Regale voller Schriftrollen, ein Schreibtisch, eine Sitzgruppe.
Rückzugsbereich für die Leseratten unter den Aemiliern.
Regale voller Schriftrollen, ein Schreibtisch, eine Sitzgruppe.
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Lepidus ärgerte sich ein wenig. Wieder war einer der älteren Rollen beim Öffnen beschädigt worden. Er würde sie zur Abschrift an den Scriba weitergeben müssen. Die alte Rolle mit den Fragmenten würde man auf ein neues Stück Papyrus kleben und versiegeln. Es war zum Haareraufen, es war anscheinend zu trocken hier in diesem Raum. Doch mehr Feuchtigkeit förderte Schimmelbildung, besonders bei den Rollen aus Tierhaut Natürlich konnte man alles abschreiben lassen aber die Originale ging so zwangsläufig verloren. Man müsste...
In diesen Gedanken versunken betrat Antigonos den Raum. Wie immer störte er sich an dem Weihrauchgeruch den Lepidus hier durch das verbrennen eines kleinen Klumpen hochteuren Harzes durch den Raum schleichen ließ.
Salve Dominus,...eine junge Frau hat sich eingefunden, aus Pergamon,...sie sagt ihr Name sei Antonia,...Antonia Phoebe, du findest sie in der Laube vor deinem Cubicullum.
Lepidus legte die Stirn in Falten, wie immer hatte Antigonos schon eine Situation geschaffen aus der er nicht so einfach herauskam. Doch der Name und die Herkunft ließ ihn aufhorchen.
Antonia Phoebe?...aus Pergamon...das ist ja eine nette Überraschung.
Er legte die beschädigte Rolle einstweilen zurück und meinte,
Die Laube meiner Mutter sagst du?...gehen wir!
Lepidus kam in die Bibliotheca und ging, zugegeben ein wenig aufgeregt zu seinem Schreibtisch. Er legte die darauf herumiegenden Schriftrollen und Manuscripte vorsichtig beiseite und öffnete dann, ein wenig zittrig, die Lederrolle. Vorsichtig entnahm er ihr das offenbar aus Pergament...er beugte sich im Lichte einer Takllampe darüber und begutachtete das Stück. Bald war er sich sicher es war ein Palimpsest... Doch so wie es aussah nicht von Karttipos selbst sondern von Marcus Tullius Cicero Minor,...Lepidus richtete sich mühsam wieder auf und drückte sein Kreuz durch. Dann nahm er sich einen Becher des geschenkten Falerners und setzte sich hin um sich den Worten des Karttipos hinzugeben. Sie handelten, wie üblich von Träumen und dem Umgang damit. Die Tatsache, daß die Worte von Marcus Tullius Cicero Minor geschrieben worden waren und direkten Bezug auf Krattipos nahmen schmälerten keineswegs den Wert des Stückes, Marcus Tullius Cicero Minor hatte wenig schriftliches hinterlassen.
Lepidus wippte nach der Lektüre in seinem Stuhl, genoß den fabelhaften Falerner, den er doch ein wenig verdünnt hatte und dachte über das Träumen nach. Wann hatte er das letzte Mal geträumt und sich daran erinnert?
Grinsend klopfte er an die Türe der Bibliotheca und betrat sie nach der Aufforderung einzutreten.
Lepidus saß im Schein einer Talklampe und studierte ein Pergament. Der Raum roch wie immer ein wenig nach Weihrauch und war wie immer einen Ticken zu warm.
Lepidus, mein Freund, es tut gut dich zu sehen!...bleib sitzen! beieilte er sich zu sagen und setzte sich neben Lepidus auf den freien Sessel.
Ein unbestimmtes Gefühl der Vertrautheit kam in ihm hoch. Wie oft hatten sie hier gesessen und er hatte Geschichten aus fernen Ländern von längst vergangenen Tagen gehört?
Lepidus schien auch frühzeitig gealtert zu sein. Sein Gesicht war im Schein der Lampe vom Schmerz gezeichnet. Wie Antigonos war auch Lepidus ein Abbild des Verfalls.
