabei war ihm diese Frau wieder aufgefallen. „Da läuft sie! Die Frau von neulich.“ Der junge Kaufmann spähte nun auch in die Richtung und erblickte sie. Die Ähnlichkeit mit seiner Tante war wirklich frappierend. „Geh und versuche sie herzulocken! Aber lass sie nicht wieder entkommen!“, sagte er besonnen. Der Alte verließ den Marktstand und näherte sich langsam und unauffällig dem Paar, welches noch immer am Stand des Goldschmiedes stand.

  • Mit Sibel hatte man es wirklich nicht einfach. Ihre Bescheidenheit und Genügsamkeit konnte hin und wieder etwas anstrengend sein. Da sagt man(n) 'Such' dir aus, was auch immer du möchtest', um der Liebsten eine Freude zu machen und damit sie bei einer Hochzeit unter angesehenen Leuten nicht als Sklavin hinter ihm zu stehen brauchte, sondern sich als gut gekleidete Dame neben ihn stellen konnte, … und sie? Sie wollte sich ganz einfach mit einer Tunica zufrieden geben. Avianus nahm es vorerst gelassen und blickte bei der übertriebenen Nettigkeit, mit der der Goldschmied seine Waren anpries, ein wenig amüsiert zu Sibel.
    "Meine Gattin?", wiederholte er die Worte des Schmeids mit einem schiefen Lächeln. Wenn es nur so wäre. Dass es aber nach außen so aussehen musste, dessen war er sich sehr wohl bewusst. "Ja, eine wahre Schönheit, oder?"
    Seine nächsten Worte richtete er auch gleich an seine Gattin, die einmal mehr weder etwas brauchte, noch etwas wollte. "Nur eine Tunica also? Kein Schmuck? Keine neuen Schuhe? Nicht einmal eine Palla?" Nichts. Wenn es ohne jegliches Widerwort seinerseits nach Sibel ginge jedenfalls. Der Goldschmied unterdessen wollte verständlicherweise seine Waren an den Mann – oder die Frau – bringen. Hässlich war er nicht, der Schmuck, nein, sogar sehr hübsch, musste auch Avianus zugeben, dachte jedoch sehr wohl über den Preis nach, den er dafür auf den Tisch legen müsste. Aber Fragen kostete ja nichts. Und notfalls konnten sie immer noch Jason, seine Begleiter und die Argo im Buchladen verstauben lassen, denn dass Sibel bei der Hochzeit einen guten Eindruck machte, hatte Priorität.
    "Mach mir ein Angebot", schlug er dem Goldschmied vor und würde sich einfach mal überraschen lassen. Dass sich ihnen währenddessen im Getümmel zwischen den Ständen ein alter Mann näherte, entging ihm dabei vollkommen.

  • Im Gegensatz zu manch anderen Frauen, konnte man Sibel schon mit einfachen Dingen zufrieden stellen. Sie musste nicht haufenweise Schmuck, Kleider und Schuhe haben. Wozu massenweise Schuhe kaufen, wenn man doch eh nur zwei Füße hatte? Avianus aber hatte seine liebe Not mit ihr. Er musste sie fast schon drängen. Und dann war da auch noch dieser Goldschmied, der sich jetzt auch noch einmischte. Allerdings war Sibel zu sehr mit ihrer Abwehrhaltung beschäftigt gewesen, so dass ihr ganz entgangen war, wie der Goldschmied sie soeben bezeichnet hatte. Avianus hatte dies aber sehr wohl und er griff auch dessen Bemerkung auf und spielte das Spiel mit, indem er Sibels Schönheit lobte. Die jedoch verstand jetzt gar nichts mehr. „Was?!“, fragte sie irritiert und wurde den Gedanken nicht los, dass er sich gerade lustig über sie machte.

    „Na schön, von mir aus!“, rief sie schließlich und zucke verständnislos mit den Schultern. Schließlich wollte sie ihn ja nicht in den Ruin treiben. Wenn er unbedingt ein kleines Vermögen für sie ausgeben wollte, bitte sehr! „Eine Tunika, Schmuck, neue Schuhe und auch eine Palla! Ach ja, und wenn wir schon dabei sind, ich bräuchte auch noch ein wenig Kosmetik. Meine Vorräte sind leider alle aufgebraucht.“


    Der Goldschmied rieb sich bereits freudig die Hände und witterte ein gutes Geschäft, jetzt, da die junge Frau endlich zur Vernunft gekommen war. „Du kannst den Schmuck auch gerne einmal zur Probe anlegen, bevor du dich entscheidest,“ meinte er zu ihr und reichte ihr die Kette und die Ohrringe. E wartete erst, bis die Kette Sibels Dekolleté schmückte und sie die Ohrringe angelegt hatte, dann wandte er sich zu ihrem Begleiter, um ihm einen Preis für den Schmuck zu nennen. „Sieh nur, dieser Schmuck ist geradezu für deine Frau gemacht! Die Götter meinen es heute gut mit euch, dass sie euch zu meinem Stand geführt haben. Normalerweise müsste ich für die Kette 200 Sesterzen verlangen, doch weil du es bist bekommst du die Kette und die Ohrringe für 200. Na, was sagst du?“
    Sibel hielt die Luft an bei diesem Preis. Nein, sie würde nichts mehr sagen und sich schon gar nicht mehr dagegen wehren. Wenn Avianus meinte der Schmuck müsse sein, dann war es eben so. Sie hatte sich ja bereits in einem Handspiegel betrachtet. Der Schuck sah wirklich prächtig an ihr aus.

