Es herrschte ein ziemliches durcheinander.
Die Reformen von denen Augustus gesprochen hatte waren im vollen Gange.
Aber scheinbar hatte Augustus einen vorausschauenden Blick.
Ich war noch mitten in der Betrachtung des prächtigen Baues, als mich ein älterer Priester ansprach.
Er hatte mich erwartet und begann nach der Begrüssung sofort mich zu belehren.
Er hatte den gleichen Tonfall wie die Lehrmeister aus meinen Jugendtagen.
Leiernd, einschläfernd und langatmig.
Am liebste hätte ich ihn einfach stehen lassen. Aber ich hatte ja meine Vorsätze.
So setzte ich mein, ach ist das alles interessant Gesicht auf und nickte an den geeigneten Stellen. Ich schaffte es sogar mit einem halben Ohr zuzuhören.
"Der Dienst an den Götter, das deuten ihres Willens, ist wie der Sprung über felsiges Gestein. Schwierig und nur mit viel Übung möglich. Doch bevor du springen kannst must du das Laufen lernen. Und bevor du laufen kannst, das Krabbeln."
Also begann er mich das Krabbeln zu lehren. Und weiter zu leiern.
"Die Unsterblichen sind nicht gleich, ein jeder ist anders. Die Lehren der Unsterblichen unterteilen diese in 3 Kathegorien.
Die Erste und Wichtigste sind die grossen Götter. Ihre Anbetung und der Dienst an ihnen ist das Fundament der Religion. Sie werden überall im Reiche verehrt.
Die Zweite sind die kleineren Gottheiten. Auch sie müssen geehrt werden, doch sind sie nicht überall zu finden.
Die Dritte sind die geisterhaften Götter, Schutzgötter und Personifizierungen. Ihre Herkunft und ihr Erscheinen ist von Ort zu Ort unterschiedlich.
Nun kommen wir zuerst zu den grossen Götter.
Diese sind :
AESCULAPIUS
APOLLO
BACCHUS
BONA DEA
CERES
DIANA
DIOSKUREN
DIS PATER
HERCULES
IANUS
IUNO
IUPPITER
MARS
MERCURIUS
MINERVA
NEPTUNUS
PROSERPINA
QUIRINUS
SATURNUS
TELLUS
VENUS
VESTA
VOLCANUS"
Das was jetzt fogte kam mir bekannt vor. Ich durfte die Namen der Unsterblichen solange wiederholen, bis der Priester überzeugt war, das ich sie auswendig konnte.
Und das dauerte. Ich hatte diese stumpfe Auswendiglernerei immer gehasst.
Aber ich wollte es ja so.
"Die Namen der Götter zu kennen ist eine wichtige Voraussetzung, doch nicht nur die grossen musst du im Schlaf herunterbeten können ..."
Mir schwante Schreckliches.
"... auch die Namen der kleinen sind von höchster Wichtigkeit.
ACCA LARENTIA
ANNA PERENNA
CARMENTA
CARNA
CONSUS
DEA DIA
FERONIA
FLORA
FONS
FURRINA
MAIA
OPS
PALES
POMONA
PORTUNUS
ROBIGUS
VEIOVIS
VERTUMNUS
VOLTURNUS"
Und wieder die ewige Wiederholerei. Der Priester musste wirklich einen göttliche Geduld haben.
Dann folgte der Rest, die Schutz-, Neben- und was weiß ich denn Götter - diese waren aber so zahlreich, das sich die Lernerei auf die Wichtigsten und Oberbegriffe beschränkte.
"FLUSSGÖTTER
NYMPHEN
GENIUS
LAREN
PENATEN
MANEN
LEMUREN
AEQUITAS
CONCORDIA
FIDES
FORTUNA
ROMA
SPES
VICTORIA"
Mir schwirrte der Kopf.
Doch unbarmherzig ging es weiter.
"Nomen est Omen. Die war ein kleiner Schritt über das Wirken der Götter, doch ein grosser Schritt für dich."
Wenn der gute Mann mir noch mehr kluge Sprüche und Schritte um die Ohren werfen würde, würde ich ihm auch ein Schritt geben, einen getretenen Schritt in die Körpermitte.
"Um ein Verständnis für das Wirken und den Willen der Götter zu erreichen, musst du ihre Geschichte kennen, ihre Taten und das Wissen besitzen vom Anbeginn an."
Da klang grauenhaft in meinen Ohren.
"Beginnen wir dir Aesculapius näherzubringen :
Aesculapius ist der Gott der Heilkunst und von griechischer Herkunft. Er ist der Sohn des Apollo und der Coronis. Weil Coronis Apollo untreu geworden war, tötete er sie, rettete aber das noch ungeborene Kind. Apollo brachte den Knaben zum weisen Centauren Cheiron, der ihn in der Heilkunst unterrichtete.
Aesculapius verfeinerte die Kunst seines Lehrmeisters weiter und wurde darin so vollkommen, dass er es schaffte Tote wieder zum Leben zu erwecken.
Über diese Fähigkeit war der Göttervater Zeus so erzürnt, dass er ihn mit einem Blitz in die Unterwelt schleuderte.
Podaleirios und Machaon, die Söhne des Aesculapius wurden ebenfalls Ärzte und heilten die Verwundeten der Griechen vor Troja. Seine Tochter Hygieia wird in Griechenland als heilkundige Göttin verehrt.
Die wichtigste Stätte Aesculapius ist Epidauros. Unzählige Menschen suchen dort im Tempel Heilung von ihren Beschwerden.
Der Gott heilte die Menschen nicht direkt. Vielmehr zeigte er den Kranken den Weg der Heilung durch Träume auf, die sie in der Nähe seines Tempels haben.
