Erst vor wenigen Wochen haben Cadmus „Sicanus“ und seine Schwester Eurydice, nach dem Tod ihrer Eltern, ihre Heimat Sicilia verlassen. Per Schiff machten sie sich auf den Weg nach Roma. Zuerst nach Ostia und dann weiter in die „Ewige Stadt“.
Und nun stand Sicanus vor der Porta Raudusculana. Freunde aus Syracusae hatten ihm den Weg nach Roma gewiesen. Aber keiner von ihnen war jemals hier gewesen. Wie sollte er sich in dieser Stadt je zurechtfinden? Wie sollte er das Meldeamt finden? Sicanus fragte eine der Torwachen. Diese wies ihm – ohne großen Eifer – den Weg.
In der Stadt herrschte eine beklemmende Stimmung. Klageweiber säumten die Straßen. Vor lauter Schluchzen verstand man kein Wort. Sicanus nahm seine junge Schwester an die Hand und gemeinsam bahnten sie sich einen Weg durch die überlaufenen Straßen.
Endlich im Meldeamt angekommen, erhielt Sicanus die lang ersehnte Genehmigung, sich in Roma niederzulassen. Doch so wie das eine Problem verschwand, tauchte ein anderes auf…Geld. Die Ersparnisse aus Syracusae waren klein und Roma teuer – keine sonderlich gute Kombination... Sicanus fragte den Beamten, ob es in Roma derzeit Stellen für einen einfachen Scriba wie ihn gäbe? Der Beamte betrachtete Sicanus verächtlich und entgegnete süffisant:
„Die Administration von Roma sucht immer fähige BÜRGER…warum versuchst Du PEREGRINUS es nicht mal dort? Oder wäre Dir die Regionalverwaltung lieber? Warum versuchst Du es nicht gleich am Hof des Kaisers! Verschwinde, ich habe zu tun!“
Sicanus hatte Mühe seinen Ärger zu verbergen. Dennoch verneigte er sich knapp und trat wieder auf die Straße.
Inzwischen war es Mittag und die Straßen waren noch voller als zuvor. Der Klagegesang wurde immer lauter. Sicanus wandte sich an eine der Klageweiber und fragte nach dem Grund der Trauer. Die Alte antwortete ihm, dass der Kaiser verstorben und der Caesar nicht in Roma sei.
Sicanus wurde schlecht.
Der Kaiser tot?!? Wie sollte es jetzt weitergehen? Wer sollte uns jetzt führen? - dachte sich Sicanus. Der Kaiser hatte das Imperium aus den Wirren der „Republikanischen Revolution“ geführt und eine Ära des Wohlstandes eingeläutet. Und nun war er tot? Wo war der Caesar?
In Sicanus stieg ein Gefühl der Hilflosigkeit auf.
Sicanus hielt einen kurzen Moment inne. Er blickte in den grauen Himmel. Es schien, als würden die Götter mit den gemeinen Sterblichen trauern. Sicanus versuchte seine Gedanken zu ordnen…
Was hatte der Beamte doch gleich gesagt…Kaiserhof…Warum nicht. Was könnte ich jetzt noch verlieren?… Außer vielleicht die letzte Tunika…
Sicanus fühlte sich verlassen aber er wollte helfen! Der Kaiser hatte soviel getan – für alle. An Mut hatte es ihm noch nie gefehlt und so fasste er sich ein Herz und schlug gemeinsam mit seiner Schwester den Weg in Richtung Palatium ein. Er wollte etwas tun, er wollte helfen…so man denn seine bescheidenen Dienste in Anspruch nehmen wollte.
Dieses Unterfangen gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht. Bereits am Fuße des Palatium patrouillierten Praetorianer auf den Straßen. Als Sicanus den Wachposten passieren wollte, hielt sie einer der Praetorianer auf.
„Halt! Was führt Euch auf den Mons Palatinus?!?“ fuhr der Soldat ihn an.
