[Officium] Legatus Legionis

  • Der decurio dankte, zog sich den Stuhl zurecht und nahm Platz. Dann wandte er sich an seinen Vorgesetzten.


    "Du hast mich nicht rufen lassen, aber ich halte es für meine Pflicht, Dich über den derzeitigen Stand meiner turma zu informieren."


    Er sprach von "seiner" turma, war sich aber dessen bewußt, daß er damit mit einer Rüge zu rechnen hatte.


    "Wir haben mit Hilfe der Götter die Pest besiegt. Aber dieser Sieg hat 15 meiner Männer das Leben gekostet. Alle waren gute equites, dem Kaiser treu ergeben und mit der legio eng verbunden und keiner war dabei, der jemals einen Grund geliefert hätte, ihn zur Meldung zu bringen. Nun fehlen mir zur Sollstärke fünfzehn equites.


    Ich bin nicht hier, um Dir etwas vorzujammern. Ich bin hier um Dich zu bitten, mich bei der Rekrutierung neuer milites mitzuberücksichtigen, da damit zu rechnen ist, daß die Meldungen unserer anderen Einheiten genauso wenn nicht noch schlechter ausfallen als die meiner turma. Und dann kommt noch hinzu, daß ein eques eine Zusatzausbildung zu absolvieren hat. Und das kostet Zeit.


    Darf ich Dir die aktuelle Bestandsmeldung meiner turma vorlegen, legatus?"


    Er wußte, daß der legatus keine neuen milites aus dem Ärmel schütteln konnte, vor allem nicht aus dem Stegreif. Aber er ging davon aus, daß er, da equites eine längere Ausbildung benötigten, nicht bevorzugt, jedoch schneller mit Ersatz rechnen konnte.

  • Eine Rüge gab es nicht. Immerhin war es tatsächlich die Turma des Decurios. Und der Decurio mitsamt seiner Turma und den anderen Turmae die Legionsreiterei des Legaten. "Ja, mir ist das Problem bekannt, Decimus. Und ich habe bereits überlegt, einzelne Männer aus den anderen Turmae zu Deiner zu versetzen, damit ihr zumindest alle eine einsatzfähige Stärke habt, bis der Nachwuchs die Reihen wieder auffüllen kann. Ähnlich machen wir es auch mit den besonders stark betroffenen Infanterieeinheiten. Entweder das, oder wir ändern den Einsatzplan so, daß Deine Truppe ein wenig entlastet wird, damit ihr eure Aufgaben trotz der geringen Stärke bewältigen könnt." Zu der Frage, ob Cursor die aktuelle Bestandsmeldung vorlegen dürfte, nickte er und streckte auch schon die Hand aus, um sie entgegen zu nehmen.

  • Der decurio erhob sich und überreichte dem legatus die Bestandsmeldung seiner turma.


    Bestandsmeldung turma prima





    Stand : PRIDIE ID IUN DCCCLXI A.U.C. (12.06.2011/108 n.Chr.)
    iussu
    Titus Decimus Cursor


    Er setzte sich wieder und wartete darauf bis sein Vorgesetzter erneut das Wort an ihn richtete.

  • Ruhig studierte Ursus die Aufstellung, die genau so unerfreulich war, wie erwartet. Die Turma war wirklich arg geschröpft worden. Er legte die Liste nieder und blickte seinen Offizier aufmerksam an. "Und wie sieht es mit der Moral der Männer aus? Wie gehen sie mit den Verlusten um?"

  • Mit versteinertem Blick sah der decurio seinen Vorgesetzten an.


    "Meine Männer verstehen dies alles nicht. Innerhalb der contubernia hatten sich viele Freundschaften gebildet, ein jeder konnte sich auf den anderen verlassen und Kameradschaft steht für sie an erster Stelle. Sie wollen nicht begreifen, daß ihre Kameraden und Freunde nicht im Feld getötet oder ihren dort empfangenen Wunden erlegen sind, sondern daß sie, so wie sie das sehen, einem unsichtbaren Feind ohne Gegenwehr ausgeliefert waren. Und nun ist das eine oder andere Bett neben oder über einem leer.


    Entgegen einem harten Soldaten heulten manche wie die Schloßhunde. Ich ließ sie heulen. Einer ließ seine Wut an seinem Bett aus indem er es mit seiner spatha regelrecht zusammenhieb. Sie alle haben sich beruhigt. Und dann haben wir uns zusammengesetzt und geredet, geredet wie einem jeden der Schnabel gewachsen ist. Und ich habe sie reden lassen.


    Du fragst nach der Moral meiner Männer, legatus?"