  • Sein Versuch, die Schmeicheleien des Händlers zu nutzen, um Sibel ein Kompliment zu machen verfehlte sein Ziel vollkommen. Bei seiner Liebsten stieß er damit nur auf Verwirrung. Mehr las Avianus nicht aus ihrem Blick und ihrer Stimme. Leise seufzend zog er die Brauen hoch. Was?! … Ja, die Frage stellte er sich auch gerade.
    "Nichts … ich wollte dir nur ein Kompliment machen", antwortete er leise. War Sibel heute nicht ganz bei der Sache, oder war er derjenige, der sich merkwürdig verhielt? Ihre nächsten Worte beantworteten seine Frage. Er wurde einfach nicht schlau aus ihrem Verhalten, wie gleichgültig sie dieser kleinen Einkaufstour gegenüberstand, so als hätte immer noch nicht recht begriffen, worum es hier ging. Und obwohl sie jetzt plötzlich allem zustimmte, hatte er nicht das Gefühl, dass sie es für sich tat, sondern einfach nur, damit er zufrieden war. Dabei ging es doch gar nicht um ihn oder was er wollte. Wenn sie vorhatte, ihn mit einer ausgewaschenen Tunica und verschlissenen Sandalen zur Hochzeit zu begleiten, könnte sie dort auch gleich in ihrem Zimmer bleiben, während er an der Feier teilnahm. So hart das auch sein mochte, sie musste sich bis zu einem gewissen Grad anpassen.
    "Sibel … du weißt, dass das hier für dich ist? Und dass es wichtig ist? Willst du mich zu den Festlichkeiten begleiten? Und willst du dann neben mir stehen, nicht hinter mir? Dann kommen wir um ein paar Einkäufe nicht herum", fragte er während sie den Schmuck anlegte. Weiter wollte er darauf aber gar nicht eingehen und erwartete vor allem auch keine Antwort, die besser war als das, was Sibel zuvor gesagt hatte, weswegen er sich wieder mit dem Händler beschäftigte. Der Preis, der ihm genannt wurde, war gut. Trotzdem ließ sich da sicher noch etwas mehr rausholen.
    "200 also?", sagte er und kramte schon in seinem Geldbeutel nach den goldenen Münzen, hielt dann allerdings noch einmal inne, als er das schließlich Geld in der Hand hielt.
    "Für so teures Geld darf sich meine Liebste doch sicher noch einen hübschen kleinen Ring oder ähnliches aussuchen? Und einen Freund bei den Cohortes Urbanae zu haben, kann nie schaden, das garantiere ich."

  • „Ein Kompliment? Das..äh.. ach so…“ Sibel schaute ein wenig verlegen drein. Ihre Bescheidenheit wurde langsam lästig und verdarb ihnen den ganzen Tag. Jetzt tat es ihr wieder leid, so reagiert zu haben. Es war eben nicht leicht mit ihr, solange sie sich immer noch so schwer tat, ihre Bedürfnisse laut auszusprechen oder überhaupt welche zu haben. Sie tat ihm damit keinen Gefallen, sich selbst kleinzureden und sich unbedeutender zu machen, als sie es tatsächlich war.
    Dennoch wollte Avianus noch nicht aufgeben. Er appellierte an sie, im Hinblick auf die Hochzeit, zu der er sie mitnehmen wollte. Dabei sagte er dann etwas ganz entscheidendes, was sie wohl vorher so gar nicht bedacht hatte. „Du willst mich an deiner Seite haben?“ Beim letzten Wort drohte ihre Stimme zu versagen. Sie presste ihre Lippen aufeinander und hatte Mühe, keine Träne zu vergießen. Sie wusste, was das bedeutete, doch richtig vorstellen konnte sie es sich nicht. Trotzallem, in diesem Fall brauchte sie natürlich etwas Passendes zum Anziehen. Eine entscheidende Frage blieb jedoch: „Aber wie soll das gehen?“ fragte sie ihn leise. „Ich meine, was willst du den Leuten sagen, wenn sie nach mir fragen?“ Und vor allen Dingen was würden sie tun, wenn sie die Wahrheit kannten?


    Der Goldschmied hielt sich vornehm zurück, während die beiden ihren Disput führten. Langsam kamen in ihm Zweifel auf, dass sie vielleicht doch nicht seine Frau sein könnte. Aber im Prinzip konnte ihm das herzlich egal sein, solange er sein Geschäft machte. Und dir Zeichen dafür standen gut, denn schon zückte er seinen Geldbeutel und fischte ein paar Münzen heraus, nachdem er sich noch einmal wegen des Preises vergewissert hatte. Der Goldschmied sah sich bereits am Ziel und hielt dankend die Hand auf. Jedoch wechselten die Münzen noch nicht ihren Besitzer.
    „Noch ein Ring?“ fragte er entgeistert und wollte schon zu jammern anfangen, da er doch Frau und Kinder hätte, die er durchbringen müsse. Avianus aber überzeugte ihn mit einem Argument, das man nicht ausschlagen konnte! „Oh, ja sicher kann sie das! Hier schau nur,“ meinte er eifrig zu Sibel. „Der hier würde gut passen!“ Der Goldschmied nahm einen goldenen Ring mit einem eingefassten Türkis aus seiner Auslage und beutete ihr, sie solle ihn einmal auf ihren Finger ziehen. Sibel kam dieser Aufforderung anstandslos nach. Der Ring passte und komplettierte das Ganze. „Und, wie schaut es aus?“, fragte sie ein wenig kleinlaut?


    Ein älterer Mann, dessen Äußeres darauf schließen ließ, das er ein Peregrinus sein musste, hielt sich unbeachtet währenddessen am Nachbarstand auf, um dort die Ware zu begutachten. Hin und wieder versuchte er einen unauffälligen Blick auf die beiden zu werfen und ihr Gespräch zu verfolgen, was ihm bisher ganz gut gelang.