Wie geht es dir? fragte er, nicht ohne sich über die Floskel zu ärgern.
Als Lepidus seinen unerwarteten Besucher erkannte wollte er sich erheben, doch nicht nur die Worte des jungen Caesar vereitelten das. Ein heftiger Stich in seinen Rücken ließ ihn seufzend wieder in den Sessel sinken.
Er wartete also bis Bala sich gesetzt hatte und sah ihn freundlich an, seine rechte Hand berührte vertraulich die Schulter des Caesaren.
Ach, frag´besser nicht! Ich bin inzwischen so lahm daß mich Antigonos beim gehen überholt und der ist 20 Jahre älter.
Erwiederte er scherzhaft. Nein, diesen Winter war es besonders schlimm. Seine Arthrose und sein Rücken machten ihm immer mehr zu schaffen. Er freute sich schon fast wieder auf seinen Landsitz, weit weg von hier. Die Seeluft tat ihm gut.
Was führt dich denn um diese Uhrzeit hierher? Ich dachte immer nur alte Männer können nicht schlafen?!
Er legte die Schriftrolle beiseite und füllte seinem Gast umständlich einen Becher von Phoebes Falerner ein, ein ausgezeichneter Tropfen, er würde sie nach dem Winzer fragen müssen. Lächelnd reichte er Bala den funkelnden Glaspokal.
Bala nahm den Pokal an und nahm einen Schluck,...zunächst beiläufig, war er doch im Palast die besten Tropfen gewohnt. Doch hielt er kurz inne, lege den Kopf ein wenig schief und grinste Lepidus an.
Das alter Freund ist der beste Falerner den ich seit langem getrunken habe. Leicht vor sich hin nickend nahm er noch einen Schluck und genoß diesmal seinen Trunk. Nach einer Weile, und in Lepidus´Bibliotheca war Zeit eine relative Sache, stellte er den kostbaren Glaspokal ab und beugte sich ein wenig nach vorn. Ich ähem, ja ich,...ich werde weggehen aus Rom Lepidus. Ich bringe der XXII ihren Adler nach Germania und werde nach der feierlichen Übergabe und dem üblichen Blabla weiterziehen nach Cappadocia. Das Lächeln mit dem er Lepidus ansah hatte etwas bitteres, gerade so als ob es ihm widerstrebte, er aber im Grunde keine Wahl hatte.
Er ließ sich wieder in den Sessel fallen und nahm den Pokal wieder an sich. Zeit,...sie hatte in Lepidus´Bibliotheca kaum Relevanz.
Die Türe öffnete sich und der junge Ajax brachte eine kleine Cena. Ein Herrenessen...nichts besonderes. Bala schüttelte den Kopf und obwohl er keinen Hunger hatte weil ihn seit Tagen der Bauch plagte nahm er sich eine Stulle, tunkte sie in das gewürzte Olivenöl und biss herzhaft hinein. Verdammt, dachte er bei sich. Ich sollte die Köchin mit nehmen!
Lepidus hörte aus dieser Ansage zwei Dinge heraus, Bala würde Roma verlassen und das nicht freiwillig. Er mümmelte an einer Brotscheibe herum und meinte, Naja, du bist Caesar,...ist es nicht Sinn der Sache, daß du deinen Vater an anderer Stelle, möglichst kritischer Stelle unterstützt?
Es stand nicht zum Besten mit den beiden, besonders nicht nach der Geburt seines Halbbruders. Lepidus verstand das. Er konnte die Bedenken des Bala nachvollziehen und beneidete ihn nicht. Einer der Gründe warum er sich vor langer Zeit von der Politik abgewandt , aber nie aus den Augen gelassen hatte.
Bala knurrte nur, und nicht nur weil er gerade den Mund voll hatte. Was ihm seine Zuträger berichtete hatten basierte zwar auf Hofklatsch und Gerüchteküche, vor allem weil eine solche ungeheure Operation wohl kaum protokolliert wäre, klang aber plausibel, nicht zuletzt weil es zu seiner Sicht der Dinge zu passen schien wie die Faust aufs Auge.