    Der decurio stand auf und hieb seine rechte Faust auf die Brust.


    "Wir sind die turma I der legio I. Wir stehen und fallen wann immer es uns befohlen wird, legatus."

  • Aufmerksam verfolgte Ursus die Worte und die Mimik seines Decurios. Sein Blick war direkt auf die Augen seines Gegenübers gerichtet. Nachdenklich lag seine Hand an seinem Kinn. Er antwortete nicht gleich, sondern ließ einige Augenblicke mit Schweigen verstreichen. "Wer kann das schon verstehen? Solche Dinge geschehen. Das tröstet leider nicht im Geringsten. Doch wir alle wissen, daß er Tod der ständige Begleiter eines Soldaten ist. Und glaube nicht, daß der Tod dieser Männer weniger ehrenhaft wäre, als der Tod derjenigen, die in großen Schlachten fallen. Jeder von uns muß einen Weg finden, um mit dem Verlust fertig zu werden. Ich glaube, Du hast es bisher ganz richtig gemacht, Decimus. Und ich bin sehr stolz auf diese Einheit, die trotz der herben Verluste zu allem bereit ist." Offenbar hatte er die Turma I genau dem richtigen Mann anvertraut.


    "Decurio, ich muß so bald wie möglich für einige Tage nach Rom. Ich möchte, daß Du mich begleitest. Mit Deinen Männern. Der Ritt wird hart, wir haben es eilig. Aber dort werdet ihr einige Tage frei haben. Das könnte den Männern gut tun. Sie sollen sich austoben. Nach unserer Rückkehr werden wir die Reihen etwas auffüllen. Ich versetze aus den drei anderen Turmae jeweils drei Männer zu der Deinen. Das schwächt keine Einheit zu sehr und wird Deine auf eine dienstfähige Stärke bringen. Nach und nach werden wir dann die Reihen mit neuen Rekruten auffüllen." Es war eine spontane Idee, die Eskorte aus den Männern der Turma I zusammenzustellen. Eine noch spontanere, gleich alle mitzunehmen.

  • Überrascht sah der decurio seinen Vorgesetzten an. Er hatte mit vielem und allem Möglichen gerechnet, jedoch nicht mit einer derartigen Auszeichnung.


    "Dich nach Rom zu eskortieren ist nicht nur für mich sondern besonders für meine Männer eine besondere Auszeichnung. Die in Aussicht gestellten freien Tage in der Hauptstadt werden das Übrige dazu tun, um über die unseligen letzten Wochen hinwegzukommen.


    Was meine turma, oder genau gesagt den Rest davon betrifft, so werde ich Dich mit 13 equites begleiten, da 2 Männer das valetudinarium noch nicht verlassen dürfen.


    Wann sollen wir marschbereit sein, legatus?"


    Der decurio wollte seine Männer so schnell wie möglich in ihren nächsten Auftrag, der zugleich sowohl eine willkommene Ablenkung als auch Abwechslung bot, einweisen.

  • Dreizehn Mann war doch eine brauchbare Anzahl. Ursus nickte zufrieden. "Übermorgen, direkt nach dem Morgenappell brechen wir auf. Du wirst mit Deinen Männern am Tor bereit sein. Ich werde ansonsten nur einen Sklaven mitnehmen, Cimon, da ich schnell voran kommen möchte. Vielleicht bist Du ihm in der Castra schon einmal begegnet?" Da Cimon auch sein Pferd versorgte und bewegte, war es nicht ganz unwahrscheinlich. Vor allem, da Cimon keine ganz gewöhnliche Erscheinung war.

  • Cimon heißt also der Bursche
    dachte der decurio.
    Das war doch der Riese mit der Glatze, den er des öfteren in der pabula gesehen hatte und der sich um das Pferd des legatus kümmerte.


    Dann beantwortete er die ihm gestellte Frage.
    "Cimon ist mir mehrmals in der pabula begegnet und da er sich eingehend deines Pferdes annahm, ging ich davon aus, daß es sich um einen deiner Sklaven handelt. Da Du ihn mit nach Rom mitzunehmen gedenkst, bitte ich mir eine Frage zu erlauben, legatus."


    Er mußte wissen, wie er mit diesem Sklaven, der seinem Vorgesetzten als Leibwache diente, vertrauen konnte.

  • So in etwa hatte Ursus sich das schon gedacht. Cimon war auffällig, so unauffällig und unaufdringlich er sich auch benahm. Kein Wunder, daß der Decurio sich sogleich an ihn erinnerte. "Natürlich. Was für eine Frage hast Du?" Hoffentlich war nichts vorgefallen? Nein, das hätte Cimon ihm sogleich berichtet. Der Nubier war eine durch und durch treue Seele und würde nichts verheimlichen, was auch nur ansatzweise ein Fehlverhalten darstellen konnte. Davon war Ursus felsenfest überzeugt.