  • "Warum sollte ich das nicht wollen?", fragte Avianus lächelnd zurück. Die Antwort kannte er: Sie war keine Römerin aus einer angesehenen Familie. Doch ihn kratzte das schon lange nicht mehr. Und wenn er sie mitnehmen könnte, würde er es tun, denn wenn die Nichte des Praefectus Urbi und Schwester eines gewesenen Praefectus Praetorio den vergleichsweise kleinen Klienten eines Consulars heiratete, würde sich kein Mensch dafür interessieren, wer das schwarzhaarige Mädchen an seiner Seite war. Oder zumindest keiner, der von Bedeutung war.
    "Da werden weit wichtigere Leute auf der Hochzeit herumlaufen, als dass jeder nach uns fragen würde. Und wer auch immer fragt, muss nicht die ganze Wahrheit erfahren", erklärte er ihr mit gedämpfter Stimme, "Wir werden also einfach einen schönen Tag unter Leuten verbringen und uns ein wenig amüsieren. Wird schon schief gehen. Ich mache mir da jedenfalls keine großen Sorgen."


    Wenigstens mischte sich der Händler nicht ein, sondern suchte willig einen Ring, nachdem er ihn mit seinem Lieblingsargument überzeugt hatte. Centurio der Urbaner zu sein hatte hin und wieder, auch abseits von hohem Sold und Ansehen, durchaus seine Vorteile. Dessen war er sich umso sicherer, sowie Sibel in dem Schmuck, der gleich ihr gehören würde, vor ihm stand.
    "Ich habe nie eine hübschere Frau gesehen", meinte er auf ihre Frage hin. Nein, ganz bestimmt brauchte man jemanden wie sie nicht zu verstecken, sie würde bei der Hochzeit mindestens so wundervoll aussehen, wie die anderen Frauen. Erst recht, wenn sie zu dem Schmuck noch neue Kleider trug. Und dann würden die Leute vielleicht die Frau in ihr sehen, die er schon vor Jahren entdeckt hatte, ohne sich von ihrem Stand oder ihrer Vergangenheit ablenken zu lassen. Dann war sie nämlich nur eine schöne, zurückhaltende, bescheidene, junge Frau. Und daran hatte bestimmt keiner etwas auszusetzen. Zufrieden legte er also dem Händler das Geld auf den Tisch. "Ich danke dir. Du hast heute ein einmaliges Geschäft gemacht, mein Guter."
    Noch wartete er, bis Sibel den Schmuck wieder abgelegt hatte, es sei denn natürlich, sie wollte um jeden Preis mit dem Goldschmuck über den Markt stolzieren.
    "Wo möchtest du als nächstes hin?", fragte er einfach mal. Er hatte zwar wenig Ahnung vom Einkaufen mit Frauen, würde aber einfach versuchen, sich nicht vollkommen nutzlos zu fühlen, hielt also Ausschau nach einem Händler der Kleidung im Angebot hatte. Lange musste er nicht suchen. Er deutete mit einem Nicken zu dem Stand hinüber. "Dort?"

  • Sie wollte ihm noch sagen, dass sie ihm keine Schwierigkeiten bereiten wollte. Da sie doch wusste, dass er noch so manches Ziel anstrebte. Und dabei stand eine Frau wie sie ihm nur im Weg. Doch dazu kam es gar nicht mehr, denn für ihn schien es das Normalste auf der Welt zu sein, sie neben sich haben zu wollen. Das rührte sie fast zu Tränen, denn in gewisser Weise stand er ja dann zu ihr. Schließlich gelang es ihm, mit seiner Zuversicht all ihre Zweifel zu vertreiben. Aus seinem Mund klang es auch so plausibel. Niemand würde es kümmern, ob sie nun da war oder nicht. Wahrscheinlich würde sie mit der richtigen Kleidung unter diesen Leuten gar nicht auffallen. Sie würden einfach den Tag genießen. Und das war doch das Wichtigste!
    Am liebsten hätte sie ihn hier au der Stelle geküsst. Aber in der Öffentlichkeit schickte sich das wohl sicher nicht. So umarmte sie ihn lediglich kurz, alleine schon deshalb, da sie beide ja von dem Goldschmied beobachtet wurden. „Danke! Das bedeutet mir so viel! Das ist die größte Freude, die du mir machen konntest!“, raunte sie ihm zu, bevor sie sich wieder von ihm löste.


    Wieder machte er ihr ein Kompliment. Doch diesmal verfehlte er nicht sein Ziel. Gleichzeitig hatt ihr der Goldschmied noch einen Handspiegel gereicht, so dass sie sich noch selbst von ihrem Anblick überzeugen konnte. Sibel war geradezu überwältigt von dem Anblick. Die Ohrringe hatten ihr schon von Anfang an gefallen. Dass nun auch noch eine Halskette und ein passender Ring dazugekommen waren, hätte sie sich niemals träumen lassen.
    Der Goldschmied nahm dankend das Geld entgegen. Auch wenn er den Ring noch als kostenlose Zugabe abgegeben hatte, hatte er trotzdem noch in gutes Geschäft gemacht. Nachdem die junge Frau den Schmuck wieder abgelegt hatte, verpackte er die Schmuckstücke noch, so dass sie geschützt waren.


