Damenbesuch im Lager

  • "Über meine Entscheidungen bin ich niemandem Rechenschaft schuldig."


    Sophus musterte Deandras Gesicht. Las er da eine Art Trauer heraus?


    "Verstehe doch, Deandra: Wäre er ein Mann, hätte er sich nicht vor mir gewunden wie ein schleimiger Wurm, ja, hätte er unser Blut nicht beleidigt, ich hätte seinen Namen nicht verflucht. Meine Entscheidung ist endgültig: Domitian ist ein Schandfleck in den Reihen seiner Ahnen, er ist deiner nicht würdig.


    Die unendliche Macht der alten Patrizier mag vielleicht gebrochen sein, einige von ihnen mögen im Sturme unserer unsteten Zeit wanken, doch, Deandra, wir werden nicht fallen. Niemals!
    Eines Tages wird die Zeit kommen, da alle faulige Dekadenz dieser Art von Plebejern vom Erdenkreis hinweggefegt wird. Eine neue Zeit wird für Rom anbrechen. Eine starke Zeit, eine Zeit, für die wir uns vor den Geistern unserer Ahnen nicht zu schämen brauchen."

  • „Wer ist dann im Spiel, Sophus? Verfolgst du mit mir Pläne, von denen ich nichts weiß?“


    Ich war über den etwas versöhnlicheren Tonfall von Sophus sehr erleichtert. Komischerweise machte es mir sehr viel aus, wenn er sich so hart und unzugänglich zeigte.

  • Der Pater seufzte.


    "Vorerst wäre ich glücklich, sähest du dich in der Lage, den Pfad der Strebsamkeit und Arbeit weiterzugehen. Großes wächst heran in Ostia - ich sehe deinen Pferden an, dass sie die der anderen Gestüte weit übertreffen. Arbeite, mehre das Ansehen Roms und unserer Familie und schenke dein Herz jemandem, der es verdient."

  • "Jemand der so ist wie du?", fragte ich schelmisch. Das Lächeln auf meinem Gesicht wurde größer und ich blickte schnell zur Seite.


    Ich fand, ein Pater Familias sollte weniger gut aussehen und auch um einiges älter sein als Sophus es war.

  • „Hm, ein Soldat hat wenig Zeit für eine anspruchsvolle Frau“, entgegnete ich lächelnd und kam dennoch nahe an Sophus heran. Ich konnte seinen Atem spüren und er den meinen.


    „Wie würdest du gedenken dieses Problem in den Griff zu bekommen?“, fragte ich und meine Augen wanderten zwischen seinen Augen und seinem Mund hin und her.

  • Sophus schwieg. Er saß einfach nur da, brachte keinen Ton heraus und konnte den Blick nicht von Deandra lösen.
    Schließlich brachte er murmelnd doch einige Wortfetzen über die Lippen:
    "Ich dachte immer, dieses Problem würde sich mir nie stellen..."

  • Ich musste lächeln. Sophus, den ich so respektierte und auch wegen seines Durchsetzungsvermögens bewunderte, der immer Mut und Stärke in seiner Legio bewies, ließ sich von mir in die Enge treiben?

    „Du hast schon viel in deinem Leben erreicht und auch die Bürde des Pater Familias trägst du erstaunlich gut nach dem Tode deines Vaters, aber im Umgang mit Frauen scheinst du bisher noch sehr unerfahren zu sein“, flüsterte ich ihm ins Ohr und richtete mich wieder auf.


    So schnell hatte sich das Blatt gewendet. Vorhin fühlte ich noch große Verlegenheit, nun offenbar er. Egal was die Zukunft für mich bereithält, er würde immer meine ganz besondere Sympathie besitzen. So viel stand fest.


    „Ich werde mich etwas frisch machen gehen. Die Reise war lang und anstrengend gewesen“, sagte ich schließlich und verließ das Zimmer.

  • Dankbar betrat ich das Zimmer und schloß die Tür.


    „Meine Herrin Deandra ist noch jung an Jahren. Sie ist übermütig und betrachtet das Leben als Spiel. Gleichwohl spielt sie mit den Männern, die sie anzieht wie ein Magnet“, erklärte ich und machte eine bedeutsame Pause.


    „Ernsthaft hängt sie hingegen an ihrer Familie. Euer Wort, mein Herr, achtet sie. Ich bitte Euch um Deandras Willen, gebt mir Befugnisse über das eigene Wort meiner Herrin hinaus, damit ich eingreifen kann, wo es mir nötig erscheint. Macht mich zu Eurem Werkzeug, auf dass ich über die Reinheit meiner Herrin wachen kann, mehr als es mir bisher möglich ist.“


    Durchaus selbstbewusst und dennoch mit dem nötigen Respekt blickte ich den Pater meiner Herrin an.