  • Der decurio sah seinem Vorgesetzten in die Augen.


    "Ich traue meinen Männern und ich kann auf sie felsenfest vertrauen. Wir sind eine Gemeinschaft auf Leben und Tod. Sie für mich und ich für einen jeden einzelnen.


    Wie sieht das mit Cimon aus? Er ist ein Sklave und er ist ein Barbar. Wir reisen nach Rom. Der Weg ist lang und es treiben sich bekanntlich ihren Herren entlaufene Sklaven herum und machen die Gegend unsicher. Meine Männer und ich beschützen Dich, aber ... "


    Er brach seinen Satz abrupt ab und fragte.


    "Kann ich Cimon wie einen und als einen meiner Männer betrachten, legatus?"


    Er wollte nicht nur, sondern er mußte um jeden Preis sicher gehen und hoffte, daß der legatus seine Frage entsprechend auslegte.

  • Die Frage war einerseits verständlich, andererseits hätte Cursor sie sich auch schon selbst beantworten können. „Cimon ist mein Leibwächter. Seit einigen Jahren schon vertraue ich ihm vorbehaltslos mein Leben und das meiner Frau an.“ Er machte eine Pause, denn diese Aussage sprach eigentlich schon für sich. „Ein sehr kluger Mann sagte einmal, daß jeder Mann mindestens so viele Todfeinde hat, wie er Sklaven besitzt. Das ist sicherlich eine durchaus kluge Einstellung, die man immer im Hinterkopf behalten sollte. Bei Cimon liegt dies ein wenig anders. Die Gründe dafür sind allerdings privater Natur und auch ich möchte Cimons Vertrauen würdig sein.“ Vielleicht faßte Cimon eines Tages Vertrauen zu dem Decurio und erzählte ihm selbst seine Lebensgeschichte. Es war nicht an Ursus darüber zu tratschen.


    „Du kannst ihm vertrauen wie einem Deiner Männer, jedoch untersteht er nicht Deinem Befehl, sondern allein dem meinen. Sollten wir in eine Situation kommen, in der ich nicht zur Verfügung stehe, so wirst Du gewiß feststellen, daß er ein sehr kluger Mann ist. Sind Deine Anweisungen und Beschlüsse klug, wird er Dir folgen. Folgt er Dir nicht, so solltest Du Dich fragen, was gerade falsch läuft.“ Die Worte klangen sicherlich merkwürdig und vielleicht auch etwas hart einem erfahrenen Offizier gegenüber. Doch ein Lächeln nahm ihnen die Schärfe. Wenn Cursor Cimon etwas näher kennenlernte, würde er verstehen wie Ursus das meinte.

  • Zitat

    Original von Titus Aurelius Ursus
    „Du kannst ihm vertrauen wie einem Deiner Männer, jedoch untersteht er nicht Deinem Befehl, sondern allein dem meinen.“


    Der decurio sah seinen Vorgesetzten, den er mit seiner Frage allem Anschein nach brüskiert hatte, entschuldigend an.


    "Ich erdreiste mich nicht darüber zu befinden, wessen Befehl Cimon untersteht. Es steht mir folglich auch nicht zu anzuzweifeln, daß er Dir allein unterstellt ist.


    Mir ging es mit meiner Frage nur darum, ob ich ihm wie auch meinen Männern vorbehaltlos vertrauen kann, d.h., daß Ausgesprochenes so bewertet wird wie es gemeint ist, was wiederum nicht bedeuten soll, daß bei der turma respektlose Bemerkungen über Vorgesetzte, auch nicht unter der Hand, geführt werden. Das meinte ich mit Betrachten und nichts anderes, legatus."


    Der decurio hoffte das Mißverständnis mit seiner Erklärung bereinigt zu haben und wartete auf die Zustimmung des Vorgesetzten.

  • Ursus nickte mit Bestimmtheit. "Das kannst Du, Decimus. Er ist mir treu und er weiß, wann er zu schweigen und wann er zu reden hat. Glaube mir, er ist ein guter Mann." Davon war er fest überzeugt. Cimon hatte ihm auch nie Anlaß gegeben, daran zu zweifeln. "Sprich ruhig mit ihm, lerne ihn kennen. Er mag nur ein Sklave sein, doch er ist meine rechte Hand, also weit mehr als nur ein Leibwächter. Außer meiner Frau kennt mich niemand so gut wie er." Ursus vermutete sogar, daß Cimon ihn besser kannte als Septima.

