[Cubiculum XV] Besuch aus dem Norden

  • Licinus kam nach Hause, kurz nachdem Alpina im Haus angekommen war. Ihm war an diesem Abend nicht mehr nach Gesellschaft zumute und daher hatte er im Vorbeigehen den Ianitor angewiesen, dass er und Esquilina an diesem Tag allein Essen würden. Der arme Mann hatte keine Chance bekommen Licinus über den eingetroffenen Besuch zu informieren.
    Das kleine leerstehende Cubiculum, dass bei ihrer beider Zimmer lag, war schon länger umgeräumt worden und war ein kleiner privater Speise- und Aufenthaltsraum, den er für sich und seine Tochter eingerichtet hatten.
    Audata, auf Grund ihrer stillen Zuverlässigkeit Licinus Lieblingssklavin im Hause, würde ihnen wenig später etwas zu Essen vorbeibringen und so lange konnte er in aller Ruhe Esquilinas fröhlichem Geplapper über den Schultag zuhören udn erfahren, was sie neues gelernt hatte. Und den Kopf für diesen Tag einmal abschalten.


    Wenig ahnte er, dass sein ruhiger Abend ganz anders verlaufen würde, als er dies geplant hatte.


    ~~~ Währenddessen woanders im Haus. ~~~


    Als Ianitor hatte Vibellius natürlich das Begrüßungsgespräch an der Porta mitbekommen. Und da sein Herr ihm keine Gelegenheit gelassen hatte, ihn über den Besuch zu informieren, nahm er sich nun vor eben den Besuch über die Ankunft des Herren zu informieren.
    Er suchte -- und fand schließlich -- die junge Frau im Haus und betrat den Raum unauffällig und sprach als sich die Gelegenheit ergab.
    "Der Herr Iulius Licinus ist eingetroffen. Wenn gewünscht führe ich dich zu ihm."

  • Es war Zeit für die Cena als der Ianitor kam. Und so war Alpina zunächst nicht überrascht, dass sie gerufen wurde. Als er jedoch sagte, dass Licinus eingetroffen war, freute sich die Raeterin umso mehr.
    "Oh, wie schön!", rief sie aus und sprang auf.


    Ursi tat es ihr gleich. "Ist Esquilina auch da?", fragte die Kleine mit glockenheller Stimme.


    Die Mutter legte den Finger an die Lippen. "Leise Ursi! Gedulde dich! Ja, wenn es keine Umstände macht, würde ich ihn wirklich gerne sehen! ... Und Esquilina selbstverständlich auch, wenn sie da ist."


    Alpina griff hinter sich und zog einen Beutel mit dem Gastgeschenk aus ihrer Rückentrage. Nun war sie bereit, Licinus zu treffen.

  • "Dann folge mir bitte!", meinte der Ianitor und führte die Raeterin in in oberen hinteren Teil des Hauses. Dort klopfte er an die Tür und trat dann beiseite.


    Im Inneren des Auges rollte Licinus mit den Augen. Er hatte sich hierhin zurückgezogen um in Ruhe zu Essen. Nun mit der Ruhe war es wohl vorbei. Er schluckte den Bissen Brot hinunter, den er im Mund gehabt hatte und rief "Herein!".


    Der Ianitor hatte genug gehört und zog sich unauffällig zurück, überließ es Alpina selbst einzutreten.

  • Vorsichtig schob Alpina die Tür auf. Licinus "Herrein!" klang nicht sehr freundlich, sondern eher ungehalten. Sie fürchtete, ihn zum unpassenden Moment zu stören.


    Doch kaum war der Türspalt weit genug, dass ein Kinderkopf hindurch passte, zwängte sich Ursi hindurch und lief laut quitschend in das Cubiculum.
    "Esquilinaaaaaa!!!!!"


    Mit strahlendem Lächeln und weit geöffneten Armen rannte sie auf die beiden zu, die sich zum Essen zurückgezogen hatte. Den Princeps praetorii ließ sie dabei zunächst links liegen.