Lepidus, ich bitte dich! Legatus Augusti Pro Regno Armenia? er kaute zuende und spülte mit ein wenig von dem für diesen Zweck viel zu köstlichem Vinum nach.
Dann bricht ausgerechnet auch noch ein Konflikt mit irgendwelchen Steppennomaden los? Zufälle ohne Ende, und während mein werter Vater keine Zeit für mich hat geben seine Speichellecker sich die Klinke in die Hand! Für mich hat das den Ruch von "Wie werde ich unliebsame Nebenbuhler los"! Der Gute will mich loswerden, so ist das!
Zornig tunkte er sein Brot in das Öl, so daß er seine halbe Hand benetzte.
Lepidus hörte zu und beugte sich nach Balas´Malheur nach vorn und langte nach einem Leinentuch, welches er immer bei einer Cena hatte, wegen seiner eigenen Malheurs. Er reichte es dem Caesar und schaute zu wie er sich die Hände von Öl befreite.
Ich denke du solltest dich von deinen Vorurteilen losmachen, der Schein ist ein gefährlicher Betrüger. Gerade wenn du glaubst mit ernsten und hohen Dingen beschäftigt zu sein, übt er am meisten seine täuschende Gewalt. sinnierte er so vor sich hin. Nahm einen Schluck aus seinem Pokal und sah seinem jungen Freund freundlich entgegen.
Du lebst in einer Schlangengrube Bala, ich denke du kannst dort im Grunde was solche Dinge angeht niemandem von diesen Hofschranzen vertrauen. Die meisten haben nur den eigenen Vorteil im Sinn. Er sah, daß Balas Pokal sich gefährlich dem Leerstand näherte und goß ihm nach.
Sieh es doch einmal so, dein Vater schickt dich an die Ostgrenze. Daß dort Steppennomaden marodieren liegt in ihrer Natur. Sie stehlen alles was blinkt und nicht schnell genug auf dem Baum ist. Wenn es dir gelingt, und daran habe ich keinen Zweifel! Er hob den rechten Zeigefinger und nickte bedächtig ...in Cappadocia deine eigene Pax romana zu etablieren wird das deinem Vater nicht entgehen...und ich kenne den Mann hinter dem Kaiser, du bist der Sohn seiner großen Liebe,...dann wird dein Vater dir weitere Kompetenzen einräumen und die dürften weiter südöstlich liegen, in den Handelswegen der Seidenstrasse. Naja, das war sicher weit hergeholt, aber der Warenstrom aus Indien und China war recht üppig und wer ihn kontrollierte ein mächtiger Mann. Das Problem ist nicht dein Vater Bala, das Problem ist seine neue Augusta und dein Halbbruder...
Wie immer wenn Lepidus sprach hörte ihm Bala aufmerksam zu. Seine Worte waren wie ein Teppich, gewebt aus Weisheiten und Subtext...natürlich war es ihm klar, daß sein Vater ihn nicht wirklich loswerden wollte. Natürlich war es ihm klar, daß die neue Augusta, die er der Staatsraison wegen an seiner Seite brauchte, wohl oder übel notwendig war. Und da er ein potenter Mann ist war es eine Frage der Zeit wann diese Augusta, so jung und verführerisch sie war ihm einen Erben schenken würde.
Bala kaute auf seinem Bolus aus Brot, Vinum und gewürztem Öl herum. Seine Gedanken kreisten um den Erhalt seines Lebens, dem Schaffen eines soliden Ausgangspunktes , der Anerkennung und nicht das Mißtrauen seines Vaters, für den Erhalt seiner Linie zu sorgen war noch Zeit. Was meinst du? Kämpfe unerbittlich und siege weise? Ich bin durchaus mit der Lage im Osten vertraut Lepidus,...ich bin mir auch im Klaren über den Einfluss der Augusta und ihrem Bestreben für ihren Filius das Beste zu wollen. Aber dafür müßte Vater erst einmal sterben...und niemand würde die Augusta als Regentin akzeptieren bis ihr Balg mündig ist. Was schlägst du also vor? Soll ich meine eigenes Imperium im Osten errichten und Roma aufgeben, weil es sowieso politisch verseucht und korrumpiert ist? Er schluckte den Bolus herunter und sah Lepidus an. Soll ich auf Zeit setzen oder aktiv werden und den kleinen Prinzen umbringen?...oder gar einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen, weil die Hofschranzen ihre eigenen Ambitionen umsetzen wollen, ein Vakuum schaffen und Ströme von Blut reinigend durch Romas Strassen fließen lassen wie einst Sulla? Interessante Vorstellung...aber dazu müsste der Kaiser erstmal...Bala reichte Lepidus seinen leeren Pokal.