  • Der decurio nickte ebenfalls.
    Das ist gut, murmelte er vor sich hin.
    Mehr wollte er nicht hören und mehr wollte er auch nicht wissen. Er konnte diesen Cimon wie einen seiner Männer ansehen. Entscheidend für ihn war, daß der legatus diesem Sklaven voll vertraute.


    Auch er wollte seinem Vorgesetzten seine unbedingte Loyalität beweisen und, um dies zum Ausdruck zu bringen, bat er ihn.


    "Gestattest Du mir noch eine Frage, die sich mir gerade jetzt aufdrängt, legatus?"

  • Dann wäre dieser Punkt also geklärt. Die gemurmelten Worte des Decurios waren zwar nicht so genau zu verstehen, aber sie klangen zustimmend. Die Reise nach Rom war also gesichert. Und Ursus würde endlich seinen Sohn zu sehen bekommen!


    "Eine Frage? Natürlich, sprich frei heraus." Er schätzte Offenheit, gerade von seinen Untergebenen. Es war schwer genug herauszufinden, was in deren Köpfen vor sich ging und in die notwendigen Entscheidungen mit einzubeziehen.

  • Während des Gesprächs waren dem decurio so manche Gedanken durch den Kopf gegangen. Auf der einen Seite war da ein Sklave, der seinem Herrn treu ergeben war, dem sein Herr unbedenklich vertraute und der dies unter Beweis gestellt hatte. Auf der anderen Seite war er, der bisher nichts von all dem bewiesen hatte.


    Für ihn stand nicht nur fest, was er zu tun hatte, sondern was er tun mußte. Und die anstehende Reise in die Hauptstadt schien ihm der willkommene Anlaß zu seinem Vorhaben.


    Er stand auf, nahm Haltung an und wandte sich mit festem Blick an seinen Vorgesetzten.


    "Ich bitte darum, Dir meine Klientschaft antragen zu dürfen, legatus."


    Nun kam es darauf an, wie sein Kommandeur auf diese Bitte reagieren würde.

  • Mit allem Möglichen hatte Ursus in diesem Moment gerechnet. Mit der Bitte um einen Soldvorschuß - für sich oder seine Männer oder beides. Oder mit der Frage, wie lange sie wohl in Rom bleiben würden. Aber nicht mit dieser Bitte. Dementsprechend dauerte es einen kleinen Moment, bis er antwortete. Ein Mann wie der Decurio hatte noch keinen Patron? Schien fast so.


    "Nun, einen Mann wie Dich kann jeder gut in seiner Klientenschar gebrauchen. Aber bist Du Dir auch bewußt darüber, daß ich vermutlich nicht ewig dieses Kommando inne haben werde und eines Tages nach Rom zurückkehre?" Diese Frage war auf jeden Fall nötig. Ebenso wie die nächste. "Mein Patron ist Senator Vinicius Lucianus. Als mein Klient wärst Du auch ihm verpflichtet."

  • Der decurio nickte. Dann ging er auf die ihm gestellte Frage ein.


    "Es ist mir klar, daß Du nicht auf Dauer der Kommandeur der I. sein wirst."


    Er lächelte verschmitzt.


    "Aber solltest Du, sagen wir in die Hauptstadt gehen, so dürfte es doch bestimmt auch auf dem Versetzungswege eine Möglichkeit geben, ebenfalls dorthin zu gelangen."


    Er hatte es von Nikopolis nach Mantua geschafft, warum nicht auch von da nach Rom? Daß er dem ihn verehrten legatus überall hin folgen würde, behielt er für sich.


    "Und wenn Du es für angebracht hältst, zudem dem Senator Vinicius verpflichtet zu sein, so wäre das eine zusästzliche Ehre für mich, legatus."


    Er wandte seinen Blick nicht von seinem Vorgesetzten.

  • Ernst erwiderte Ursus den Blick seines Offiziers. „Das kann ich Dir nicht garantieren. Für so eine Versetzung würde es das Einverständnis des Praefectus Urbi brauchen. Und der ist auf Patrizier nicht gut zu sprechen. Auch das solltest Du bedenken. Aber wenn Dich das alles nicht stört, dann nehme ich Dich gerne als Klienten an, Decimus. Und werde natürlich versuchen, Dich nach Kräften zu fördern.“ Das war selbstverständlich. Nur waren seine Möglichkeiten begrenzt, solange der Vescularier an der Macht war. Auch wenn Ursus ihm eigentlich bisher noch gar nicht in die Quere gekommen war.

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