[Campania] Eine höchst veraltete Neuigkeit


  • Decimus Iulius Antipater


    Irgendwo weiter westlich von Capua gelegen befand sich zwischen den sanften Hügeln der kampanischen Landschaft ein fast schon versteckt liegendes Anwesen, das einem vorüberkommenden Wanderer keinen Zweifel daran ließ, dass dessen Besitzer großen Wert auf eine prunkvolle Wohnstatt, aber gleichzeitig auch auf Intimität und Gemütlichkeit legte. Es war eine herrschaftliche villa rustica mit einem riesigen Haupthaus und mehreren in der Umgebung verstreuten Nebengebäuden, dazwischen alles voller Felder, Hecken und Beete, die zwar ein wenig chaotisch angeordnet wirkten, doch trotzdem alles wohl durchdacht angelegt worden war. Jeden Tag wuselte eine Heerschar an Sklaven über das Gelände des Anwesens, um die Felder zu bestellen und die hier gehaltenen und gezüchteten Tiere zu umsorgen und der Herr all dieses landwirtschaftlichen Paradieses war Decimus Iulius Antipater, ältester Sohn des legendären iulischen Ritters Tiberius Iulius Numerianuns. Antipater war demgemäß natürlich nicht mehr der jüngste. Schon ganze 55 Jahre war er alt und schon seit gut zehn Jahren genoss er seinen -seiner Meinung nach- wohlverdienten Ruhestand mit seinem bescheidenen Landleben inmitten der Schönheit Kampaniens. Besonders zur Erntezeit gefiel ihm die Gegend, wenn in der Kornkammer Italias die Felder voll prächtig entwickelter Weizenähren sich soweit das Auge reichte erstreckten und seine Villa geradezu in einem goldenen Meer zu schwimmen schien durch das der Wind mit Freude fuhr und es überall nach Brot raschelte.
    Iulius Antipater war früher einmal ein großer Mann in Rom gewesen, immer danach bestrebt dem Ideal seines Vaters nachzueifern. Dadurch und durch sein geschicktes Händchen für Investitionen und Geschäftsführung war er zu großem Reichtum gelangt, der schließlich so groß geworden war, dass er beschlossen hatte sich ganz aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und als Pensionär ein stilles beschauliches Leben am Lande zu führen mit gekühlten Fruchtsäften, deren Eis aus den Bergen Anatoliens stammte, gewandet in feinstes ägyptisches Leinen und umgeben von den liebreizendsten Sklavinnen, die man auf dem Sklavenmarkt in Capua nur finden konnte. Besonders schwarze Mädchen aus Nubien sprachen Antipater besonders an.
    Seine Geschäfte hatte er so gelegt, dass er sein gesamtes Finanzimperium von seinem Schreibtisch aus zuhause dirigieren konnte. War doch einmal nötig, dass man vor Ort anwesend war, z.B. für eine Kontrolle, oder wegen geschäftlicher Verhandlungen, so schickte Antipater für gewöhnlich einen emissarius, der die Angelegenheit in seinem Namen dann mit ganzer Vollmacht regelte. Antipater selbst aber reiste nicht mehr, das hatte er in seiner Jugend zur Genüge getan und wollte nichts weiter, als auf seinem Landgut sein Leben zu genießen und daneben seinen Sklaven bei der Erntearbeit zuzusehen, oder Zeuge davon sein, wenn ein neues Kalb, oder Fohlen das Licht der Welt erblickte. Das höchste der Gefühle mochte mal ein Tagesbesuch in Capua sein, noch seltener vielleicht sogar eine Fahrt nach Neapolis ans Meer. Doch alles andere (oder weiter gelegene) war mit ziehmlich sicherer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.
    Alles in seinem Leben hatte Antipater so gestaltet, dass er möglichst für den Rest seines Lebens nie mehr sein Grundstück verlassen musste. Was es nicht auf seinem Anwesen gab, er aber begehrte, das ließ er liefern und wenn es auch Seide aus Serica war. Geld spielte keine Rolle.


    So verbrachte also der reiche Iulier, der nichts mehr von der restlichen Welt wissen wollte, seine Tage, besonders süße Unterbrechungen davon stellten immer die abendlichen Gesellschaften dar, wenn er Freunde von sich in seine Villa einlud. Am nächsten Morgen nach so einem Fest stand der Hausherr im riesigen Triclinium und beobachtete seine nubischen Schönheiten, wie sie oberkörperfrei die Reste des Fests von letzter Nacht entfernten. Wenn kein Besuch anwesend war mussten alle direkt im Haus arbeitenden Sklavinnen oberkörperfrei arbeiten, so war es der Wille des Antipater. Während zwei dünne Mädchen gerade einen der Tische reinigten, walzte eine besonders große und korpulente Nubierin von gut 40-50 Jahren auf ihn zu. Sie hob sich auch besonders von den anderen ab, da sie vollständig bekleidet war. Bei ihrem Anblick lächelte Antipater. "Pabatma, meine Schöne! Was gibt es?"