    Da es nun mit dem vorsichtigen Vortasten vorbei war, schon Alpina die Tür komplett auf und betrat den Raum. Zerknirscht und unsicher, wie sie die Begrüßung beginnen sollte, entschied sich die Raeterin für eine vorangeschickte Entschuldigung.
    "Entschuldige bitte, Licinus und "salve!" mein Freund! Ich freue mich so, dich und Esquilina wiederzusehen und hoffe wir kommen nicht allzu ungelegen."

  • "Uuuuuuursiiiiiiiiiiiiii!" Echote es nicht minder schrill von der anderen Seite des Zimmers. Mit einem Satz war Esquilina vom Stuhl gehopst und hatten den Tisch umrundet.

    Licinus war nicht wirklich auf den quietschenden Flummi vorbereitet gewesen, der da in das Zimmer stürmte, weshalb sein Blick an der Tür haften blieb, wo er seine gute Freundin etwas verschämt stehen sah.


    Sein ruckartiges aufstehen fügte der lautstarken und ziemlich kreischenden Begrüßung der beiden Mädchen die dumpfere Note eines fallenden Stuhls hinzufügte. Er war wohl etwas rasch aufgestanden.
    "Alpina! Ursicina! Ihr habt es endlich geschafft." rief er freudig und war in zwei Schritten bei der Tür. Vermutlich hätte er sie vor Freude umarmt, wäre es nur einer gewesen so gewann seine Vernunft die Kontrolle über den Impuls und er hielt ihr nur die Hand hin, griff nach ihrem Arm und drückte diesen.
    "So ein Unsinn, ihr beide kommt nie ungelegen. Setz dich. Habt ihr schon gegessen?" Er bugsierte sie sanft (soweit ein alter Soldat das eben konnte) aber bestimmt in den Raum. Achja, nur zwei Stühle am Tisch. Naja. "Wir werden die Mäuse wohl auf den Schoß nehmen müssen." entschied er knapp und fügte mit Blick auf die Kinder hinzu, die sich schluchzend in den Armen lagen.
    "Naja, vorausgesetzt, die beiden lassen einander je wieder los"
    Er grinßte Alpina schief an und für einen Augenblick spürte er das vollkommene Einvernehmen in der Sorge um die Kinder, dass sie verband. Dann meinte er gespielt beleidigt zu ihrer Tochter:
    "Und was ist mit mir, junge Dame? Krieg ich keine Umarmung mehr?"

  • Das Kuddelmuddel das bei der Begrüßung entstand lockerte schlagartig die unangenehme Situation, dass sie unangemeldet in die Cena geplatzt waren.
    Alpina erwiderte die freundschaftliche Begrüßung und drückte Licinus Arme lange. Sie musterte den Freund. Er hatte sich kein Bisschen verändert, nur der Teint war eindeutig mediterraner gebräunt. Kein Wunder, in Mogontiacum hatte er weniger Sonne gesehen als hier in Rom.


    Er bugsierte sie auf einen Stuhl und so musste sie sitzend zusehen wie sich Ursi nur schwer von Esquilina losreißen konnte. Dann aber lief sie mit ebenso ausgebreiteten Armen auf den alten Freund zu und ließ sich herzen. Doch kindliche Interessen sind bekanntlich nicht immer die gleichen wie die der Erwachsenen. So war die Begrüßung schnell erledigt und Ursi widmete sich dem wirklich Wichtigen.
    "Salve, Licinus! Was gibt es zum Essen?"


    "Ursi!!", scharf mahnte Alpina ihre Tochter. Sie schüttelte missbilligend den Kopf. Dennoch war sie sicher, dass Licinus das verstehen konnte.