...und Lepidus goß ihm ein. Wenn er es nicht besser wüßte und diese Funzeln keine Dämonenmaske aus Bala´s Gesicht zeichnen würde, dann müßte er jetzt vor Beklemmung schlucken.
Doch der Bala den er kannte war kein Schlächter unschuldiger Seelen.
Naja, ich denke schon, daß eine Reinigung der Seele Romas gut tun würde...er tippte an seine Nase und lächelte vielsagend. Wenn du wüsstest, aus welchem Quell die menschlichen Meinungen und Interessen fließen, du würdest aufhören, nach dem Beifall und Lob der Menschen zu streben. Aber dazu musst du niemanden umbringen, hier ist Überzeugungsarbeit, Durchsetzungsvermögen und Härte gefragt,...Charakteristika die dir durchaus zueigen sind. Lepidus legte seine Hand auf Balas Unterarm.
Doch frage dich,...du machst all das wofür, Bala? Für dich oder für Roma? Er zog die Hand wieder zurück und lehnte sich nach hinten, sank ein in das stützende Kissen und nahm einen Schluck. Nach einer Weile meinte er. Bedenke daß du in diesem Fall kein normales Leben mehr führen kannst, deine Tage werden ausgefüllt sein mit Reden, drohen, durchgreifen und vor allem mit der Angst gemeuchelt zu werden wie weiland Iulius Caesar. Die Tumben und Widerspenstigen kannst du enteignen und verbannen, ...als Exempel. Es ist nicht nötig die Via Appia mit Gekreuzigten zu säumen wie weiland nach dem Spartacus -Aufstand. Gemeinhin sind wir doch inzwischen etwas zivilisierter in unseren Methoden. Doch es wird immer jemanden geben dem dein Handeln nicht passt,...weil er selber Visionen oder Ideale hat, weil er ein Anspruchsdenken führt, weil er,...weil er alles und jeden haßt.
Er zuckte die Schultern und schloß ...wer weiß´das schon?
Bala sah von seinem Pokal auf. Wie immer hielt Lepidus seine Meinung nicht hinter dem Berg und formulierte sie so, daß er die Dinge ungleich klarer sah als vorher. Ich bin mir im Klaren darüber was es heißt an die Spitze zu wollen ...oder auch zu müssen. Dort oben ist es einsam. Er erhob sich und trat an das Fenster. Sah hinaus in die sternenklare Nacht.
Wer anderes als dein eigen Fleisch und Blut sollte dir diese Einsamkeit nehmen,...ist es das was du meinst Lepidus? Ist das des Rätsels Lösung? Schickte ihn sein Vater deswegen an die heiße Ostprovinz? Warum hatten sie verlernt miteinander zu reden?
Wann fiel die Türe ins Schloß? Lag es an ihm? Wirkte er auf seinen Vater wie eine dunkle Bedrohung die man weit von sich entfernt besser kontrollieren konnte? Quasi mit Beschäftigungstherapie?
Es war Zeit...Lepidus?!...es war mir wie immer eine Freude und wenn du mir auch keinen Stein vom Herzen genommen hast, so hast du mir doch einen Weg gewiesen,...danke mein alter Freund! Er warf den Mantel wieder über Kopf und Schultern und verließ die Villa genauso wie er sie betrat...incognito.
