Malleus war gewiss kein Liebhaber alberner Wortspiele. Gleichwohl kamen ihm mehrere in den Sinn, als er sich brummend auf den Rücken drehte und in einen dichten Flockenwirbel blinzelte: Der Winter hatte ihn eiskalt erwischt. Mit herunter gelassenen Hosen. Auf dem falschen Bein. Letzterer Vergleich, das musste er zugeben, hinkte gewaltig, denn er stand nicht, sondern lag der Länge nach ausgestreckt zwischen zwei dunklen Balkenwänden, in einem Haufen länglicher Tonscherben, die trotz des jähen Frostes durchdringend nach Pisse stanken. Seine Hose, stellte er nach einem tastenden Handgriff fest, hing ihm tatsächlich in den Kniekehlen, die Tunika war über den Bauch hochgezogen, nur der dicke Mantel hatte ihn vermutlich davor bewahrt, sich im wahrsten Wortsinn den Arsch abzufrieren. Die Frage, wie er hierher gekommen war, brauchte er sich nicht zu stellen. Da erstens kein Gaul herumstand und er zweitens das angenehme Gewicht seines Geldbeutels an der Hüfte spürte, stand außer Zweifel, dass er zu Fuß und aus freien Stücken in diesem engen Durchgang gelandet war. Nur war ihm noch nicht ganz klar, was er hier gewollt hatte und wieso seine Kleidung derart verrutscht war. Das musste unverzüglich in Ordnung gebracht werden.
Nachdem er Hose und Tunika wieder an ihren Platz gefingert hatte, gönnte sich Malleus ein paar Momente der Besinnlichkeit. Seine Zungenspitze fuhr genüsslich über den glitzernden Bart, nahm mit einem wohligen Zucken die schmelzenden Flocken auf. Schneeflocken. Viele Schneeflocken. Dicht fallende große körnige Schneeflocken. Wann hatte er Flocken dieser Größe und Konsistenz zum letzten mal gekostet? Vor acht Wintern war das wohl gewesen. Bei Forum Iulii. An den Hängen der Alpes Iuliae. Verdammt lange her. Erinnerungen. Erinnerungen machten ja weise, wie man so sagte, letztendlich aber machten sie vor allem eines: Alt. Schon möglich, dass es sich für einen Kerl seines Alters nicht mehr ziemte, am hellen Vormittag in einer Urinpfütze zu liegen und Schneelflocken zu lutschen, aber darauf, was sich ziemte oder nicht, hatte er noch nie viel gegeben. Außerdem war er nicht alt, er fühlte sich nur manchmal so. In jedem alten Soldaten steckt noch eine gute Schlacht! sagte er sich grinsend und stemmte sich endlich auf die Beine. Oder zwei. Oder ein ganzer Feldzug. Er mochte vielleicht nicht mehr der Schnellste sein, aber verglichen mit seinen meist träge gewordenen, oft aufgedunsenen Altersgenossen war er er noch immer eine blank geschliffene Klinge, in jeder Beziehung. Nur mit dem Erinnerungsvermögen haperte es bisweilen.
Grübelnd starrte er auf die langsam unter der Schneedecke verschwindenden Scherben. Eine Amphore war das nicht, eher etwas breiteres, eine Art Tonfass. Der Gestank brachte ihn schließlich darauf. Aber natürlich, das war einmal das Sammelgefäß eines Tuchwalkers gewesen. Diese erste Erkenntnis zündete eine Flamme in seinem Brummschädel, in deren Licht sich die Erinnerungsfragmente allmählich wieder zu einem Bild zusammenfügten. Ach ja, richtig. Die Taberna zum Eberkopf. Gesellige Veteranen. Ausgelassene Stimmung. Heißer Würzwein. Verflucht viel heißer Würzwein, um genau zu sein. Dann der Heimweg im dichten Nebel. Seine penetrant drückende Blase. Ein geradezu perfekt platziertes Urinbecken. Der Rest war dann wohl das Ergebnis aus vom Suff bedingten Gleichgewichtsstörungen und lähmender Müdigkeit. Eine jener Nächte eben, die ab und an einfach sein mussten. Dass er seit seiner Heimkehr vor ein paar Tagen ausschließlich solche Nächte verlebt hatte, beunruhigte ihn nicht weiter. Die Anzahl der Tabernae in Mogontiacum war nicht unendlich, wenn er alle durch hatte, konnte er immer noch früh schlafen gehen. Oder von vorn anfangen. Das würde er dann situativ entscheiden.
Jetzt brauchte er erstmal was zu beißen. Da es für ein bescheidenes Ientaculum bei seinem geizigen Bruder ohnehin bereits zu spät am Tage war, schlug Malleus sich voll Vorfreude den Mantel hoch und stapfte durch den weich knirschenden Neuschnee davon. In Richtung Silva Nigra. Sicher war Luitberga bereits bei der Arbeit. Die würde sich bestimmt freuen. Zumindest, wenn sie sich von seinem letzten Besuch schon erholt hatte.