• Nachdem Valus mit seinen zwanzig Männern gut einen Tag und eine halbe Nacht geritten waren, stießen sie im Morgengrauen nördlich der Stadt Blanda auf die Via Popillia.


    Valus beschloss, etwas abseits, im Schutze eines verwilderten Olicenhains, zu rasten und die Nacht abzuwarten. Bei hellem Tag war die Gefahr einer Entdeckung, dass Risiko, auf einen überlegenen Feindlichen Trupp zu treffen, einfach zu groß. Also banden sie die Pferde an, stellten Wachen auf und der Rest versuchte zu schlafen.
    Valus war noch nicht ganz im Reich der Träume, da bemerkte er, wie einer seiner Kameraden aufstand und leise hinter den Bäumen verschwand. Zuerst dachte er sich nichts dabei, glaubte er doch, der andere müsse sich erleichtern. Doch nach einer Weile war er noch immer nicht zurück und Valus wurde er unruhig.

  • Schließlich kam er doch. Langsam und scheinbar unbekümmert führte der Vermisste seinen Gaul zu den anderen und hob etwas vom Pferderücken. Valus wollte ihn gerade anfahren und fragen, woher er komme, da ergriff er von selbst das Wort:
    “Schaut nur, was ich da habe!“
    Er hielt ein totes Ferkel hoch.
    “Habe es von einem Bauern, ein paar Meilen die Strasse südwärts.“
    “Bist Du von Sinnen, entgegen der Befehle am helllichten Tag hier herumzureiten?“
    “Keine Sorge, niemand hat mich gesehen. Die Strasse war wie leergefegt und ich habe mich vorgesehen.“
    “Und der Bauer?“
    “Der? Ach der, der wird sicher sein Schweinchen hier vermissen.“
    Der Mann grinste frech. Valus wollte ihn zusammenstauchen, doch dann besann er sich, dachte an ihre hungrigen Mägen und lenkte schließlich ein.
    “Also gut. Sieh zu das wir heute Abend, vor unserem Aufbruch, saftiges Schwein bekommen.“
    Bald hatten einige Männer genügend trockenes Holz gesammelt, dass sie ein rauchloses, kleines Feuer entfachen konnten und wenig später drehte sich das Ferkel auf einem provisorischen Spieß über den Flammen. Der Geruch ließ ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen und Valus war angesichts des langsam knusprig werdenden Fleisches fürs Erste versöhnt.

  • Langsam, sehr langsam, kamen sie voran. Bei Tage rasteten sie abseits der Strasse, des Nachts ging es vorsichtig weiter nach Norden. Die Strasse folgte nun dem Lauf eines Flusses. Valus fand heraus, dass er Tanager genannt wurde. Sie lagerten nun in der Nähe eines Ortes, der Tegianum hieß. Valus hatte beschlossen, dass sie noch bis jenseits des Flusses Silarus vordringen sollten, der die Grenze nach Kampanien bildete. Dann würden sie umkehren und Laeca Bericht erstatten.

  • Die Via Popillia hatte sie weiter nach Nordwesten geführt. Nachdem sie nun schon seit Tagen unterwegs, doch nie auf feindliche Soldaten getroffen waren, wurden Valus und seine Männer langsam wagemutiger. Sie ritten nun auch tagsüber und kamen dadurch deutlich schneller voran. Zwar mieden sie weiterhin die befestigten Städte, doch kleinere Güter und Gehöfte umgingen sie nicht länger. Die Legionen des Kaisers waren allem Anschein nach weit weg. Valus hatte dazu eine eigene Meinung: “Vermutlich hatte der Feigling Iulianus sie bei Rom versammelt, weil er Angst um seine eigene Haut hat.“
    Hinter der Stadt Atina verengte sich das Tal, durch das Fluss und Strasse führten. Sie hatten ein paar Freigelassene befragt und wussten, dass bei einem Ort namens Forum Popili eine Engstelle auf sie wartete. Dort war ein enger Taldurchschnitt, der für den weiteren Vormarsch ihrer Legionen von strategischer Wichtigkeit sein würde. Valus wollte sich diese Stelle genau anschauen.
    Sie hatten wohl die halbe Strecke zwischen Atina und Forum Popili zurückgelegt, als sie sich plötzlich und unerwartet, hinter einer Kuppe, einem Trupp bewaffneter gegenüber sahen. Es waren Fußsoldaten, leicht bewaffnet, mit ovalen Schilden und leichten Spießen ausgerüstet. Es mussten Stadtwachen aus einer der Städte dieser Gegend sein. Sie wurden von drei Berittenen Angeführt, vermutlich Söhnen von örtlichen Magistraten.
    Valus ließ seine Männer anhalten. Nun stand man sich auf der Strasse gegenüber, gut fünfzig Schritt voneinander getrennt. Keiner wagte als erster das Wort zu erheben oder sich zu rühren.

