Was zuvor geschah: Dunkle Wolken ziehen auf ....
Ei, was für eine schöne Sammlung er da erworben hatte! Ein Kästchen voll kunterbunter Glasfläschchen, jedes mit einem anderen geheimnisvollen Kräutersud befüllt. Das gesamte Geld, welches er besessen hatte, war dafür hops gegangen. Wen scherte es? Bald waren sie zig mal so reich. Pollux spürte ersten Frost nicht in seine Haut beißen, obgleich er nur eine langärmlige Tunika trug und seine Füße in dreckige Lappen gewickelt waren. Unter dem Einfluss des bittersüßen Sudes aus der gelben Flasche fühlte er sich wie Ikaros! Jedoch, was scherte ihn die Sonne? Die Sterne waren es, zu denen er hinaufwollte, um sie vom Himmel zu reißen! Er sprang hoch hinauf, griff in die Luft, verfehlte sie, versuchte es ein weiteres Mal.
Castor hatte ein anderes Fläschlein aus der bunten Sammlung nehmen dürfen. Was er wohl spüren mochte? Hoffentlich fühlte er sich genau so gut wie Pollux!
Wenn auch der Rausch den Göttersohn Pollux trieb, hatte er jene tief verinnerlichten Regeln zum Geleit, die ihn bis heute hatten überleben lassen. Eine davon besagte, er dürfe sich bei Nacht nicht im Freien zur Ruhe betten, wenn der Atem weiße Wolken schlug, sondern musste wach bleiben bis zum Sonnenaufgang, sonst würde er niemals mehr den Tag erleben. Das Mittelchen half dabei, die erste Frostnacht zu durchstehen. Aber bald schon, bald wären sie reich und die beißenden Nächte im Winter würden sich ihre Zähne an der Tür ihres eigenen Hauses abbrechen!
Pollux wurde das Herz weit, er sang mit hoher und seidenweicher Stimme ein Liebeslied und die Götter (sie beide) allein wussten, wem es galt:
"Dem Liebsten versäume nicht nachzugehn
Zur nächtlich bestimmten Stunde.
Sein Kichern verrät ihn, du wirst ihn erspähn,
Nicht kann er´s in dämmriger Laube verschmähn,
Dich zu lieben aus Herzensgrunde!"*
Und Pollux kicherte. Glücklich tanzte er neben seinem Bruder her, nicht darauf achtend, wohin er trat - es spielte keine Rolle, der Weg war ihm wohlbekannt, wie alle Straßen, alle Gassen. Diese Welt gehörte ihnen. Hoch oben zwischen den Spalten der steingewordenen Finsternis, zwischen den Dachkanten der Insulae, glitzerten die unerreichbaren Sterne und der Mond wies ihnen wie ein silberner Krummdolch den Weg.
*frei nach Horaz