    Die gemeinsame Cena wurde begleitet vom kindliche Geplapper und Gekicher. Alpina war glücklich. Sie hatte Licinus und Esquilina sehr vermisst. Das Wiedersehen gab ihr ein Gefühl von Heimat, selbst in der Fremde.


    "Es freut mich, dich so gesund und munter zu sehen. Deine Aufgabe hier muss sehr anstrengend sein. Oder täusche ich mich? Ich stelle mir den Princeps Praetorii immer als einen harten Hund vor. Er muss die soldatische Elite des Staates im Zaum halten. Das ist doch eine brenzlige und auch hochpolitische Aufgabe, nicht wahr?"

  • "Salve, kleine Bärin" brummte er und zerstörte dabei alles, was an Frisur nach der überschwänglichen Begrüßung der Kinder noch übrig war, als seine große Pranke durch das Haar des Kindes pflügte.
    Er schmunzelte, wie das Kind sofort zur Sache kam und wie die Mutter scharf auf die Erziehugn achtete. Beschwichtigend zwinkerte er ihr zu. Sie waren ja unter sich.
    "Gute römische Küche, Fladenbrot und verschiedene Tunke. Und Ziegenkäse."
    erklärte er gut gelaunt.


    Die nächsten Minuten vergingen und es wurde wenig gesprochen und viel mehr gegessen. Das Reisen, so schien es Licinus, hatte die Frau und das Kind hungrig gemacht.
    Als alle gesättigt schienen Stand Licinus kurz auf und rief nach der Sklavin
    "Audata!" "Sei so gut und bring uns was von dem Albaner, ja?" bestellte er dem Anlass entsprechend Wein bevor er sich wieder setzte.


    "Ein Lagerpräfekt ist auch ein harter Hund. Der Job ist gar nicht so anders, als in Germania. Die Garde hat mehr Land zu verwalten, aber nur zwei andere Einheiten mit denen man sich koordinieren muss. Allerdings ist die 'Elite des Reiches'" hier schnaubte Licinus zynisch "Auch eine Elite der Unterschlagung. Damit habe ich hier deutlich mehr Probleme. Der letzte Präfekt hat da die Zügel ein wenig sehr schleifen lassen."
    Ein gewisses Maß an Bereicherung war ja normal, was er hier aber erlebte war mehr, als er zu akzeptieren bereit war. Allerdings musste man sachte vorgehen.
    "Und bei dir? Was macht die Reise? Was macht Mogontiacum?"
    Was machte ein gewisser Tribun? Licinus sprach die Frage nicht aus, aber zu seinem Schwur ihn ans Ende der Welt zu versetzen stand der alte Veteran Stein und Bein.

  • Das Essen war lecker und Alpina und Ursi langten hungrig zu.


    Nach dem Essen gingen Licinus und Alpina zum Wein über. Ein süffiger Bacchustropfen aus den Albaner Bergen. Alpina bekam zu spüren wie man in Rom zu leben verstand.


    Esquilina nahm Ursi an der Hand und führte sie durch das Haus. Alpina blieb bei Licinus und hörte aufmerksam zu. Nun, Probleme mit Unterschlagung und Korruption, das klang alles andere als lustig. Zumal diese Soldaten ja alle bis an die Zähne bewaffnet waren und auch wussten wie sie diese Waffen benutzen mussten. Das war keine ungefährliche Aufgabe, wenn man sich dort unbeliebt machte.


    Dann fragte Licinus nach Alpina. Sie hörte bei der Frage: "und bei dir?" einen gewissen Unterton. Licinus war ein alter Freund, sie wusste, dass sie keine Geheimnisse vor ihm haben brauchte.
    "Nun, die Reise war lang und anstrengend. Ich hatte es erwartet. Wir sind den Rhein aufwärts und dann über einen hohen Pass nach Gallia cisalpina hinüber. Oben auf dem Pass lag Schnee. Wir haben in dem dortigen Passheiligtum ein Opfer gebracht. Der Rest der Reise war dann nicht mehr ganz so beschwerlich. Und was Mogontiacum angeht... schwierig. Es sind so viele Umbrüche da gewesen. Iullus Helvetius Curio hat der Casa Helvetia den Rücken gekehrt und auch Duccia Silvana ist ihrer eigenen Wege gegangen. Ich war irgendwann sehr alleine, zumal ich mich nicht für jemanden entscheiden konnte, der um mich geworben hat. Es gab da ein seltsames Erlebnis, dass mir klar gemacht hat, wie sehr ich noch an Ursicinas Vater hänge und wie wenig ich bereit bin, mich erneut zu binden..."