  • Ein paar Augenblicke, die wie eine kleine Ewigkeit wirkten, standen sich die beiden Gruppen so gegenüber. Dann sah Valus, wie der mittlere, der Reiter, seinen beiden Nachbarn zu Pferde mit sehr bestimmtem Gesichtsausdruck und wild gestikulierend, etwas erklärte. Daraufhin lösten sich die beiden Anderen von der Gruppe. Der eine trabte scheinbar gelassen links der Strasse, der zweite hielt sich an die rechte Seite.
    Der Befehlshaber ließ sein Pferd rechts neben die Fußsoldaten zum stehen kommen, dann rief er:
    “IHR DA, IHR KOMMT VON DEN AFRICANISCHEN LEGIONEN?“


    Valus überlegte kurz, ob er die dort drüben wohl täuschen könnte und ob er es überhaupt versuche sollte. Dann entschied er, dass es dafür ohnehin schon zu spät war. Also brüllte er:
    “JA. WIR KÄMPFEN FÜR DAS WAHRE ROM UND DEN WAHREN KAISER. FÜR LAECA UND GEGEN DEN ULPIER! SEID IHR MIT UNS, DANN SEID IHR AUF SEITEN DER ERNEUERER ROMS!“


    Er konnte das Minenspiel des anderen nicht erkennen, was ihn sehr ärgerte, doch nach einer kurzen Pause wäre es ohnehin überflüssig gewesen. Denn die Antwort kam unmissverständlich:
    “VERRÄTERPACK! BESSER IHR ERGEBT EUCH GLEICH, ES IST SOWIESO SINNLOS WAS IHR TREIBT. IHR BRINT NUR TOD UND UNGLÜCK!
    WERFT EURE WAFFEN FORT UND UNTERWERFT EUCH DER KAISERTREUEN STADTWACHE VON COLONIA ATINA!"


    Es waren also tatsächlich Stadtwächter aus der nahegelegenen Ortschaft. Valus ärgerte sich über die Dreistigkeit, ihn zum Aufgeben bringen zu wollen. Was glaubten die wohl, gegen gut ausgebildete Legionärskavallerie ausrichten zu können? Es waren doch kaum mehr als Bauern, denen man leidliche Spieße in die Hände gedrückt hatte.
    Voll Verachtung spie er deshalb vor:
    “NARR – ERWARTE DEN TOD!“
    Auf sein Zeichen setzten sich seine Reiter in Bewegung. Zuerst langsam, dann fielen sie in den Galopp und stürmten auf den Gegner zu.

  • Es war ein Blutbad, seine Mannen waren fast noch komplett. Nur zwei gefallene Reiter. Aber keine ernsthaften Verwundungen. Die gegnerische Truppe jedoch lag blutend auf dem Feld. Er schaute verbittert, aber doch befriedigt.... und sie ritten weiter, mögen die Geier holen, was zu holen sei.

  • Der Befehlshaber der Stadtwache hielt tapfer zu seinen Männer, kämpfte verbissen, und fiel dann unter den Schwerthieben von zwei Männern aus Valus Truppe.
    Die beiden Reiter, die sich links und rechts abgesetzt hatten, wendeten jedoch, sobald der Kampf angefangen hatte, ihre Pferde und machten sich aus dem Staub. Valus befahl sofort vier Männern, sie zu verfolgen. Doch der eine hatte bereits einen so weiten Vorsprung herausgeholt, dass er nach kurzer Zeit hinter ein paar Kuppen außer Sicht kam. Der zweite Reiter hatte weniger Glück, denn sein Gaul strauchelte bei dem wilden Galopp, kam zu Fall und warf ihn ab. Bevor er sich aufrappeln konnte waren die Kavalleristen über ihm und ritten ihn nieder. Ein Huf traf ihn an der Schläfe und der Mann brach tödlich getroffen zusammen.
    Dennoch ärgerte sich Valus, denn ein Reiter war entkommen und würde nun in der Lage sein sie zu verraten.

