Sklavenunterkunft | ein anderer Raum

  • Auf dem Marktplatz sah Marco Morrigan nachdenklich hinterher, als sie ihn artig, aber gleichzeitig distanziert abfrühstückte. Den ganzen Heimweg grübelte er über sie nach. Sie behandelte ihn weder schlecht noch gut, es gab weder Vertraulichkeit noch Abweisung. Sie flutschte beständig durch seine Hände, sodass er sie nie zu greifen bekam.
    Zu Hause angekommen verstauten die Sklaven die leeren Körbe und gingen ihrem Tagwerk nach. Einer spontanen Eingebung folgend, ging Marco in die Sklavenunterkunft. Er trat sicheren Schrittes auf Morrigan zu, fasste sie am Handgelenk und zog sie in den Gang. Es musste zügig geschehen, damit ihn nicht der Mut verließ, denn eigentlich liebte er die Zurückhaltung.


    Ohne sich umzudrehen, nahm er die kleine Perserin mit. Vor einem Zimmer hielt er an, blickte hinein und als er niemanden entdeckte, zog er Morrigan nach. Erst hier ließ er sie los und schloss leise die Tür. Langsam drehte er sich um und sah sie nachdenklich an.

    "Was habe ich dir getan, dass du mir nicht mehr vertraust?"

  • Morrigan erschrak sichtlich, doch natürlich müsste sie sich der schieren körperlichen Überlegenheit Marco beugen und ließ sich wie ein Puppen von ihm mitziehen. Kaum das er sie in dem kleinen Raum los gelassen hatte, presste sie sich an eine Wand. Sie wusste nicht was sie dachte. Dachte sie überhaupt? Aber nach ihren Erfahrungen der letzten Wochen oder Monate (?) erwartete sie Schlimmes. Umso verwirrter schaute sie Marco nun an. Er war der Einzige von den ehemaligen Sklaven der Claudier, der ihr noch etwas bedeutete. Früher, ja da waren sie vertraut miteinander gewesen. Aber jetzt? Jetzt war alles anders. Er hatte sich doch in der ganze Zeit in der sie nun schon hier war nie nach ihr erkundigt. Nie mit ihr gesprochen. Es wäre so wichtig für sie gewesen. Es hätte ihr vielleicht Halt gegeben. "Nichts." Sagte sie schließlich, aber sie sah Marco nicht an. Aber warum bei allen Göttern sollte sie überhaupt noch jemandem trauen? Und vor allem, was wohl der Hauptgrund war warum sie kaum jemanden an sich heranließ, war da ja auch noch die übergroße Angst, dass jedem den sie vertraut etwas "passieren" würde. Sie presste sich also noch enger an die Wand. "Ich will gern, aber ich kann nicht. Ich will nicht das dir etwas zustößt." Sagte sie schließlich und gestattet ihm so einen kleinen Einblick in ihre Gedankenwelt. "Bitte lass mich gehen."

  • Marco erwartete Vorwürfe. Er mochte Vorwürfe nicht, aber wenigstens erklärten sie, was den anderen störte, denn bisher wusste er nicht, was Morrigan an ihm auszusetzen hatte.
    Vorwürfe blieben aus und Marco entspannte sich sichtlich. Was er danach hörte, verstand er allerdings nicht. Er hielt sich nicht für dumm und trotzdem verstand er das Gesagte nicht.


    "Aber Morri, wie willst du mich denn beschützen?" Das war doch ihre Aussage, oder etwa nicht? Sie dachte, wenn sie ihm nicht vertraute, würde ihm nichts zustoßen. Sie glaubte, ihn beschützen zu müssen und hatte gleichzeitig Angst vor ihm. Wie anders sollte er es deuten, wenn sie sich an die Wand presste und seinen Augen auswich. Er schüttelte bei diesem Gedankengang den Kopf. Das machte doch hinten und vorne keinen Sinn.
    Nun, da er Morrigan einmal "entführt" hatte, jetzt wollte er es wissen. Deutlich gebremster als vorhin ging er auf sie zu. Gehen lassen würde er sie jetzt bestimmt nicht.

    "Sehe ich denn so schutzbedürftig aus?"
    Die Frage fiel ihm nicht leicht, denn sie kratzte an seinem Ego. Er brauchte eine funktionierende starke Fassade, weil er im Kern deutlich weicher war.