    Sie sah nachdenklich auf den schimmernden Wein in dem Becher vor sich.
    "Das Buch, das du mir schicktest, gab den Ausschlag. Ich entschied mich auf die Reise zu machen. Man kann im Leben nur dazulernen. Ich habe schon abenteuerlichere Reisen überlebt als diese und wenn es wirklich so sein sollte, dass ich nicht wieder zurückkehre. Nun denn, irgendwann ist Proserpina eben da, um einen ins Schattenreich zu geleiten. Doch ich wollte es unbedingt versuchen. Ich möchte noch mehr lernen, noch mehr wissen!"


    "Was hältst du davon?", fragte sie den Praetorianerpräfekten. "Bin ich verrückt?"

  • "Also doch die Landroute?" Licinus war ein wenig erstaunt, denn die Überquerung der Alpen war eine körperliche Höchstleistung. Er hatte es Esquilina nicht antuen wollen und war verwundert, dass Alpina mit Ursicina nicht den bequemeren Weg über die Flüsse und das Meer genommen hatte.
    "Helvetio Curio und Duccia Silvana? Zerstritten?" denn so hörte es sich für ihn an. Ihre Aussage über den Decimer konnte alles und nichts heißen, aber er verschob das nachhaken für den Moment. Auch so schiene s ihm, als zerfließe es in der Germania gerade in alle Richtungen, was er dort so geschätzt hatte.
    "Aber dir geht es wieder gut?"


    Ob sie verrückt war, wollte Alpina wissen. Keine einfache Frage. Eine Reise hatte immer etwas verrücktes. Und diesen Fatalismus gegenüber dem Tod, das war etwas, was Alpina nicht stand, wie er fand. Wie sie um Esquilina gekämpft hatten, das war Alpina in ihrem Element. Nun den Tod so unbekümmert zu betrachten, dass passte nicht wirklich in sein Bild.
    "Verrückt? Nein." sagte er nach einem Moment des Nachdenkens. "Seid ich dich kenne warst du anders, als die meisten anderen Frauen. Stärker. Und nicht willens dich mit Unzulänglichkeiten abzufinden. Aber verrückt? Höchstens wenn es darum ging, deine Dienste ohne für auch nur ein Minimum an Bezahlung anzubieten." nur ein halber Scherz. Er hatte sich des öfteren darum gesorgt, dass Alpina ihre Dienste hergab ohne darauf zu achten, ob die Entlohnung für sie selbst reichte.
    "Aber diese Unbekümmertheit über deinen Tod. Mädel, das passt nicht zu dir. Was ist los mit dir?"

  • Licinus hörte sehr aufmerksam zu und Alpina konnte förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Wie er versuchte, das Mogontiacum, das er aus seiner Erinnerung kannte, mit dem überein zu bringen, das sie ihm beschrieb.
    Nichts mehr war geblieben wie es war. Für Alpina war eine Welt zusammengebrochen und der einzige Weg aus dieser Einsamkeit und dem Gefühl des Niedergangs zu entkommen war die Flucht nach Rom gewesen. Doch wie sollte sie ihm das erklären.