  • Am Ende blieben fünf Gegner übrig, die sich ergaben. Valus ließ sie entwaffnen, dann fesseln und verhörte sie anschließend kurz.
    Woher kamen sie?
    Wo waren die kaisertreuen Legionen?
    Hatte der Ulpier weitere Legionen nach Italia befohlen?
    Er bekam jedoch kaum befriedigende Antworten.
    Als er genug hatte, drehte er sich um, ging ein paar Schritte und nickte einem seiner Männer zu. Der wusste, was zu tun war. Er ging zu den Gefangenen und schnitt ihnen mit routinierter Hand die Kehlen durch. Es war ganz so, als ob er Hühner schlachten würde.


    Inzwischen hatte sich Valus seine Verluste angesehen. Drei seiner Männer waren gefallen, zwei weitere verwundet. Der eine hatte nur einen leichten Schnitt am Oberarm, doch der andere blutete stark aus mehreren Wunden. Vor allem ein tiefer Stich im Oberschenkel und eine böse Verletzung unterhalb der Achsel sahen gar nicht gut aus.
    Dennoch hoben sie auch diesen Mann auf sein Pferd und ritten schließlich weiter. Noch wollte er nicht umkehren.

  • “Er kann nicht mehr! Wir müssen halten.“
    Sie waren unendlich langsam vorwärts gekommen. Die beiden Verletzten hielten sie ebenso auf, wie ihre Vorsicht, nicht erneut auf einen Gegner zu treffen. Als nun der Soldat rief, es ging nicht weiter, stieg einmal mehr zornige Ungeduld in Valus auf. Dennoch gab er das Zeichen zum Halten.


    “Was ist?“
    “Die Wunde ist erneut aufgebrochen. Es geht nicht mehr. Wenn wir weiter reiten, wird er im Sattel verbluten.“
    Der Legionär wies auf seinen Kameraden, der im Kampf gegen die Stadtwache mehrere Stichwunden davongetragen hatte. Die Kleidung dieses Mannes war bereits von geronnenem Blut steif und nun bildete sich schon wieder ein neuer, hellroter Fleck. Vollkommen bleich, mit schweißnasser Stirn, hielt er sich grade noch so im Sattel.
    Valus stieg ab und ließ den Verletzten vom Pferd heben. Man legte ihn unter eine ausladende, immergrüne Eiche. Der Mann stöhnte schmerzerfüllt. Valus ging zu ihm und begutachtete die Wunde unter der Achsel, die ein Kamerad bereits freigelegt hatte. Dünnes, sehr helles Blut sickerte heraus und alle wussten, was dies bedeutete; sie eiterte.
    Schweigend standen sie zusammen, schließlich wagte einer zu sagen, was ohnehin schon alle wussten: “Der Fährmann wartet schon auf ihn. Keinen Tag mehr und er tritt seine Reise an.“
    Valus nickte.


    “Wir müssen ihn zurücklassen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Jeden Tag länger in dieser Gegend birgt Gefahr. Ich will noch bis Picentia kommen. Aber mit dem da, wird das nichts.“
    “Du willst ihn hier liegen lassen?“
    “Tun wir es nicht, sterben noch mehr Männer. Ich habe entschieden! Spurius…“
    “Ja, Legat!“
    “Wir reiten los, du bleibst noch kurz bei ihm und erweist ihm die letzte Gnade, dann kommst du nach.“
    “Wie du befiehlst!“


    Alle saßen wieder auf. Einige der Männer riefen dem Verwundeten noch ein paar aufmunternde Worte zu und das sie ihn auf dem Rückweg abholen würden. Dann ging es weiter. Spurius blieb bei dem Todgeweihten. Als die anderen rund zwei Stadien entfernt waren zog er seinen Pugio. Der Mann riss die Augen vor Entsetzen auf als er den Dolch ansetzte.
    “Die Götter werden dich gnädig aufnehmen.“
    Dann trieb er die Klinge mit aller Kraft in die linke Seite des Verletzten. Ein letzter Blutstrom quoll aus dessen Mund, er zuckte noch kurz, dann wich das Leben endgültig aus ihm.
    Eilig suchte Spurius ein paar Zweige zusammen und warf sie über die Leiche. Dann stieg er aufs Pferd und folgte den anderen.

