Klebriger Schweiss tränkt das Laken, das um Cethegus fieberglühenden Körper geschlungen ist. Er wälzt sich hin und her, auf seiner Lagerstatt. Das Wechselfieber wütet in ihm, wie ein Raubtier schlägt es seine Klauen in hinein, wühlt in seinen Eingeweiden. Schwüle Hitze herrscht im Zelt, und der Regen, der ewige Regen platscht auf das Dach, unterspült die Pfosten, weicht den Boden auf.
Der junge Lycidas hockt auf einem Schemel neben seinem Herren. Er gibt ihm zu trinken und Arznei. Er legt ihm kaltgetränkte Tücher auf wenn das Fieber auflodert, und stopft Decken um ihn wenn ihn der Schüttelfrost packt. Lycidas hofft, dass sein Herr überlebt. Zwar würde er ihm den Tod gönnen, und das von Herzen, doch natürlich will er nicht alleine bleiben mit den Trägern und Wächtern. Hier, so tief in diesem fremden tödlichen Land. Ohne Schutz.
Das Lager ist am Rande eines Sumpfgebietes errichtet, das sich gen Süden erstreckt, endlos und unwegsam. Ein trügerisches Mosaik von Tümpeln, Seen, Morast, verpestete Fieberdünste. Wie soll man da noch den Lauf des Flusses verfolgen? Seit Cethegus krank ist - und ebenso die meisten seiner bewaffneten Begleiter - sind immer mehr der Träger verschwunden. Keine offene Meuterei hat es gegeben, sie sind einfach nach und nach verschwunden, haben den verrückten Mzungu zurückgelassen. Viel Ausrüstung und Proviant haben sie mitgenommmen.
Cethegus bäumt sich auf. Sein Gesicht ist schmal geworden, rote Flecken zeichnen sich auf der bleichen Haut ab. Tief umschattet liegen die Augen in den Höhlen, das Haar klebt ihm an der nassen Stirn. Nicht einen Bissen kann er mehr bei sich behalten. Sein Bauch schmerzt, ist hart geschwollen an den Flanken. Sein Urin war gestern schwarz verfärbt. Cethegus findet den Gedanken sterben zu müssen sehr befremdlich!
Die Quellen rufen ihn noch immer. Lockend schlingen sie ihre Bande um ihn. Wispern von Unsterblichkeit. Er starrt zum Ausgang des Zeltes. Verschwommen nur erkennt er einen fahlen Streifen von Tageslicht. Sein Blick irrt umher, findet Ruhe auf den Zügen Lycidas'. Klassische Schönheit. Kaum entstellt, mehr geadelt durch die Entbehrungen der Reise. Cethegus' Augen trinken den Anblick. Ein Stück Ausgewogenheit, lichte Harmonie, ein Bollwerk gegen das wuchernde, wimmelnde, kriechende Chaos dass diesen Kontinent erfüllt. Das ihn in die Knie zwingen will. Zwingen wird... Ein Claudier gibt nicht auf. Doch Cethegus' Kräfte schwinden. Sie sickern aus ihm heraus wie aus einem lecken Gefäss. Das Land, die Finsternis. Es wird ihn nicht mehr fortlassen.
Mühsam formuliert er die Worte, mit brüchiger, krächzender Stimme die ihm selbst hässlich in den Ohren klingt. Aber noch immer lodert darin, ungebrochen, die Gewissheit seiner Grösse.
"Hol etwas zu schreiben. Briefe. Ich muss Briefe schreiben. Du kehrst zurück, Lycidas. Mit den Briefen. Nyati soll Dich begleiten, und ... wer ist denn überhaupt noch da?.... Meine Karten und die Sammlung, bring sie zum Museion. Die Welt soll erfahren was dieses dunkle Land in seinem Innersten verbirgt. Welche Wunder. Welche Schätze und Scheusslichkeiten. Welches Unbegreifliche... Und sie sollen wissen wie Lucius Claudius Cethegus mit dem schwarzen Kontinent gerungen hat, um ihm seine Geheimnisse zu entreissen!"
