Es war ein günstiger Wind gewesen, der unser Schiff am letzten Tag über das Meer getragen hatte. Nicht stürmisch war es gewesen, sondern viel eher wie ein göttlicher Finger, der die Barke mehr und mehr dem Hafen von Ostia zugeschoben hatte. In meinem langen Haar hatte er gespielt, während ich mit Vater und Thierza an Deck gestanden hatte, um den fremden Gebäuden und der Landschaft entgegen zu blicken, die sich immer weiter aus dem Horizont heraus geschält hatte. Ich war froh, endlich anzukommen, um in diesem fernen Land ein neues Leben zu beginnen. Alexandria hatte uns Glück gebracht, jedoch keine Reichtümer, so wie wir es uns erhofft hatten. Nun erhofften wir uns umso mehr von der Hauptstadt des Imperiums, wo unsere Künste vielleicht – mit etwas Glück – noch mehr geschätzt würden als in Aegyptus. Mein Vater und ich, wir waren Maler, die in den Häusern unserer Auftraggeber ein und aus gingen, um ihre Wände mit mythischen Szenen und anderen Dingen zu bemalen. Wir hatten beide Talent, doch hier, vor den Toren Roms, sollte es endlich die Vollendung finden. Das alles. Mein Vater Zeki wollte noch einige Jahre arbeiten, ehe er sich in einem schönen Haus zur Ruhe setzen konnte, und ich, ich wollte lernen von den hiesigen Künstlern und Handwerkern, um ihn und meine Schwester versorgen zu können.
Immer näher kamen wir dem Hafen. Die Molen, die aus dem Wasser heraus ragten, waren ein verheißungsvolles Zeichen. Dahinter lag die Stadt Ostia, die eine Etappe unseres Weges darstellen sollte. Schon morgen würde es weitergehen nach Rom. Noch musste ich meine Augen mit den Hand noch ein wenig mit den Augen beschirmen, doch es war abzusehen, dass die Sonne schon alsbald versinken würde.
“Ostia!“, sagte mein Vater vertäumt und legte mir die rechte Hand auf die Schulter, während er Thierza mit seiner Linken an sich zog und sie drückte. “Rom wird uns Glück bringen! Ich glaube ganz fest daran.“
Ich nickte nur und lächelte ihm entgegen, ehe ich meiner Schwester, der schönsten und sanftmütigsten Frau auf diesem Erdenrund, einen aufmunternden Blick zusendete. Thierza hatte nicht an Rom geglaubt. Am liebsten wäre sie in Alexandria geblieben, wohl weil sie es nach langen Reisen endlich als Heimat angesehen hatte. Meine Familie stammt aus Palmyra und auf verschlungen Pfaden über Asia kam sie zunächst nach Griechenland, ehe sie in Alexandria für einige Jahre ein Heim gefunden hatte. Doch es passte zu Vater. Seit Mutters Tod vor so vielen Jahren war er rastlos und er suchte sie wohl an allen Orten, die er zu bereisen in der Lage war. Unser Metier war dabei von Vorteil. Als Maler waren Handwerker, die überall willkommen waren. Zumindest bei jenen, die weniger Vermögen in ihre Häuser investieren wollten als die Reichen und Schönen, nach deren Aufträgen Vater sich sehnte. Hier wollte er sie bekommen, als Kränung seines Lebens.
Noch bevor das Schiff im Hafen anlegte, wurde es unruhig. Die Besatzung machte sich bereit. Rufen wurde laut und Befehle wurden gebrüllt. Dann legten wir an und langsam, nachdem wir alles mit dem Kapitän besprochen hatten, machten wir uns von Bord. Unsere wenigen Habseligkeiten, allem voran eine alte Truhe mit Intarsien, der noch meiner Mutter gehörte und einige andere weitaus kleinere Dinge, wurden von Sklaven auf das Pflaster des Hafens getragen.
Hier schauten wir uns um, um einen Fuhrmann ausfindig zu machen, der unser Gepäck noch Rom brachte. Ich mochte es nur ungern zugeben, doch ich fühlte mich recht wohl, trotz all der Ungewissheit der Zukunft. Doch ich vertraute der Leidenschaft und unserem Einsatzwillen, der uns bestimmt den nächsten Auftrag sichern würde. Vielleicht konnte ich auch mit meiner Kunst dazu beitragen. Ich hatte es gelernt zu meißlen und mich auch als Bildhauer zu betätigen. Doch war dies mehr eine Leidenschaft. Nur leider verfügten wir weder über einen Namen, noch einen Rang in unserdem Gewerbe. Nicht hier.
Vater und ich bezahlten einen raubeinigen Mann, der versprach unser Gepäck schon am morgigen Tage nach Rom zu bringen und uns eine sichere Reise zu gewährleisten. Wir verabredeten eine Stunde und gingen erschöpft und vielleicht deshalb auch blauäugig davon aus, dass er sich an die Abmachung halten würde. Zwar keimte Misstrauen in mir auf, doch ich schob es auf meine eigene Erschöpfung und Anspannung vor all den Herausforderungen. Noch an der Herberge am Hafen, an der wir angekommen waren, und in der wir uns für die Nacht einquartierten, schalt ich mich für derartige Gedanken. Wir würden es schaffen, daran bestand gar kein Zweifel. So redete ich mir es zumindest ein, denn es war wie immer. Eine unbekannte Zukunft mochte zu erschrecken, aber wir hatten es bisher im geschafft. In Palmyra, in Athen und auch in Alexandria. Wir hatten niemals Hunger gelitten und würden es auch niemals tun.
“Lasst und noch ein wenig essen,“ sagte mein Vater, “Morgen wird ein langer Tag. Wir reisen dem Ungewissen entgegen, so wie Krieger, die kurz vor einer Schlacht stehen und doch wissen, dass die gewinnen werden.“ Spielerisch ballte er seine Hand zur Faust und lächelte meine Schwester und mich verschwöerisch an.
Natürlich hatten wir Hunger, denn die Wegzehrung war uns schon vor Stunden ausgegangen. Ein wenig Essen und ein wenig Unterhaltung nach den Tagen der Einöde der See würde uns sicherlich gut tun. Also beschlossen wir noch einmal aus unseren kärglich ausgestatteten Zimmer aufzubrechen, in Richtung der Stadt...