Ein weiterer Frühling hatte in Mogontiacum Einzug gehalten und mit diesem Frühling hatte auch wieder eine gewisse rege Geschäftigkeit in der Villa Duccia eingesetzt und nicht zum ersten Mal hatte Octavena das Gefühl, kaum hinterher zu kommen mit den großen und kleinen Dramen, die sie unter dem Dach der Villa beschäftigten. Alles, was das Haus und das Gelände anging, konnte sie sich zwar immer noch mit Dagmar teilen, anderes war konnte sie dagegen ... weniger auslagern. Ihre weiterhin trotzige Tochter zum Beispiel, die Octavena täglich weiter daran erinnerte, dass sie schon fast eine junge Frau war, obwohl Ildrun selbst das noch nicht einsah oder sich dessen wirklich bewusst war. Oder aber auch die Geschäfte, die sie nach dem Tod ihres Mannes inzwischen vollends selbst in die Hand genommen hatte. Es hatte einiges an Hilfe und mehr als eine Frage gebraucht, bei der sich Octavena dann doch unangenehm dumm vorgekommen war, aber inzwischen hatte sie das Gefühl, den Dreh halbwegs raus zu haben. Die Betriebe, die sie von Witjon geerbt hatte, liefen soweit gut und in letzter Zeit spielte sie ein wenig mit dem Gedanken, einen Teil der Einkünfte in ein neues Geschäft zu investieren. Eines Tages würde dieser Besitz an ihren Sohn gehen und Octavena wollte sicher sein, dass Farold dann von dem Vermögen seines Vaters auch etwas hatte und vor allem auf eine stabile Basis aufbauen konnte, um seine eigenen Ideen und Pläne umzusetzen. Und die duccischen Betriebe waren immer der Stolz der Familie gewesen, angefangen bei den Hros bis hin zu den Goldschmieden, aus denen Octavena selbst mehr als ein Geschenk, das sie mal von ihrem Mann bekommen hatte, noch bei ihrem Schmuck aufbewahrte. Es lag also eigentlich nur nahe, dass sie sich eine sinnvolle Investitionsmöglichkeit suchte, sie war sich nur noch nicht sicher, was ...
Im Moment beschäftigten sie ohnehin andere Sorgen. Dagwin, der junge Pförtner der Villa, den sie erst im letzten Jahr mit dieser Aufgabe betraut hatten, kämpfte nun schon seit ein paar Wochen mit dem Fieber, das Mogontiacum schon länger beschäftigte. Wenn die Gerüchte, die Octavena bisher gehört hatte, stimmten, dann hatte die Seuche zuerst nur unter den Soldaten bei der Ala und der Legio gewütet, war dann aber auch auf die Stadt übergesprungen und nun hatte sie auch die Villa erreicht. Realistisch gesehen war das nur eine Frage der Zeit gewesen, aber trotzdem machte Octavena sich Sorgen deswegen. Einmal, weil sie tatsächlich Dagwin wünschte, dass er das Fieber überstand, und zum anderen, weil ein Kranker, der um sein Leben rang, mehr ungute Erinnerungen in ihr weckte als sie bereit war, zuzugeben. Der Gedanke erinnerte sie immer an den Anblick, den ihr Mann auf seinem Krankenbett - oder vielmehr seinem Sterbebett - geboten hatte, und obwohl sie eigentlich seinen Tod inzwischen mehr oder weniger überwunden hatte, zog sich bei der Erinnerung daran immer noch alles in Octavena zusammen. Sie hatte Witjon geliebt und hilflos dabei zusehen zu müssen, wie dieser Mann, der in ihrer Wahrnehmung immer so unverwüstlich die Geschicke seiner Familie gelenkt hatte, plötzlich von einem Fieber dahin gerafft wurde, hatte Octavena einen Knacks versetzt. Schon deshalb hatte sie jetzt dafür gesorgt, dass Dagwin versorgt wurde, aber dass ihre Kinder tunlichst von ihm und am besten noch von allen, die sich regelmäßig um den Kranken kümmerten, ferngehalten wurden. Octavena mochte sich ihren Weg aus ihrer Trauer um Witjon gegraben haben, aber sie wusste nicht, ob sie es ertragen könnte, eines ihrer Kinder auf dieselbe Art zu verlieren, und sie würde da sicher kein Risiko eingehen.
Aber als ob das alles noch nicht genug wäre, blieb dann auch noch ihr Cousin Varus, der seit dem Winter ebenfalls in der Villa lebte. Octavena hatte inzwischen ein paar Erkundigungen bei Verwandten in Tarraco eingeholt und war sich fast sicher, dass irgendwer zu Hause beschlossen hatte, Varus an Octavena abzugeben. Die Verwandte, der sie geschrieben hatte, war zwar recht höflich gewesen, aber Octavena kannte ihre Familie und ahnte, dass die sich wiederum gedacht hatte, dass sich jetzt Octavena, die ehemals einmal als mindestens schwierig in der Familie gegolten hatte, doch einfach um diesen nächsten Vielleicht-Politiker kümmern sollte. Das Problem war nur, dass bisher Varus zwar seinen Willen erklärt hatte, in die Politik gehen zu wollen, diesen Worten aber keine Taten hatte folgen lassen. Octavena hatte zuletzt zu viel anderes um die Ohren gehabt, um sich um dieses Problem zu kümmern, aber langsam führte kein Weg mehr daran vorbei. Sie war zwar durch und durch familienbewusst, aber ein junger Mann wie Varus konnte auch nicht einfach nur auf der faulen Haut - und den Ducciern auf der Tasche - liegen und es dabei belassen.
Also hatte Octavena sich einen Teil ihres Nachmittags freigeschaufelt, sich in das Arbeitszimmer der Villa, in dem sie inzwischen ohnehin öfter saß, zurückgezogen und dann Ilda den Auftrag gegeben, Varus zu holen. Wahrscheinlich hatte der sowieso nicht mehr zu tun als sich von Ildrun und Farold ab und zu belagern zu lassen, von daher hatte Octavena ihn nicht einmal extra vorgewarnt. Sie hatte gehofft, das vermeiden zu können, aber offenbar benötigte ihr Cousin einen Tritt in den Hintern und Octavena freute sich darüber vielleicht nicht, aber das bedeutete nicht, dass sie dieses Gespräch nicht führen würde.