Faustina langweilte sich ein wenig und beschloß die Bibliotheca aufzusuchen, nachdem Iulia ein Mittagsschläfchen unter der Aufsicht der Kinderfrau Irene machte. Schon in Tarentum hatte sie diese stillen Stunden genossen und für sich genutzt. Mit dem Kleinkind hatte sie selten Langeweile, was nur dazu führte, dass sie Tage sich nicht sinnlos und langweilig dahinzogen so wie das früher manchmal der Fall war. Die leeren und stillen Stunden hatten nun einen Wert und konnten geschätzt werden, wo sie rar waren. Sie wünschte Vater oder Pius wären hier, dann hätten sie vielleicht plaudern oder debattieren können - eine Tätigkeit, die sie früher nie interessiert hatte.
Da sie aber alleine hier war, untersuchte sie die Regale mit den Schriftrollen. Vielleicht würde sie etwas Unterhaltsames zu lesen finden? Vielleicht etwas Griechisches? Ihr Griechisch war ein bisschen rostig, aber Lesen half da ja in der Regel. Sie untersuchte die griechischen Schriftrollen, aber sie fand nur Tragödien, die sie bereits kannte. Alkestis, Medea, Andromache...tragische Heldinnen. Als Jugendliche fand sie Alkestis und Andromache so romantisch, doch heute verstand sie Medea wesentlich besser als damals. Ein gebrochenes Herz und ein treuloser Mann konnten die nobelste Frau in die Verzweiflung treiben.
Vielleicht doch nichts Griechisches...an Verzweiflung und untreue Männer wollte Faustina nun wirklich nicht denken. Sie strich sanft über das Holz der Regale und schaute sich die römischen Werke genauer an. Auf den ersten Blick sah sie viel Prosa, aber sie wusste, dass da noch mehr sein musste. Ganz am Ende des Regals fand sie auch einige Rollen mit Dichtung. Sie zog eine davon heraus und las den Namen des Authors - G. V. Catullus. Sie kannte den Namen nicht, aber es schien sich um Gedichte zu handeln, also nahm sie die Rolle zu der Leseecke mit und machte es sich bequem. Lange würde sie nicht lesen können, bis Iulia aufwachte, aber kurze Gedichte waren dafür ideal.
Marcus betrat die Bibliotheca in dem Ansinnen seinen Vater dort vorzufinden, doch es war seine Schwester Faustina die er dort vorfand. Ein wenig überrascht sie ohne ihren kleinen Schatten anzutreffen und gesellte sich zu ihr. Lächelnd sah er sie an und fand, daß sie wohl hübscher war denn je, die Geburt ihres Kindes hatte den mädchenhaften Charme in eine anmutige junge Frau gewandelt. Es stand ihr nicht schlecht. Slave Schwesterlein,...na...was liest du denn so? begann er das Gespräch. Natürlich brannten andere Fragen in ihm, aber er war nicht der Typ der gleich mit der Türe ins Haus fiel,...das war eher Nero´s Domäne.
Faustina war ganz in den Gedichten versunken, als eine Stimme sie aus ihren Gedanken riss. Zuerst hatte sie gedacht, man holte sie, weil Iulia bereits wieder erwacht war. Aber stattdessen sah sie ihren Bruder Pius, der sie anstrahlte. Selbst mit früh ergrautem Bart und mit dem schlecht zusammen gewachsenen Bein war er ein gut aussehender Mann und sollte er eine Ehefrau suchen, so würde es wahrscheinlich Angebote hageln - war er doch der Haupterbe dieses prächtigen Heims und hatte einen guten Charakter obendrein.
Sie legte die Schriftrolle vorsichtig beiseite und erhob sich, um ihren Bruder kurz zu umarmen. Es fühlte sich gut an, wieder hier zu sein. Danach setzte sie sich erneut und nahm wieder vorsichtig die Rolle in die Hand und zeigte sie Pius. "Es ist eine Gedichtesammlung von einem römischen Autor namens Gaius Valerius Catullus. Ich wusste gar nicht, dass wir auch Gedichte hier haben. Oder dass die Valerier literarisches Talent zeigten..." erwiderte sie zwinkernd. Ob er wohl mit den hier ansässigen heutigen Valeriern verwandt war? Sie wusste nicht, wie alt diese Schriftrolle war oder in welchem Jahr sie geschrieben wurde. Der ältere Lepidus würde es wahrscheinlich wissen, nachdem er die meisten der Schriftrollen hier gelesen oder angeschafft hatte. "Hast du nach Vater gesucht oder wolltest du zu mir?"