    Es war schön zu hören, was er über sie dachte, wie er sie einschätzte. Die Raeterin lächelte als er ihre Neigung ansprach von den Menschen, die ihr sehr am Herzen lagen, kein Geld annehmen zu wollen. Diesen Menschen einen Dienst zu tun, war selbstverständlich und brauchte keine Entlohnung. Zumal wie im Falle Esquilinas, wo es doch nicht ihre Kunst war, dass das Kind überlebt hatte, sondern die Gunst der Götter.


    Alpina seufte also tief als Licinus ihre fatalistische Einschätzung des Todes ansprach, sie fragte ob es ihr gut ginge und was mit ihr los sei.
    "Weißt du, es ging mir nicht mehr gut in Mogo. Ich war einsam. Und selbst wenn ich jemanden um mich hatte, fühlte es sich falsch an, weil die Vorstellungen von Gemeinsamkeit nicht passten. Als Soldatenfrau ist man schon ein gewisses Mass an Einsamkeit gewöhnt und ich kann damit auch ganz gut umgehen, aber als dann meine besten Freunde wegbrachen und klar wurde, dass ich vergebens wartete auf Covinus, da habe ich für mich eine Entscheidung getroffen. Ich wollte etwas Neues versuchen. Denn wenn ich hier etwas lerne, das meinen Gebärenden und den Ratsuchenden in der Taberna medica hilft, macht es mich sicher zufriedener. Und für Ursi ist es auch gut, zu sehen, dass es mehr gibt als Mogo. Dort hielt mich nichts mehr. Und das ist vielleicht der Grund für meine Unbekümmertheit bezüglich der Reise. Es wartete niemand mehr dringend auf mich in Mogo. Und wenn ich dennoch entscheide zurückzugehen, dann entscheide ich es für mich, weil ich es möchte. Ich habe hoffentlich noch eine Lebensspanne vor mir. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt für etwas Neues. Jedes Ende birgt die Chance auf einen Neuanfang. Jeder Tod trägt den Funken des neuen Lebens in sich. Es musste wohl ein altes Leben sterben, damit ich ein neues beginnen konnte. Ich danke dir, dass du mir die Chance gibst für diesen Neustart und die Erweiterung meines Horizonts. "


    Sie warf Licinus ein dankbares Lächeln zu.


    "Erzähl mir etwas von Esquilinas und deinem Leben. Habt ihr so was wie ein Privatleben oder bist du nur mit der Sicherheit des Kaiserhauses und des Staates beschäftigt und der süße Sonnenschein mit dem Lernen?"

  • "Nun, ich wünschte" Licinus unterbrach sich selbst, denn was er sagen wollte, klang zu bescheuert. "Nein, nicht, dass dir der Abschied schwerer gefallen wäre. Aber das deine letzte Zeit in Mogontiacum weniger bitter gewesen wäre. Weißt du, ich habe mir immer vorgestellt, wie bei euch alles seinen gewohnten Gang gehen würde.
    Wie ich eines Tages wieder vor den Toren stehen würde bei euch klopfen, Helvetius Curio wäre duumvir, Runa würde in der Schule den jungen Römern die Germanen und den kleinen Germanen die Römer näher bringen. Ursi wäre deine rechte Hand in der taberna sein und Leif wäre ein nichtsnutziger tiro mit den Gedanken bei Wein, Weib und Unsinn, so wie ich es vor viel zu vielen Jahren ... "
    Er unterbrach sich erneut. "Entschuldige. Wunschträume eines alten Mannes."
    Schon die Wahrscheinlichkeit je in den Norden zurückzukehren als solcher war ein ein Wunschtraum für sich gewesen. Nun ja, jetzt war der Norden zu ihm gekommen.
    "Du hast Recht ein Neuanfang. Aber dein altes Leben ist nicht tot. Es wird immer ein Teil von dir bleiben. Es geht nur weiter."


