Cubiculum der Medica personalis Plinia Chrysogona

  • Die ersten Wochen und Monate in der neuen Stadt und im neuen Amt waren vorüber und Chrysogona hatte ich in Rom eingelebt. Sie hatte inzwischen einige Bekannte, mit denen sie ihre Freizet verbrachte und - was viel wichtiger war - sie hatte die Kaiserin zur Vertrauten. Dazu waren die ihr anvertrauten Personen alles in allem recht gesund und es schien keine direkte Bedrohung für das Leben des Kaisers zu bestehen. Bislang hatte es weder einen Anschlagsversuch gegeben noch war jemand in seinen Dunstkreis graten, dem sie es zutrauen würde. Von all dem hatte sie schon vor ein paar Wochen ihrem Vater nach Alexandria geschrieben. Und die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Ein kaiserlicher Bote brachte den mit dem Siegel des Museions geschlossenen Brief.


    Ad Medica personalis
    Tiberius Aquilius Severus Augustus
    Plinia Chrysogona
    Domus Augustana
    Roma


    Chaire Chrysogona,


    ich bin wieder versucht "mein Töchterlein" zu schreiben, dabei bist du definiv kein kleines Mächen mehr. Es freut mich zu hören, dass du dich in Rom eingelebt hast, die Abende nicht nur im Studierzimmer verbringst und vor allem, dass du deiner Aufgabe gerecht wirst, den Kaiser und seine Familie mit deinem medizinischen Wissen und Können zu beraten und Schaden von ihnen abzuwenden. Mögest du darin erfolgreicher sein als ich es war!


    Hier in Alexandria ist alles beim Alten. Ich schleppe noch immer meine müden Glieder jeden Tag ans Museion und bemühe mich redlich eine neue Generation Mediziner auszubilden und kranke Menschen oder jene, die sich dafür halten, zu behandeln. Die einzige Abwechslung verspricht ein neuer Dozent. Sein Name ist Herophilos von Samothrake. Er ist ein renommierter Anatom, der lange Zeit im Osten war und dort dem armenischen König als Leibmedicus diente. DIeser Mann ist herausragend in seinen Fähigkeiten. Ich wage zu behaupten, dass selbst du und ich noch eine Menge von ihm lernen könnten.


    Halte mich auf dem Laufenden, was deine Arbeit in Rom angeht.
    Bis auf weiteres, meine schöne Kore,


    Sto kalo,
    dein Vater



    Gaius Plinius Phoebus
    Archiatros am Museion von Alexandria

  • Die Medica ließ den Brief sinken. Eine tiefe Sehnsucht ergriff sie. Schon seit vielen Jahren hatte sie ihren Vater nicht mehr persönlich gesehen. Sie hatten regen Briefverkehr gehabt und auch über Bekannte, die zwischen Alexandria und Kos reisten, mündliche Botschaften und Neuigkeiten ausgetauscht, doch quälte sie die Sehnsucht danach, ihren Vater noch einmal zu besuchen. Er musste ein alter Mann sein inzwischen. Dazu die Gelegenheit einen der besten Anatomen, Chirurgen und Lehrmeister der Medizin, Herophilos von Samothrake, kennenzulernen und seinen Vorlesungen zu lauschen. Was für eine einmalige Chance!


    Chrysogona grübelte eine Weile. Sollte sie den Versuch wagen und den Kaiser darum bitten für einige Lehrvorlesungen nach Alexandria reisen zu dürfen? Sie beschloss einen Kollegen, den sie in ihrem Dienst am Asklepiustempel kennengelernt hatte, um die Vertretung zu bitten, bevor sie beim Kaiser vorstellig würde. Schon gleich wollte sie dies in Angriff nehmen. Wenn sie den Kaiser in besten Händen wusste, konnte sie auch eine Reise nach Alexandria planen.

  • Nach der Zusage des Kaisers, sie nach Alexandria reisen zu lassen, setzte sich Chrysogona an den Schreibtisch um ihrem Vater zu antworten.



    Ad
    Gaius Plinius Phoebus
    Archiatros am Museion von Alexandria


    Chaire mein werter Vater,


    beglückt las ich deine Zeilen. Es scheint so, als erfreutest du dich ungebrochenen Lerneifers und das wiederum lässt mich hoffen, dass es dir gesundheitlich ebenfalls gut geht.
    Natürlich hat mich deine Beschreibung des berühmten Herophilos von Samothrake neugierig gemacht. Ich habe auch gleich den Kaiser um eine Beurlaubung ersucht, damit ich zum einen dich wiedersehen, und zum anderen die Vorlesungen des illustren Mannes besuchen kann.
    Der Kaiser hat zugestimmt! Und so bin ich noch mit einigen Vorbereitungen in Rom beschäftigt, werde mich aber spätestens zu den Kalenden des Iulius auf ein Schiff nach Alexandria begeben, so dass ich hoffe, bei günstigen Winden und guten Wetterbedingungen zu den Iden oder ein wenig später in Alexandria zu sein.
    Bitte kündige dem hochverehrten Herophilos von Samothrake meine verspätete Teilnahme aufgrund der weiten Anreise an und bitte ihn vorab um Verzeihung.


    In innigster Umarmung,
    sto kalo,
    Deine Tochter Chysogona


    Medica personalis
    TIBERIUS AQUILIUS SEVERUS AUGUSTUS

  • Chrysogona hatte alle Vorkehrungen für die Reise getroffen. Sie hatte die kaiserliche Familie vom Datum ihrer Abreise informiert und ihren Vertreter offiziell vorgestellt. Diesem hatte sie in einer Übergabe sämtliche wissenswerten Fakten ihrer "Patienten" mitgeteilt und die schriftlichen Unterlagen, die sie zu jedem angefertigt hatte, ausgehändigt.


    Die Medica verschloss die Reisetruhe mit ihrer Kleidung und die kleine Truhe mit ihren medizischen Geräten und den notwendigsten Medikamenten, ohne die sie niemals eine Reise antreten würde. Dann nickte sie ihrer Sklavin zu. "Fertig, Portia. Du kannst den Abtransport organisieren. Das Schiff legt morgen ab. Ich habe ein Zimmer in der Nähe des Hafens gemietet, in der Taberna "Granum et Vennuncula". Lass die Sachen dort hinbringen und gib mir Bescheid wenn der Reisewagen da ist."

  • Auch wenn die Privaträume der Medica ohne ihre Habe, die versehentlich oder mutwillig einen Ausflug in die Villa der Helvetier gemacht hatten, noch sehr leer und ungemütlich aussahen, nahm die Plinia die Gelegenheit wahr, sich sogleich beim Kaiser zurückzumelden.
    Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und verfasste einige kurze Zeilen für das gekrönte Haupt.


    Ad
    TIBERIUS AQUILIUS SEVERUS AUGUSTUS


    hiermit setzte ich Euch, mein Kaiser, von meiner Rückkehr aus Alexandria in Kenntnis. Wie Eure Gattin in ihrem Brief wünschte stehe ich selbstverständlich Euch und Eurem Sohn während der Abwesenheit zur medizinischen Versorgung zur Verfügung. Gerne könnt Ihr mir eine Nachricht zukommen lassen, wenn Ihr eine körperliche Untersuchung für Euch oder Euren Sohn wünscht.


    Vale bene
    Plinia Chrysogona

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