Marcus lächelte versonnen. Der Gute Catull,..Spötter behaupten er schreibe nur die Gedichte von Sappho um,...Er ließ sich in einen Sessel gleiten und massierte sein rechtes Knie. Die Reise hatte Spuren hinterlassen und sein Körper erinnert ihn daran.
Nein,nein, Vater ist bei Menec,...das kann dauern. Nein,...er beugte sich nach vorn und legte seine Hand auf die seiner Schwester. Die Sache mit den Vestalinnen hielt ich von vorneherein für etwas unrealistisch...aber ein Kind? Der Sessel knirschte etwas als er sich zurücklehnte und sie halb spöttisch musterte. ...erzähl´,...was musste geschehen um die Festung Faustina zu nehmen?
Er hatte seinen Humor nicht verloren, selbst nach all den Jahren. Faustina stimmte in das Lächeln ein, auch wenn sie ein wenig besorgt auf das Knie schaute. "Mhmm...genießt Onkel Menec seinen Ruhestand?" Wahrscheinlich würde der Claudier sie mit bitterbösen Blicken strafen, wenn sie ihn in ihrem Alter noch Onkel nannte wie als Kleinkind. Die beiden hatten schon früher immer Ewigkeiten zusammen gesessen, obwohl sie doch so unterschiedlich wirkten. Ihr war diese Freundschaft immer merkwürdig erschienen, auch wenn sie froh war, dass Vater Freunde hatte.
Instinktiv schloß Faustina ihre Hand um die ihres Bruders, als wären nicht Jahre seit dem letzten Mal vergangen. Natürlich hatte er direkt den Finger in die Wunde gelegt und sie verzog ein wenig das Gesicht. "Naja, ich muss dir ja nichts von Bienen und Blümchen erklären. Ich könnte genau so gut fragen, warum die Festung vor meiner Nase noch nicht erobert wurde. Die Antwort ist simpel. Ich war es leid mit einem Herz aus Eis herumzulaufen. Auch wenn mich einige vielleicht für Iulias Existenz verachten mögen, so ist sie doch mein Ein und Alles."
Ihre Antwort fiel ernster und defensiver aus als geplant, war es doch ein sensibles Thema für sie. Sie wusste, dass ihr Bruder es nicht böse meinte oder sie bloßstellen wollte. Faustina atmete durch und normalisierte ihren Tonfall. "Was musste geschehen? Ich lernte einen Mann kennen, dessen Herz so frei wie ein Vogel war. Das hat mich fasziniert und war wie warme Sonnenstrahlen auf der Haut. In den letzten drei Jahren hat sich viel für mich verändert, auch wenn unsere...Liaison...nur etwa ein Jahr dauerte. Es ist schon so viele Jahre her...seit Mutter...ich wollte einfach nicht mehr unglücklich sein. Ich war es so leid und so müde davon."
Faustina lehnte sich im Stuhl zurück, auch wenn sie Pius' Hand nicht los ließ. Vielleicht gab es da draußen ja auch eine Frau, die ihn erobern konnte. Sie fürchtete nur, dass diese Frau wohl eine ganze Legion und Belagerungsgerät mitbringen müsste.
Marcus nickte grinsend und genoss die Nähe zu Faustina. Er hatte sie vermisst. Die These, daß sie wegen des Todes ihrer Mutter beschloß jungfräulich zu den Vestalinnen zu gehen hatte er bereits früher gestellt und auch von seinem Vater bestätigt bekommen. Aber ein Kerl mit einem vogelfreiem Herzen? Hörte sich fast schon nach Torschlußpanik an.
Naja,...wir alle haben Mutter in unser Herz genommen,...jeder auf seine Weise. Ich muss gestehen, mir war entgangen, daß du ein Herz aus Eis bekommen hast. Ich habe das immer auf Nero und seine Biestigkeiten geschlossen...mir gegenüber warst du doch immer eher aufgeschlossen...wobei, so ging ihm durch den Kopf, war er oft lange weg, im Dienste des Vaters überall im Imperium unterwegs. ...wenn ich denn mal da war.