Vor 450 Jahren wütete in Rom und Latium die Pest. Auf Anraten der Sibyllinischen Bücher holte man den Heilgott aus seinem Hauptort nach Rom. Das gleiche Ritual wurde schon einmal wirkungsvoll von den Athenern angewandt. Als zwei Jahre später das Schiff mit der heiligen Schlange des Aesculapius an der Tiberinsel in Rom vorbeifuhr, schwamm diese an Land und verlieh dem Ort heilende Kräfte.
Ein Tempel zu Ehren des Aesculapius und seiner Mutter Coronis wurde dort geweiht.
Die Insel selbst ist Aesculapius heilig und wurde mit Travertinplatten an den Ufern als stromaufwärts fahrendes Schiff ausgebaut. Am Bug errichtete man eine Büste des Gottes.
Zumeist wird Aesculapius als gütiger und bärtiger Mann dargestellt, der sich auf einen Knotenstock stützt, der von einer Schlange umwunden wird. Oftmals trägt der Gott die corona tortilis, den auch Priester und zu einem Symposion Geladene tragen dürfen.
Die Schlange ist das allgemeine Symbol des im Aesculapius. Dabei handelte es sich um die Coluber longissimus, die bis zu zwei Meter lang werden kann.
Aesculapius unterscheidet sich von Apollo als Heilgottheit dadurch, dass sich die Kranken im heiligen Bezirk aufhalten durften.
Als vor 330 Jahren wiederum die Pest in Rom wütete, stellte man vergoldete Statuen des Aesculapius und des Apollo nebeneinander auf."
Natürlich durfte ich das ganze wiederholen und wiederholen. Ich hatte in der Zwischenzeit das Gefühl neben mir zu stehen und einem leiernden Irren zuzuschauen, der immer den gleichen Text, unterbrochen von Belehrungen wiederholte.
"Brav, Junge. Wollen wir den Tag nutzen und mit Apollon fortfahren."
Der brave Junge würde gleich was anderes Nutzen um den Tag noch zu retten.
"Apollo ist der Sohn des Zeus und der Leto. Er ist der Zwillingsbruder von Artemis. Er gilt als einer der mächtigsten Götter Griechenlands. Sein Geburtsort ist die Insel Delos. Die eifersüchtige Hera gewährte Leto nicht die Sicherheit des Festlandes und sie musste die beiden Kinder auf einer Insel zur Welt bringen.
Mit der Sterblichen Coronis hatte er einen Sohn - Aesculapius.
Die Fähigkeiten des Apoll sind äusserst vielfältig: Seine Pfeile bringen den Tod, doch heilt er gleichzeitig alle Wunden. Er ist der Schirmherr der Herden und Städtegründer. Zudem ist er Beschützer der Sänger und Musiker. Als oberster Orakelgott ist er auch Herr über alle Seher. Und schliesslich fungierte er als Gott der Sonne und des Lichts. In dieser Eigenschaft wird ihm Helios gleichgesetzt.
Apollo ist von überaus strahlend schöner Gestalt, die die olympischen Götter zunächst erschrecken liess. Durch Tauschhandel mit Hermes gelangte er in den Besitz einer Kithara.
Sie wurde ebenso sein Symbol wie der Lorbeer.
Als Tiere sind ihm Greif, Krebs und Delphin zugeordnet.
Wie Iuppiter ist er in der Lage Blitze zu schleudern. So hat er vor 420 Jahren die Kelten mit Blitzen aus Delphi vertrieben.
Sie Sibyllen verstehen sich als Pristerinnen Apolls.
Die Orakelsprüche der Sibyllinischen Bücher sind ohne Frage ein Rückgrat der römischen Religion. Wichtig für und Römer ist auch die Verbindung zu Aeneas.
Vor 600 Jahren gab es auf dem Marsfeld das erste Apollinar. Das zuerst nur eine Hain mit Quelle war, aber im Zuge der Pestepedimie wurde dort ein Tempel errichtet.
Der heilige Bezirk des Apoll liegt ausserhalb der Stadtmaueren. Denn Apoll ist Für die Reinigung von Seuchen und Blutschuld, die Lustration, zuständig.
Mit diesem Reinigungsritual ist Apoll der Vollstrecker des Willens Iupiters. Er reinigt die siegreichen Soldaten von ihrer Bluschuld und schickt sie im Triumphe zum Göttervater auf das Capitol.
Auch die Formel "Gedenke, dass du ein Mensch bist." die der Staatssklave dem Triumphtor bei seinem Zug ins Ohr flüstern musste, ist ein Zeichen Apollos.
"Erkenne dich in deiner Begrenztheit gegenüber den Göttern."
Neben Lustration und Sibylle ist Apollo auch Gott der Musen.
Vor 360 Jahren wurden deshalb die Ludi Apollinares gestiftet und seit 350 Jahren jährlich in der Mitte des Tierkreiszeichen Krebs gefeiert.
Dabei werden vor dem Apollotempel auf dem Marsfeld Dramen von Schauspielern aufgeführt.
Diese Schauspieler nennen sich parasiti Apollinis.
Vor 150 Jahren wurde dort das Marcellustheater fertig gestellt."
Ich konnte nicht mehr. Ich war am Ende. Doch der Folterknecht kannte kein Erbarmen. Ich rezitirete und rezitierte.
Und dazwischen umspülten mich die klugen Sprüche und Weisheiten dieses Geiers in Menschengestalt.
Ich war kurz davor mir igrendetwas zu suchen was ich als Waffe gegen einsetzen konnte um mich zu befreien.
Und dann beendete er diese Lectio. Aber entlies mich nicht ohne einige gute Ratschläge und der Aufforderung bald wiederzukommen um die Lectio fortzusetzen.
Ich wilder Panik floh ich vor meinem Peiniger.