    Sie hatte nun eingesehen, dass es sinnvoll war, noch einige Sachen für sie einzukaufen. Deshalb wehrte sie sich nun nicht mehr, als Avianus fragte, wohin es nun gehen sollte. Sibels Blick blieb an dem Stand hängen, den er vorgeschlagen hatte und nickte dann. Offenbar schien es dort eine gute Auswahl an Kleidung zu geben.
    Diesmal sah sie sich sofort nach einer schönen Tunika um, ohne dass man sie erst bitten musste. Sibel fand im Nu Gefallen daran, herumzustöbern, einige mögliche Exemplare aus dem Angebot herauszufischen, diese dann anzuprobieren, um sie dann wieder zurückzubringen und weiterzusuchen. Avianus kam währenddessen nur eine Aufgabe zu: Bei jeder Tunika ein passendes Urteil abzugeben.
    Nachdem Sibel nun schon etliche Kleider in allen Farben anprobiert hatte, war sie immer noch ratlos. „Ich weiß nicht, welches ich nehmen soll. Was meinst du? Das Blaue hier oder das Rote oder doch lieber das Türkisfarbene?“

  • Es reichte, es in ihren Augen zu sehen, wie glücklich sie war, bei der Feier an seiner Seite sein zu dürfen. Ihre geflüsterten Worte und die Umarmung, die es bestätigten, wären gar nicht nötig gewesen, entlockten ihm aber ein noch breiteres Lächeln. Avianus hatte es also wirklich geschafft, sie zu überzeugen. Und gleichzeitig hatte er ihr noch eine Freude gemacht. Besser hätte es gar nicht laufen können, denn jetzt stemmte sie sich nicht mehr gegen die Idee, ihr ein paar neue Sachen zu besorgen, fackelte gar nicht lange und machte sich gleich auf zu dem Laden, den er zuvor erspäht hatte.


    Geduldig, wenn auch wenig hilfreich, beobachtete er Sibel dabei, wie sie die Ware des Händlers durchstöberte, und fragte sich gleichzeitig leicht belustigt, ob er es am Abend wohl bereuen würde, ihr mehr oder weniger die Erlaubnis erteilt zu haben, auszusuchen und zu kaufen was auch immer ihr gefiel. Ganz bestimmt nicht, war er sich dann nur einen Augenblick später sicher. Nicht, wenn er sie so sah. Wann hatte sie das letzte Mal einfach nur Dinge für sich kaufen können, ohne groß auf den Preis achten zu müssen? Wann hatte sie das letzte Mal etwas gekauft, nicht weil sie ansonsten nichts anzuziehen hätte, sondern in erster Linie, weil es ihr gefiel? Im Grunde tat sie das auch jetzt nicht, denn mit Mühe hatte er sie ja davon überzeugt, dass das hier dringend nötig war. Es war aber ein Anfang, dieser Ausflug, die Hochzeitsfeier, die bevorstand, die gemeinsamen Tage in den Albaner Bergen danach. All das würde ihr ein für alle Mal vermitteln, dass sich etwas geändert hatte, seit sie sich im Balneum ertränken wollte. Sie hatte sich Sicherheit gewünscht, die Gewissheit, dass er sie bei sich wollte und es immer so bleiben würde, dass er sein Leben auch dann meistern konnte, wenn sie da war, und sie keine Belastung sondern vor allem eine Bereicherung war. Ja, so einiges war nun anders, das einzige, was sich kaum geändert hatte, war Sibels Denkweise.
    In Gedanken versunken wartete er also ab, während sein Blick auf Sibel ruhte. Erst als sie ihn direkt ansprach, sah er sie einen Moment lang ein wenig verpeilt an.
    "Was ich meine?", fragte er zurück, "Ich meine … du siehst in allen drei Kleidern toll aus …"
    Gemeinsam mit ihren schwarzen Locken erinnerte ihn das tiefe Blau des ersten Kleids an das Meer daheim in Misenum, als wäre sie Amphitrite persönlich. Das zweite zog seinen Blick förmlich auf sich mit seinem verführerischen Rot und ließ ihn nicht mehr los. Und das dritte türkisfarbene, frisch, verspielt … Was sollte er also sagen, denn sie wollte vermutlich eine eindeutige Antwort hören.
    "Mir gefallen das blaue und das rote besser", sagte er und merkte bereits, das war auch nicht gerade, was man als eindeutige Antwort bezeichnen konnte. Dann kam ihm aber tatsächlich noch eine hilfreiche Idee.
    "Was pass denn besser zu dem Schmuck?" Gleichzeitig hatte er das Gefühl, Sibel hatte sich darüber bestimmt schon selbst Gedanken gemacht und er wies wieder mal nur auf das offensichtliche hin.

  • Bisher war für Sibel nur die Zweckmäßigkeit und der günstige Preis ausschlaggebend gewesen beim Kleiderkauf. Doch nun wurde sie vom reichhaltigen Angebot an Kleidern fast erschlagen. Jedes Mal wenn sie geglaubt hatte, eine schöne Tunika gefunden zu haben, entdeckte sie eine noch Schönere. Sie hätte sich wohl noch etliche Stunden an dem Stand verweilen können. Andererseits wollte sie auch auf Avianus Rücksicht nehmen, der wirklich eine Engelsgeduld aufbrachte. Sie fühlte sie sich nicht besonders wohl bei dem Gedanken, hier noch viel länger nach einer passenden Tunika zu suchen, während er sich vielleicht langweilte.
    Doch nicht nur sie war mit der großen Auswahl etwas überfordert. Er war es auch, als sie ihn nach seiner Meinung fragte. Seine Antwort schmeichelte ihr natürlich auch wenn sie zunächst doch sehr diplomatisch ausfiel, was ihr aber nicht wirklich weiterhalf. Denn es war natürlich ausgeschlossen, dass sie alle drei Kleider nahm. „Aber…“, wollte sie deshalb schon einlenken.
    Avianus wurde dann doch etwas konkreter und beschränkte sich auf die rote und die blaue Tunika. Sibel schien aber auch noch nicht ganz überzeugt zu sein, denn die türkisfarbene Tunika hatte ihr eigentlich auch sehr gut gefallen, zumal in ihrem Schmuck ja auch schon kleine Türkise verarbeitet worden waren. Als er dann selbst meinte, sie solle sich doch an dem Schmuck orientieren, rückte sie mit ihren Bedenken heraus.
    „Zum Schmuck passt das da am besten“, meinte sie und deutete auf das türkisfarbene Kleid. „Aber das blaue Kleid und der goldene Schmuck… sieht auch gut aus. Oder?“ Tja, damit war ihr auch nicht wirklich weitergeholfen. „Ach, entscheide du, welches ich nehmen soll!“, bestimmte sie, denn schließlich musste er ja auch zahlen.