  • Die Reiter, unten auf der Strasse, wurden von einem Hügel aus beobachtet. Drei Männer lagen dort, im Schutze des hohen Grases, auf ihren Bäuchen. Langsam zogen die Männer unterhalb ihres Verstecks an ihnen vorbei. Da kam noch ein weiterer, der sich in einiger Entfernung unter einen kleinen Baumgruppe zuschaffen gemacht hatte. Er schloss auf und bald verschwanden sie hinter einer Wegbiegung.
    Leise flüsterte einer der Beobachter: “Das sind sie! Pass auf, du umgehst die Strasse und reitest so schnell es geht zu dem Ort, den der Prätorianer genannt hat. Wir sind auf dem Herweg daran vorbei gekommen, erinnerst du dich?“
    “Ja.“
    “Gut, dann los.“
    Die zwei Verbliebenen warteten noch einen Moment, dann holten auch sie ihre Pferde und führten sie hinunter zur Straße. Sie gingen zu der Baumgruppe, wo einer der fremden Soldaten kurz zuvor bei irgendetwas aufgehalten worden war. Da sahen sie es schon. Unter ein paar dürren Ästen lag ein Toter. Er war wie die anderen Reiter in eine Militäruniform gekleidet. Das rostige Kettenhemd des Mannes war beschädigt und blutverschmiert. Sie untersuchten die Leiche kurz, nahmen dem Toten ab was ihnen nützlich erschien und beeilten sich dann, die Verfolgung der verbliebenen Reiter aufzunehmen.

  • Valus erreichte mit seinen Männern das Tal des Silarus. Die Straße verlief geradewegs auf den Fluss zu. Ein letztes Gehöft lag etwas abseits des Weges, gleichauf mit der Via Popilia, dahinter ging es auf einem Damm weiter, der im morastigen, unwegsamen Schwemmland vor Jahrzehnten aufgeschüttet worden war. In der Ferne sah man die Brücke, die auf die andere Seite und nach Kampanien führte.
    Vorsichtig näherten sie sich dieser Schlüsselstelle ihrer Reise. Valus musterte das Bauernhaus und den dazugehörigen Schuppen. Davor standen zwei Planwagen, scheinbar unbenutzt. Kein Tier und auch kein Mensch war zu sehen. Vielleicht hatte der Bauer mit seiner Familie in die nächste Stadt geflüchtet, aus Angst vor dem nahenden Krieg.
    Einen Augenblick lang überlegte er, ob sie das Gehöft untersuchen sollten, dann entschied er sich dagegen, denn so schnell als möglich sollten sie diese Stelle passieren und auf die andere Seite des Silarus gelangen.
    Also ritten sie weiter, oben auf dem Damm, die Brücke vor sich im Blick. Auch dort war niemand zu sehen und auch im Flachland dahinter konnte sie keine Seele erkennen. Absolute Stille umgab sie. Fast zu friedlich und zu einsam kam ihm das alles vor.


    Sie kamen zur Brücke. Niemand war zu sehen. Also ritten sie drauf.


    Irgendetwas stimmte nicht. Valus wusste zuerst nicht was. Dann wurde ihm klar, dass es der Geruch war. Das leicht modrige Aroma des Sumpflandes war dem stechenden Geruch von Lampenöl gewichen. Zuerst konnte er es sich nicht erklären, dann hört er… pitsch patsch
    Die Pferde trabten durch eine ausgedehnte Pfütze aus Öl, die sich in der Mitte der Brücke erstreckte.


    “Verdammt… was…?“, konnte er noch ausrufen, dann geschah etwas vollkommen Unerwartetes…


    >>> Die Fährte des Verräters

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