  • "Eirene ist eine wahrhaft treue Seele - sie wird auf Deandra ein Auge haben, aber sie kann deine Herrin nicht verteidigen..."


    Die hölzernen Stufen der Treppe knarzten. Es war der Wirt Secundus.


    "Ein Brief aus Ostia."


    Sophus nahm das Schreiben wortlos entgegen. Während des Lesens hellte sich sein Gesicht merklich auf. Er schmunzelte, steckte das Papyrus ein und blickte erneut Cadior an.


    "Wie es scheint, hat sich eine andere Möglichkeit ergeben. Richte deiner Herrin aus, dass ihr Bruder Iustus endlich wieder im Lande ist. Ich möchte, dass du Deandra gemeinsam mit meinem Cousin in Schutz nimmst. Er ist ein guter Mensch."

  • Die Nachricht vom Eintreffen des Iustus in Ostia freute mich. Und trotzdem...


    "Ich handele also mit Eurem Einverständnis, wenn ich zukünftig meine Herrin mehr als bisher vor fremdem Zugriff schützen werde?", versicherte ich mich nochmals.

  • "Sicher. Ich erwarte von dir verantwortungsbewusstes Vorgehen. Keine Schnellschüsse! Gilt es, rasch wichtige Entscheidungen zu treffen, redest du vorher mit Iustus. Ansonsten bin ich zu kontaktieren. Hast du das verstanden, Cadior?"

  • Als ich das Zimmer wieder betrat, fand ich meinen Sklaven bei Sophus vor. Verwundert schaute ich von einem zum anderen, aber schließlich ignorierte ich die Anwesenheit von Cadior. Vermutlich hatte Sophus ihn gerufen.


    Vieles ging mir durch den Kopf während ich meinen Cousin allein ließ. Manches, auf das ich keine Antwort wusste. Langsam ging ich auf ihn zu.


    „Gern wüsste ich deine Wünsche – auch die, die du selbst noch nicht kennst.“ Sagte ich leise zu Sophus. Fragend blickte ich ihn an.
    Ich kannte die Liebe noch nicht, wusste nicht, wie sie sich anfühlte. War meine große Zuneigung zu ihm ein eher geschwisterliches Gefühl oder doch ein romantisches? Ich wusste es nicht zu sagen.

  • "Wünsche welcher Art meinst du?"
    Es entstand eine Pause.
    Sophus nestelte an der Uniform, zog einen kleinen Papyruszettel hervor und drückte ihn in die Hand der Cousine.


    "Deandra, ich habe Neuigkeiten, die dich sicher erfreuen werden..."

  • Nachdenklich schaute ich Sophus an, dann las ich den Brief.


    „Mein Bruder ist in Ostia“, rief ich überrascht und strahlte Sophus an. „Ist das nicht wundervoll? Langsam rückt die Familie doch wieder näher zusammen.“


    Die Freude über diese Nachricht ließ mich meine gerade noch empfundene Traurigkeit vergessen.

    „Ich werde hier übernachten und gleich morgen die Heimreise antreten“,
    erklärte ich aufgekratzt. „Das sind wundervolle Neuigkeiten“, wiederholte ich glücklich.

  • Aus der Ferne erklangen scheppernd die Fanfaren zum Appell.


    "Tja, ich schätze, ich muss zurück zum Dienst. Grüße Iustus von mir! Ich wünsche dir schon jetzt eine rasche und sichere Heimreise, da ich nicht weiß, ob wir uns erneut sehen. Es hat mich sehr gefreut."


    Sophus umarmte die Cousine, setzte den Helm auf, nickte Cadior knapp, dennoch vielsagend zu und machte sich auf den Weg in Richtung Kastell...

  • „Es hat mich auch gefreut, dich nach so langer Zeit wiederzusehen. Ich hoffe, ich höre ab und an etwas von dir.“
    Schnell drückte ich Sophus noch einen kleinen Kuss auf die Wange bevor sein Gesicht unter dem Helm verschwand. Dann ging er auch schon.


    Verwundert bemerkte ich den Blick von Sophus in Richtung meines Sklaven. Fragend schaute ich Cadior an, doch der wich mir aus. Da ich aber an seiner Ergebenheit keinen Zweifel haben musste, dachte ich nicht länger darüber nach.


    Ich sann noch etwas über die letzten Stunden und das Treffen mit Sophus nach, dann begab ich mich zu Bett. Morgen wollte ich in Ostia sein und meinen Bruder in die Arme schließen.

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