  • "Nein." Sagte sie leise. Nein schutzbedürftig sah er nun wirklich nicht aus. Aber dennoch wollte sie ihn beschütze ja. Nun da er auf sie zutrat sah sie ihn doch an. In ihren Augen konnte er wohl lesen, dass sie keine Angst vor ihm hatte. Aber irgendetwas machte ihr zu schaffen.
    "Es gibt aber Dinge, denen kannst auch du nichts entgegensetzen. Es gibt keine Sicherheit." Für jemanden, der nicht ihre Erlebnisse durchgemacht hatte musste das sehr schwer zu begreifen sein. "Bitte Marco, sie bedrohen jeden. Jeden den ich mag, ja sogar jeden mit dem ich nur geredet habe." Sie schluckte schwer. "Ich will nicht, dass du einfach verschwindest oder einen Unfall hast." Sie senkte kurz den Blick, als sie ihn nun wieder ansah konnte Marco wohl auch die Trauer sehen, die sie gerade empfand. "Du bist doch der letzte von meiner Familie hier der mir noch geblieben ist. Ich möchte nicht, dass dir etwas passiert."
    Nun senkte sie wieder den Blick wich damit auch Marcos Blicken aus. "Ich bin nur noch eine Serva. Ich funktioniere." Ja genau das tat sie funktionierte. Alles was sie einmal ausgemacht hatte war wohl ganz tief in ihrem Inneren vergraben. Sie hatten die Morrigan von einst mit ihrer Folter vertrieben und übrig geblieben ist eine Hülle, ein Schatten der Persönlichkeit. "Ich brauche keine Freunde oder Vertraute." Ihre Stimme wurde nun monoton und ohne Emotion. Vorher hatte sie so etwas wie eine Regung gezeigt, aber nun sprach wieder die konditionierte Serva. "Bitte lass mich gehen, ich habe noch meine Aufgaben zu erledigen."

  • Sicher konnte er nicht sein, dass Morrigan antwortete. Er erkannte sie kaum wieder und konnte sie deswegen schlecht einschätzen. Immerhin wich sie seinem Blick nicht aus, sondern erwiderte ihn zeitweilig, aber nie konnte er darin das alte Feuer sehen. Stattdessen bemerkte er dauerhafte Traurigkeit.
    Als der ersten Aussage eine zweite folgte, wertete er das als Gewinn. Er entspannte sich und hörte zu. So lange, bis Morrigan sich verwandelte. Sie wirkte am Ende wie ferngesteuert, deswegen ignorierte er ihren Wunsch, gehen zu können.
    "Ich fühle mich sicher. Ich bin sicher. Abgesehen davon, dass ich mir selbst zu helfen weiß, müsste ich nur zu Dominus Claudius gehen, wenn mich jemand belästigt. Das kannst du genauso tun." Eigentlich müsste Morrigan das wissen, dachte er bei sich. "Ja, ich bin wohl der Letzte, der dir geblieben ist. Aber nicht SIE nehmen mich dir, sondern du selbst, weil du alle vorhandenen Bande zerreißt." Er übernahm für einen Moment ihre Traurigkeit, drängte sie aber wieder zurück. Nur in einer Atmosphäre der Vertrautheit konnte er Gefühle zulassen.
    "Wer überhaupt sind SIE?"
    Wenn sie ablehnend auftrat, meinte sie wohl nicht ihn, allerdings wusste er nicht, was sie sonst zu diesem merkwürdigen Verhalten trieb. Er stellte sich seitlich neben sie und lehnte sich mit der Schulter an die Wand. Sein Blick lag weiter auf ihr und er hoffte, sie würde freiwillig bleiben. Falls nicht, würde er zufassen.

  • Warum wollte sie niemand verstehen? Alle taten so, als bilde sie sich alles nur ein. Aber sie hatte es erlebt. Sie wusste wovon sie sprach. Unter dem frischen Verband prangte das Brandzeichen eine verurteilten Sklavin. Sie hatten sie einfach so am helllichten Tag weggeholt, ihr dieses Zeichen verpasst, weil sie dachten, das sie geredet hätte und unbemerkt zurückgebracht. Und Marco faselt etwas von Sicherheit. Er wollte zum Claudier gehen, wenn ihn jemand belästigte? Wenn es nicht so schrecklich wäre würde Morrigan jetzt wohl über diese Naivität lachen. „Du hast sie doch selbst auf dem Markt gesehen, als ich versklavt wurde. Du hast es doch mit eigenen Augen gesehen, was sie getan haben ohne jedes Recht. Und selbst der Claudier war machtlos dagegen. Und außerdem bin ich selbst hier nicht sicher, der Claudier hat gesagt ich bin nur so lange hier wie ich mich bewähre. Also bitte lass mich gehen.“

  • Die Antwort erhielt er indirekt. Morrigan meinte die Prätorianer. Er erinnerte sich nicht gern an das Erlebnis auf dem Markt, weil es ihn wütend machte. Außerdem wusste er mehr als Morrigan annahm und auch mehr als sie selbst wusste.
    Er stieß sich von der Wand ab und trat wieder vor sie.
    "Ja, ich habe sie gesehen auf dem Markt und ich habe gesehen, was sie gemacht haben. Das alles streite ich nicht ab, trotzdem irrst du dich." Morrigan wurde distanziert, er konnte das auch. Trotzdem blieb er gutmütig.
    "Du irrst dich, wenn du glaubst, der Claudier war machtlos. Wäre er machtlos, dann hätte der Prätorianer gewonnen und durchgesetzt, dass dir der Claudier ein Brandzeichen setzt.
    Wäre er machtlos, dann hätte er die Alternative hingenommen, dass anstelle des Claudiers dir der Prätorianer ein Brandzeichen setzt, denn der wollte das unbedingt.
    Wäre er machtlos, dann hätte er nie bewirken können, dass der Prätorianer seine Männer zurückpfeifen musste."
    Morrigan konnte nicht wissen, was er wusste, denn es gab den Moment, wo Liktoren und Leibwächter wieder neben dem Consul standen, weil das Gespräch der beiden Männer an Schärfe zunahm.