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    Pabatma, Maiordoma


    "Herr Decimus, den ganzen Morgen schon wischen meine Mädchen! Ich weiß ja, dass ein Mann deines Alters immer noch Spaß haben will, aber jedes Mal so einen Saustall?"


    Antipater setzte zu einer Antwort an, aber mit der in die Hüfte gestemmten rechten Hand und mit einer zur raschen Zeigefingergeste geformten linken, wedelte sie vor seinem Gesicht herum und ließ ihn so gar nicht erst zu Wort kommen.


    "Ich bin noch nicht fertig, Meister Decimus, jetzt spricht Pabatma! Du hast mich gekauft, weil ich die beste bin in meiner Arbeit. Du willst ein sauberes Haus? Du bekommst ein sauberes Haus. Du willst anständige Mädchen? Pabatma macht welche aus denen die du wöchentlich anschleppst, aber genug ist irgendwann genug!"


    Auf diese Ansprache schaffte Antipater nichts weiter, als ein wenig hilflos aus der Wäsche zu schauen. "Pabatma, meine Teuerste, so versteh doch! Das gestern war doch die Feier zum Geburtstag meine Freundes Lucius, wir hätten das unmöglich ausfallen lassen können! Was hätten die Leute in Capua nur gesagt, wenn wir nicht..."


    Wieder brachte ihn der Zeigefinger zum Verstummen.


    "Was die Leute von Capua sagen ist mir egal! Die Leute von Capua putzen nicht dein Haus, ich mache das! Also bitte Herr Decimus, ich möchte nicht immer mit dem Putzen fertig sein, nur um dann sofort wieder von vorne anfangen zu können!"


    "In der Tat..ähm, ja das muss bestimmt..." stammelte ihr Dominus, was die Maiordoma nur die Augen verdrehen ließ.


    "Frustrierend sein, ja Herr Decimus! Und eine frustrierte Pabatma ist..."


    "Schon gut schon gut, ich kann es mir ja ausmalen..." versuchte der Hausherr selbst mal zu Wort zu kommen.


    Seine Hauschefin nickte bekräftigend.


    "Sehr schön, dann ist alles gesagt. Herr Decimus, bitte sei ein guter Herr und mach weniger Feste, ja?"


    Immer noch belämmert wie eine Herde Schafe bei Blitzgewitter stammelte er: "Ja, ähm... natürlich meine Teuerste."


    Wieder ein wohlwollendes Nicken, gefolgt von einem breiten Lächeln.


    "Danke Dominus, du bist sehr gut! Aber nun entschuldige mich bitte, ich muss einen Brief an meinen Vetter Wonga aufsetzen gehen."


    Schon wollte sie sich entfernen, als sie da Antipater noch einmal zurückhielt.


    "Wonga? Ist das nicht der Ianitor der Domus Iulia in Rom bei meinen Verwandten?"


    Zumindest konnte er sich sehr dunkel daran erinnern, dass ihm Pabatma irgendwann vor Jahren einmal davon erzählt hatte, dass ihr Vetter eben diese Stellung bei einem anderen Teil der Gens Iulia inne hatte. Überhaupt dachte er fast nie an seine restlichen Verwandten und wenn er es zugab er hegte auch kein besonders großes Interesse daran mal dahin zu fahren und Hallo zu sagen, wo er ja kaum noch wen dort kennen würde, außerdem hatten ihm seine Brüder auch schon seit Jahren nicht mehr geschrieben nach ihrem großen Streit. Bestimmt würden sie es aber auch ohne ihn schaffen den Laden zu schmeißen. Doch zu seiner Überraschung lachte sie nur und meinte:


    "Nein, schon lange nicht mehr! Er ist jetzt Custos Corporis und irgendwer anders macht den Leuten die Tür auf. Er hat sich erst in seinem letzten Brief darüber beschwert, dass er die Abwechslung an der Porta vermisst, Herr Decimus, im gleichen, wo er von der Wahl eines Dominus Caesoninus zum Vigintivir erzählt hat."


    "Verstehe...interessant. Und... und dieser Wonga...schreibt dir also auch vom Rest meiner Familie?" Eine leise Neugier war in Antipater erwacht. Bislang hatte er keinen blassen Schimmer gehabt, dass Pabatma über ihren versklavten Verwandten mehr über Antipaters eigene Familie erfuhr als er selbst, aber wie auch wo ihm keiner schrieb, wenn ihn abgesehen von seinen Brüdern überhaupt noch wer von der Bande dort kannte. Sein Stolz hielt ihn selbst natürlich ab selbst einmal zu schreiben, aber durch die unerwartete Neuigkeitenquelle in Form seiner Maiordoma sah er nichts verkehrtes darin sich auf einen etwas aktuelleren Stand zu bringen, was die Gens Iulia anging.


