Es war für die Schiffahrt schon spät im Jahr, und daher war der Hafen nur spärlich belegt.
Tiberios stand am Hafen und beäugte die Schiffe. Die allermeisten von ihnen waren corbitae mit ihren rechteckigen großen Segeln und ein paar Galeeren. Ihn beschlich dieses seltsame Gefühl: bar aller Verantwortung und Herr seiner Zeit zu sein. Fast beängstigend war es, als fiele er in eine große Leere und als fände er keinen Halt. Er schaute zum Himmel, einen Moment lang weit entfernt davon, die plötzliche Freiheit uneingeschränkt zu genießen, sie jagte ihm, der von Beginn seines Lebens ab im Dienste anderer gestanden hatte, Angst ein. Jetzt verstand er, warum es Sklaven gab, die gar nicht freigelassen werden wollten. Wo sollten sie hin, was sollten sie tun?
Aber dann dachte Tiberios an das, was er an Neuem sehen und kennen lernen würde, und in ihm stieg eine unerahnte Freude auf. Er, Tiberios, würde reisen und diesmal nicht in Ketten wie bei seiner ersten Fahrt von Alexandria nach Roma, sondern wie ein Passagier, fast wie ein freier Mann. Er würde seine Passage mit dem Geld, das er bei sich hatte, bezahlen. Das mochte niemandem etwas bedeuten, ihm bedeutete es viel.
Währendessen taxierte er die Schiffe und besonders die Waren, die sie luden, bis er eine Corbita erblickte, deren Sklaven gerade noch in Kisten Dinge aus Glas und mehrere Dolia mit etwas Seltsamen, einen modrigen Geruch ausströmenden Material - später erfuhr er, dass es sich um blondes Frauenhaar aus Germania handelte - in den Bauch des Schiffes trugen. Der Name des Schiffes war Nereis Alexandrina, und das erschien Tiberios als gutes Omen.
Schon fragte er nach dem Kapitän, der ein Grieche war wie er selbst, der ihm bestätigte, dass sie nach Alexandria segeln würden, wenn auch mit einem Umweg über Athen, und dann die Augen zusammen kniff:
"Du bist nicht abgehauen, Junge, Ärger will ich keinen haben."
Tiberios schüttelte den Kopf: "Nein, kyrios, es ist alles rechtens.", und er zeigte seine Dokumente: Das Schreiben seiner Domina vor, dass sie ihm erlaubte, alleine unterwegs zu sein.
Mehr aber überzeugten den Kapitän die drei Aurei, die Tiberios ihm gab: "Für Proviant musst du selber sorgen. Aber dann komm an Bord und such dir einen Schlafplatz; in zwei Stunden legen wir ab."
Tiberios war, nachdem er seine Vorräte aus dem Furischen Handelshaus geholt hatte, viel schneller wieder da. Einer der Matrosen zeigte ihm im Unterdeck einen freien Raum, in dem er schlafen konnte; natürlich bekam er keine Kajüte, sondern nur einen Platz hinter einer großen Rolle Tau; und das Vorhandensein von Mänteln, Dolia und Säcken zeigte ihm, dass noch mehrere Passagiere den Raum mit ihm teilten.
Kaum hatte Tiberios sein Bündel abgelegt, hielt es ihn nicht mehr und er sprang an Deck. Mit großen Augen verfolgte er die noch anstehenden Arbeiten und wusste schon, dass er mit allen reden und sich alles erklären lassen würde; besonders interessierten ihn jedoch die Seekarten des Steuermanns.
Nicht mehr ängstlich war er, sondern zuversichtlich: Tyche, die Göttin des unwegsamen Schicksals, würde weiterhin ihre Hand über ihn halten.
"Chairete Rhoma, du wurdest mir eine zweite Heimat! Auch wenn ich gehe, werde ich dich nie vergessen.
Und du trägst das Gesicht all derer, die mir begegnet sind, gute und böse, freundliche und unfreundliche.
Panta rhei kai ouden menei. Aber das Gute überwog bei weitem. Gedenke meiner mit ein wenig Freundlichkeit. Chairete!"
*griech. Alles fließt und nichts bleibt