Sicanus verneigte sich und blickte zu Boden, so wie es ihm sein Vater gelehrt hatte.
„Ich möchte in dieser dunklen Stunde meine bescheidenen Kräfte, als Notarius, in den Dienst des neuen Imperators stellen, mein Herr! Ich diente bereits im Gefolge des Regionarius der Regio Sicilia. Ich kann Lateinisch und Hellenisch – lesen und schreiben, mein Herr.“
Noch immer blickte Sicanus nicht auf. Der Praetorianer beäugte Sicanus und Eurydice argwöhnisch. Doch ihm schien diese Geste der Ehrerbietung zu schmeicheln. Er befahl den beiden ihm zu folgen. Der Praetorianer führte sie die Straße zum Palatium hinauf, bis auf den Vorhof des kaiserlichen Palastes.
Sicanus war überrascht, viele Praetorianer patrouillierten auf dem Platz – zu viele für seinen Geschmack. Und dabei weilte der Caesar doch gar nicht in Roma? Aber Sicanus wusste nicht viel über römische Politik, um nicht zu sagen, dass er gar nichts über römische Politik wusste…Das wird alles seine Richtigkeit haben, beruhigte er sich.
Nachdem der Praetorianer einige Worte mit der sichtlich verärgerten Torwache gewechselt hatte, wandte er sich wieder an Sicanus.
„Sie werden hier warten! Unbefugten ist der Zugang zur Palastanlage strengstens untersagt! Sie werden in Sichtweite der Torwache bleiben. Sollten sie sich dem Tor ohne Aufforderung nähern, wird man sie und ihre Begleiterin töten! Fordern sie ihr Glück nicht heraus!“
Sicanus blickte noch immer zu Boden und nickte.
„Habt Dank, ehrenwerter Dominus.“
Dem Praetorianer schien die Anrede Dominus zu gefallen…
„Man wird nach dem Primus ab Epistulis schicken lassen. Der ist für die Notarii zuständig. Sollte man Interesse an Eurem Ersuchen haben, wird man Euch einlassen. Wenn nicht, geleitet man Euch ins Tal. Geht keinesfalls allein! Unbefugte, welche auf dem Palatium ohne Begleitung aufgegriffen werden, landen im Kerker…oder im Grab…“
„Gewiss, Dominus“ Und noch immer blickte Sicanus zu Boden.
Als sich der Praetorianer abwandte und wieder in Richtung Tal marschierte, blickte Sicanus wieder auf. Zwei Soldaten näherten sich dem Palasttor. Auch die Soldaten wurden von Praetorianern begleitet. Langsam glaubte Sicanus, dass dieses Procedere wohl zum Protokoll am kaiserlichen Hofe gehöre. Den beiden Soldaten wurde, nach einigem Zögern, der Einlass gewährt.
Was ging hier vor sich? Selbst den Soldaten des Kaisers wurde auf dem Palatium offenbar mit Misstrauen begegnet. Verunsichert und voller Sorge sah er sich nach seiner Schwester um.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen hierher zu kommen, dachte sich Sicanus.
Doch zu seiner Verblüffung lächelte Eurydice. Gerade hatte man ihnen eröffnet, dass man sie beide töten würde, wenn sie sich auch nur bewegen sollten…und dennoch lächelte sie...
Eurydice erkannte die Verwunderung in Sicanus Gesicht und entgegnete:
„Allein das wir hier stehen zeigt, dass uns die Götter nicht verlassen haben. Bruderherz, wir beide – einfache Peregrini aus Sicilia – stehen hier vor dem Domus Augustana, vor dem Palast unseres Kaisers! Allein das wir hier stehen ist schon eine Ehre, die nur wenigen zuteil wird. Zweifle nicht. Egal was passiert, die Götter werden uns den Weg weisen. Und wer weiß, vielleicht werden die Götter unsere Gebete erhören und Dich zum Notarius im Dienste seiner Majestät erheben…“