    Dem älteren Mann, der sich an ihre Fersen geheftet hatte, war natürlich nicht entgangen, welche schwierige Frage die beiden gerade beschäftigte. Mit einem gewissen Abstand, verfolgte er ihr Gespräch weiter und zerbrach sich bereits den Kopf darüber, wie er die beiden zum Gewürzstand seines jungen Dienstherrn lotsen konnte.

  • Avianus zuckte kurz mit den Schultern. So ganz verstand er nicht, was Sibel davon abhielt einfach das eine oder das andere zu nehmen. Es war ja nicht einmal so, als gäbe es eine falsche Wahl, und das wichtigste war einfach nur, während der Hochzeitsfeier nicht aufzufallen. Denn wirklich auf sie achten würde ja ohnehin kaum jemand, solange sie halbwegs ins Bild passten.
    "Es ist nur ein Kleid, Sibel", erinnerte Avianus seine Liebste deshalb. Und so schwer konnte das doch nicht sein. Dann sollte sie doch das türkisfarbene nehmen, wenn es zum Schmuck am besten passte. Und er wollte ebendas gerade sagen, als er bemerkte, wie sie selbst diese kleine Entscheidung in seine Hände legen wollte. Dabei war ja logischerweise nicht einmal er derjenige, der es tragen würde, und sie war alt genug, endlich einmal damit anzufangen, ihre Entscheidungen selbst zu treffen. Gut, es war nur ein Kleid. Oder nein … eben war es nur ein Kleid, oder? Seufzend wog er kurz seine Möglichkeiten ab. Zumindest das rote fiel schon mal weg. Blieben also noch zwei übrig.
    "Wenn dir beide gefallen, beide passen und du in beiden hübsch aussiehst, welche Rolle spielt es dann? Wir werden uns auf dem Fest so oder so amüsieren, ganz egal, welches du trägst." Er wollte ja eigentlich, dass sie nahm, was sie selbst am liebsten hätte, aber dann stünden sie vermutlich noch Stunden herum, so wie er Sibel kannte. Und das Hauptproblem schien zu sein, dass sie alle Kleider gleich gerne hätte. Er bedachte sie mit einem milden Lächeln. "Wenn das türkisene am besten zum Schmuck passt, wie du sagtest, dann nimm es doch."
    Jetzt hatte er wenigstens einmal am eigenen Leib erfahren, weshalb Frauen für gewöhnlich mit Frauen einkaufen gingen.

  • Einkaufen konnte ja so anstrengend sein! Doch als Sibel die Entscheidung ihrem Herzblatt in die Hände gelegt hatte, schien sie gleichzeitig den Bock zum Gärtner gemacht zu haben. Ausgerechnet Avianus sollte jetzt über das äußere Erscheinungsbild seiner Liebsten auf der bevorstehenden Hochzeit verfügen! Dabei waren Männer im Allgemeinen für solche Aufgaben kaum zu gebrauchen, da sie die dafür nötige Geduld meist nicht aufbringen konnten und in Sachen Farbenlehre nicht wirklich die Nase vorn hatten. Alleine seine Äußerung, es sei doch ‚nur ein Kleid! ‘, ließ nichts Gutes erahnen. Avianus würde den Weg des geringsten Widerstands gehen und das tat er dann auch. In solchen Situationen wären Frauen eben die wesentlich besseren Einkaufsberater gewesen. Aber Sibel gab sich auch damit zufrieden. „Na gut!,“ meinte sie und lächelte dankbar. Auf der Hochzeit würde sie also ihren Auftritt in Türkis und Gold haben. Doch wer nun geglaubt hatte, die Einkaufstour der beiden wollte sich nun langsam dem Ende zuneigen, der irrte auf ganzer Linie. Noch fehlten ein paar neue Sandalen. Und ganz zu schweigen von einer passenden Palla! Denn wie hatte Avianus bereits vor gefühlt etlichen Stunden bemerkt, ‚wenn du noch etwas benötigst, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt‘.


    Selbst der Alte, der sich vor einiger Zeit an ihre Fersen geheftet hatte, stellte bereits Überlegungen an, wie er zumindest die Frau nun endlich zum Stand seines Herrn locken könnte. Allerdings sah er da wenig Spielraum, in den nächsten Stunden erfolgreich zu sein.


    Dennoch schienen die Götter wenigstens ein wenig Mitleid mit allen Beteiligten zu haben, denn sie schenkten der Lykierin ein wenig mehr Entscheidungsfreudigkeit und etwas mehr Selbstvertrauen. So gelang es ihr zum Beispiel in relativ kurzer Zeit, sich selbst aus sieben verschiedenen Pallae, eine passende für sich auszusuchen. Sie war aus einem durchsichtigen Stoff, der leicht golden schimmerte und trotzdem das Türkis der Tunika durchscheinen ließ.