Lycidas neigt untertänig den Kopf und gehorcht. Cethegus diktiert ihm die Worte des Briefes.
"Schreib. An Galeo Claudius Myrtilus. Einen letzten Gruss Dir mein Vater. Ich ringe mit dem Tod. Aus dem tiefsten Libyen, von jenseits des Reiches von Meroe, sende ich Dir diese Zeilen. Ausgezogen bin ich die Quellen des Nils zu finden, habe Katarakt um Katarakt überwunden, und gefunden habe ich ein Land von ungezügelter Wildheit und von Barbarei, absoluter Barbarei in den Steppen und Wäldern und den Herzen der wilden Menschen... Es weiss seine Geheimnisse zu wahren, und es rächt sich nun an mir, seinem Entdecker.
Wisse dass Dein Sohn vor keiner Entbehrung und keiner Herausforderung je zurückschreckte. Du hast mich nach Achaia verbannt, mir damit unsägliches Unrecht getan. Und nicht nur mir. Es heisst im Angesicht des Todes überkäme einen die Milde, doch mein Zorn ist noch ebenso glühend wie an dem Tage da Du gewaltsam auseinanderrissest was zusammengehört. Ich habe aufgehört an die Götter zu glauben. Diese Kindereien sind eine Beleidigung für jeden gebildeten und vernünftig denkenden Mann. Göttliches vermag ich nur in meiner Seele zu finden. Du jedoch hast sie zerrissen, wolltest Animus und Anima zu einem fahlen Schattendasein verurteilen, in aschenem Exil, fern jeder Freude, fern ihrer Bestimmung. Was Dich zu diesem Verbrechen verleitete, darüber habe ich oft nachgesonnen. Tyrannische Ignoranz. Oder nur ein kleinliches Bestreben die Form zu wahren, koste es auch das Glück - das einzige und wahre - Deiner Kinder.... -
Lycidas. Schreib ihm ausserdem von der Reise, meinen Entdeckungen, den Namen die ich den Bergen und Strömen verliehen habe..."
Cethegus lehnt sich zurück, ausser Atem, erschöpft von dem Zorn der, der Fieberglut gleich, wieder in ihm aufbrandet. Er hasst seinen Vater. Inbrünstig. Dessen ist er sich sicher. Und doch... er wünschte, Myrtilus würde ihn verstehen, ihm vergeben, und vor allem verstehen warum er nicht anders kann!
"Ich will nicht, ich muss wollen!"
Ihn schwindelt. Der Mund ist trocken, die Zunge pelzig, sie will nicht mehr gehorchen. Lycidas streut Sand auf die Zeilen. Mit Grazie reicht er Cethegus dann einen juwelenbesetzten Becher, kein Wein ist darin, der ist längst ausgegangen, nur Wasser mit sumpfigem Geschmack. Der Becher ist viel zu schwer. Cethegus Hände zittern, er verschüttet Wasser über sich. Lycidas hilft ihm, setzt ihm den Becher an die Lippen, lässt ihn den ausgedörrten Mund benetzen.
"Schreib. Animula mea.....Callista....."
Langsam trübt es sich vor Cethegus' Augen. Driftet immer weiter fort. Lycidas neigt sein Ohr zu seinem Herren, versucht aus dessen Murmeln die Worte herauszuhören. Formen verschwimmen, die Zeltbahnen wabern, Farben schweben langsam durch den Raum. Tropfen lösen sich, Cethegus Umgebung verblasst, verflüchtigt sich, wird fortgeschwemmt vom Regen wie Farben von einem nassen Fresko. Er erhebt sich - die Schmerzen sind weit fort, nur mehr ein Echo das verklingt - und folgt dem Ruf.
Da ist er. Der See.
Er erkennt ihn sogleich. Der alte Abessinier sprach doch von ihm.
Der Quell des Lebens. Endlich am Ziel!