Zwar einen Tag zu spät, aber ich kam gestern einfach nicht mehr dazu
Nach den vergangenen Tagen hatte Axilla stärker als zuvor das Bedürfnis nach ein wenig Frieden und Familie. Trotz des mulmigen Gefühls, dass sie dabei verspürte, mit ihren Kindern wieder vor die Türe zu gehen, war es ihr gleichsam wichtig, eben dies zu tun. Nicht nur, weil Cossus sich schon seit Tagen darauf freute und es auch für den kleinen Lucius ein Grund besonderer Freude war, sondern auch, um zu zeigen, dass sich Roma als solches und die Iunii im besonderen nicht von dem normalen Leben abbringen ließen. Und für Axilla war es dann nochmal mehr ein Bedürfnis, einen der Feiertage für Isis zu begehen, und ein wenig ihrer heilenden Zauberkraft so auch in ihr Zuhause zu tragen.
Also stand sie mit der gesammelten Kinderschar – pompeiische, iunische und die der Sklaven – wie viele andere Familien bei Einbruch der Dunkelheit am Isis-Tempel. Alle hatten sie weiße Kleider an ohne großartige Verzierungen, wie es für den Kult der Isis Brauch war. Immerhin hatten viele der Rituale damit zu tun, Körper und Geist zu reinigen, und nicht mit persönlicher Erhöhung. Nur ihre zahlreichen Wachen, eigene wie bezahlte, waren wie immer gekleidet und warteten bei den Wachen der anderen Familien etwas abseits, um die Zeremonie nicht zu stören.
Freudige Aufregung herrschte bei allen Kindern, für die die Geburt der Isis ein ganz anderer Grund zur freude war, wie für die Erwachsenen. Für sie ging es heute hauptsächlich um den Lichterumzug, für den sie die verschiedensten Lampen dabei hatten. Einige einfache Lampen aus Ton, die in der Hand zu halten waren. Die meisten hatten Kerzen, die an langen Standen befestigt waren, mit einem schützendem Schirm aus bemaltem Pergament in sicherem Abstand, damit kein Luftzug die Flamme gleich wieder ausblasen würde. Wieder andere hatten tönerne Lampen, die an feinen Ketten von einer langen Stange baumelten, um sie so vor sich hertragen zu können. Axilla selbst hatte auch eine der letztgenannten, während die Kinder mit Kerzenhaltern aus selbstbemaltem Pergament glänzten und schon aufgeregt zappelten, wann es endlich los ging.
Als endlich das Opfertier – eine schneeweiße Kuh mit einer goldenen Scheibe zwischen den Hörnern – herbeigeführt wurde, war es schwer, Ruhe unter die wartenden Kinder zu bringen. Das Tier wurde geopfert und für angenommen befunden, nebst diversen Blumengaben und auch einigen besonders kunstvollen Lampen. Hernach ging der hohe Priester – ein großgewachsener Mann mit kahlrasiertem Kopf – allein hinein in den dunklen Tempel, um dort die geheimen, geheiligten Riten durchzuführen. Die Anspannung unter den Kindern wuchs, nicht wenige fingen an, von einem Bein aufs andere regelrecht zu tanzen. Allerdings war sich Axilla sehr sicher, dass es Isis nicht stören würde, liebte doch die Göttin vor allen Dingen die kleinen Kinder und wurde ihr nachgesagt, dass Kinderlachen für sie die schönste aller Opfergaben war.
Schließlich kam der Priester in seinem langen, weißen Gewand, das beide Schultern freiließ und vor der Brust kunstvoll zusammengeknotet war, wieder heraus mit einer beeindruckend langen, weißen, brennenden Kerze. In der Dunkelheit um sie herum schien diese Kelle das hellste Licht überhaupt darzustellen. Ganz langsam schritt er von einer Person zur nächsten, von Lampe zu Kerze zu Lampe, und entzündete sorgfältig jede einzelne von ihnen mit der heiligen Flamme.
“Das Licht des Lebens“ verkündete er dabei mit wohlklingender Stimme bei jedem einzelnen.
Da das Anzünden sämtlicher Kerzen eine ganze Weile dauerte und der Priester auch vorankommen musste sammelten sich die Gruppen, die ihr Licht erhalten hatten, etwas abseits zu ihren Umzügen. Schließlich musste das Licht auch nach Hause gebracht werden. So wartete auch Axilla auf ein paar Nachbarn mit deren Kindern und in der Gruppe gingen sie los, das Licht gegen die Dunkelheit vor sich hertragend, und stimmten hier und da ein Liedchen an.
Durch die Strassen, Auf und nieder
leuchten unsere Lichter wieder
Rote, gelbe, grüne, blaue,
liebe Isis, komm und schaue
Wie die Blumen in dem Garten
blüh´n Laternen aller Arten
Rote, gelbe, grüne, blaue,
liebe Isis, komm und schaue
Und wir gehen lange Strecken
mit schönen Lampen an den Stöcken
Rote, gelbe, grüne, blaue,
liebe Isis, komm und schaue.