    "Du sollst dir doch nicht immer so viele Sorgen um einen alten Eisenfresser wie mich machen." schalt er sie im Scherz. "Im Ernst, ich habe ein Privatleben und lasse mich von der Arbeit nicht auffressen. Sie ist etwas anders als früher. Dadurch, dass ich nicht im Lager lebe habe ich nicht mehr den unmittelbaren Zugriff auf alles, was anstrengend ist. Früher habe ich mir gerne eingebildet, dass nicht ein Soldat hustete würde, ohne dass ich es wüsste. Das ist hier nicht so.
    Dadurch sind Arbeit und Privates viel mehr getrennt. Esquilina war noch nicht einmal in der castra und ich würde sie hier auch nicht allein herumlaufen lassen. Und sie stört es erstaunlich wenig.
    Ich habe eine neue Lehrerin für sie gefunden und sie ist nach wie vor fleißig in der Schule, aber sie vermisst Duccia Silvanas Göttergeschichten.
    Und wenn wir in den horti lolliani spazieren gehen vergisst man manchmal sogar den Krach und den Gestank in dieser Stadt. Letzteren wird man in unserem Garten hier sogar auch los. Du müsstest ja schon da gewesen sein, die Gästezimmer liegen ja direkt an ihm."

  • Mit sanftem Lächeln beobachtete Alpina ihren Freund Licinus wie er davon träumte, eines Tages wieder in Mogo zu sein und alles wäre so wie damals, nur dass die Kinder inzwischen groß wären und bereits den Pfad zum Erwachsenenleben eingeschlagen hatten. Einen Augenblick sah auch sie die Szene vor Augen. Sie sah Ursi mit ernstem Blick in einer Mortarium eine Salbe rühren und Leif, wie er den Palus mit dem Holzschwert bearbeitete. Ein Augenblick nur, aber ein wundervoller Augenblick...


    Als er sich unterbrach mit dem Einwand, dass es nur die Träume eines alten Mannes wären, legte sie ihm die Hand auf den Unterarm.
    "Oh nein, es wäre auch mein Traum... und wer weiß? Wir können nicht wissen, was Fortuna für uns und unsere Kinder bereit hält."


    Dann hörte sie mit Genugtuung, dass es ein Privatleben für Licinus gab. Und damit auch für Esquilina. Sie musste nicht in der Catra leben und hatte eine nette Lehrerin, der sie mit Sicherheit genauso nacheiferte wie einst Runa. Lächelnd und nickend gab sie zu verstehen, dass auch sie die Göttergeschichten Runas vermisste.
    "Es ist schön zu hören, dass Esquilina fleißig ist. Aber ich habe nichts anderes erwartet."


    Dann sprach er den hauseigenen Garten an. "Oh ja, ich habe ihn schon gesehen und du hast Recht. Er ist ein kleines Paradies. Ein Idyll inmitten dieses lärmenden und stinkenden Molochs. Ach, wo du gerade das Gästezimmer ansprichst... äh... ich wohne momentan im Cubiculum von Gaius Iulius Caesoninus. Er wollte mir kein Gästezimmer zuweisen und meinte, seine Kammer sei besser für Ursi und mich. Mir ist das Ganze allerdings etwas unangenehm, zumal ich ja nicht weiß, wie lange ich bleiben werde. Ich muss Soranus erst finden und hoffen, dass er mich als Schülerin annimmt. Außerdem weiß ich nicht wie lang die Ausbildung dauern wird. So lang möchte ich nicht das Zimmer des Guten belegen. Meinst du es wäre möglich in der Casa Iulia ein passendes Gästecubiculum für Ursi und mich zu finden? Ich möchte Caesoninus Cubiculum so bald wie möglich wieder frei machen. Du kennst mich, ich mag nicht, wenn jemand meinetwegen Umstände macht."

  • "Nein, du ahst Recht, das können wir nicht. Und vielleicht überrascht sie uns beide."
    Sicher konnten die Überraschungen der launischen Dame, die sich Schicksal nannte, auch negative sein, aber von diesen hatte Alpina in Licinus Augen das volle Maß erhalten.


