Seit über drei Wochen war der Decimer nun auf dem Weg zurück in die Heimat, Rom, die urbs aeterna. Er konnte es kaum erwarten, den Boden jenseits der Stadtmauern zu spüren, mit seinen eigenen Füßen den caelius mons zu besteigen (auch wenn man kaum von einem wirklichen Aufstieg sprechen konnte) und in die Gesellschaft seiner geliebten Familie zu treten. Drei Wochen waren deutlich zu lang! Scapula war ausgedehnte Reisen gewohnt, seit mehreren Jahren befand er sich nun auf Schiffen, Wägen und Sänften, immer zwischen den großen und weniger großen Orten an den Küsten des mare nostrum. Häufig blieb er länger an einem Ort, studierte, lernte und … feierte ausgiebig. Vor allem in den Metropolen: Korinth, Athen, Alexandria! Die kleinen Ortschaften, namenlose Ansammlungen trostloser Bauern, waren meist nur als Raststätte zwischen den wirklich interessanten Städten zu gebrauchen. Die Reise selbst war jedoch eine ständige Konstante. Er konnte nicht einschätzen, ob er länger unterwegs oder „sesshaft“ war. Zu keinem Zeitpunkt bereitete ihm dieser Umstand allerdings Unbehagen, ließ ihn angespannt schlaflose Nächte erleben – bis jetzt.
Diesmal war das Ziel…. das Ziel! Rom. Das Schiff hatte in Alexandria noch nicht einmal abgelegt, da war Scapula die Ungeduld und Anspannung schon ins Gesicht geschrieben. Er konnte nicht einmal genau sagen, warum. Eigentlich hatte sich nichts verändert. Nicht einmal der Tod seines Vaters oder seines Bruders hatte seine Heimreise eingeleitet. Trotzdem hatte Titus das Gefühl, dass es an der Zeit war und so erfüllte ihn ein unbändiger Drang, sofort die Reise nach Rom anzutreten. Der erste Abschnitt, über das levantische Meer bis kurz vor Myra, verging noch wie im Flug. Gedanken kreisten um die Zukunft, seine Vorhaben und die Vorfreude, seine alten Freunde und Verwandten wiederzusehen. Doch der Weg zwischen den griechischen Inseln, vorbei am Kap Tenaro bis nach Messana zog sich und nun kreisten die Gedanken des Decimers eher um sich selbst. Er musste unerträglich sein, fahrig, übellaunig. Die Sklaven an Bord konnten einem fast leidtun. Jeder Freie konnte es sich leisten, Decimus Scapula einfach aus dem Weg zu gehen, seine Dienerschaft hatte diesen Luxus nicht.
Wenigstens blieb ihnen ein Unwetter erspart. Lediglich während des vorletzten Abschnitts, entlang der italienischen Küste von Messana bis Ostia formte sich am Horizont ein größeres Gewitter. Neptun schien den Reisenden jedoch gewogen zu sein, denn sie erreichten „den Hafen von Rom“ ohne nennenswerte Ereignisse… was besser klang als es war. Scapula hätte gerne etwas mehr extrinsische Spannung vertragen können, das hatte zumeist den Effekt, die eigene Anspannung in den Hintergrund zu drängen und jedwedes Zeitgefühl massiv zu beschleunigen! Doch dann war es soweit: Sie legten in Ostia an, das Reisegefährt wechselte zum Wagen, die letzte Route hieß via ostiensis.
Etwas über einen Tag später war sie endlich in Sicht: Rom, die urbs aeterna, sowohl Blüte der Zivilisation als auch gieriger Moloch. Was sich wie ein Widerspruch anzuhören schien, war doch unumstößlich miteinander verbunden und verwoben. Keine anderer Ort behandelte einen gleichzeitig so gut und so schlecht. Kein anderer Ort war vergleichbar. All diese anderen Städte, Dörfer und Siedlungen wirkten wie eine verblasste Erinnerung. Keiner dieser Orte hatte den gleichen Zauber. Zumindest vermutete das der Decimer… im Hinterkopf nagte mittlerweile ein leiser Zweifel. War sein Bild von Rom ob der vielen Jahre Abwesenheit nicht … verklärt? Es war viel passiert! Nicht zuletzt ein Bürgerkrieg, der sicherlich seine Spuren hinterlassen hatte.
Fast schon demütig beschloss Scapula, den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen, mit ungetrübtem Blick auf die Metropole, die vor ihm den gesamten Horizont ausfüllte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Dominus, …“ machte sich Nereos einige Schritte hinter seinem Herrn bemerkbar, „…. soll ich schon vorausreiten, um deine Ankunft anzukündigen?“ Der Sklave hellenischer Abstammung erwies sich als wahrer Glücksgriff. Athletisch und von großem Wuchs strahlte Nereos eine beeindruckende physische Präsenz aus, welche nur allzu leicht seinen sanftmütigen Charakter zu verstecken schien. Seinem Herrn gegenüber war er immer tadellos und zu allem Überfluss war er nicht einmal auf den Kopf gefallen. Hätte Titus nur gewusst, wem er für diese Ausbildung hätte danken können. Leicht nickte er Nereos zu. „Ja, mach dich auf den Weg! Ich kann es kaum erwarten, in der Casa anzukommen...“