    Auch bei den Sandalen ging es recht flott voran, was wohl daran lag, dass der Sandalenmacher nur noch eine kleinere Auswahl an sommerlichen Sandalen vorrätig hatte und bereits mit dem Verkauf von herbstlichem und winterlichem Schuhwerk begonnen hatte.


    Sichtlich zufrieden mit ihrem heutigen Einkauf strahlte Sibel vor Freude. Zwar war sie voll bepackt mit den Errungenschaften ihres heutigen Einkaufs, doch überaus glücklich. Sie war heute von Kopf bis Fuß eingekleidet worden. Avianus hatte ihr den wunderschönen und (für ihre Verhältnisse) teueren Schmuck gekauft. Nicht zu vergessen waren die Bücher, die sie zu Anfang ausgesucht hatten. Außerdem wollte er sie mit zu der Hochzeit nehmen. Sie würden dafür für ein paar Tage aus Rom heraus kommen und es sich in den Albaner Bergen gut gehen lassen. Wenn das nicht traumhaft war! Doch halt! Plötzlich beschlich Sibel ein ungutes Gefühl. Was war denn eigentlich mit ihrem Liebsten? Benötigte er denn nichts? Wie hatte sie nur so selbstsüchtig sein können?! Mit einem schlechten Gewissen wandte sie sich schließlich an ihn. „Wir haben dich ja ganz vergessen! Hast du alles für die Hochzeit?“ Wahrscheinlich würde nun der Standardspruch eines jeden Mannes folgen, der wohl weltweit seine Gültigkeit besaß…

  • Avianus lächelte zurück, nicht ganz sicher, ob er tatsächlich das Richtige gesagt hatte oder nicht. Selbstverständlich stellte sich nur die Frage ob Sibel mit seiner Antwort zufrieden war, denn er selbst war immer noch der Meinung, dass er Recht hatte. Sibel hatte sich die Entscheidung unnötig schwer gemacht, und er hatte schlichtweg die logische Wahl getroffen. Bei ihren restlichen Einkäufen zog sie ihn trotzdem nicht mehr zu Rate. Was auch immer der Grund war, ob er etwa ein grottenschlechter Berater war oder sie plötzlich entschlossen hatte, ihre Entscheidungen selbst zu treffen, Avianus war nicht beleidigt deswegen. Ganz im Gegenteil, was auch immer passiert war, hatte im Grunde die gewünschte Wirkung erzielt: Sie kaufte, was sie wollte. Und er trottete eben halb anwesend halb in irgendwelche Gedanken versunken neben oder auch hinter ihr her. Hier und da schenkte er ihr ein Lächeln, einerseits weil sie nicht glauben sollte, dass sie ihm auf die Nerven ging – obwohl er sich sehr wohl schöneres vorstellen konnte, als von seiner ganz plötzlich dem Kaufrausch verfallenen Geliebten von einem Stand zum nächsten geschleift zu werden –, gleichzeitig hatte er natürlich auch Freude daran, sie glücklich zu sehen, sodass er zwar hier und da mal seufzte, sein Lächeln aber nicht aufgezwungen war. Zumindest nicht immer.


    Da marschierten sie also, mit gefühlt mehr Einkäufen, als er in den letzten paar Jahren zusammen getätigt hatte. Sibel hatte trotz ihrer anfänglichen Zweifel an der Aktion ganze Arbeit geleistet, das musste man ihr lassen. Und dabei ihn vergessen. Ihm selbst war das gar nicht einmal aufgefallen. Vermutlich weil er nicht erst daran gedacht hatte, etwas Neues zu brauchen zu können. Und nein, er brauchte doch auch gar nichts.
    "Ich? Klar … ich hab' alles", antwortete er nur knapp. Eine einfarbige Toga und ein paar Schuhe, genauer genommen. Mehr brauchte er doch bestimmt nicht. Und beides sah aus wie neu, verglichen mit seinen Caligae und den Tuniken, die er täglich bei der Arbeit trug. "Was meinst du … sind wir dann fertig?", fragte er stattdessen zurück und hoffte einfach darauf, damit nicht in ein Fettnäpfchen getreten zu sein, weil er irgendetwas Wichtiges vergessen hatte.

  • Natürlich hatte er alles! Wie hätte es auch anders sein sollen! Sibel überlegte kurz, ob sie lieber doch noch einmal nachhaken sollte, allerdings glaubte sie auch ein wenig Leiden in seiner Stimme gehört zu haben. Ganz ohne Frage, Avianus hatte sich wirklich meisterlich bei ihrem Einkaufsmarathon geschlagen! Er hatte das gewagt, was viele seiner Geschlechtsgenossen scheuten. Dabei war er sogar ganz gelassen geblieben und hatte sie niemals gedrängt, endlich nach Hause gehen zu wollen. Schließlich hatte sie Mitleid mit ihm und ließ es darauf beruhen, dass er tatsächlich nichts brauchte.
    „Ja wenn das so ist, dann sind wir fertig,“ meinte sie dann lächelnd. Sie war ja schon genug bepackt. Mehr hätte sie auch gar nicht tragen können. So spazierten sie gemeinsam zum Ausgang des Marktes hin. Gelegentlich ließ sie noch ihrer Blicke über die Auslagen schweifen. Doch nichts konnte mehr ihr Interesse erregen.