    Die nächste Eröffnung ließ Licinus dann doch ein wenig unglaublich in die Luft starren. Was hatte denn nun das wieder zu bedeuten.
    "Also, das werden wir ändern." Licinus stand auf und winkte Alpina zu sich an Fenster. Unter der Arkade des Gartens waren rechter Hand zwei Türen zu erkennen, halb unter dem vorspringenden Dach verborgen.
    "Das sind unsere zwei Gästezimmer. Sie sind grade beide frei. Wenn du magst können wir sie uns gleich ansehen.
    Esquilinas Zimmer ist übrigens gleich hier neben dran und meine Tür ist die direkt gegenüber. Nur für den Fall, dass du mal jemanden belohnen musst,"

    ergänzte Licinus mit dem Schelm im Nacken und öffnete das oberste Türchen des kleinen Wandschrankes
    "findest du hier die begehrte Ware, wertvoller als alles Gold der Erde."
    Mit diesen Worten reichte er seine Freundin das kleine Tongefäß mit Honigkirschen, die er für seine Tochter immer bevorratete.

  • Lachend sah die raetische Hebamme zu wie Licinus ein Glas mit Honigkirschen aus seinem Schrank hervorzauberte.
    "Und du bist sicher, dass sie das Versteck nicht kennt? Aber danke für diesen Hinweis, die Gelegenheit zur Belohnung wird sicher kommen."


    Sie war froh, dass Licinus ihr eines der Gästezimmer zuwies. Es war sehr nett von Caesoninus gewesen, dass er ihr sein Cubiculum zur Verfügung gestellt hatte, aber ein eigenes war ihr noch viel lieber.
    "Das ist sehr fein. Danke dir Licinus! Ich freue mich sehr darauf Rom kennenzulernen. All die Plätze von denen man immer hört und die ich nun endlich mit eigenen Augen sehen kann. Ich möchte mir einige Tage Zeit nehmen und mit Ursi die Stadt erkunden. Soweit sie Lust dazu hat. Du weißt ja, in dem Alter gibt es Wichtigeres als die Besichtigung weltpolitisch und historisch herausragender Stätten, aber ich hoffe doch, dass sie mit mir zumindest das Forum besuchen wird. Hast du einen Tipp für uns? Also was ich unbedingt sehen muss und vielleicht auch einen Ort, der für Ursi interessant sein könnte?"

  • "Sie kennt es" ein feines Lächeln umspielte Licinus Lippen. "Sie kommt nur nicht dran. Und ich habe allen Sklaven verboten an meine Schränke zu gehen. Aus völlig anderen Gründen versteht sich, aber es ist recht wirkungsvoll."
    Familienmitglieder waren da schon noch eine Schwachstelle, aber auch diese sollten ja noch etwas Respekt vor ihm haben.
    "Du darfst dir gerne auch was nehmen"


    "Oh, die weltpolitische Bedeutung wird ihr völlig egal sein, aber es ist so anders als Mogontiacum, dass ich sicher bin, sie wird beeindruckt sein. Die Tiergärten in den Horti Maecenati werden ihr sicher gefallen, der dortige Tempel der Minerva Medica ist ein richtiges Kleinod. Und im Westen der Stadt stehen die Thermae Neroianae. Ich finde, sie die schönsten. und den Circus muss man gesehen haben, denke ich."
    Licinus zählte erst seine Lieblignsorte auf, dann jenen, der eher Pflichtprogramm war.
    Er war sich sicher, dass diese Orte auch für das Kind interessant waren.
    "Ich fürchte nur, ich selbst werde euch in den nächsten Tagen nicht begleiten können. Aber wenn du Esquilina mitnimmst, wird sie sich sicher freuen.
    Apropos freuen, gibt es noch etwas, was du für deinen Aufenthalt brauchst, bzw. für euer Zimmer?"