    "Während du in den Ketten gehangen hast und niemand zu dir durfte, hat der Claudier herausgefunden, dass es kein rechtskräftiges Urteil gab. Mit diesem Wissen kann er dich beschützen! Immer!" Er schaute eindringlich und fürchtete trotzdem, das Morrigan alles abblockte. Ihren Dickschädel konnte ihr offensichtlich keiner austreiben. Trotzdem versuchte er sich an Erläuterungen, denn er wusste, Morrigan war zwar dickköpfig, aber nicht dumm.
    "Der Claudier hatte eine öffentliche Verhandlung gefordert und was denkst du wohl, warum ist der Prätorianer davor zurückgeschreckt? Vielleicht würdest du gar nicht verurteilt werden. Und was denkst du wohl, warum er außerdem zurückgeschreckt ist? Weil er es nicht wagen sollte, dich mehr als bis dahin geschehen zu beschädigen, solange kein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Ich kenne den Claudier, der würde dagegen klagen."


    Eigentlich würde Marco Morrigan viel lieber in den Arm nehmen als auf sie einzureden, aber sie hatte dicht gemacht.
    "Fakt ist, du entscheidest, wer hier machtlos ist. Solange du dem Dominus nicht traust, entziehst du ihm seine Macht." Er griff nach ihren Schultern und rüttelte ein wenig. So als könne er damit etwas geraderücken, dann blickte er ihr tief in die Augen. "Warum sehen deine Augen so komisch aus?" Er hatte die vergrößerten Pupillen entdeckt.

  • Sie hörte ihn reden doch jedes seiner Worte klang wie blanker Hohn in ihren Ohren. Der Claudier hatte die Macht das Brandzeichen zu verhindern? Am liebsten würde sie jetzt lachen. Wusste er überhaupt wovon er sprach? Entsprechend blickte sie ihn nun auch ungläubig an. „Ich traue dem Dominus nicht? Hörst du mir überhaupt zu? Er traut mir nicht. Ich bin nur auf Bewährung hier!“ Ja so langsam wurde sie wütend, warum hörte ihr hier nie wirklich jemand zu? "Du wolltest wissen, wo ich heute auf dem Markt war? Warum ich nicht gesagt habe, dass ich eine Pause brauchen? Bei den Göttern hätte ich doch eine Pause gehabt!“ Morrigan redete sich gerade in Rage und da kam tatsächlich die alte Morrigan etwas zum Vorschein. „Du glaubst du bist in Sicherheit? Du glaubst der Claudier kann dich beschützen?“ Sie zog die Tunika an ihrer linken Schulter herunter und löste den Verband um auch diesen nach unten zu ziehen. Dort prangte es nun das frische Brandzeichen einer zur Sklaverei verurteilten. „Das war meine Pause. Das ist deine Sicherheit. Und nun lass mich gehen, ich habe noch meine Aufgaben zu erfüllen!“

  • Ein wenig vom Ausbruch überrascht, freute sich Marco zunächst mehr als dass er auf den Inhalt hörte. Plötzlich kam ihm Morrigan vertrauter vor und er schöpfte Hoffnung. Wenn die alte Morrigan durchblitzen konnte, war sie nicht gänzlich fort, was bedeutete, es bestand Hoffnung. Er würde sich nur in Geduld üben müssen.
    Während des Wortschwalls umspielte ein kleines Lächeln Marcos Mund. Er fand, Morrigan betrachtete die Dinge falsch und das konnte der Dominus sicherlich geraderücken. Warum sie allerdings begann, sich zu entkleiden, konnte er sich nicht erklären. Er kannte ihre Verletzungen aus dem Kerker und wusste, wie lange sie brauchten, um zu heilen. Ein wenig überrascht stellte er fest, dass sie noch immer einen Verband trug, aber er nahm an, eine der Wunden heilte schlecht.
    "Ich weiß, dass du viele Narben hast", sagte er, um sie zu beschwichtigen. "Ich weiß, dass sie lange schmerzten und ich weiß..." Er brach ab, als das Brandzeichen zum Vorschein kam. Verständnislos starrte er das Mal an und wusste für Augenblicke keine Erklärung. Er wusste doch, war selbst dabei, als der Dominus das Branding verhinderte. Als ihm dämmerte, dass dieses Brandmal nicht wochenlang alt, sondern frisch war, zog sich sein Magen zusammen und er vergaß zu atmen. Plötzlich ging ihm auch der Zusammenhang zwischen der Pause am Markt, Morrigans Wut und dem frischen Zeichen auf. Sein Blutdruck stieg, als wollte der Inhalt aus den Adern springen. Er schob die Tunika hoch, ließ den Verband hängen, wo er war, fasste Morrigan am Handgelenk und zog sie mit.

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