    Der Alte, der sie noch immer in einem gebotenen Abstand verfolgte, begriff langsam, dass er nun handeln musste, wollte er die Frau nicht entkommen lassen. Er beschleunigte seinen Schritt und während er versuchte, sich an Sibel vorbeizudrängen, streifte er sie so, dass ihr ein Päckchen, welches sie zwischen ihren Ellenbogen geklemmt hatte, zu Boden viel. Sibel blieb stehen und auch der Alte drehte sich zu ihr hin und begann sich vielmals zu entschuldigen. „Oh verzeih mir, ich wollte dich nicht anrempeln! Das tut mir ja furchtbar leid! Ich war etwas in Eile! Warte nur, ich hebe es auf, was du verloren hast.“ Der Alte bückte sich und hob das Päckchen auf. „Aber das macht doch nichts,“ begann Sibel. „Vielen Dank!“ Sie wollte schon weitergehen. Da rief der Alte: „Kenne ich dich nicht? Warst du nicht letztens an unserem Gewürzstand? Wir haben heute Morgen wieder frische Ware bekommen! Fenchelsamen und Anis. Und Ingwerknollen aus dem fernen Orient!“
    Sibel blieb unvermittelt stehen, als sie das hörte und sie hoffte, auch Avianus würde dafür Verständnis haben. Der Gewürzstand hätte sie tatsächlich beeindruckt und deshalb hatte sie auch einige Sesterzen dort gelassen, um Gewürze zu kaufen. Auch Avianus hatten die Gewürze in ihrem Essen geschmeckt. Schließlich wandte sie sich an ihren Liebsten, der ja eigentlich nach Hause wollte. „Sollen wir nicht schnell noch einmal zum Gewürzstand? Ich könnte uns dann heute Abend wieder etwas Leckeres zubereiten?“

  • Fertig. Hörte sich gut an. Jetzt noch nach Hause, ein paar Arbeiten erledigen, dann ein wenig entspannen und vielleicht abends eine kleine Belohnung für den gelungenen Einkaufsbummel einheimsen. Mit dem zufriedenen Lächeln im Gesicht, weil er heute scheinbar alles halbwegs richtig gemacht hatte, ging er weiter neben ihr her.
    Auf die Leute um sie herum achtete er kaum. Die Märkte waren ja voller Menschen, die sich auf den Straßen herumtrieben, vor den Ständen bummelten oder durch die Gassen eilten … Dass ein alter Mann plötzlich Sibel anrempelte mochte also unangenehm sein, war aber bei weitem nicht verwunderlich. Nur dass es ausgerechnet jemand war, der Sibel kannte. Vom Gewürzstand, wie er nur einen Augenblick später feststellte. Der Iunius erinnerte sich daran, wie Sibel ihn in letzter Zeit immer wieder mit neuen Gerichten überrascht hatte. Und damit sie es einmal mehr tun könnte, sollte ihr Weg durch die Märkte sie also auch dorthin noch führen: Zum Gewürzhändler.
    "Ja? Ja … gut", stimmte er zu, nahm ihr noch den einen oder anderen Einkauf ab, damit beim nächsten kleinen Rempler nicht wieder etwas auf dem Boden landete und zwang sich einmal mehr ein Lächeln auf. Was sollte er auch anderes machen. Zu Beginn des Ausflugs hatte er Sibel gefragt, ob es ihr an etwas fehlte und sie hatte ihm keine wirkliche Antwort gegeben. Von ihrem Unwohlsein spürte er jetzt nichts mehr, aber in Wohlgefallen hatte es sich sicherlich auch nicht aufgelöst. Da blieb ihm ja gar nichts anderes übrig, als ihr einfach die wenigen Wünsche zu erfüllen, die sie offen äußerte, und zu hoffen, dass es half. Und vom leckeren Essen hätte er auch etwas, sagte er sich selbst. Vor allem aber: Wie lange konnte es schon dauern, ein paar Gewürze zu kaufen?

  • [wrapIMG=left]http://fs1.directupload.net/images/150902/tiahg94q.jpg[/wrapIMG]An dem Klang seiner Stimme hatte sie bereits gemerkt, wie sehr er sich darauf gefreut hatte, endlich den Heimweg anzutreten. Nur wegen ihr, weil sie es wollte, ließ er sich breitschlagen und trottete mit zum Gewürzstand. Der Alte lief einige Schritte voraus und bahnte ihnen so den Weg. Wenig später tauchte vor ihnen besagter Gewürzstand auf. Hinter etlichen mit Gewürzen und Kräutern gefüllten Säcken, Schütten und Kisten konnte man einen jungen Mann mit schwarzem lockigen Haar erkennen, der gerade noch eifrig damit beschäftigt war, sich den Wünschen einer Kundin zu widmen.
    Sibels Miene verzog sich bei dem Anblick der großen bunten Auswahl an Gewürzen, deren exotische Düfte man schon von weitem wahrnehmen konnte, zu einem Lächeln. Als sie nun endlich am Stand angekommen waren, wandte sich der junge Mann zu ihnen. „Sieh nur, wen ich auf den Markt getroffen habe!“, meinte der Alte zu ihm. Das Gesicht des jüngeren hellte sich auf und um nicht aufzufallen, gab er sich auch sogleich geschäftstüchtig. „Ah, eine unserer guten Kundinnen! Sibel, nicht wahr? Womit kann ich dir heute dienen?“ Sibel war geradezu überwältigt von so viel Auswahl und auch der Freundlichkeit des Händlers. Doch sie wusste genau, was sie wollte. „Meinen Namen hast du dir aber gut gemerkt! Ich bräuchte ein wenig Zimt und dein Gehilfe sagte, du hättest wieder Anis.“ Sofort zeigte der Händler auf einen Sack, in dem sich bräunliche Zimtstangen befanden. „Wie hättest du gerne den Zimt? Als Stangen oder lieber schon gemahlen?“ Sibel musste nicht lange überlgen. Lieber nahm sie den gemahlenen Zimt, denn dann musste sie das nicht tun. „Den Gemahlenen, bitte!“ Der Händler griff nach einem anderen Sack, indem sich gemahlener Zimt befand. „Möchtest du auch etwas Thymian? Thymian und Zimt verfeinern jedes deftige Fleischgericht!“ Die Lykierin nickte und stellte sich bereits im Geiste vor, was sie heute Abend noch kochen wollte. „Da wird sich dein Mann aber freuen!“, meinte er und zwinkerte freundlich Avianus zu. „Oh, das ist nicht mein Mann. Das ist mein Dominus,“ stelle sie gedankenverloren klar und überlegte noch weiter, was sie noch brauchen konnte. Der Händler sah einen Moment sehr nachdenklich aus, widmete sich dann aber schnell wieder seiner Ware, um sich nichts anmerken zu lassen.
    Einige Zeit später, nachdem der Händler nun mehrere kleine Stoffsäckchen mit den verschiedensten Gewürzen gefüllt hatte, wandte er sich noch einmal an seine Kundin. „Du erinnerst mich an jemanden, den ich einmal gut kannte. Du stammst nicht zufällig aus Rhodus?“ Sibel schüttelte den Kopf. „Nein, da muss ich dich enttäuschen. Aber meine Mutter stammte von dort.“
    „Deine Mutter…,“ raunte er nachdenklich. „Da verwechsle ich dich wohl tatsächlich! Hast du noch einen Wunsch?“ Inzwischen hatte sie schon mehr Gewürze ausgewählt, als sie eigentlich kaufen wollte. „Ach nein, ich glaube, das reicht jetzt!“ In Anbetracht dessen, dass sie nun mehr als bepackt waren, wollte sie nicht noch mehr und mehr aussuchen. So wurde der Kauf abgeschlossen und sie konnten nun endlich gehen.