    Woher sollte sie das nur wissen, wenn sie es noch nie gesehen hatte. Aber der alte Soldat freute sich zu sehr über die Anwesenheit der jungen frau, dass er solche Nebensächlichkeiten bemerkte.

  • Aber natürlich wusste die schlaue Esquilina wo die Leckereien zu finden waren. Alpina lächelte und lehnte dankend das Angebot ab, sich auch etwas davon zu nehmen.


    Dann kam Licinus auf die vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt zu sprechen, die Ursi interessieren könnten. Beim Tiergarten in den Horti Maecenati war sie sich sicher. Der Tempel der Minerva Medica war womöglich eher was für die Mutter. Aber eine so große und prächtige Thermenanlage, wie man sie hier in Rom erwarten durfte, hatte Ursi noch nie gesehen, das war sicher auch für Ursi etwas zum Staunen und letztlich auch zum Plantschen. Der Circus mit den Pferderennen. Ja, das wollte Alpina auch unbedingt einmal erleben.


    "Oh ich habe nicht erwartet, dass du dir Zeit nehmen kannst. Ich käme auch alleine zurecht, denke ich, sobald ich mich einigermaßen orientieren kann. Wenn uns Esquilina aber begleiten möchte, dann freue ich mich sehr und für Ursi wird die Besichtigungsrunde damit nochmal so spannend."


    Zuletzt fragte der Prätorianerpräfekt, ob sie noch etwas für das Zimmer oder den Aufenthalt brauchte. Alpina stutzte. Sie kannte das Gästecubiculum noch nicht. Aber sie war sicher, dass es ihr an nichts fehlen würde, denn großen Komfort brauchte sie nicht. Als er aber auf den Aufenthalt allgemein ansprach, wog sie den Kopf.


    "Nun, sobald ich Soranus gefunden habe und, wie ich hoffe, als Schülerin oder Praktikantin akzeptiert wurde, bräuchte ich sicher eine Tabula und einen Stilus, vielleicht sogar einige Seiten Papyrus, damit ich mir Notizen machen kann und wichtige Grundlagen und Rezepte dauerhaft aufschreiben kann. Also für den Fall, dass du mir so etwas besorgen könntest, wäre ich sehr dankbar. Ich bezahle selbstverständlich dafür."


    Sie sah den Freund eine Weile von der Seite an. Sie war neugierig ihn in seiner vertrauten Umgebung in Rom zu erleben. Wie gab er sich hier? Hatte er viele einflussreiche Freunde? Wie würde sie die römische Gesellschaft erleben? Mit welcher Art Leuten umgab sich Licinus. Sie war neugierig, traute sich aber nicht zu fragen. Wahrscheinlich würde sie lange genug in Rom bleiben, um eine Antwort auf diese Fragen zu bekommen.

  • "Ihr Götter im Himmel," Licinus schaffte es gerade nicht mehr seine Augen zumindest ein wenig zu verdrehen, gleichzeitig lachte er aber.
    "Alpina, wenn ich jemals eine Statue der Bescheidenheit in Auftrag gebe, dann kriegt sie dein Aussehen. Wenn du Wachstafeln brauchst, dann bedien dich im tablinum. Unser maior domus sorgt dafür, dass da steht's genug sind. Und den stylus kriegst du von mir als Willkommensgeschenk in Rom. Und selbstverständlich zahlst du kein As dafür. Du bist mein Gast hier in Rom und so lange es um solche Kleinigkeiten geht, kannst du dich hier im Haus versorgen."
    Natürlich war auch Licinus Gastfreundschaft nicht unbegrenzt, aber für ihn als Bürokraten waren Wachstafeln eher ein Verbrauchsgegenstand, als etwas, was man in irgendeiner Form gesondern wertschätzte.


    "Wenn du sonst keine Fragen mehr hast, würde ich allerdings vorschlagen, wir suchen mal nach unseren beiden jungen Damen. Es ist so verdächtig still hier..."

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