    Pabatma zuckte mit den Schultern. "Mal so, mal so."


    "Und...und hat er auch einmal wieder etwas neues von meinen Brüdern erwähnt, vielleicht auch nur beiläufig? Von Paullus, Tiberius, oder Kaeso? Kaeso muss gerade bei Proximus in Misenum sein, oder? Ich bilde mir ein in seinem letzten Brief vor gut 10 oder 20 Jahren hatte er mich dahin eingeladen zur Feier der Geburt einer kleinen Tochter, aber ich war gerade geschäftlich in Sizilien gewesen." Jetzt war seine Neugier schon größer geworden. Was Pabatma wohl von ihnen alles wusste? Vielleicht würde dieser Wonga ja des öfteren einen von ihnen beschützen müssen und sie deshalb gelegentlich in seinen Briefen an die Maiordoma erwähnen?


    Doch zu seiner großen Überraschung runzelte diese nur die Stirn in dem Glauben ihr Herr hätte soeben einen Scherz gemacht und zuckte wieder mit den Schultern. "Was soll er schon über die schreiben? Sie sind tot."


    Antipaters Herz setzte für einen Moment aus und er musste mehrmals blinzeln, bevor ihm so richtig bewusst wurde, was die Nubierin da gerade eben gesagt hatte. "T..tot?!"


    "Mausetot, alle drei, ja. Schon sehr sehr lange."


    "TOT?! Was...wie...warum....WIESO WEIß ICH NICHTS DAVON?!"


    Pabatma hob eine Braue und machte ein Gesicht, als würde sie mit einem Kleinkind reden.


    "Hast du denn keine Benachrichtigung davon bekommen aus Rom, Meister Decimus?"


    Bei dieser Frage lief Antipater blutrot an im Gesicht.


    "Ich...ähm...najaaa....um ehrlich zu sein habe ich jeden iulischen Brief der aus Rom gekommen war immer gleich weggeschmissen in der Annahme er wäre von meinen Brüdern mit weiteren bösen Worten und Vorwürfen wegen Vaters Erbe..also ich.."


    Pabatma nickte. "Ich verstehe schon, Meister Decimus."


    Eine unangenehme Leere drückte Antipaters Brust innerlich zusammen angesichts dieser Neuigkeit. Seine jüngeren Brüder waren also alle tot und das schon seit einigen Jahren...er war der Letzte der Söhne des Ritters Iulius Numerianuns. Als ihm das bewusst wurde griff er schnell nach einem Tisch neben sich und musste sich setzen, während er sein Gesicht in seinen Händen vergrub. Alle tot und er hatte nicht einmal davon gewusst. Jetzt würde es nie mehr eine Möglichkeit geben ihren Streit vielleicht doch noch zu begraben und sich auszusprechen und er musste mit dieser Schmach leben. Wie hatten ihm seine Brüder nur all die Jahre so sehr egal sein können?
    Heiße Tränen rannen zwischen seinen Fingern hervor und Antipater begann heftig zu schluchzen, während Pabatma sich neben ihn setzte und mitfühlend einen Arm um ihn legte. "Lass es raus, Meister Decimus, lasse alle Tränen raus, dann geht es besser. Pabatma ist für dich da."
    Eine ganze Weile lang weinte Antipater über diesen überraschenden Verlust. Mit einem Schlag war für ihn seine jahrzehntelang vernachlässigte Familie um so vieles kleiner geworden.


    Als er sich halbwegs wieder beruhigt hatte, war ihm etwas eingefallen. "Das Mädchen! Kaesos Mädchen! Was ist mit ihr jetzt, wo mein Bruder und ihr Vater im Hades weilt? Weißt du irgendwas? Und...hatten Paullus und Tiberius auch Kinder?"


    "Das weiß ich nicht, aber ja auch die hatten Töchter."


    "Noch mehr Töchter! Wie geht es ihnen nur? Und wer sorgt für ihre Mitgift, wenn sie mal heiraten, geschweige dem wer ist ihr Vormund?"


    "Das weiß ich nicht, Meister Decimus."


    Nach dem Kummer über seine toten Brüder war da jetzt noch etwas anderes in ihm erwacht und zwar die Sorge über das Wohlbefinden seiner Nichten, von deren Existenz er bis vor kurzem noch nicht einmal gewusst hatte. Doch jetzt wo das anders war wusste er, dass er keine ruhige Minute mehr haben würde, ehe er sich nicht über deren Wohlergehen vergewissert hätte. Er sah dies als einen schwachen Versuch an all die jahrelange Ignoranz gegenüber seiner Familie wiedergutmachen zu wollen, wenn er auch vorher schon nicht für seine Nichten da gewesen war.


    "Pabatma, ich hätte nie gedacht das noch einmal zu sagen, aber pack den Haushalt zusammen für eine Reise, ich will nach Rom und nachsehen wie es um meine Familie steht!"


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