  • Er hatte was gut bei ihr. Eindeutig, dachte er sich mit einem Lächeln. Und, was noch viel wichtiger war, ihr stand die Freude ins Gesicht geschrieben. Ein Nachmittag für eine glückliche Sibel. Er hatte ihn der Vergangenheit schon mehr für ihr Glück bezahlt. Am Stand des Händlers, dem sie ja bereits bekannt war, ließ er ihr selbstverständlich den Vortritt und hielt sich im Hintergrund.
    Dominus. Es konnte so sehr der Wahrheit entsprechen, wie es wollte, trotzdem fühlte es sich immer noch seltsam an, wenn Sibel ihn als jemanden bezeichnete, der sie besaß. Was rein theoretisch auch so war. Und vor dem Gesetz. Nur spürte er davon für gewöhnlich nicht viel, wenn sie beisammen waren.
    "Ja …", stimmte er mit ein paar Augenblicken Verspätung gezwungenermaßen zu. Was sollte er auch groß erwidern. Na wenigstens packte der Händler bereits die Gewürze ein. Hieß also, die für ihn etwas merkwürdige Situation hätte sich bald erledigt. Dem kleinen Gespräch der beiden schenkte er derweil nur mäßige Aufmerksamkeit.
    Avianus nickte knapp, bezahlte den Einkauf und verabschiedete sich von dem Händler mit einem kurzen, freundlichen "Vale", bevor er mit Sibel den Stand verließ. Was sie gekauft hatten, mussten sie noch den ganzen Weg bis zur Castra schleppen … wenn seiner Liebsten nur nicht noch eine Idee kam, was sie gebrauchen könnte. Die sah allerdings auch schon danach aus, als könnte sie den Heimweg vertragen. In Gedanken versunken stapfte er neben Sibel die Gasse entlang Richtung Castra Praetoria.
    "Ich mag's nicht, wenn du mich Dominus nennst", stellte er dabei lediglich nachdenklich fest. Jedenfalls nicht, wenn sie es ernst meinte. Späße waren natürlich was anderes.

  • Sibel konnte es in seinem Gesicht lesen, dass es nun endlich Zeit war, nach Hause zu gehen. Sie selbst spürte bereits auch die Anstrengung, die ihr in den Knochen saß. Nicht zu vergessen, der lange Heimweg, der nun noch vor ihnen lag. Dennoch hielt dieses zufriedene Gefühl, einen schönen Tag erlebt zu haben, weiter an. Nur Avianus schien etwas nachdenklich zu sein. Schweigend waren sie zunächst nebeneinander hergelaufen, bis er schließlich das aussprach, was ihn beschäftigte.
    „Ach, das hab ich doch nicht ernst gemeint! Ich hab´s nur so daher gesagt,“ entgegnete sie ihm zwinkernd und stieß ihn dabei neckisch von der Seite an. „Nicht dass, jemand noch auf falsche Gedanken kommt und du am Ende deswegen Schwierigkeiten bekommst.“


    ~~~


    Ganz unauffällig und mit einigem Abstand war ihnen wieder der Alte gefolgt, nachdem sie den Marktstand verlassen hatten. Er sollte herausfinden, wo die beiden wohnten und wie der Name des Dominus der jungen Frau lautete. Unerkannt konnte er ihnen so bis zum Tor der Castra folgen. Unter dem Vorwand, die junge Frau habe auf dem Markt etwas vergessen, klopfte er am Tor an und wandte sich an den Wachsoldaten, der ihm schließlich nach kurzer Zeit die gewünschte Information lieferte. Daraufhin händigte er ihm einen kleinen Beutel mit Pfeffer aus, der zur Unterkunft des Centurios weitergeleitet werden sollte.
    Mit seinen neuen Erkenntnissen kehrte der Alte so schnell wie möglich wieder zum Markt zurück, um seinem Herrn davon zu berichten. Noch am selben Abend wurde eilig ein Brief verfasst, der am nächsten Morgen auf die Reise gehen sollte und dessen Bestimmungsort Myra war…

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!