Von Alexandria aus fuhr die Astarte gemächlich in Richtung Westen. Der Nachthimmel war wolkenlos und gewährte deshalb einen ungetrübten Blick auf die funkelnden Sterne. Da der Mond jedoch bloß als Sichel am Firmament hing war es nicht allzu hell, besonders da Fackeln und Öllampen an Bord brannten und dadurch eine nächtliche Weitsicht schon einmal von Haus aus sehr stark eingeschränkt war. Hinter ihnen konnte man am Horizont auch immer noch den orangen Feuerschein des Pharos ausmachen. Eine leichte Ostbrise blähte die Segel des phönizischen Handelsschiffs und Nasica stand immer noch an Deck, um all diese Sinneseindrücke in sich aufzunehmen. Rund um ihn herum kehrte langsam Ruhe ein nach den hektischen Betrieblichkeiten des Aufbruchs. Die Segel waren gesetzt, die Ladung verstaut und die Dienst habenden Männer auf ihren Posten. Jetzt galt es nur noch den Kurs zu halten und dem Wind die restliche Arbeit zu überlassen. Die Männer die für den Rest der Nacht nicht mehr benötigt wurden gingen einer nach dem anderen unter Deck, wo sie ihre Würfelspiele auspackten, um um eine oder zwei Amphoren Wein zu spielen. Nasica war jetzt alleine vorne am Bug. Hier gab es keine Fackeln und so konnte er viel weiter in die Nacht hinaus sehen. Die dunklen Schemen der Küste links von ihnen mochte diesen Eindruck zwar ein wenig begrenzen, jedoch bekam Nasica erstmals ein Gefühl für die Größe der Welt. So weit das Auge reichte nichts als offener Raum, über ihm der Himmel und unter ihm das Meer. Nasica selbst kam sich winzig im Vergleich dazu vor, einem Floh gleich, der einen großen See überqueren wollte. Erst jetzt konnte er die Erzählungen der Seeleute aus dem Alexandriner Hafen besser nachvollziehen, wenn die von den Stürmen auf offener See erzählten, die sie mitgemacht hatten. Selbst jetzt bei ruhiger Fahrt glaubte Nasica die unglaubliche Macht des Ozeans zu spüren dem ein Wimpernschlag wohl mehr Mühe machte, als ihre unbedeutende Nussschale zu zerschmettern. Sie befanden sich ungeschützt im Herrschaftsbereich von Neptunus, jederzeit konnte sich der große Gott dazu entschließen sie mit einer gewaltigen Flutwelle auszulöschen. Zum Glück war Neptun nicht sein griechisches Pedant Poseidon, der ja berüchtigt für seine Zornesausbrüche war in Folge derer er Erdbeben verursachte und mit seinem Dreizack aufs Wasser schlug, um die See für Sterbliche gefährlich zu machen. Doch wer von beiden herrschte jetzt wirklich über das Meer? Neptun, oder Poseidon? Nasica hoffte ja doch, dass es der wesentlich besonnenere Neptun war, sonst könnten sie noch ein Problem bekommen, wenn sie etwas falsch machten, oder den Gott aus Versehen mit irgendwas beleidigten. Beim Gedanken an einen wütenden Meeresgott, der jederzeit ihr Schiff mit einer Sturmflut auf den Meeresgrund reissen konnte wurde Nasica plötzlich mulmig zumute und die nächtliche See wirkte überhaupt nicht mehr schön und faszinierend, sondern eher bedrohlich. Bildete er es sich ein, oder war der Wind stärker geworden? Besser wohl, wenn er schön langsam unter Deck ging.
Kaum war seine Welt von allen Seiten durch Holz wieder begrenzt, fühlte er sich schon wieder wesentlich besser. Ganz in der Nähe hörte er das Lachen und Gröllen von einigen Männern, die zusammensaßen und gerade darum würfelten wer beim nächsten Landgang einen Lupanarbesuch von den anderen spendiert bekam. Nasica grinste, ging aber nicht zu ihnen. Solcherlei Art von Zeitvertreib (und Preis) waren nichts für ihn. Ob er noch ein wenig lesen sollte? Eine Öllampe hatte er ja, deshalb machte er es sich mit einer Decke in seinem kleinen Verschlag gemütlich und begann eine der Papyri zu sich herzuziehen. Wie es der Zufall so wollte war es eine aus dem Tanach und erzählte von einem Mann namens Noah. Beim Lesen dieses Namens klingelte etwas bei ihm. Moment! Hatte ihm Ezra ben Abraham nicht erzählt, dass das genau der Mann im Buch war, der ein großes Boot gebaut hatte, um ein Paar von allen Tieren vor einer großen Flut zu retten? Eine Bootsgeschichte, besser als das konnte ja nichts im Moment passen! So begann er gespannt zu lesen alles andere um sich herum vergessend.