Er beugte sich vor und sah sie ernst an. Die kleine Iulia ist dir gegeben worden,...mit etwas Erziehung wird sie sicher noch eine echte Aemilia,...ich finde das angenehmer als mich noch mit einem Kindsvater auseinandersetzen zu müssen...und mach´dir keine Sorgen, Vater mag sie auch...allerdings solltest du jetzt gesellschaftlich die freien Vogelherzen eher meiden, ...sonst heißt es du seiest leicht wie eine Feder und schnell zu haben...Sorge stand in seinem Gesicht. Er hoffte, daß ihn seine Schwester richtig verstanden hatte. Es waren viele Jahre vergangen und sie war eine andere geworden...vielleicht nahm sie seine Art die Dinge zu umschreiben jetzt anders auf.
Faustinas Blick wurde weicher und ihre Stimme sanfter. "Du weißt, ich könnte dich nie aus meinem Herzen aussperren - genauso wie Vater. Aber es fiel mir über viele Jahre schwer mich anderen Menschen zu öffnen. Die oberflächlichen Gesellschaften, zu denen ich oft allein ging. Ich sonnte mich in der Bewunderung der jungen Männer, aber das hat nur mein Ego gestreichelt. Da war einfach nichts Echtes - nur Höflichkeiten, Tratsch und Klatsch - keine Freundschaft oder gar Liebe." Wie sollte sie das beschreiben, ohne wie ein schwülstiges Gedicht zu klingen?
Die junge Frau winkte ab. Das Thema war ein wenig zu peinlich und ließ sie wie ein romantisches Mädchen klingen. Sie runzelte ein wenig die Stirn. "Ich bin froh, dass Vater sie mag. Ich wüsste sonst nicht, wie ich ohne ihn aus dem Schlamassel wieder rauskomme. Das Geschwätz lässt sich ohnehin nicht vermeiden, wenn jemand von Iulia Wind bekommt. Vaters Umut würde mich aber härter treffen als der Klatsch und Tratsch es je könnte." Romantik war ja gut und schön, aber vielleicht wollte sie noch mehr Kinder und einen Mann an ihrer Seite. Nicht jeder Mann würde über ein uneheliches Kuckuckskind hinwegsehen und Iulia aufgeben war keine Option.
Faustina setzte ein tapferes Lächeln auf. "Aber nun sag...was hast du in den letzten Jahren getrieben? Die Briefe aus Roma kamen nur sehr spärlich an und ich wusste immerhin, dass du am Leben bist. Aber was hast du die ganze Zeit angestellt?"
Marcus sah Faustina an, während sie ihre Erlebnisse und Empfindungen der letzten Zeit und ihre Einschätzung der näheren Zukunft offerierte. Er suchte in ihr die kleine Schwester, der kleine Wirbelwind seiner seiner Kindheit und Jugend. Doch was er sah war eine junge Frau mit einigen Narben auf der Seele und am Herzen.
Nun, nachdem mir der Dienst bei den Truppen verwehrt blieb habe ich mich um die Familienangelegenheiten gekümmert,...habe die Bibliothek erweitert und neue Netze geknüpft...ich komme gerade aus Asia zurück. Was eine höchst milde Umschreibung seiner letzten Jahre war. Er hatte zwei Giftanschläge, vier Mordversuche und 3 Raubüberfälle überlebt. Er war einem Erpresser der ihn als Geisel hielt entkommen und inzwischen Erzeuger von 4 Jungen und einem Mädchen,...er war also der letzte der sich über Faustina mockieren würde, wenn überhaupt.
...nichts weltbewegendes also,... und? Er stand auf, drückte den von der Reise immer noch malträtierten Rücken durch und goß zwei Becher mit Wasser voll, wovon er einen Faustina anbot.
Was sind, abgesehen von deinem Asyl hier, deine weiteren Pläne? Soll oder besser kann ich dir irgendwie helfen?
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